radioWissen - Bayern 2   /     Modernes HebrĂ€isch - Wie aus der Sakralsprache Ivrit wurde

Description

HebrĂ€isch ist eine der Ă€ltesten und gleichzeitig jĂŒngsten Sprachen der Welt. Über Jahrhunderte als Sakralsprache verwendet, wird sie im 19.Jahrhundert als alltĂ€glichen Umgangssprache wieder belebt. Modernes HebrĂ€isch: Wie aus der Sakralsprache Ivrit wurde. Autorin: Ulrike Beck

Subtitle
Duration
00:24:11
Publishing date
2024-01-22 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/modernes-hebraeisch-wie-aus-der-sakralsprache-ivrit-wurde/2089025
Contributors
  Ulrike Beck
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2089025/c/feed/modernes-hebraeisch-wie-aus-der-sakralsprache-ivrit-wurde.mp3
audio/mpeg

Shownotes

HebrĂ€isch ist eine der Ă€ltesten und gleichzeitig jĂŒngsten Sprachen der Welt. Über Jahrhunderte als Sakralsprache verwendet, wird sie im 19.Jahrhundert als alltĂ€glichen Umgangssprache wieder belebt. Modernes HebrĂ€isch: Wie aus der Sakralsprache Ivrit wurde. Autorin: Ulrike Beck

Credits
Autorin dieser Folge: Ulrike Beck
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Hemma Michel, Christian Baumann, Jerzy May
Technik: Roland Böhm
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Prof. Michael Brenner, Historiker, Inhaber des Lehrstuhls fĂŒr jĂŒdische Geschichte und Kultur an der LMU MĂŒnchen;
Daphna Uriel, Dozentin fĂŒr Modernes HebrĂ€isch am Lehrstuhl fĂŒr jĂŒdische Geschichte und Kultur an der LMU MĂŒnchen

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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Musik: C1028320014 Kol Nidrei 1‘12

Zitator

Wenn Moses heute zurĂŒckkĂ€me und um ein StĂŒck Brot bĂ€te, verstĂŒnde man ihn.

ErzÀhlerin

Das behauptet David Ben Gurion, der erste MinisterprĂ€sident des 1948 gegrĂŒndeten Staates Israel.

Musikakzent

ErzÀhler

HebrĂ€isch ist im Laufe des 1.Jahrtausends v. Chr. entstanden - als Sprache, in der die heiligen Schriften des Judentums verfasst wurden. Bis heute ist das HebrĂ€ische die globale liturgische Sprache fĂŒr das Judentum geblieben, die Sprache fĂŒrs Gebet. 

ErzÀhlerin

Dass diese Sprache als lebendige Sprache die Jahrtausende ĂŒberdauern wird und erfolgreich ins alltĂ€gliche Leben zurĂŒckgeholt wird, danach sieht es ab dem zweiten Jahrhundert nach Christus nicht aus. 

Denn nachdem die Römer Jerusalem und den Zweiten Tempel bereits zerstört hatten, verhĂ€ngt 135 n.Chr. Kaiser Hadrian ein Ansiedlungsverbot fĂŒr Juden in Jerusalem. 

ErzÀhler

Damit beginnt die Zeit des Exils, in der Juden auf der ganzen Welt verstreut leben. Fast zweitausend Jahre lang spricht niemand mehr hebrÀisch, um ein Brot zu kaufen oder sich zu unterhalten.

ErzÀhlerin

Dennoch stirbt die Sprache nicht aus, sondern wird als MittelhebrĂ€isch von gebildeten Juden weiterhin benutzt. Wie der Historiker Michael Brenner erklĂ€rt. Er ist Inhaber des Lehrstuhls fĂŒr jĂŒdische Geschichte und Kultur an der LMU MĂŒnchen: 

1.O-Ton (Brenner ab 2:16)

HebrĂ€isch war eine Sprache, die im Alltag durchaus vorhanden war, aber eben zum einen im Gebet und zum anderen im Studium. (
) Und so muss man sich vorstellen, dass viele Juden ĂŒber viele Jahrhunderte hinweg - und das betrifft vor allem die MĂ€nner, weil die studiert haben - durchaus mit dem HebrĂ€ischen vertraut waren. Und das sieht man auch daran, dass sich auch im Mittelalter manchmal Juden, die auf der einen Seite in Ägypten und dann in Polen lebten oder sagen wir mal in Deutschland lebten, dass die sich auch GeschĂ€ftsbriefe auf HebrĂ€isch schreiben konnten. Wenn das die einzige Sprache war, die sie miteinander verband.

ErzÀhler

In der Zeit der Diaspora beginnen Juden in den jeweiligen LÀndern des Exils neue Sprachen zu entwickeln. Die bekannteste davon ist Jiddisch. 

2.O-Ton (Brenner ab ca. 5:00)

Das heißt, der Großteil der Juden etwa um 1900 sprach Jiddisch, denn die meisten Juden lebten in Osteuropa. Ihre Wurzeln waren aber in Deutschland, und man nahm sozusagen bei der Vertreibung aus den deutschen Territorien am Ende des Mittelalters zu Beginn der Neuzeit die deutsche Sprache mit. Aber sie blieb auf dem Stand des etwa vierzehnten, fĂŒnfzehnten Jahrhunderts stehen und entwickelte sich weiter, aber mit dem eben Einsprengseln HebrĂ€isch und slawische Sprachen, sodass die jiddische Sprache entstand, die auch in hebrĂ€ischen Buchstaben geschrieben wird. 

ErzÀhlerin

Ähnlich ist es mit den Juden, die am Ende des fĂŒnfzehnten Jahrhunderts aus Spanien und Portugal vertrieben werden und sich in Nordafrika, in der heutigen TĂŒrkei oder auf dem Balkan niederlassen. Auch sie entwickeln eine eigene Sprache: das JudĂ€o-Spanisch bzw. Ladino.

Musik: Z8015143113 Julitschka 1‘07

ErzÀhler

Die Idee, die hebrĂ€ische Sprache neu zu beleben, entsteht in der Zeit der AufklĂ€rung. Bereits 1771 beginnt der deutsch-jĂŒdische Philosoph Moses Mendelssohn in Berlin, die Psalmen und die fĂŒnf BĂŒcher Mose ins Deutsche zu ĂŒbersetzen. 

ErzÀhlerin

Mendelssohn besteht darauf, dass seine Übersetzung der Tora ab 1780 auch in hebrĂ€ischen Buchstaben gedruckt und ausfĂŒhrlich auf HebrĂ€isch kommentiert wird. Wenige Jahre spĂ€ter legen Mendelssohns SchĂŒler den Grundstein fĂŒr eine sĂ€kulare Dichtung auf HebrĂ€isch. Indem sie die erste kontinuierlich erscheinende Zeitschrift grĂŒnden, die unter dem Titel „Hameassef“, „Der Sammler“ in Berlin und Königsberg erscheint.

Musikakzent

ErzÀhler

Dass HebrĂ€isch nicht nur die Zweit- oder Drittsprache von gebildeten jĂŒdischen MĂ€nnern bleibt, das macht sich der Sprachwissenschaftler Eliezer Ben Yehuda ein Jahrhundert spĂ€ter zur Lebensaufgabe. Er gilt als der Vater des modernen HebrĂ€isch, dem Ivrit. 

Musikakzent

ErzÀhlerin

1858 im russischen Zarenreich, im heutigen Litauen als Eliezer Perlman geboren, begeistert er sich schon wĂ€hrend seiner Schulzeit fĂŒr jĂŒdische AufklĂ€rungsliteratur. Die er auf HebrĂ€isch liest. Bald benennt er sich um in Eliezer Ben Yehuda. Neben seiner Liebe zur jĂŒdischen Literatur und Sprache begeistert ihn der aufkommende Zionismus. 

ErzÀhler

Also der jĂŒdische Nationalismus, der davon ausgeht, dass die Juden nicht nur eine religiöse Gemeinschaft sind, sondern auch eine politische. Und insofern genau wie andere Völker auch den Anspruch haben, einen eigenen Staat zu bilden. 

ErzÀhlerin

Die Frage nach einer eigenen Nation wird 1881 nach dem Attentat auf den russischen Zaren Alexander II. existentiell. Denn die Schuld an dem Attentat wird „den Juden“ angelastet. In der Folge kommt es ab 1881 zu einer Welle von Pogromen in Russland und Polen. 

Musik: C1028320025 Der jiddische Fidler 0‘33

ErzÀhler

Eliezer Ben-Yehuda ist einer der ersten von rund 30.000 osteuropĂ€ischen Juden, die wegen der antisemitischen Übergriffe in Russland und Polen mit der sogenannten ersten Aliyah nach PalĂ€stina auswandern. 

ErzÀhlerin

1881 verlĂ€sst er Russland und lĂ€sst sich in Jerusalem nieder. Angetrieben von seinem Ziel: Ivrit, also ein modernes HebrĂ€isch, als Umgangssprache fĂŒr das Leben in einem neuen sĂ€kularen jĂŒdischen Staat zu etablieren.

3.O-Ton (Brenner ab 6:16)

Eliezer Ben Yehuda war ein HebrĂ€isch Enthusiast und ein frĂŒher Zionist, der sagte: Wir sollten uns in unserer alten Heimat wieder ansiedeln, vor allem auch, weil wir dazu gezwungen werden aufgrund des Antisemitismus, der Pogrome in Russland. Und der sagte wir brauchen auch unsere alte Sprache wieder. Und zwar nicht nur als Sprache fĂŒrs Studium und als Sprache fĂŒr das Gebet, sondern als gesprochene Sprache. Und er machte sich daran, ein hebrĂ€isches Lexikon zu schreiben und die hebrĂ€ische Sprache in dem Sinn wiederzubeleben, dass er eben AusdrĂŒcke kreierte, die im modernen HebrĂ€isch nicht existierten. Denn viele Begriffe des neunzehnten Jahrhunderts existierten natĂŒrlich in der Bibel und demnach im biblischen HebrĂ€isch nicht. Also musste man diese Begriffe neu schaffen und diese Sprache wiederbeleben als Alltagssprache.

ErzÀhler

Ben-Yehudar macht sich in Jerusalem an die Aufgabe, mit Ivrit eine Sprache zu schaffen, die sich einerseits in Schriftbild und Morphologie am biblischen HebrĂ€isch orientiert und fĂŒr die gleichzeitig ein zeitgemĂ€ĂŸes Vokabular kreiert werden muss, damit sie ĂŒberhaupt als Alltagssprache taugt.

4.O-Ton (Brenner 7:42)  

Ja, das war gar nicht so einfach, denn so ein richtiges Beispiel dafĂŒr gab es nicht. Sodass er erstmal versuchte, aus den existierenden Worten - im HebrĂ€ischen zum Beispiel haben die Verben jeweils eine Wortwurzel, die meistens aus drei Buchstaben besteht - dass er versuchte, aus diesen bestehenden Wurzeln neue Worte zu schaffen. Und das andere war, dass er dann in manchen FĂ€llen eben auch versuchte, aus europĂ€ischen SprachbestĂ€nden - Deutsch, Französisch, Englisch auch wiederum neue Worte zu schaffen. Und so entstand also ein neues Vokabular - einmal aufbauend auf dem alten biblischen HebrĂ€isch und auf der anderen Seite aufbauend, auf modernen europĂ€ischen Sprachen.

Musik: Z8015897108 Kirkja 0‘25

ErzÀhlerin

Es entstehen Vokabeln wie „sabon“ fĂŒr Seife, das vom französischen „savon“ kommt. Oder iton, in dem das deutsche Wort Zeitung steckt, weil das hebrĂ€ische „et“ ĂŒbersetzt Zeit bedeutet. Im Laufe der Jahre werden zig Lehnwörter fester Bestandteil des Ivrit-Vokabulars. 

ErzÀhler

Darunter auch viele deutsche, wie Daphna Uriel ausfĂŒhrt. Sie ist Dozentin fĂŒr Modernes HebrĂ€isch und unterrichtet Studierende am Lehrstuhl fĂŒr jĂŒdische Geschichte und Kultur der LMU MĂŒnchen. 

5.O-Ton (Uriel ab 26:51)

Vor allem in Disziplinen wie Architektur, Bau, Maschinen. Wir haben Kugellager, wir haben Installator  (
) wir haben Zimmer bis heute ist genutzt „Zimmer frei“. (
) Es gibt Schilder mit Zimmer frei - das schreibt man auf HebrĂ€isch. Es gibt Schalter, Stecker, alle diese Sachen sagen wir auf HebrĂ€isch. 

ErzÀhlerin

Und Vokabeln, die bis heute in der hebrÀischen Verbform durchkonjugiert werden, wie Michael Brenner veranschaulicht:

6.O-Ton (Brenner ab ca. 9:00)

Zum Beispiel das Wort Spritzen also mit Wasser spritzen. Also Le ha spritz, hu Spratz und so weiter kommt alles von Spritzen aber wird dann hebrĂ€isch durchkonjugiert. Und es gibt natĂŒrlich auch Worte wie Fernseher, der erstmal wörtlich ĂŒbersetzt wurde wie im Deutschen auch. Aber was die Leute verwenden - heute und seit vielen Jahrzehnten - ist der englische Begriff Televizija - also kein Mensch, sagt Fernseher, auf HebrĂ€isch ĂŒbersetzt.

ErzÀhler

1881 sind lĂ€ngst nicht alle diese Worte Bestandteil des Ivrit-Vokabulars, denn Ben-Yehuda muss die Sprache erst erschaffen, die sich so schnell wie möglich als alltagstauglich etablieren soll. Um dieses Ziel schneller zu erreichen, benutzt er seine Familie als Übungsfeld. 

ErzÀhlerin

Die Devise im Hause Ben-Yehuda lautet: Rak Ivrit - nur HebrĂ€isch. Seiner Familie mutet er damit sehr viel zu, denn außer ihnen spricht zu dieser Zeit niemand HebrĂ€isch auf der Straße. Michael Brenner:

7.O-Ton (Brenner ab 11:18)

Sein Sohn hat Memoiren veröffentlicht, geschrieben, und da spricht er unter anderem darĂŒber, wie er als Kind von seinem Vater angehalten wurde, er dĂŒrfe nur HebrĂ€isch sprechen. Nun hatte der arme Junge aber keine anderen Kinder, mit denen er HebrĂ€isch sprechen konnte. Und auch mit der Mutter, also im Haushalt, dĂŒrfte nur HebrĂ€isch gesprochen werden. Aber es gab noch nicht fĂŒr alles Worte. Der Vater kreierte sozusagen gerade das hebrĂ€ische Wörterbuch, und die Mutter sagte dann manchmal so SĂ€tze wie ja, bring mir das und gibt mir das. Und ich gebe dir das, weil sie nicht wusste, was die Worte dafĂŒr waren. 

Musik: C1028320020 Doina 0‘21

ErzÀhler

Ben-Yehudas Ă€ltester Sohn Ben-Zion, der sich spĂ€ter Itamar Ben-Avi nennt, gilt als das erste Kind, dass nach fast 2000 Jahren wieder mit HebrĂ€isch als Muttersprache aufgewachsen ist. Wenn auch zu einem hohen Preis fĂŒr die ganze Familie. Daphna Uriel:

8.O-Ton (Daphna ab ca. 11:40)

Die wurden aus der Gemeinde in Jerusalem ausgeschlossen, weil die Gemeinde in Jerusalem war orthodox. Und die Orthodoxen meinten man dĂŒrfe kein HebrĂ€isch sprechen, weil das ist die heilige Sprache, das ist nicht fĂŒr Alltag gemeint. Ich denke, er wurde berĂŒhmt, auch weil er so ein Fanatiker war. Aber auch wegen seiner zweiten Frau. Das war die Schwester seiner ersten Frau. Sie kam aus Russland und die war richtig die Motor hinter ihm. Die war eine sehr starke Frau, hat viele Spende gesammelt, damit er konnte einfach setzen und das Wörterbuch schreiben.

ErzÀhlerin

1891 stirbt Ben-Yehudas erste Frau Debora an Tuberkulose. Kurz darauf heiratet Eliezer Deboras Schwester Paula. Eine jĂŒdische Journalistin und Autorin, die sich in Jerusalem angekommen Hemda nennt.

Musikak: C1028320024 Kinneret 0‘59

ErzÀhler

Trotz aller Anfeindungen und SchicksalsschlĂ€ge arbeitet Ben-Yehuda unermĂŒdlich weiter an seinem Ziel, in PalĂ€stina eine sĂ€kulare jĂŒdische Nation zu errichten, in deren Mittelpunkt die hebrĂ€ische Sprache steht. Nach seiner Überzeugung die einzige Sprache, die alle Juden emotional und historisch miteinander verbindet. 

ErzÀhlerin

Er gibt Zeitungen in modernem HebrĂ€isch heraus, grĂŒndet die Akademie fĂŒr hebrĂ€ische Sprache und arbeitet fieberhaft an seinem Gesamtwörterbuch der hebrĂ€ischen Sprache, dessen erste sechs BĂ€nde 1910 erscheinen. 

ErzÀhler

Er schafft die theoretischen Grundlagen fĂŒr ein neues HebrĂ€isch, das bis auf seine Familie und wenige andere aber praktisch niemand in PalĂ€stina spricht. Das bedeutet, dass er die jĂŒdische Bevölkerung in PalĂ€stina dazu bringen muss, Ivrit zu lernen, um sich bald in dieser Sprache zu verstĂ€ndigen. Doch wie soll das gehen? Michael Brenner:

9.O-Ton (Brenner ab 15:06)

Ja, das war kein einfaches Unternehmen. Und der BegrĂŒnder der zionistischen politischen Bewegung, Theodor Herzl, war selber kein AnhĂ€nger der Wiederbelebung des HebrĂ€ischen. 

(
) Er sagte: Ja, wir können ja nicht mal ein Bahnticket in hebrĂ€ischer Sprache kaufen. Wie sollen wir denn HebrĂ€isch im Alltag sprechen? (
) Und das war eine große Herausforderung, die letztlich nur gelingen konnte, weil viele der osteuropĂ€ischen Zionisten, die eben wie Ben Yehuda aus Russland oder Polen kamen, auch die Notwendigkeit sahen: Eine Sprache muss in diesem Staat gesprochen werden, die alle Juden miteinander verbindet. Und dann wurde das teilweise auch mit Gewalt durchgesetzt. Es gab sogenannte Brigaden fĂŒr die hebrĂ€ische Sprache, die dann auch schonmal Leute, die in Tel Aviv am Strand entlang gegangen sind und jiddisch gesprochen haben, angehalten und sagten: Sprecht HebrĂ€isch, kein Jiddisch, also da war man auch sehr streng.

ErzÀhlerin

Bei der Mammutaufgabe, HebrÀisch als gesprochene Alltagssprache zu etablieren, ist Ben-Yehuda nicht allein. Es sind die zionistischen Einwanderer, die - genau wie er - ab 1882 wegen der Pogrome in Russland aus Osteuropa nach PalÀstina kommen. Und die Voraussetzungen schaffen, dass diese Herausforderung gelingt. 

ErzÀhler

Denn die Neueinwanderer grĂŒnden landwirtschaftliche Siedlungen und errichten Schulen, in denen ausschließlich auf HebrĂ€isch unterrichtet wird. Als erste hebrĂ€ische Schule der Neuzeit nimmt 1886 die Grundschule Havv in der Siedlung Rishon LeZion den Unterricht auf.

ErzÀhlerin

Es entstehen immer mehr Schulen, KindergĂ€rten und ab 1905 werden in Jaffa auch die ersten High-School-Klassen auf HebrĂ€isch unterrichtet. Es sind die Kinder, die zu Hause das Neuerlernte ihren Eltern beibringen. Und zwar ĂŒber viele Jahrzehnte:

10.O-Ton (Brenner ab 17:36)

Denn die meisten ihrer Eltern waren noch in den 60er-Jahren Einwanderer, die aus den verschiedenen LĂ€ndern kamen, und die Kinder bekamen es in der Schule. Aber schwierig war es tatsĂ€chlich, vor allem zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, diese hebrĂ€ischen Schulen in Israel durchzusetzen. Gefördert wurden sie nĂ€mlich oft von Geldgebern aus Europa, aus Frankreich, aus Deutschland. Und zum Beispiel gab es den Hilfsverein deutscher Juden, der eine Schule in Haifa eingesetzt hat. Einmal gab es einen richtigen Sprachenstreit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Geldgeber aus Deutschland drangen darauf, dass die Unterrichtssprache Deutsch sei in Haifa. WĂ€hrend die Lehrer dann einen Streik ankĂŒndigten, sagten, wir wollen HebrĂ€isch unterrichten. Letztlich haben Sie das dann auch gewonnen.

ErzÀhler

Die „Gesellschaft zur Hilfe fĂŒr deutsche Juden“ besteht 1913 darauf, dass in der geplanten Ingenieursschule, dem spĂ€teren Technion in Haifa, der Unterricht auf Deutsch abgehalten wird. Da - so die Argumentation - das notwendige technische und wissenschaftliche Vokabular auf Ivrit noch zu dĂŒrftig sei. 

Musik: C1028320020 Doina 0‘38

ErzÀhlerin

Dabei macht schon zu Beginn des 20.Jahrhunderts die Wiederbelebung der Sprache deutliche Fortschritte. Auch, weil die erste Generation der Kinder, die in den Schulen HebrÀisch gelernt hat, erwachsen ist. Und nun mit ihren eigenen Kindern hebrÀisch spricht. Damit wÀchst eine neue Generation von Muttersprachlern auf, die das moderne HebrÀisch daheim, statt in der Schule lernt.

ErzÀhler

Als 1909 die erste hebrĂ€ische Stadt Tel Aviv gegrĂŒndet wird, ist Ivrit als Alltagssprache nicht nur auf den Straßen und in den CafĂ©s zu hören, sondern wird dort auch als Verwaltungssprache verwendet. SĂ€mtliche Straßenschilder und öffentliche AnkĂŒndigungen werden auf HebrĂ€isch geschrieben. 

ErzÀhlerin

Diejenigen, die noch kein HebrĂ€isch sprechen, werden nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in der Zeit des Britischen Mandats dazu angehalten, in der Öffentlichkeit ausschließlich Ivrit zu sprechen. Durch die Kampagne „Jude, spreche HebrĂ€isch“, die Ben-Yehudas Sohn Itamar Ben-Avi 1919 ins Leben ruft. 

ErzÀhler

Die freiwilligen WĂ€chter der sogenannten Legion der Verteidiger der Sprache kennen dabei kein Pardon. Auch nicht fĂŒr den Nationalpoeten Chajim Nachman Bialik, wie Daphna Uriel erzĂ€hlt:

11.O-Ton [Daphna ab ca.13:50]

Einmal folgten die Bialik auf die Straße. Sie haben gehört, dass er jiddisch gesprochen hat, und (
) es gab  (
) einen Prozess: „Warum haben Sie Jiddisch auf die Straße gesprochen?“ Und Bialik hat sich verteidigen, und am Ende wurde er freigesprochen. Weil und warum? Weil am Ende des GesprĂ€ches hat er ein Fluch auf HebrĂ€isch gesagt auf diesen Mann, der ihn verfolgte. Und deswegen wurde er freigesprochen, weil er HebrĂ€isch doch benutzt hat.

ErzÀhlerin

Nur einen Monat vor seinem Tod gelingt es Eliezer Ben-Yehuda, 1922 den Hochkommissar des britischen Mandats fĂŒr PalĂ€stina davon zu ĂŒberzeugen, dass HebrĂ€isch neben Arabisch und Englisch zur dritten offiziellen Amtssprache erhoben wird. Dazu wĂ€re es nicht gekommen, hĂ€tte es fĂŒnf Jahre frĂŒher nicht eine wegweisende Deklaration gegeben. Michael Brenner:

12.O-Ton (Brenner ab 19:25)

Ja, das hĂ€ngt natĂŒrlich auch mit den Versprechen der Briten zusammen, die schon 1917 in der Balfour-Deklaration gegeben wurden, nĂ€mlich den Juden eine nationale HeimstĂ€tte  - es hieß nicht Staat - aber nationale HeimstĂ€tte in PalĂ€stina zu geben. Und zu diesem Nationalen gehört natĂŒrlich auch die Sprache. Und man war tatsĂ€chlich sehr stolz darauf, auf der Seite der aus Europa eingewanderten Juden, dass nun etwa auf den Briefmarken oder auf den Geldscheinen, also auf allen offiziellen Symbolen, auch HebrĂ€isch verwendet wurde und etwa auf den Briefmarken das Wort Eretz Israel zumindest abgekĂŒrzt also das Land Israel in hebrĂ€ischen Buchstaben auch erscheinen durfte.

ErzÀhler

1948 wird HebrĂ€isch neben Arabisch endgĂŒltig zur Amtssprache des neu gegrĂŒndeten Staates Israel. Dass es gelungen ist, HebrĂ€isch als antike Bildungssprache nach Jahrtausenden als Alltagssprache wiederzubeleben, ist eine einzigartige kulturelle Leistung.

13.O-Ton (Brenner ab 20:42)

Man kann das in der Tat nicht mit dem Griechischen vergleichen, denn das biblische HebrĂ€isch und das moderne HebrĂ€isch sind zumindest so miteinander verwandt, dass jeder Israeli jede Israelin heute ganz gut die Bibel verstehen kann. WĂ€hrend natĂŒrlich, wenn jetzt König David auferstehen wĂŒrde, er wahrscheinlich nicht jedem Wort folgen könnte, das in Israel gesprochen wĂŒrde. Und Ben Yehuda und seine Nachkommen haben es geschafft, eine moderne Sprache zu schaffen, die im Alltag völlig kompatibel ist und trotzdem die Wurzel des biblischen HebrĂ€isch zu bewahren und in diese Sprache zu integrieren.

ErzÀhlerin

Ivrit bedeutet ĂŒbersetzt nichts anderes als „hebrĂ€isch“. Als Ausdruck einer Sprache, mit der es gelungen ist, im Laufe der Jahrtausende einen historischen Bogen zwischen völlig verschiedenen Zeitaltern zu spannen. 

Musik: C1028320024 Kinneret 0‘52

ErzÀhler

Es ist daher kein Zufall, dass die Bezeichnung Ivrit fĂŒr das heute gesprochene HebrĂ€isch sich auf ein lange zurĂŒckliegendes Ereignis in der biblischen Geschichte bezieht: den Turmbau zu Babel. Daphna Uriel:

14. O-Ton (Daphna ab ca. 37:00) 

Ivrit kommt eigentlich von Ever, war ein so mythologische Figur in der Bibel. Der war so diese Uralt-Vater von vielen Nationen in der Region. Und die Geschichte mit Ever ist, dass er war so eine gute Mann und hat verweigert mitzumachen mit dem Bau von Turm von Babel. Und deswegen wurde er und seine Nachkommen nicht bestraft und ihre Sprache hat sich nicht verwirrt.