Zahlreiche neue Studien offenbaren bei immer mehr Tierarten erstaunliche Gedächtnisleistungen. Intelligentes Verhalten zeigen dabei nicht nur die ohnehin schon als clever erachteten Primaten, Delfine, Ratten oder Elefanten, sondern auch bislang unterschätzte Tiere wie Fische, Frösche, Schildkröten und Insekten. Eine rasant wachsende Anzahl von Studien offenbart erstaunliche kognitive Fähigkeiten von immer mehr Tierarten. Auch bislang unterschätzte Tiere wie Fische oder Insekten zeigen intelligentes Verhalten. Was bedeutet das für den Menschen und sein Selbstverständnis? Autor: Marko Pauli
Zahlreiche neue Studien offenbaren bei immer mehr Tierarten erstaunliche Gedächtnisleistungen. Intelligentes Verhalten zeigen dabei nicht nur die ohnehin schon als clever erachteten Primaten, Delfine, Ratten oder Elefanten, sondern auch bislang unterschätzte Tiere wie Fische, Frösche, Schildkröten und Insekten. Eine rasant wachsende Anzahl von Studien offenbart erstaunliche kognitive Fähigkeiten von immer mehr Tierarten. Auch bislang unterschätzte Tiere wie Fische oder Insekten zeigen intelligentes Verhalten. Was bedeutet das für den Menschen und sein Selbstverständnis? Autor: Marko Pauli
Credits
Autor/in dieser Folge: Marko Pauli
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Hemma Michel, Julia Fischer
Technik: Robin Auld
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Lars Chittka, Biologe, Entomologe, Sachbuchautor, Professor für Sinnes- und Verhaltensökologie an der Queen Mary University, London;
Ludwig Huber, Verhaltensbiologe, Kognitionswissenschaftler, Sachbuchautor, Professor an der Veterinärmedizinischen Universität Wien;
Kristina Horback, Professorin für Tierverhalten an der Universität von Kalifornien
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Literaturtipps:
Lars Chittka "The Mind of a Bee", erschienen bei Princeton University Press, ab März 2024 auch auf Deutsch unter dem Titel "Im Cockpit der Biene":
EXTERNER LINK | https://press.princeton.edu/books/ebook/9780691236247/the-mind-of-a-bee
Ludwig Huber, "Das rationale Tier", erschienen beim Suhrkamp-Verlag:
EXTERNER LINK | https://www.suhrkamp.de/buch/ludwig-huber-das-rationale-tier-t-9783518587713
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Atmo Biene(n) oder Hummel(n)
Musik: Evolutionary science A 0‘37
Sprecherin
In aller Welt entdecken Wissenschaftlerteams bei immer mehr Tierarten intelligentes Verhalten. Für Aufsehen sorgen etwa die Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe von Lars Chitttka [ch wie im Wort "richtig" ausgesprochen], Professor für Sinnes- und Verhaltensökologie an der Queen Mary University in London. Der deutsche Biologe und Entomologe beschäftigt sich seit den 90er Jahren mit den geistigen Fähigkeiten von Bienen und Hummeln.
O-Ton 01 Chittka
Also, einer der frühen Versuche, die wir so als mehr oder weniger Witz-Projekt während meiner Doktorarbeit gemacht haben, war die Frage danach, ob Bienen zählen können.
Sprecherin
Bei solchen Forschungsfragen geht es immer auch um menschliche Intelligenz, denn es müssen zunächst die dafür passenden Versuche erdacht und kreiert werden.
O-Ton 02 Chittka
Und da haben wir große pyramidenförmige Zelte aufgestellt in einer Serie zwischen ihrem Stock, dem Bienenstock und einer Futterstelle.
Sprecherin
Die Bienen lernten, dass dazwischen eine bestimmte Anzahl von Zelten, von Hindernissen liegt.
O-Ton 03 Chittka
Und wenn wir mehr aufgestellt haben, sind die Bienen im Schnitt früher gelandet. Und wenn wir weniger aufgestellt haben, sind sie über das gelernte Ziel, über die gelernte Entfernung herausgeschossen und sind weitergeflogen als normalerweise. Und da zeigte sich also tatsächlich, dass sie auf die Zahl dieser Landmarken reagiert haben. Und das hätte damals also in den 90er-Jahren eigentlich noch niemand für möglich gehalten.
Musik: Busy concentration 0‘40
Sprecherin
Bienen und Hummeln - Insekten insgesamt -, hat man vor dieser Zeit nicht viel mehr zugetraut als automatisiertes, roboterartiges Verhalten. Das Zählen der Hindernisse jedoch war der Start für einen Perspektivwechsel im Denken der Menschen, dem weitere Versuche zur Erforschung der geistigen Fähigkeiten von Bienen und Hummeln folgten. Heute ist Lars Chittka davon überzeugt, so schreibt er in seinem Bestseller "Mind of a Bee", dass jede Biene ein Bewusstsein hat, dass sie ihre umgebende Welt wahrnimmt, dass sie die Folgen ihrer Handlungen abschätzen kann, dass sie über Intelligenz verfügt.
O-Ton 04 Chittka
Und es haben mich immer wieder auch mal Studenten gefragt, wenn die denn so schlau sind, haben Sie denn auch Gefühle? Und das kam mir immer nach einer etwas absurden Fragestellungen vor und einer Fragestellung, bei der ich dachte, das ist eigentlich gar nicht erforschbar. Und deswegen habe ich das immer so abgetan.
Musik: Fearful tearful 0‘41
Atmo Hummeln
Sprecherin
Doch dann hat das Team um Lars Chittka einen Versuch entwickelt, der eigentlich dafür gedacht war, herauszufinden, ob Hummeln lernen können, bestimmte Fressfeinde zu erkennen und sie in Zukunft zu meiden. Dafür haben die Wissenschaftler Krabbenspinnen nachgebaut - Spinnen, die in der Natur die Farbe von den Blüten, auf denen sie lauern, annehmen. Zwei Arme der Plastikspinne waren mit kleinen Schwämmen versehen, mit denen die Hummeln kurz festgehalten und dann wieder losgelassen wurden. Die Hummeln verhielten sich im Anschluss an diese Erfahrung auffällig.
O-Ton 05 Chittka
Sie waren also sichtbar nervös, haben vor jeder einzelnen Blüte auch noch Tage nach solchen Attacken sehr lange hin und her gescannt, bevor sie sich entschieden haben, dass das ja sicher sein könnte. Aber was ganz besonders erstaunlich war, war dieses Verhalten von so genanntem False-Alarm, also falschen Alarmen, wo sie eine komplett sichere Blüte inspiziert haben und dann weggeflogen sind. Und das sah uns tatsächlich so aus, als ob da, naja, zumindest schlampig formuliert, so etwas wie eine posttraumatische Stressbelastung vorlag. Nun war das noch keine formelle Diagnose von so einem Phänomen. Aber das deutete in die Richtung einer Art Gefühlswelt.
Sprecherin
Diese Erkenntnisse zählen wohl zu den vorläufigen Höhepunkten dessen, was Menschen Tieren kognitiv zutrauen. In der Wissenschaft beschäftigt man sich seit mehr als 100 Jahren mit der Erforschung der Intelligenz von Tieren - zunächst, ohne vor dieser großen Respekt zu haben.
Musik: Plan of the animals 0‘54
Bevor Jane Goodall in den 1960er Jahren zeigte, dass Schimpansen Äste so bearbeiten, dass sie mit ihnen nach Termiten stochern können, dass sie also in der Lage sind, Werkzeuge zu schaffen und zu nutzen, haben Menschen den Tieren in Sachen Intelligenz so gut wie nichts zugetraut. Intelligenz war - so das vorherrschende Denken - allein dem Menschen vorbehalten. Doch die Schimpansen haben die Türen geöffnet: Heute weiß man, dass viele Tiere Werkzeuge nutzen - diverse Affenarten, aber auch Krähen, Oktopoden oder Delfine, die Schwämme aufsammeln, und sich auf die Schnauze legen, um damit den Meeresboden zu durchpflügen und kleine Tiere aufzuscheuchen. Immer mehr Tierarten bestehen auch den Spiegeltest - seit gut 50 Jahren ein Standard in der Erforschung tierischer Intelligenz: Tiere, die zeigen, dass sie sich im Spiegel erkennen, sind sich ihrer selbst bewusst, so die menschliche Theorie. Raben, Elefanten und manche Fischarten haben im Spiegel Flecken auf ihrem Körper entdeckt und versucht, diese zu entfernen. Zuletzt ist in der Forschung immer mehr in den Fokus gerückt, dass Tiere einer Art sich individuell verhalten - das gilt für große wie für kleine.
Atmo Bienen
Und damit zurück zu den Bienen und Lars Chittka: Die erste Frage, die ein menschliches Gehirn sich zusammendenken könnte, ist vielleicht: Wie schaffen es Bienen, intelligent zu agieren, trotz ihres - bei allem Respekt - ja eindeutig kleinen Gehirns.
O-Ton 06 Chittka
Es ist ja so, dass diese Gehirne zwar klein sind, aber das ist natürlich alles sehr, sehr elegant miniaturisiert. Wenn man sich die Struktur anguckt, hat jede einzelne von diesen Nervenzellen mitunter eine so fein verzweigte Struktur wie eine komplette Eiche, nur halt sehr viel kleiner. Und jede dieser Nervenzellen hat bis zu 10.000 Kontakte mit anderen Nervenzellen. Jede einzelne dieser Kontaktpunkte ist zumindest theoretisch erstmal plastisch und kann sich verändern durch Erfahrungen. Und wenn man sich dann die Komplexität dieser Verdrahtung zumindest in Ansätzen vor Augen führt, wird klar, warum wir als Wissenschaftler immer noch keinen kompletten Zugang dazu haben, wie komplex das gesamte Verdrahtungsdiagramm eigentlich ist.
Musik: Leaping electrons (reduced) 0‘19
Sprecherin
Ein verdichtetes Wunderwerk, geschaffen in Millionen Jahren der Evolution. Davon zeigt sich auch Ludwig Huber begeistert, Professor für vergleichende Kognitionsforschung an der Universität Wien.
O-Ton 07 Huber
Und das sind vielleicht die aufsehenerregendsten Befunde überhaupt, weil man hier ja auch mit Lebewesen zu tun hat, die nicht nur sehr weit von uns in der Verwandtschaft sozusagen entfernt sind, sondern weil sie auch ganz andere Gehirne haben als wir.
Sprecherin
Ludwig Huber ist Autor des Sachbuchs "Das rationale Tier", in dem er mit einer vierstelligen Anzahl von Zitaten aus wissenschaftlichen Studien nachweist, dass man auch nichtmenschlichen Lebewesen Rationalität und Bewusstsein in einem anspruchsvollen Sinn zugestehen kann.
O-Ton 08 Huber
Das ist das Zentrum des Buches, dass sie auch in einer gewissen Art und Weise rational sind, dass sie also Entscheidungen treffen, die effizient sind und die ihr Überleben fördern, also eine Art von praktischer Rationalität. Und dass dabei auch das Gefühl, die Emotion eine Rolle spielt.
Musik: Animals playing catch 0‘25
Sprecherin
So ein Tier ist auch der Oktopus. Oktopusse gebrauchen Werkzeuge, planen ihr Verhalten, täuschen Artgenossen, spielen gerne und können zählen. Sie gelten als die intelligentesten Weichtiere, verfügen allerdings über kein zentralisiertes Nervensystem, ihre Neuronen befinden sich hauptsächlich in den Armen.
O-Ton 09 Huber
Ja, also mit der Zentralisierung ist das so eine Sache. Wir wissen, auch in der Neurobiologie des menschlichen Gehirns, dass diese, wenn Sie so wollen, Rechenoperationen nicht in bestimmten Zentren, kleinen Gebieten lokalisiert sind, sondern dass fast überall ein großer Teil des Gehirns beteiligt ist, also ein verteiltes Nervensystem innerhalb eines kompakten Gehirns. Und wenn man an dieses verteilte Rechnen denkt, dann ist es so nicht so weit hergeholt, dass sich in einem Kraken, in einem Oktopus, das auch in die Arme verteilt und dieses Nervensystem im einfach nicht sagen morphologisch Kompakt ist, sondern eben auch anatomisch etwas verbreitet verteilt.
Musik: Little fish 0‘56
Sprecherin
Mit Intelligenz in Verbindung gebrachtes Verhalten im Tierreich endet nicht bei den Weichtieren. Ein deutsch-dänisches Forscherteam hat Lernverhalten bei Quallen festgestellt. Die untersuchten kleinen Würfelquallen pulsieren normalerweise auf der Jagd nach Wasserflöhen durch trübe Gewässer mit Mangrovenwurzeln. Diese Umgebung wurde in einem Versuchsbecken simuliert. Die Quallen stießen zunächst gegen die vermeintlichen Wurzeln, doch schon nach wenigen Minuten vergrößerten sie den Abstand zu ihnen und prallten durch eine Anpassung der Schwimmrichtung nur noch halb so häufig dagegen. Das kann als assoziatives Lernen bezeichnet werden, d.h. Ursache und Wirkung sind der Qualle unbekannt, doch sie lernt durch Konditionierung. Zwar verfügt diese Qualle über 24 Augen, ein Gehirn aber hat sie nicht.
O-Ton 10 Huber
Natürlich, wenn wir vom Menschen ausgehen, dann sind wir sehr gehirnlastig unterwegs. Wenn man an wirbellose Tiere denkt, dann schaut die Sache anders aus. Aber es ist ein Nervensystem, das ist das Entscheidende. Es ist ein Nervensystem, es sind Neurone. Die chemisch-physikalische Arbeitsweise dieser Neurone ist sehr, sehr ähnlich wie der unserer Neurone, von daher ist der Unterschied nicht so groß. Aber im Netzwerk, in der Anordnung dieser Nervenzellen gibt es einen großen Unterschied.
Musik: Genetics 0‘52
Sprecherin
Die kognitiven Fähigkeiten und das damit zusammenhängende Verhalten von Tieren lässt sich allerdings nicht verallgemeinern. Die Forschung heute erkennt immer mehr, dass es große Unterschiede zwischen einzelnen Individuen innerhalb einer Art und innerhalb einer Population gibt. Selbst der Amazonenkärpfling, der Amazon Molly [englisch ausgesprochen], ein kleiner Fisch, der sich selbst klont, bei dem das Genom der Nachkommen, dem der Mutter entspricht, zeigt Individualität. Vom ersten Tag an sind einige der Klone aktiv und sozial und schwimmen weit weg auf der Suche nach Nahrung, andere bleiben lieber ruhig an einem Ort und schnappen dort nach herumfliegendem Futter. Ein Erklärungsmodell ist, dass der genetische Code nur eine Komponente dessen ist, was von den Eltern mitgegeben wird, hinzu kommen weitere unzählige Moleküle, die mit unseren Genen interagieren, die Epigenetik. Diese könnte eine größere Rolle bei der Entwicklung auch des menschlichen Verhaltens spielen, als Wissenschaftler bisher angenommen haben. Individualität hat Lars Chittka jedenfalls auch unter Bienen und Hummeln feststellen können.
O-Ton 11 Chittka
Also bei allen psychologischen Lernversuchen, die wir gemacht haben, zeigt sich, dass sich unterschiedliche Individuen oft ganz unterschiedlich verhalten. Das bezieht sich auf die Geschwindigkeit, mit der sie Dinge lernen und behalten, aber auch in Bezug darauf, wie offen sie gegenüber neuen Gegenständen sind, die sie noch nicht gesehen haben.
Sprecherin
Wenn den Bienen beispielsweise neue Blüten präsentiert wurden, zeigten manche Individuen Neugier und steuerten diese an, andere waren vorsichtig und blieben auf Abstand.
Atmo Schafe
Musik: Building the horse 0‘29
Sprecherin
Auch Tiere, die in diesem Sinne für den Menschen lange nicht von Interesse waren, zeigen intelligentes und individuelles Verhalten: die sogenannten Nutztiere. Kristina Horback, Professorin für angewandte Verhaltensforschung an der University of California, Davis, untersucht deren kognitiven Fähigkeiten. Schafe zum Beispiel werden aus ihrer Sicht unterschätzt, zu Unrecht in die belämmerte Ecke gestellt.
O-Ton 13 Horback
Sheep are often a joke ... makes sense that this type of a social identification has evolved.
Overvoice weiblich
Über Schafe wird oft gescherzt, dass sie einander immer bloß folgen und sonst nicht viel los ist, aber die Forschung zeigt anderes: Schafe können z.B. die Gesichter von bis zu 50 anderen Schafen erkennen und zwischen einem bekannten und einem unbekannten Schaf unterscheiden. Und sie können sich diese 50 Individuen mindestens zwei Jahre lang einprägen. Das Gesicht ist für Schafe sehr wichtig. Außerdem können sie anhand des Gesichtsausdrucks erkennen, ob sich das andere Schaf in einem gestressten oder in einem ruhigeren Zustand befindet, z. B. anhand der Haltung der Ohren oder der Anspannung der Muskeln um die Augen. Man kann also sagen, dass bei Schafen eine Menge subtiler sozialer Intelligenz im Spiel ist. Dass das überraschend ist, liegt daran, dass Schafe eine bisher ziemlich übersehene Spezies sind. Dabei sind sie sehr gesellig, ein soziales Wesen zu sein ist wichtig für sie. Es macht also Sinn, dass sie diese Fähigkeiten entwickelt haben.
Sprecherin
Tiere wie Schafe, die in einem komplexen Sozialgefüge leben, sind auf gut entwickelte kognitive Fähigkeiten angewiesen, erläutert Ludwig Huber.
O-Ton 14 Huber
Dass sich verstehe, wie ein anderes Gruppenmitglied zu einem weiteren anderen Gruppenmitglied steht, wie sich das verändert, wie sich da vielleicht die Rangordnung ändert oder ob die vielleicht jetzt plötzlich eine Allianz schmieden gegen mich, also das sind immer wesentlich umfangreichere Beziehungsnetze, um die es da geht, die ein Tier in der sozialen Gruppe verstehen muss, lernen muss, aufpassen muss aufmerksam sein muss, ein ständiges Monitoring braucht und so weiter. Das hat dazu geführt, dass es tatsächlich die dominante Theorie für die Evolution von Kognition ist, dass man sagt, es ist die soziale Intelligenz mehr als die technische Intelligenz.
Musik: Z8032615140 Mysterious animal play 0‘36
Atmo Bienen
Sprecherin
Die soziale Intelligenz gilt in der Forschung als die Treiberin für die Evolution von Kognition. Auch von Bienen ist bekannt, dass sie sehr soziale Wesen sind. Berühmt ist ihr Schwänzeltanz, mit dem die Kundschafter-Biene den anderen durch Bewegungen mitteilt, was für Nahrung sie gefunden hat, welche Qualität diese hat und wo genau sie zu finden ist. Die Entdeckung dieses Tanzes brachte dem Verhaltensforscher Karl von Frisch 1973 den Nobelpreis ein. Die Fähigkeit dazu ist der Biene angeboren, doch um möglichst genau tanzen zu können, müssen sie als Jungtiere erfahrenen Tänzerinnen zugeschaut haben, also von ihnen gelernt haben. Lernfähigkeit zeigten auch Hummeln in einem Versuch der Arbeitsgruppe von Lars Chittka. Um an eine Belohnung ranzukommen, mussten sie lernen, an einem Seil zu ziehen.
O-Ton 15 Chittka
Das ist ja eine völlig neuartige Aufgabe gewesen für die Tiere. Aber es war tatsächlich nicht nur so, dass man das den Hummeln beibringen konnte, sondern auch, dass die sich das voneinander abschauen konnten. Also wenn man einmal ein Tier trainiert hatte mit dieser Aufgabe, dann verbreitete sich ohne weiteres Zutun von uns Verhaltensbiologen, verbreitete sich diese Technik sehr schnell in der gesamten Kolonie. Und fast alle Arbeiterinnen haben das dann irgendwann nachgemacht und diese Technik beherrscht. Und das ist natürlich genau wie bei der Art von Werkzeuggebrauch, die man bei manchen Primatenarten findet, eine Technik, die dann sozial gelernt ist und sich nur auf diese eine Gruppe bezieht. Die von den Individuen dieser Gruppe dann beherrscht wird, aber von anderen Populationen eben nicht. Und so gesehen ist es tatsächlich eine Art von tierischem Kulturverhalten.
Atmo Schweine
Sprecherin
Formen sozialen Lernens zeigen auch Schweine, die eigentlich darauf angewiesen sind in Gruppen von bis zu 20 Tieren zusammenzuleben. Sie sind also sehr sozial und gelten auch als intelligent. Die Verhaltensforscherin Kristina Horback kann das bestätigen.
O-Ton 16 Horback
Neat cognitive skills ...understand a a perspective.
Overvoice weiblich
Wenn wir die kognitiven Fähigkeiten anschauen, die erforscht und quantifiziert sind, dann sind da z.B. die Gedächtnisfähigkeiten, ähnlich wie bei einem Hund lassen sich die Schweine auf Substantive und Verben trainieren, auf die sie reagieren; sie lernen auch das Frisbee zu holen oder über einen Stuhl zu springen. Und sie sind dazu in der Lage, zu täuschen. Ein Schwein versteht, dass ein anderes Schwein eine andere Perspektive hat. Wenn das eine Schwein etwa weiß, wo das Futter versteckt ist, dann kann es ein anderes Schwein absichtlich vom richtigen Weg abbringen, damit es in die falsche Richtung läuft.
Sprecherin
In der Forschung wird die Fähigkeit, die Perspektive eines anderen zu übernehmen als "Theory of mind" bezeichnet und zählt zu den höchsten Formen der Kognition.
O-Ton 17 Huber
Ich habe mit Schweinen und Hunden gearbeitet. Wir machen ähnliche Tests, wir finden ähnliche Sachen. Und ich sage immer: Das eine Tier landet am Sofa, das andere am Teller. Und das ist ein eine absolute Schizophrenie.
Musik: Almost neutral (red) 0‘56
Sprecherin
Hier wird die Intelligenz der Tiere für die Menschen zu einem eher unangenehmen Thema. Viele essen gerne Fleisch, Studien zeigen jedoch, dass die meisten sich dagegen sträuben, Tiere zu essen, die als intelligent gelten. Das wiederum führt dazu, so eine weitere Studie, dass Menschen Tieren den Verstand absprechen, wenn es um den eigenen Fleischkonsum geht; dass das Wissen über die Intelligenz manipuliert wird, Informationen dazu strategisch verzerrt oder ignoriert werden. Doch die Forschung trägt dazu bei, dass das Wissen um die kognitiven Fähigkeiten von Tieren, auch von Nutztieren, wächst, und, so Kristina Horback, dass sich die Haltungsbedingungen verbessern. Auch ihre Forschung zu den kognitiven Fähigkeiten und zur Individualität von Nutztieren trägt dazu bei.
O-Ton 18 Horback
So if we, for example, know more about personality ... which can really boost immunity.
Overvoice weiblich
Wenn wir mehr über die Persönlichkeit von Nutztieren wissen, können wir zum Beispiel herausfinden, ob Hyperaggressivität bei einzelnen Individuen vererbbar ist - diese stellt manchmal ein großes Problem dar in der erwünschten Gruppenhaltung von Schweinen - und die Zucht dieser Individuen dann verhindern. Für Tiere, die sehr aktiv und erkundungsfreudig sind, können wir Ausgestaltungselemente wie Bürsten, Seile oder Spielzeuge entwerfen, um ihre Unterbringung zu verbessern; wir können dann zusätzlich die Tiere identifizieren, die weitere Abwechslung benötigen, dass man z.B. die Position der Bürsten oder die Qualität der Ausgestaltungselemente verändert. Andere Individuen wollen Stabilität, sind vorsichtiger, bewegen sich langsamer und wollen die gleiche Bürste an der gleichen Stelle. Wenn wir wissen, wie wir die Qualität der Behandlung und Pflege für jedes einzelne Tier optimieren können, können wir das Wohlergehen der Tiere verbessern. Dadurch können wir höchstwahrscheinlich den Stress dieser Tiere verringern, was auch die Immunität stärken kann.
Musik: Z8034319137 Machine like 0‘23
Sprecherin
Es hänge sicher mit der intensiven industriellen Landwirtschaft zusammen, so Kristina Horback, dass die Interaktion zwischen Mensch und Tier abgenommen hat und dass man davon abgekommen ist, das Verhalten und die Bedürfnisse von Tieren zu beachten und mehr über deren Intelligenz und auch Emotionen zu erfahren.
O-Ton 19 Horback
But we're getting back to it now with a lot more research in terms of animal welfare and animal cognition.
Overvoice weiblich
Aber wir kommen da wieder hin, durch immer mehr Forschung im Bereich des Tierschutzes und der Tierkognition.
Sprecherin
Und es gibt sicher noch sehr viel mehr Faszinierendes zu entdecken. Der portugiesische Neurowissenschaftler António Damásio [Antonnio Damahssio] beispielsweise ist der Überzeugung, dass alle Tiere über verschiedene Emotionen und ein emotionales Erfahrungsgedächtnis verfügen.
Musik: Secret proofs 0‘35
Körper und Geist sind dabei, Damásio nach, nicht so voneinander zu trennen, wie es das menschliche Denken bisher vorsieht. So sei es zunächst der Körper der Hummel, der mit Angst reagiert, wenn die Spinne nach ihr packen will. Ob die Hummel, ob andere Tiere, das Gefühl von Angst auch selbst empfinden, könnte eine der zukünftigen Forschungsfragen sein und auch eine, die eng mit mehr Tierwohl verknüpft ist.
Atmo Hummel(n)