Fenster gelten als Auge eines Hauses. Sie schaffen eine Verbindung zwischen innen und außen, ermöglichen Aus- und Einblicke. Durch die Jahrhunderte haben sie ihre Form stetig gewandelt, genauso wie das Leben in den Räumen hinter den Fenstern Veränderungen unterlag. Autorin: Susanne Hofmann
Fenster gelten als Auge eines Hauses. Sie schaffen eine Verbindung zwischen innen und außen, ermöglichen Aus- und Einblicke. Durch die Jahrhunderte haben sie ihre Form stetig gewandelt, genauso wie das Leben in den Räumen hinter den Fenstern Veränderungen unterlag. Autorin: Susanne Hofmann
Credits
Autor/in dieser Folge: Susanne Hofmann
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Johannes Hitzelberger, Rahel Comtesse, Stefan Merki, Gudrun Skupin
Technik: Adele MeĂźmer
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Dr. Wenderoth, Fachreferent fĂĽr Bautechnik am Bayerischen Landesamt fĂĽr Denkmalpflege;
Dr. Barbara Perfahl, Wohnpsychologin
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ATMO Fenster wird geöffnetÂ
Musik 1: Belises et ses amants - M0010658011 – 50 sek
ZITATOR
Der Plan, das neue Rathaus nicht viereckig, sondern dreieckig zu bauen, stammte vom Schweinehirten. „Die Idee wird Schilda berĂĽhmter machen als Pisa mit seinem schiefen Turm!“, sagte er.Â
ERZĂ„HLERIN
Und so machten sich die SchildbĂĽrger an die Arbeit, errichteten drei Mauern und setzten ein Dach darauf. Bei der feierlichen Einweihung wollten die BĂĽrger voller Stolz das neue Gebäude erkunden. Â
ZITATOR
Doch sie waren noch nicht auf der Treppe, da purzelten sie auch schon durcheinander und schimpften wie die Rohrspatzen. Da erst dämmerte es den SchildbĂĽrgern: „In unserem Rathaus ist es finster!“ Sie hatten doch tatsächlich die Fenster vergessen.Â
ATMO FENSTER zu + ATMO Fenster putzen
ERZĂ„HLERIN
Was für uns heute ein, inzwischen sprichwörtlicher, Schildbürgerstreich ist, war für unsere Vorfahren über viele Jahrtausende noch Normalität: Gebäude ohne Fenster: Finster, muffig, höhlenartig muss sich das angefühlt haben. Und dann, irgendwann, kam das Fenster.
Musik 2: Glass house - Z8024816105 – 58 sek
ERZĂ„HLER
Fenster – von lateinisch fenestra – bezeichnet eine Maueröffnung in einem Haus zur Belichtung und BelĂĽftung von Innenräumen. Seit dem 8. Jahrhundert gehört das Wort Fenster zum deutschen Wortschatz. Wohnen ohne Fenster ist fĂĽr uns unvorstellbar. Das bloĂźe Dach ĂĽber dem Kopf reicht nach heutigen Begriffen höchstens zum Hausen aus, nicht aber, um sich auch zuhause zu fĂĽhlen. Die österreichische Wohnpsychologin Dr. Barbara Perfahl befasst sich seit vielen Jahren mit Architektur und damit, wie Räume – und Fenster - wirken. Â
1. ZUSPIELUNG Perfahl 1:35Â
„Fenster spielen beim Wohnen und beim Einrichten eine ganz große Rolle und vor allem bei der Frage, wie wohl sich Menschen in Räumen fühlen. Ursprünglich sind Fenster ja einfach in Häuser geschnitten worden, sozusagen um Licht rein und ganz zu Beginn den Rauch rauszulassen. Und einen Sicherheitsaspekt hatte das auch noch. Man hat sich aus dem Haus heraus verteidigt, durch Fensterschlitze zum Beispiel. Aber im heutigen Wohnen spielt es eine ganz große Rolle: Die meisten Menschen suchen beim Wohnen Licht, je heller Wohnungen sind, desto wertiger und angenehmer werden sie wahrgenommen.“
Musik 4: Liz on top of the world – C1345190009 – 35 Sek
ERZĂ„HLER
Die Villa mit Panoramafenstern und entsprechend lichtdurchfluteten Räumen ist für viele der Inbegriff luxuriösen Wohnens. Idealerweise befindet sich das Haus in unbebauter Umgebung und erlaubt den Blick ins Grüne. Dass wir das als angenehm empfinden, hängt womöglich damit zusammen, so Wohnpsychologin Barbara Perfahl,
2. ZUSPIELUNG Perfahl 3:45
„dass der Mensch in unseren Breitengraden seit etwa 16 Generationen erst überwiegend sich in gebauten Räumen aufhält. Also das heißt, vor wenigen hundert Jahren war unser Lebensraum eigentlich das Draußen. … an und für sich sind wir als Menschen Geschöpfe des Draußen, darauf sind wir auch programmiert. Und deshalb suchen wir das auch im Drinnen.“
ERZĂ„HLERIN
Fenster schaffen eine Verbindung zwischen innen und außen. Sie schirmen uns – zumindest in ihrer heutigen Form mithilfe von isolierenden Glasscheiben – vor widrigem Wetter und ungemütlichen Temperaturen ab und gewähren zugleich einen Blick ins Freie. Barbara Perfahl:
3. ZUSPIELUNG Perfahl 4.42Â
„Wir wollen uns die Natur auch reinholen. … Wir können uns besser konzentrieren, wenn wir einen Arbeitsplatz an einem Fenster haben, von dem aus wir ins Grüne schauen können, als wenn wir einen Arbeitsplatz haben, wo wir nicht so ein Fenster haben.“
ERZĂ„HLER
Der Schutz vor der Natur bei gleichzeitig größtmöglicher Nähe zur Natur scheint ein natĂĽrliches BedĂĽrfnis zu sein. Die meisten von uns suchen in unserer Wohnung oder unserem Haus auch Erholung.Â
4. ZUSPIELUNG Perfahl 6.56Â
„Das heißt, wir brauchen diesen sicheren Rückzugsraum, um unsere Akkus wieder aufzuladen, um zur Ruhe zu kommen, um wieder aufzutanken. Und da brauchen wir es angenehm, gemütlich, schön. Und da gehört eben Licht, Helligkeit dazu, aber auch die Möglichkeit, zum Beispiel rauszugucken ins Grüne oder in den Himmel oder einfach an die Straße lang, also das zu steuern zu können, wie viel vom Außen ich sehe, das ist schon ein Aspekt auch von diesem Erholtseinkönnen.“
ERZĂ„HLERIN
Licht hebt die Stimmung, stärkt das Immunsystem, und wir brauchen es in vielerlei Hinsicht, zunächst einmal aus einem ganz praktischen Grund: Damit wir sehen, was wir tun.Â
5. ZUSPIELUNG Perfahl 2:40Â
„Wir haben ja jetzt ganz tolles, künstliches Licht, aber vor ein paar hundert Jahren hatten wir funzelige Kerzen gehabt und dort seine Arbeit verrichtet. Aber wir brauchen natürlich als Menschen auch Licht zur Steuerung unserer Körperfunktionen, Tag-Nacht-Rhythmus, Vitamin D-Bildung und solche Dinge, also wir brauchen Licht, um gesund zu bleiben. Und jetzt kann man in die Natur rausgehen, da hat man dann die Sonne, hat das Licht, aber man wollte schon relativ früh, im Grunde in dem Moment, wo man sich Häuser gebaut hat, das Licht möglichst auch drin haben.“
ERZĂ„HLERÂ
Doch der Blick zurĂĽck in die Vergangenheit zeigt: Fenster, die diese Funktion erfĂĽllen, gibt es menschheitsgeschichtlich gesehen noch gar nicht so lange.Â
Musik 4: Mystique – 9808636386977– 35 sek
ERZĂ„HLERIN
Als sich vor 10-12.000 Jahren erste Gemeinschaften an einem Ort niederließen und begannen, Häuser aus Stein zu bauen, war das noch eine finstere Angelegenheit. Denn Fenster besaßen diese ersten Häuser noch nicht. Maximal hatte man kleine Löcher in der Wand oder im Dach, um den Rauch des Feuers entweichen lassen zu können, an dem man sich wärmte und Essen kochte. Unpraktische Nebenwirkung: Auch kalte Luft und Feuchtigkeit drangen durch die Löcher ungehindert ins Innere.
Musik aus
ERZĂ„HLER
Später behalf man sich mit in Öl getauchten Tierhäuten, die man vor die Lüftungsschlitze hängte. So wurden Wind und Regen abgewehrt und es schimmerte zumindest eine Ahnung von Licht hindurch. In Gebrauch kamen außerdem Holzläden vor den Maueröffnungen, die man öffnen und schließen konnte. Die Wohnpsychologin Barbara Perfahl:
6. ZUSPIELUNG Perfahl 5:59
„Wir brauchen … ein Territorium, das uns gehört, wo keine Fremden reinkommen können, wo wir auch aber Schutz vor Einblicken zum Beispiel haben, also Privatsphäre gehört da ja auch dazu. Das heiĂźt Fenster wären vor dem Sicherheitsaspekt betrachtet, eigentlich kleiner, besser: Je kleiner, desto weniger kann man reingucken.“Â
Musik 5: Historic Secrets (b) – Z8026923127 - 44 Sek
ERZĂ„HLERIN
Im meist heiĂźen und trockenen Ă„gypten rund 1100 Jahre vor Christus wollte man sich vor allem vor der sengenden Hitze der Sonne schĂĽtzen. Die Häuser der alten Ă„gypter muss man sich als einfache rechteckige Kästen vorstellen, erbaut aus Lehmziegeln. Der Wohnbereich, in dem man sich meistens aufhielt, befand sich ganz im Inneren des Hauses, umringt von kleineren Kammern. Man versuchte dadurch, die Hitze von drauĂźen mit mehreren Mauern abzuschirmen. Diese Häuser nennt man auch Schneckenhäuser. Sie öffneten sich fĂĽr gewöhnlich auf einen Hof, der oft ĂĽberdacht war und auf dem man die meisten Arbeiten verrichtete.Â
Musik aus
ERZĂ„HLER
Zur BelĂĽftung des Hauses dienten Schlitzfenster. Sie befanden sich ganz oben in den Räumen auf der sonnenabgewandten Seite. Ebenso wie die EingangstĂĽren, die sich in der Regel nach Norden öffneten, um den kĂĽhlenden Nordwind einzulassen. Vor den Schlitzfenstern wurden zum Teil auch Vorhänge aus Papyrus befestigt. Diese sollten ebenfalls vor der Sonneneinstrahlung schĂĽtzen. Auch dĂĽnn geschliffene Scheiben aus Alabaster sind verbĂĽrgt. Alabaster, eine Art Gips, wirkt aufgrund seiner weiĂźen Farbe und seiner transparenten Beschaffenheit ähnlich wie Milchglas. Im Inneren der Häuser herrschte also Dämmerlicht. Auch reich verzierte Fenstergitter aus Sandstein, die man zum Schutz der Privatsphäre anbrachte, verdunkelten die Räume.Â
Weil sich die Häuser trotzdem im Laufe des Tages aufheizten, bespritzten die Menschen ihre Böden mit Wasser, das in Krügen dafür bereitstand. Die Verdunstung sorgte für ein wenig Kühlung. Abkühlung suchten auch die alten Römer in der Antike. Wie sie lebten, interessierte schon den Universalgelehrten Johann Wolfgang von Goethe:
Musik 6: Dr. Mabus – C1433570010– 1:05 Minuten
ZITATOR (Goethe)
Neapel, den 13. März 1787
Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte. Ich weiĂź nicht leicht etwas Interessanteres.Â
ERZĂ„HLERIN
Goethe auf seiner Italienischen Reise nach dem Besuch der antiken Stadt Pompeij am Golf von Neapel. Sie wurde 79 vor Christus nach dem Ausbruch des Vesuvs verschĂĽttet und blieb unter der Vulkanasche groĂźenteils erhalten. Pompeji ist also ein GlĂĽcksfall fĂĽr Archäologen. Die Stadt bietet einen Einblick in den Alltag und die Wohnverhältnisse der Menschen damals.Â
Goethe war fasziniert:
ZITATOR (Goethe)
Pompeji setzt jedermann wegen seiner Enge und Kleinheit in Verwunderung. Schmale StraĂźen, obgleich grade und an der Seite mit Schrittplatten versehen, kleine Häuser ohne Fenster, aus den Höfen und offenen Galerien die Zimmer nur durch die TĂĽren erleuchtet.Â
ERZĂ„HLER
Nicht alle Häuser der alten Römer waren fensterlos. Insbesondere die Häuser wohlhabender Bewohner hatten Fenster zum Garten oder zum Hof hin, noch ohne Verglasung allerdings. Viele Häuser erhielten ihr Licht von oben, durch eine Dachöffnung. Die groĂźen Stadthäuser besaĂźen aber auch Fenster zur StraĂźe.Â
StraĂźenatmo/Stimmengewirr/WagengeräuscheÂ
ERZĂ„HLERIN
Die Stadt Rom war zur Kaiserzeit eine pulsierende Metropole mit ĂĽber einer Million Einwohnern und aufgrund des steten Zuzugs bald hoffnungslos ĂĽbervölkert. Die meisten Menschen lebten in winzigen Wohnungen oder Zimmern in mehrstöckigen Häuserblocks. Darin war es stickig und beengt, wie der Dichter Martial im 1. Jahrhundert nach Christus in etlichen Epigrammen beklagte.Â
ZITATOR Martial
„Ich lebe in einer kleinen Zelle, mit nur einem Fenster, das nicht einmal richtig passt. Boreas selbst, der Nordwind, möchte hier nicht hausen.“Â
ERZĂ„HLER
Das Leben spielte sich großenteils vor der Haustür ab, in Geschäften, Lokalen und öffentlichen Bädern. Nach Hause kamen die Römer vor allem zum Schlafen. Der Lärm, der von der Straße an die Fenster drang, muss beträchtlich gewesen sein: Wagen rumpelten über das Pflaster, Menschenmassen drängten sich durch die Gassen, Händler priesen ihre Ware an, Viehtreiber brüllten und Lehrer unterrichteten im Freien lautstark ihre Schüler. Ruhe in der Stadt zu finden – ein Ding der Unmöglichkeit, urteilte der römische Satirenschreiber Juvenal:
ZITATOR Juvenal
„Fragst du, woran hier die Mehrzahl dahinstirbt? Mangel des Schlafes Ist’s; denn welche gemiethete Wohnung lässt hier die Ruh zu? Nur der Reiche und Vornehme kann des Schlafes sich freuen; Das ist die Quelle der Krankheit; das Rasseln der Karren und Wagen In dem engen Gewirre der Gassen, das Fluchen und Schimpfen, das der Fuhrmann erhebt, wenn sein Vieh muss stehen.“
StraĂźenatmos weg + Fenster zu + Atmo Regen prasselt gegen Fenster
ERZĂ„HLERIN
Lärmreduzierendes Fensterglas entwickelten die Römer kurz nach Christi Geburt. Eine bahnbrechende Erfindung: Dank Glasscheibe können nun Wind und Wetter nach drauĂźen verbannt werden, während das Licht ins Gebäude gelassen wird. Das Fensterglas kommt gerade rechtzeitig fĂĽr die EroberungsfeldzĂĽge der Römer ĂĽber die Alpen in den kĂĽhleren Norden. Nur dank Glasfenstern waren auch andere zivilisatorische Exporte der Römer in kältere Regionen ĂĽberhaupt sinnvoll nutzbar – beispielsweise FuĂźbodenheizungen oder Thermen.Â
Atmo Therme + Wassergeplätscher…Â
ERZĂ„HLER
Hier, in ihren Badeanlagen, setzten die Römer wohl ihre ersten Glasfenster ein. Und zwar nach SĂĽd-Westen ausgerichtet, so dass die Becken zu den Badezeiten zwischen Mittag und Abend die volle Sonne abbekamen und sich die Räume dadurch aufheizen konnten. Eines der ältesten erhaltenen verglasten Fenster stammt aus der Forumstherme in Pompeji: Eine etwa handtellergroĂźe runde Scheibe in einem Bronzerahmen.Â
ERZĂ„HLERIN
Fensterglas, das noch ĂĽber viele Jahrhunderte ein Luxusgut war, wurde nur in öffentlichen Gebäuden und in den Palästen der Reichen eingebaut. Die frĂĽhen Fensterscheiben muss man sich auch noch recht klein vorstellen, sie maĂźen in der Regel höchstens 20 mal 30 Zentimeter. AuĂźerdem war das Glas matt, uneben und noch lange nicht so durchsichtig, wie wir es heute kennen. Hergestellt wurde es aus einer Mischung von Buchenholzasche und Sand, die man bei rund 1500 Grad Celsius miteinander verschmolz. Vermutlich wurde dieses frĂĽhe Fensterglas geblasen, aus der Glaskugel ein Zylinder geformt, welcher schlieĂźlich geteilt und ausgerollt wurde. Die Reste wurden wieder eingeschmolzen. Ein äuĂźerst aufwändiger Prozess.Â
Musik 7: Virgo Virginum – ZD000100106 – 41 Sek
ERZĂ„HLER
Aus der Not des kleinen Formats machte man in der Gotik, also ab Mitte des 13. Jahrhunderts, eine Tugend. Man färbte das Glas bunt – unter anderem unter Beifügung von geringen Mengen Gold und Chrom – und setzte es mittels Bleifassungen zu Bildern zusammen. In den gotischen Kathedralen prangen seither prächtige, vielfarbige Glasfenster. Eines der größten ziert die Kathedrale von Metz: Es misst 6.500 Quadratmeter, ist also fast so groß wie ein Fußballfeld, und zeigt unter anderem verschiedene Marienbildnisse.
Atmo – Tür knarzt – Archiv
7. ZUSPIELUNG 1.20 Thomas Wenderoth
„Hier stehen wir in einem unserer Haupträume. Sie sehen, wenn Sie jetzt um sich schauen, auf der rechten Seite eben eine große Anzahl von Fenstern…Die kommen aus dem gesamten bayerischen Bereich.“
ERZĂ„HLERIN
Der DenkmalschĂĽtzer Dr. Thomas Wenderoth, Fachreferent fĂĽr Bautechnik am Bayerischen Landesamt fĂĽr Denkmalpflege, ĂĽberblickt eine Sammlung von rund 200 historischen Fenstern, verstaut unter dem Dach des ehemaligen Klosters Thierhaupten. Sie alle haben einen hölzernen Rahmen, die meisten besitzen Glasscheiben, viele davon mehrmals unterteilt. Auch Butzenscheiben sind dabei sowie runde oder sechseckige Fensterscheiben.Â
ERZĂ„HLER
Das älteste Fenster im Fundus stammt aus einer Kirche aus dem 12. Jahrhundert – ein übermannsgroßer klobiger Holzrahmen, oben gerundet – und ohne Fensterglas. Ein derart altes Fenster ist eine Rarität, die meisten Fenster aus der Zeit wurden entsorgt. Denn im 15. Jahrhundert führte ein Innovationsschub in der Glasproduktion dazu, dass Glas erschwinglicher wurde. Und mit der Verfügbarkeit stiegen die Ansprüche. Man brach größere Öffnungen in die Fassaden, die alten glaslosen oder kleinen Fenster wurden ersetzt und verschwanden meist spurlos.
8. ZUSPIELUNG 3.26 Thomas Wenderoth
„Also man kann rundweg sagen: Ab 1500 ist das Glas allgemein gebräuchlich - egal, ob wir jetzt eine ländliche, bäuerliche Situation haben oder einen herrschaftlichen Bau, und je nach Gattung und Geldbeutel des Bauherrn finden wir natürlich früher Glasfenster und bei ärmeren Personenkreisen eben später.“
Musik 8: Gespenstische Nacht –  C1525250125 – 51 Sek
ERZĂ„HLERIN
Bis 1500 besaĂźen die meisten Wohnhäuser hierzulande also keine Glasfenster, sondern Wandöffnungen, die mit hölzernen Fensterläden, Leder oder TĂĽchern verschlossen wurden. Diese Fenster dienten vor allem der LĂĽftung. Das war wohl auch nötig, schlieĂźlich lebten Mensch und Vieh ĂĽber viele Jahrhunderte unter einem Dach, wie die Archäologin Imma Kilian in der „Geschichte des Wohnens“ schreibt:Â
ZITATORIN
„Stallgeruch, Essensdämpfe, Rauch, Kälte, Dunkelheit und Enge waren tägliche, gemeinsame Erfahrungen, die alle Hofbewohner verbunden haben, die aber auch zu Gereiztheit und Streit geführt haben werden.“
ERZĂ„HLER
Die LĂĽftungsfunktion lässt sich ĂĽbrigens noch am englischen Wort fĂĽr Fenster ablesen: Window. Es setzt sich aus „wind“ und dem altenglischen Wort fĂĽr „eye“ zusammen, zu Deutsch Windauge.Â
Unsere Vorfahren hatten die Wahl: Licht oder Wärme in der Stube. Thomas Wenderoth
9. ZUSPIELUNG Wenderoth 7:45
„Das was sicher nicht komfortabel. Aber wenn man es nicht anders gewohnt ist und weiß, im Winter ist es kalt, und im Winter ist es eben nicht nur kalt draußen, sondern auch in meinem Haus nicht warm - man kannte es dann auch nicht anders.“
ERZĂ„HLERIN
Das Leben der Menschen im Mittelalter richtete sich vor allem nach der Natur, dem Lauf der Jahreszeiten, dem Sonnenauf- und -untergang. Es spielte sich ĂĽberwiegend im Freien ab. Wohnpsychologin Barbara Perfahl:
10. ZUSPIELUNG 15:21
„Man hat ja auch das Draußen suchen müssen, um arbeiten zu können, weil man ja für ganz viele Arbeiten einfach Licht braucht, ne. Dann ist man eben bei fast jeder Witterung auch draußen gewesen. Und in den Wintermonaten waren halt bestimmte Arbeiten aber auch nicht möglich. Also wenn Sie an die Landwirtschaft denken, bäuerliches Leben, das hat sich natürlich in der hellen Jahreszeit abgespielt, und in den finsteren Monaten ist man dann aber drinnen gewesen und hat sozusagen das, was man sich erwirtschaftet hat, verarbeitet.“
ERZĂ„HLER
Im Laufe der Jahrhunderte verbesserte sich die Glasqualität zusehends – die Produktion wurde industrialisiert, Glas immer transparenter, und technische Fortschritte erlaubten, immer größere Scheiben herzustellen. Dennoch blieben Fenster eine Geldfrage. Wer betucht war, setzte auf große Fenster für seine Repräsentationsräume. Sie dienten auch dazu, nach außen hin zu zeigen, wer man war. In einigen Ländern Europas führten die Herrschenden Ende des 17. Jahrhunderts eine Fenstersteuer ein – sie hatte angeblich zur Folge, dass Hausbesitzer zum Teil Fenster
zumauerten oder möglichst fensterarme Häuser bauten, um weniger Abgaben zahlen zu mĂĽssen. Andererseits suchten sich reiche Familien gegenseitig zu ĂĽbertrumpfen, indem sie ihre Häuser mit möglichst vielen Fenstern versahen.Â
Musik 9: Georgiana – C1345190006 – 47 Sek
ERZĂ„HLERIN
Fenster entwickelten sich zu einem prägenden Gestaltungselement in der Architektur. Sie dienten dazu, Fassaden und Innenräume zu gliedern. Man setzte zur Unterteilung der Scheiben beispielsweise Sprossenfenster ein. Was ursprĂĽnglich einmal dazu gedient hatte, kleine und damit gĂĽnstigere Scheiben zu einer groĂźen Glasfläche zusammenzusetzen, hatte später rein ästhetische GrĂĽnde.Â
Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte man das sogenannte Winterfenster – eine zusätzliche Scheibe, die man in der kalten Jahreszeit mithilfe von Haken in die Fensterrahmen einfügte. Thomas Wenderoth:
11. ZUSPIELUNG Wenderoth 16:43
„Beim Einfachfenster mit einer einfachen Scheibe, da hat man im Winter Kondensat, und wenn es sehr kalt wird, eben dann die sogenannten Eisblumen am Fenster, weil das Kondensat, das sich auf der Scheibe sammelt, eben dann gefriert. …Und es war auch unseren Vorfahren schon ganz schnell deutlich und klar, dass, wenn ich eine zweite Fenster-Ebene einbaue, ich so ein Pufferraum bekomme zwischen diesen zwei Fensterebenen und eben die Innenseite meines Fensters dann nicht mehr null Grad hat, sondern dann doch plus fünf, sechs Grad und ich damit wenig Schwitzwasser habe und vor allen Dingen auch keine Eisblumen.“
ERZĂ„HLER
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es einen weiteren groĂźen Sprung in der Technik der Flachglasproduktion. Ein neuartiges Verfahren erlaubte die Herstellung gleichmäßiger, hauchdĂĽnner und vollkommen transparenter Glasplatten. Damit handelte man sich allerdings wieder einen Nachteil ein: Die glasklaren Scheiben gewährten auch Einblicke von drauĂźen, gegen die man sich wiederum mit Gardinen, Rollläden oder Fensterläden schĂĽtzte.Â
Atmo Fenster öffnen
Musik 10: Belises et ses amants – siehe M1 – 1:00 Minute
ZITATOR
„Sie besprachen, wie man Licht ins Rathaus hineinschaffen konnte. Erst nach dem fünften Glas Bier sagte der Hufschmied nachdenklich: „Wir sollten das Licht wie Wasser hineintragen!“ „Hurra!“, riefen alle begeistert.
Am nächsten Tag schaufelten die Schildbürger den Sonnenschein in Eimer und Kessel, Kannen und Töpfe. Andre hielten Kartoffelsäcke ins Sonnenlicht, banden dann die Säcke schnell zu und schleppten sie ins Rathaus. Dort banden sie die Säcke auf, schütteten das Licht ins Dunkel und rannten wieder auf den Markt hinaus, wo sie die leeren Säcke wieder vollschaufelten. So machten sie es bis zum Sonnenuntergang. Aber im Rathaus war es noch dunkel wie am Tag zuvor. Da liefen alle traurig wieder ins Freie.“
ATMO Fenster schlieĂźen + Fenster putzen
ERZĂ„HLERIN
Der SchildbĂĽrgerstreich und der Blick auf die Geschichte der Fenster zeigen: Gäbe es keine Fenster – man mĂĽsste sie erfinden.Â