radioWissen - Bayern 2   /     Mobiles Arbeiten - Welche Fallstricke lauern im Homeoffice?

Description

Viele Berufstätige machen die eigenen vier Wände zum Büro; ersetzen persönliche Kontakte durch virtuelle Meetings. Aber sorgt das für selbstbestimmtes Arbeiten? Oder isoliert es uns und macht uns krank und unzufrieden? Autor: Martin Schramm

Subtitle
Duration
00:20:47
Publishing date
2023-12-22 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/mobiles-arbeiten-welche-fallstricke-lauern-im-homeoffice/2087946
Contributors
  Martin Schramm
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2087946/c/feed/mobiles-arbeiten-welche-fallstricke-lauern-im-homeoffice.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Viele Berufstätige machen die eigenen vier Wände zum Büro; ersetzen persönliche Kontakte durch virtuelle Meetings. Aber sorgt das für selbstbestimmtes Arbeiten? Oder isoliert es uns und macht uns krank und unzufrieden? Autor: Martin Schramm

Credits
Autor/in dieser Folge: Martin Schramm
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Rahel Comtesse, Johannes Hitzelberger
Technik: Robin Auld
Redaktion: Susanne Poelchau

Im Interview:
Prof. Bettina Kubicek, Arbeits- und Organisationspsychologie, Uni Graz;
Martin Zeschke, Arbeits- und Organisationspsychologie, TU Chemnitz;
Prof. Michael Kastner, Arbeitspsychologe und Arbeitsmediziner

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK „Radar“; ZEIT: 01:07

SPRECHER

„Homeoffice sorgt für ungestörtes, konzentriertes Arbeiten...“

SPRECHERIN

„Homeoffice führt zu Überlastung und macht einsam...“

SPRECHER

„Dank Homeoffice lassen sich Job und Familie besser vereinbaren...“

SPRECHERIN

„Homeoffice führt zur Selbstausbeutung und Stress durch Dauer-Erreichbarkeit...“

SPRECHER

Im Homeoffice zu arbeiten, die eigenen vier Wände zum Büro zu machen, persönliche Kontakte durch virtuelle Meetings, Chats und Emails zu ersetzen, kann offenbar vieles bewirken: Es kann uns entlasten und für Wohlbefinden sorgen.

SPRECHERIN

…. aber auch belasten, isolieren und krank machen.

SPRECHER

Vor allem während der Corona - Pandemie fielen die Bilanzen in Sachen Homeoffice recht durchwachsen aus.

SPRECHERIN

Arbeitspsychologen wie Martin Zeschke warnen allerdings vor voreiligen Schlüssen:

MUSIK ENDE

01-O-TON Zeschke Pandemie und heute

„Also Homeoffice heute ist was anderes als Homeoffice zu Beginn der Pandemie. Zu Beginn der Pandemie wurden die Beschäftigten und die Führungskräfte gezwungen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, und die meisten mussten fünf Tage die Woche von zuhause aus arbeiten. Freiwillig und unfreiwillig war eigentlich egal. Es gab Verordnungen, die kamen nicht von den Unternehmen oder den Organisationen, sondern die kamen vom Staat. Und dann hatten sich da alle daran zu halten. Und Organisationen, die das nicht wollten, die hatten es sehr schwer.“

SPRECHER

Vieles von dem, was Menschen während der Pandemie im Homeoffice erlebt haben, hatte außerdem nichts mit dem Homeoffice selbst zu tun.

SPRECHERIN

Es war vielmehr der Ausnahmesituation in der Pandemie geschuldet: Wir konnten unsere Freunde, Verwandte und Bekannte nicht mehr treffen. Hatten krasse Zusatzbelastungen, weil Kinder parallel zuhause versorgt werden mussten, weil Kitas und Schulen geschlossen waren usw.

SPRECHER

Homeoffice war also keine Abwechslung mehr zum Arbeiten im Büro, es wurde vielmehr zur „Zwangsveranstaltung“:

02-O-TON Zeschke Zwang

„Ein gezwungenes „Ich-muss-von-Zuhause-aus-arbeiten“, teilweise mit einer technischen Ausstattung oder mit einer völlig inadäquaten, ergonomischen Ausstattung, die dazu führt, dass ich körperlich und psychisch mich schlechter fühle als vorher, das heißt, wenn ich dazu gezwungen bin, an fünf Tagen die Woche in der Küche zu arbeiten, wo ich vielleicht an einem kleinen Tisch gemeinsam mit meinen zwei Kindern mich irgendwie dran quetsche, weil mir sonst die Möglichkeiten fehlen, brauche ich mich nicht wundern, dass es mir dann nicht besser geht, als wenn ich ins Büro gehen dürfte, während meine Kinder im Kindergarten oder in der Schule sind.“

SPRECHERIN

Ganz anders in Zeiten ohne Pandemie. Hier beobachten Arbeitspsychologen durchaus positive Effekte:

SPRECHER

Menschen, die freiwillig ein bis zwei Tage von zuhause aus arbeiten, haben beispielsweise häufig weniger Krankheitstage, sind leistungsfähiger, zeigen subjektiv höheres Wohlbefinden - und berichten davon, Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bringen:

03-O-TON Zeschke Nachpandemisch

„Wenn ich zum Beispiel eine Fahrt von über 45 Minuten ins Büro habe, mit Zug oder mit Auto im Fernverkehr oder im Stau stehe und so weiter, dann fällt das weg. Und dann ist es natürlich positiv. Wenn ich im Homeoffice arbeite, dass ich mir diesen Stress nicht antun muss, dann sind es teilweise zwei Stunden am Tag, die ich für andere Sachen verwenden kann. - Wenn allerdings mein Fahrradweg zur Arbeit wegfällt, der mich jeden Morgen und jeden Abend eine halbe Stunde aktiviert, und stattdessen bleibe ich zu Hause und mache gar nichts, sondern falle aus dem Bett an den Schreibtisch. Dann ist es wieder etwas negatives. Das heißt, hier kommt es, klassische Psychologen-Antwort, ganz klar darauf an was mach ich draus? Wie gestalte ich das? - Und da gibt es nicht die eine Antwort.“

MUSIK privat Take 009 „Dusty Rain“; Album: The Mind of Tesla; Label: B00P4D49MS – CD Baby; Interpret: Kim Merlino; Komponist: Kim Merlino: ZEIT: 00:34

SPRECHER

Natürlich lässt sich nicht jeder Job im Homeoffice erledigen: Dachdecker und Maschinenbauer, Pflegepersonal und Kassenkräfte - eher schwierig.

SPRECHERIN

Versicherungsangestellte und Banker - Designer, Architekten und Journalisten - schon eher.

SPRECHER

Doch Routinen konzentriert abzuarbeiten ist das eine. Wie aber sieht es aus, wenn es darum geht innovative Lösungen im Team zu entwickeln?

MUSIK ENDE

04-O-TON Zeschke Kreativität

„Was wichtig ist, ist, dass es verschiedene Studien gibt, die sich angeschaut haben, dass Menschen, die in Präsenz miteinander zusammenarbeiten, zum Beispiel deutlich kreativer sind. Wenn es um Kreativität geht, neue Ideen zu generieren oder auch zügig miteinander zu kommunizieren, Ideen hin und her zu werfen und sofort auf das zu reagieren, was die anderen sagen, dann haben wir eigentlich ein einheitliches Studienbild was da sagt: Trefft euch in Person!

SPRECHER

Denn produktive, kreative Zusammenarbeit setzt Vertrauen voraus. - Egal ob im Büro oder im Homeoffice.

SPRECHERIN

Aufbauen lässt sich Vertrauen aber meist nur im direkten Kontakt - nicht über digitale Medien.

MUSIK C1546820 101 „Radar“; ZEIT: 01:17

SPRECHER

Klar sind Videokonferenzen praktisch: Sie bringen im Extremfall Mitarbeitende verstreut über den ganzen Erdball an einen gemeinsamen, virtuellen Tisch - und machen so Konferenzen möglich, die aus rein organisatorischen Gründen sonst nicht oder nur sehr schwer stattfinden würden.

SPRECHERIN

Doch wer sich über digitale Medien austauscht, egal ob per Email, Chat oder via Headset und Videokamera - kommuniziert durch eine Art „Filter“. Entscheidende Informationen gehen verloren - selbst bei Videocalls.

SPRECHER

Ich sehe die anderen zwar - aber eben nur ausschnittsweise - vielleicht nur ihre Gesichter - nicht aber ihre Körperhaltung.

SPRECHERIN

Die gezückte Augenbraue, der minimal nach unten gezogene Mundwinkel - auf Spielkarten-großen Kacheln auf dem Bildschirm geht all das schnell unter.

SPRECHER

Ich höre zwar Stimmen - aber eben oft technisch verzerrt - mal mehr, mal weniger verständlich. Und kann so oft keine feinen Nuancen und Schwankungen wahrnehmen, die aber bedeutsam sein können.

SPRECHERIN

Und ich kann mein Gegenüber nicht anfassen, nicht riechen, eben nicht mit allen Sinnen wahrnehmen.

05-O-TON Zeschke Überforderung

“Und selbst wenn ich einen Videocall habe, gibt es ja trotzdem Beschäftigte, die dann die Kamera ausstellen. Und dann kann ich die auch nicht sehen. Und oftmals ist ja auch das Zusammenspiel zwischen dem, was gesagt wird und wie es gesagt wird extrem entscheidend. (Wenn mir jemand schreibt ich kann die Aufgabe gern übernehmen, dann kann das heißen nee, eigentlich übernimmt die Aufgabe. Übernimmt die Person diese Aufgabe gerade überhaupt nicht gerne. Aber im Chat kommt es dann vielleicht nicht rüber, weil ich lese nur das, was da tatsächlich drinsteht.) Und das ist, glaube ich, auch für viele Führungskräfte ein Problem. Wenn Beschäftigte nicht proaktiv kommunizieren und sagen ich bin gerade überfordert, dann haben sie das früher vielleicht gesehen, weil die Person in ihrem Büro saß und auch überfordert aussah. Aber im Homeoffice kann ich das natürlich besser verstecken.“

SPRECHERIN

Sprich: All das, was wir ansonsten im Büro in der Firma sehen und beobachten, fällt beim mobilen Arbeiten zuhause weg.

SPRECHER

Wer komplett ins Home-Office abtaucht, fast nur noch virtuell kommuniziert, kappt also eine entscheidende Ader zur Außenwelt, erläutert die Arbeits- und Organisationspsychologin Bettina Kubicek:

06-TON Kubitschek Beobachtung!

„Wir wissen aus Studien, dass Wissensaustausch vor allem mit Personen stattfindet, die uns körperlich physisch nahe sind. Das heißt mit der Kollegin, die neben mir sitzt, weil ich schnell eine Rückfrage stellen kann, weil sie vielleicht auch sieht, wie ich eine Aufgabe erledige. Sozusagen die Wissensvermittlung oder Wissensweitergabe erfolgt nicht immer nur explizit verbal, sondern zum Teil auch implizit über Beobachtung. Und das ist im Homeoffice und bei virtueller Kommunikation erschwert, beziehungsweise scheinen wir so eine Tendenz zu haben, unser Wissen lieber mit Personen teilen zu wollen, die uns auch physisch nahe sind. Und das ist dann im Homeoffice ebenfalls erschwert.“

SPRECHERIN

Doch all das sind natürlich keine Argumente gegen Homeoffice an sich, gegen digitale Medien an sich. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, ein Gespür, ein kritisches Bewusstsein dafür zu entwickeln, wann welches Medium, und wann Präsenz angemessen ist.

SPRECHER

Da gibt es u.a. den schönen Spruch „Dieses Meeting hätte eine E-Mail sein können.“ Sprich: Eine E-Mail, die völlig ausreicht, sollte eben auch eine E-Mail bleiben - und nicht zu einem Präsenz-Meeting aufgeblasen werden, bei dem Mitarbeitende dann das Gefühl bekommen, ihre Zeit zu verschwenden.

MUSIK C151496 003 „The splendour“; ZEIT: 0:15

SPRECHERIN

Wann schreibe ich eine E-Mail? Wann reicht eine Nachricht im Chat? Wann sollte ich jemanden anrufen? 

SPRECHER

Wann ist eine Videokonferenz sinnvoll - und wann sollte es eben wirklich ein Präsenz-Meeting sein?

MUSIK ENDE

SPRECHERIN

Als Faustformel gilt: Je sachlicher und unkritischer eine Botschaft ist, desto reduzierter und weniger „reichhaltig “ kann der gewählte Kanal sein.

SPRECHER

Geht es um persönliche, kritische oder eben auch bedeutsame Nachrichten, ist hingegen ein „reichhaltiges“ Medium angebracht. - Martin Zeschke:

07-O-TON Zeschke

„Was will ich denn mit einem Lob beispielsweise bezwecken? Will ich es einfach nur gesagt haben, dann reicht es, wenn ich das in den Firmen-Chat schreibe. Wenn ich allerdings ein Meeting einberufe und sage: Hey, wir haben heute etwas zu feiern. Hier gibt es ein neues Projekt, was wir an Land gezogen haben, und diese beiden Personen, die hier neben mir stehen, die haben das bewirkt, und ich möchte jetzt eine große Runde Applaus. Und jetzt kriegt ihr dann noch einen alkoholfreien Sekt und Orangensaft. Und das macht natürlich was damit. Das heißt, ich sollte mir Gedanken darüber machen: Nicht nur was will ich kommunizieren, sondern auch wie will ich's kommunizieren?“

MUSIK privat Take 009 „Dusty Rain“; Album: The Mind of Tesla; Label: B00P4D49MS – CD Baby; Interpret: Kim Merlino; Komponist: Kim Merlino: ZEIT: 01:09

SPRECHERIN

Wenn Mitarbeiter nur noch im Homeoffice sitzen, geht meist eine weitere ganz entscheidende Zutat für ein erfolgreiches Unternehmen verloren: „informelle Kommunikation.“

SPRECHER

Zufällige Begegnungen als „Geburtshelfer“ für neue Ideen, für „soziale Lösungen“.

SPRECHERIN

Der spontane Plausch vor der Kaffeemaschine oder in der Teeküche, - ein reger Umschlagplatz für den neusten Tritsch und Tratsch.

SPRECHER

Zuhause im Homeoffice fehlt meist die Antenne, um diesen „betrieblichen Flurfunk“ zu empfangen.

SPRECHERIN

Geht dieser informelle Austausch aber verloren, geht auch der „sozialer Kitt“ eines Unternehmens verloren, - und damit der Zusammenhalt eines Teams: das soziale Klima leidet.

SPRECHER

Und noch etwas geht verloren: kleine, gemeinsame Regelbrüche, also verschwörerische Verstöße gegen die Regeln einer Organisation, die sich dem Kontrollblick der Vorgesetzten entziehen.

SPRECHERIN

Brüche, die in der Praxis dem Unternehmen nicht schaden - sondern, ganz im Gegenteil, dessen Existenz sichern.

MUSIK ENDE

08-O-TON Zeschke Regelnverletzen

“Es gibt die schöne Beobachtung oder die schöne Theorie, dass wenn alle Beschäftigten Dienst nach Vorschrift machen würden, dass jede Organisation zusammenbricht, weil Arbeit eigentlich nur funktioniert, indem Personen ihren gesunden Menschenverstand verwenden, der oftmals eben gegen Vorschriften verstößt. Im Homeoffice fällt es schwerer. Im Homeoffice haben wir einen größeren Grad an Formalität. Zum Beispiel eben die Videocalls, die deutlich zielgerichteter sind, sehr sachorientierter und eben weniger informell.“

SPRECHERIN

Videocalls sind daher denkbar ungeeignet für „Regelbrüche“. Dafür braucht es geschützte informelle Freiräume, eben z.B. Teeküchen und Kantinen mit entsprechendem Flurfunk. 

SPRECHER

Dort sorgt auch gemeinsames „Auskotzen“ und „Ablästern“ für Druckausgleich - und schweißt Teams ungemein zusammen.

09-O-TON Zeschke Auskotzen

„Beim sich Auskotzen kommt es darauf an, was der Inhalt des Auskotzens ist. Also es gibt das sogenannte Venting Behaviour, also, dass ich einfach mal alles rauslasse, was mich gerade beschäftigt. Das werde ich nicht im Firmenchat machen, wo alle mitlesen können. Die Online-Kommunikation fördert eine gewisse Seite von uns, die eben ein professionelles Gesicht wahrt. Das heißt, dieses Auskotzen fällt relativ stark weg, und auch Konflikte werden selten offener ausgetragen, als das zum Beispiel in einem Meeting wäre, wo ich weiß, das wird jetzt auch nicht alles mitgeschrieben, was ich hier sage und es ist nicht für die Nachwelt oder für einen Screenshot verfügbar, sondern das ist mündlich geäußert in einem definierten Rahmen, in dem eine gewisse Anzahl an Personen ist, wo ich vielleicht auch eher mal sagen kann: Boah, das geht mir gerade gegen den Strich. Ich mache da nicht mit. Folgende Meinung habe ich dazu.“

SPRECHERIN

Es wurden auch bereits Versuche unternommen, solche informellen Freiräume ersatzweise rein virtuell bereitzustellen, um „unbeobachtete Momente“ zu ermöglichen.

SPRECHER

Also die „geschlossene Tür“ oder den „Tratsch in der Teeküche“ beispielsweise durch ein virtuelles Meeting zu ersetzen, in dem sich dann alle Beteiligten ganz „spontan“ vor einem „virtuellen Wasserspender“ versammeln und austauschen.

SPRECHERIN

In der Praxis haben sich derartige Angebote nicht wirklich bewährt:

SPRECHER

Spontanität lässt sich eben nicht einfach „herstellen“ bzw. „verordnen.“

MUSIK C151496 003 „The splendour“; ZEIT: 00:17

SPRECHERIN

Wenn das Büro ins Zuhause wandert, verzeichnen Stressforscher wie Michael Kastner einen durchgängigen Effekt: die sogenannte „Entgrenzung.“ Und damit letztlich die Herausforderung, Privates und Berufliches klar zu trennen:

MUSIK ENDE

10-O-TON Kastner Entgrenzung

„Früher hatten wir die Arbeitsbereiche Privates und Zuhause voneinander abgegrenzt. Wir hatten zum Beispiel feste Arbeitszeiten von acht bis fünf oder so. Und dann ging ich nach Hause. Und dann war ich eben zu Hause und habe mich nicht mehr um den Job gekümmert. Hier geht das alles durcheinander. Man hat zwar die höhere Flexibilität, aber es entsteht ein stärkerer Wechsel zwischen Privat und Arbeit. Und es scheint auch ein Befund durchgängig zu sein, dass oft die Leute ein schlechtes Gewissen haben. Ich habe mich jetzt heute so und so oft ablenken lassen. Und dann kann ich nicht mehr abends in Ruhe noch ein Fernsehstück angucken oder so, sondern setze mich dann doch noch einmal dran“.

SPRECHER

Sprich: Gerade für sehr engagierte Arbeitnehmer ist es oft eine Herausforderung im Homeoffice noch klar zu trennen: Hier Job - dort Privatleben. Die Grenzen lösen sich auf.

SPRECHERIN

Vor allem wenn Arbeitnehmer dann noch das Gefühl haben, permanent erreichbar sein zu müssen - bzw. sich selbst unter Druck setzen:

SPRECHER

Also schon am Frühstückstisch den Laptop aufklappen und Mails schreiben, sich keine klaren Ruhepausen gönnen, und notfalls auch kurz vor Mitternacht noch aufgelaufene Anfragen abarbeiten - um zu zeigen: „Ich bin da!“ - Martin Zeschke:

11-O-TON Zeschke „interessierte Selbstgefährdung“

„Das liegt daran, dass das Homeoffice immer noch diesen Ruch hat, zur Faulheit zur verführen. Und dass die Menschen ja nicht arbeiten, die von Zuhause aus arbeiten. Dass dem nicht so ist, prinzipiell, wissen wir jetzt aus den Studien. Gleichzeitig haben die Beschäftigten im Homeoffice eine höhere Erreichbarkeits-Erwartung. Also sie gehen subjektiv davon aus, dass sie schneller auf Anrufe reagieren müssen, schneller auf E-Mails reagieren müssen, weil sonst die Kolleginnen und Kollegen oder die Führungskraft denkt: der oder die Person sitzt auf der faulen Haut.“

SPRECHERIN

Und dann fängt die Führungskraft womöglich an, ihr Personal aus der Ferne zu überwachen. Sichtet beispielsweise Spuren, die Mitarbeitende in Dokumenten hinterlassen - 

SPRECHER

- verletzt so aber nicht nur schnell Datenschutzbestimmungen, sondern setzt auch einen fatalen Kreislauf in Gang:

12-O-TON Zeschke Kreislauf

„Wenn ich das Gefühl habe, eine beschäftigte Person zieht sich zurück, und ich reagiere mit Überwachung. Dann wird es dazu führen, dass die Person sich überwacht fühlt, dass sie kein Vertrauen empfindet und es ist sich erst recht zurückzieht. Warum sollte ich noch Personen vertrauen, die mich überwacht? Und dann wird es dazu führen, dass die Organisation natürlich die selbsterfüllende Prophezeiung hat. Ah ja, ich wusste es. Doch die Person zieht sich zurück, die arbeitet nicht. Jetzt überwache ich noch mehr. Und dann kann ich eigentlich die Uhr danach stellen, dass diese Person irgendwann kündigen wird oder zumindest nur noch Dienst nach Vorschrift macht.“

SPRECHERIN

Statt eine „Mißtrauenskultur“ zu befördern, wären klare Absprachen und Transparenz in Sachen Erreichbarkeit gefragt.

SPRECHER

Und qualifiziertes Führungspersonal, das beispielsweise auf „Empowering Leadership“ setzt:

13-O-TON Zeschke Ziel statt Weg

„Was wichtig ist zu beachten im Homeoffice ist, dass man nicht den Weg kontrolliert, sondern das Ziel. Das braucht eine andere Führung als die Arbeit im Büro. Das heißt, ich befähige meine Beschäftigten dazu, die Ziele, die sie gesetzt haben oder die Organisation gesetzt haben oder die alle gemeinsam gesetzt haben, zu erreichen, indem ich ihnen die Fähigkeiten gebe oder sie frage, was sie brauchen, um diese Ziele zu erreichen. Und dann lasse ich Ihnen die Freiheit dazu. Also ich habe ja als Organisation diese Menschen angestellt, weil sie diese Tätigkeit ausführen können. Ich weiß, dass meine Beschäftigten das können. Also sollte ich sie dazu befähigen und nicht permanent dahinterstehen.“

MUSIK C1546820 101 „Radar“; ZEIT: 00:29

SPRECHERIN

Arbeiten im Homeoffice steckt also voller Chancen - aber auch voller Fallstricke.

SPRECHER

Es kann uns Freiheiten ermöglichen und entlasten - und uns doch zugleich belasten.

SPRECHERIN

Es kann ermöglichen, Beruf und Privatleben besser auszutarieren - und gleichzeitig Konflikte anheizen.

SPRECHER

Für den Arbeitspsychologen Michael Kastner steht daher fest: die Mischung macht's.

MUSIK ENDE

14-O-TON Kastner Balance 

„Es gilt, eine vernünftige Balance zu finden zwischen Face-to-Face-Kommunikation, wo man wirklich von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht oder sitzt. Und dann eben Screen-to-Screen Kommunikation. Da muss man halt je nach Job, je nach Situation, je nach Organisation eine vernünftige Balance finden, die dann eben reicht von kompletter Zeit in der Firma bis zu kompletter Zeit zu Hause über verschiedene Mischungsverhältnisse. Wobei wir sagen im Schnitt nach unseren Erfahrungen, wir sind damit vielen Organisationen zu Gange, scheint sich so ganz gut herauszustellen, so zwei Tage zu Hause und drei Tage doch in der Firma.“

MUSIK C1546820 101 „Radar“; ZEIT: 01:06

SPRECHERIN

Dabei will beides gut gestaltet sein: das Arbeiten im Homeoffice, aber auch die Rückkehr ins Büro.

SPRECHER

Denn am Ende geht es um weit mehr, also nur um die Frage, ob Menschen zuhause oder in der Firma arbeiten.

SPRECHERIN

Es geht darum, ob es Unternehmen, Führungskräften und Teams gelingt eine Arbeitswelt zu gestalten, in der wir von den Vorteilen digitaler Medien profitieren - zugleich aber auch das „soziale Rauschen“ des Flurfunks kultivieren.

SPRECHER

Eine Arbeitswelt, in der Mitarbeitende nicht zu Befehlsempfängern degradiert werden, sondern die sie selbst mitgestalten, - weil Chefs ihnen vertrauen und sie wertschätzen.

SPRECHERIN

Eine Welt, in der Platz für Spontanes und Kreatives bleibt - und in der Mitarbeitende auch Freiräume haben, vorausschauend, verantwortungsbewusst Regeln zu brechen - weil davon am Ende alle profitieren können.

MUSIK ENDE