radioWissen - Bayern 2   /     Die Geschichte des Fernsehens - Von zwei Stunden in schwarz-weiß bis zu digital nonstop

Description

Vom Fernsehprogramm der NS-Zeit wissen die wenigsten. Zum geliebten und gescholtenen Massenmedium und Fixpunkt des Familienlebens wurde "die Glotze" dann ab der Zeit des Wirtschaftswunders. Das Fernsehen hat sich und die Gesellschaft bestÀndig verÀndert und unseren Alltag entscheidend geprÀgt. Autorin: Karin Becker

Subtitle
Duration
00:26:20
Publishing date
2024-01-24 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/die-geschichte-des-fernsehens-von-zwei-stunden-in-schwarz-weiss-bis-zu-digital-nonstop/2089104
Contributors
  Karin Becker
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2089104/c/feed/die-geschichte-des-fernsehens-von-zwei-stunden-in-schwarz-weiss-bis-zu-digital-nonstop.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Vom Fernsehprogramm der NS-Zeit wissen die wenigsten. Zum geliebten und gescholtenen Massenmedium und Fixpunkt des Familienlebens wurde "die Glotze" dann ab der Zeit des Wirtschaftswunders. Das Fernsehen hat sich und die Gesellschaft bestÀndig verÀndert und unseren Alltag entscheidend geprÀgt. Autorin: Karin Becker

Credits
Autorin dieser Folge: Karin Becker
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Christian Baumann, Florian Schwarz
Technik: Tim Höfer
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Michaela KrĂŒtzen, Professorin fĂŒr Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Hochschule fĂŒr Fernsehen und Film MĂŒnchen;
Klaudia Wick, Bereichsleiterin Fernsehen bei der Deutschen Kinemathek Berlin

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Linktipps:

Am 25. Januar 1949 wurde der Bayerische Rundfunk gegrĂŒndet. Seitdem ist viel passiert. Ein bunter Ritt durch 75 Jahre Programm fĂŒr Bayern:
ZUR JUBILÄUMS-WEBSITE

Auch die Sendung Wir in Bayern im Bayerischen Fernsehen hat sich mit der Geschichte des BR-Fernsehens beschÀftigt:
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Literaturtipps:

Bundeszentrale fĂŒr politische Bildung: Deutsche Fernsehgeschichte in Ost und West. Umfangreiches Online-Dossier, das die TV-Geschichte in beiden deutschen Staaten zuverlĂ€ssig in vielen (auch einzeln lesbaren) Kapiteln abbildet.

Klaudia Wick: Je spĂ€ter der Abend. Über Talkshows, Stars und uns. Interessanter Beitrag zur Formatgeschichte. 

Knut Hickethier, Peter Hoff: Die Geschichte des deutschen Fernsehens. Überblick ĂŒber das 20. Jahrhundert.

Albert Abramson: Die Geschichte des Fernsehens. Standardwerk, insbesondere frĂŒhe TV-Geschichte, internationale Perspektive.

Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

GerĂ€usch TV einschalten + MUSIK Z8046179 101 „Diversity“; ZEIT: 00:15

OTON 1 WICK 

„Es gibt ja auch ErzĂ€hlungen noch bis in die 60er-Jahre hinein, dass Leute gesagt haben: wir waren dann ab dem Moment, wo wir einen Fernseher hatten, in der Nachbarschaft sehr beliebt. Und dann kamen die Leute und klingelten so kurz vor acht und wollten was von uns, weil sie eigentlich gerne mitgucken wollten 
 (
)“

MUSIK ENDE

ZUSPIELER 1 Tagesschau Spot von 1960 (15‘‘)

„Hier ist das deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Anschließend: die Wetterkarte.“ 

OTON 2 WICK

„Das Interessante ist in den 60er-Jahren, dass die Leute anfangen, ihre Lebensrhythmen nach dem Fernseher auszurichten. Also das, was wir in Deutschland kennen, ist ja gar nicht ĂŒberall auf der Welt so, dass um 8 Uhr das Abendprogramm anfĂ€ngt. Das hat einfach was damit zu tun, dass die Tagesschau um 8 Uhr angefangen hat und dass die Leute sozusagen ‚davor und danach‘ gesagt haben. Was machen wir mit dem Abend? Davor essen wir zu Abend und danach gucken wir Fernsehen.“ 

MUSIK Z8046179 101 „Diversity“; ZEIT: 00:32

SPRECHER

Das Fernsehen als Taktgeber des Alltags – in heutigen Zeiten rĂŒckt diese Vorstellung immer weiter in geschichtliche Ferne. Dank Internet können wir mittlerweile das Programm genau dann beginnen lassen, wenn wir Zeit dazu haben. 

Klaudia Wick von der Deutschen Kinemathek Berlin spricht ĂŒber die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, als das FernsehgerĂ€t im Wohnzimmer neu ist und sich schnell und unĂŒbersehbar im deutschen Alltag breitmacht.

MUSIK ENDE

OTON 3 WICK

„Es gibt auch viele soziologische Texte darĂŒber, dass die Möbel im Wohnzimmer sich verĂ€nderten, dass eben plötzlich der Fernseher eigentlich das Lagerfeuer war, um das sich alle herumgruppiert haben. Dass es eben nicht mehr diese geschlossene Sitzgruppe gibt, in der wir uns anschauen, sondern: alle schauen auf diesen Fernseher.“

ZUSPIELER 2 Jingle von „Was bin ich“ (instrumental) 35‘‘ (ÜBERBLENDUNG MIT FOLGENDEM SPRECHERTEXT)

MUSIK Z8046179 101 „Diversity“; ZEIT: 00:15

SPRECHER

In diesem Fernseher gibt es schon in den FĂŒnfzigern die ersten Spiel- und Quizshows zu sehen – in Ost wie West. Der Bayerische Rundfunk etwa produziert: „Was bin ich?“, das „heitere Beruferaten“ mit Robert Lembke, Erstsendung 1955. „Welches Schweinderl hĂ€tten’s denn gern?“ Lembkes Frage wird bald legendĂ€r.

MUSIK ENDE

Das Fernsehen als „Lagerfeuer“ der Wirtschaftswunderzeit bietet den GemĂŒtern Abkehr vom Krieg. Es bedeutet Zukunft, Leichtigkeit und Wohlstand. 

Es wird verspottet als „Pantoffelkino“, spĂ€ter geschmĂ€ht als „Glotze“. In der DDR ist es in Verruf als bekanntermaßen langer Arm des PolitbĂŒros der Staatspartei SED. 

Dennoch: Das Fernsehen legt in ganz Deutschland ab den Sechzigern einen historischen Aufstieg hin, es wird zum wirkmÀchtigen Massenmedium. 

ENDE INTRO

SPRECHER

Von einer „schnellen“ Erfolgsgeschichte aber kann hier nicht die Rede sein. Die ersten technischen Versuche, ein Bild zu zerlegen und an einen entfernten Ort zu ĂŒbertragen, gehen bis in die zweite HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts zurĂŒck. 

Diese fernsehtechnischen AnfĂ€nge wurden von einer Vision getragen, die mit der spĂ€teren Nutzung nur bedingt zu tun hat, so Michaela KrĂŒtzen, Professorin fĂŒr Medienwissenschaft an der Hochschule fĂŒr Fernsehen und Film MĂŒnchen:

OTON 4 KrĂŒtzen

„Die Idee, die da im neunzehnten Jahrhundert kam, ist die DirektĂŒbertragung. Nicht irgendwie, wofĂŒr wir heute das Fernsehen vielfach nutzen, um eine Kochsendung anzugucken oder Nachrichten, sondern eigentlich: mit anderen sprechen. Andere sehen. Also die DirektĂŒbertragung. Das ist der Traum, der dahintersteht. Das ist die Ur-Idee (
) des Fernsehens.“

SPRECHER

Die technische Umsetzung dieser Idee zieht sich ĂŒber Jahrzehnte. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, treiben sie die Entwicklung der Fernsehtechnik stark voran. Ihr Ziel ist Propaganda: Sie wollen den ersten, regelmĂ€ĂŸigen Fernsehbetrieb der Welt fĂŒr sich reklamieren können. TatsĂ€chlich gelingt das: Im MĂ€rz 1935 beginnt der „Fernsehsender Paul Nipkow“ vom Berliner Funkturm live auszustrahlen, fast ein Jahr vor der BBC in Großbritannien. Mit entsprechend triumphalen und pathetischen Worten eröffnet Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky das Programm:

ZITATOR

„WĂ€hrend wir hier im Saale atemlos lauschen und schauen, hat die Zeit eines neuen, unbegreiflichen Wunders begonnen. (
) In dieser Stunde wird der Rundfunk berufen, die grĂ¶ĂŸte und heiligste Mission zu erfĂŒllen: nun das Bild des FĂŒhrers unverlöschlich in alle deutschen Herzen zu pflanzen.“

SPRECHER

Die RealitĂ€t dieses „neuen, unbegreiflichen Wunders“ fĂ€llt dann allerdings eher karg aus. Das beginnt schon damit, dass verschwindend wenige Leute das Fernsehen ĂŒberhaupt zu sehen bekommen.

OTON 5 KrĂŒtzen

„Von einer nationalen Verbreitung sind wir ganz, ganz, ganz, ganz weit entfernt. Ein paar wenige Leute konnten im Dritten Reich fernsehen. Und es war eher so eine Attraktion, als wirklich ein Massenmedium.“

SPRECHER

An anfangs drei Abenden die Woche gibt es damals zwei Stunden Programm – und das zunĂ€chst nur in Berlin. Zudem stehen die FernsehgerĂ€te noch nicht in den Wohnzimmern. Michaela KrĂŒtzen:

OTON 6 KrĂŒtzen

„Zuhause hatte praktisch niemand einen sogenannten Heimfernseher. Das sind ein paar Dutzend GerĂ€te, 75 oder so was, so ungefĂ€hr um 37. Das ist praktisch nichts. (
) Eigentlich haben die Menschen in sogenannten Fernsehstuben, ganz toller Begriff, Fernsehen geguckt. Da war freier Eintritt (
) und dann sah man halt auf so einem kleinen Bildschirm vorne so ein kleines bisschen Programm, bisschen verrauscht. Ich habe da so einen Techniker daneben, der das ab und zu so justierte, dass man es genauer sehen konnte. (
) Stellen Sie sich ein etwa Schuhschachtel-großes Bild vor, relativ klein, (
). Das ist schwarz-weiß, und (
) ne BildqualitĂ€t, die eher im bescheidenen Bereich liegt. Also, das ist schon ein armes Bild im VerhĂ€ltnis zum reichen Bild des Kinos.“

SPRECHER

In seinem ersten Sendejahrzehnt ist das Fernsehen ein unausgereiftes Medium und seinen zwei nÀchsten Verwandten Kino und Radio deutlich unterlegen. 

Das riesige Propagandaspektakel der Nationalsozialisten um die olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin bietet dem Randmedium die Chance, etwas zu glĂ€nzen. In den 16 Tagen der Spiele werden um die 100.000 Menschen durch die Fernsehstuben geschleust. Das tĂ€gliche Live-Programm aus dem Olympiastadion macht das Fernsehen populĂ€rer – eine Funktion, die Sportveranstaltungen in der deutschen TV-Geschichte noch hĂ€ufiger ĂŒbernehmen sollten. 

ZUSPIELER 3 kurzer Schnipsel: Reportage vom 4x100m Staffellauf 

„Deutschland muss vor den Amerikanerinnen laufen, das ist ein kleiner Nachteil (Startschuss), davor Kanada, davor Holland, wunderbar! Die erste Deutsche losgegangen
“

SPRECHER

Propaganda hin oder her - von fĂŒhrenden Nationalsozialisten ist kein einziger Auftritt im verwaschenen Fernsehbild ihrer Zeit bekannt. Ein 1939 auf der Funkausstellung vorgestellter Volksfernseher fĂŒr Zuhause kommt doch nicht – die Fertigungsanlagen werden nun fĂŒr die RĂŒstungsproduktion benötigt. Der Krieg beginnt. FĂŒr einige Jahre werden die verbleibenden FernsehgerĂ€te in Lazaretten aufgestellt. Im November 1943 wird der Berliner Sender durch Bomben zerstört. Das NS-Projekt Fernsehen kommt zum Erliegen.

MUSIK Z8046179 101 „Diversity“; ZEIT: 01:04

SPRECHER

Sprung ins Nachkriegsdeutschland. Der Neu-Start des Fernsehens wird wieder von einem Wettlauf vorangetrieben, diesmal zwischen den beiden deutschen Staaten. Die DDR strahlt zu Stalins 73. Geburtstag im Dezember 1952 erstmals die Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ aus. Offiziell startet der „Deutsche Fernsehfunk“ im Januar 1956, kontrolliert von der Abteilung Agitation und Propaganda des Zentralkomitees der Staatspartei SED.

Im Westen haben die Alliierten den Rundfunk dezentral und öffentlich-rechtlich angelegt: Die ĂŒber die BRD verteilten Landesrundfunkanstalten sind nichtstaatlich und nichtkommerziell. Sie schließen sich 1950 in der ARD, der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten in Deutschland, zusammen und planen fĂŒr das Fernsehen ein gemeinschaftliches Programm:

MUSIK ENDE

OTON 7 Wick

„Das war, glaube ich, tatsĂ€chlich den KapazitĂ€ten geschuldet. (
) Sie mĂŒssen sich ja auch vorstellen, es musste Leute geben, die das ĂŒberhaupt erst mal lernen, wie die Technik funktioniert, die Lust haben, was Neues zu machen. Viele haben gesagt: da in diesen neuen Kasten,  (
) da glaube ich gar nicht dran. Es gab viele Leute, die nicht ans Fernsehen geglaubt haben. Und so hat man sehr viel improvisieren mĂŒssen.“

SPRECHER

Nach jahrelangem Testbetrieb und dem BRD-weiten Aufbau eines engen Sendernetzes wird am 1. November 1954 das ARD-Programm offiziell aufgenommen – das so genannte „Deutsche Fernsehen“ startet sein Gemeinschaftsprogramm. Der Bayerische Rundfunk bestĂŒckt seinen ersten Abend unter anderem mit dem Singspiel „GĂ€rtnerin aus Liebe“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Eine fĂŒr die Zeit nicht untypische Wahl, so Klaudia Wick von der Deutschen Kinemathek Berlin: 

OTON 8 Wick

„Das ist auch etwas, was wir, glaube ich, aus anderen MedienzusammenhĂ€ngen kennen, dass man erst mal der Sache Glanz verleihen will, indem man aus einem anderen Medium entlehnt und sagt: wir machen hier ĂŒbrigens Kultur.“

SPRECHER

Auch beim Radio bedient sich das Fernsehen. Formate werden ĂŒbernommen, und auch Personal: große Fernsehnamen der ersten Jahre, wie Peter Frankenfeld oder Hans Joachim Kulenkampff, kommen vom Hörfunk und sollen ihr Publikum am besten gleich mitnehmen. Denn Zuschauer und Zuschauerinnen gibt es in den FĂŒnfzigern noch nicht viele:

OTON 9 Wick

„Wenn sie geschaut haben, haben sie meistens in einer Gruppe geschaut, in einer Kneipe oder vor der Fensterscheibe. Es gibt da ja zwei wichtige Ereignisse. Das ist einerseits die Fußball-Weltmeisterschaft in Bern, die viele Leute dann gesehen haben. Und dann die Krönung von Elisabeth II., was auch so ein Event war, wo man sagte: Ah, jetzt wĂ€re es schon ganz schön, einen Fernseher zu haben“

SPRECHER

Dieser Fernseher kam in der Zeit gleich als eigenes MöbelstĂŒck daher, genannt „Fernsehtruhe“:

OTON 10 Wick

"Die Fernsehtruhe war ein Monstrum, das war so groß wie vielleicht mein BĂŒroschreibtisch jetzt hier. (
) Und die Mattscheibe (
) wurde versteckt in einem Schrank, den man erst mal aufmachen musste. Also (
) wie das hĂ€ufig so ist: Wenn Dinge Statussymbole sind, dann sollen sie auch schön aussehen. (
) Was ich sehr lustig finde. Die Statistik weist aus, dass in den ersten Jahren vor allem besondere Berufsgruppen einen Fernseher besaßen. Das waren die Radio- und Fernsehtechniker – da ahnen wir, warum. Dann war es die Kneipen- und GaststĂ€ttenbesitzer und als dritte Gruppe die ZahnĂ€rzte. Ich denke mir, dass die ZahnĂ€rzte (lacht nett) das aus Prestige gekauft haben (
)  wer es zu was gebracht hatte, der hatte dann irgendwann einen Fernseher.“

SPRECHER

Schon im Jahr 1963 konnte der damalige Intendant des Bayerischen Rundfunks, Christian Wallenreiter, den Millionsten Fernsehteilnehmer in Bayern beglĂŒckwĂŒnschen.

ZUSPIELER 4 der Millionste Fernsehteilnehmer in BY 1963 (ab Sek 41), (GesprÀch zwischen Intendant, Moderatorin und Fernsehteilnehmer)

„Eine Million FernsehgerĂ€tebesitzer in Bayern (
) bedeutet ja etwas. Und deshalb habe ich mich gefreut heute Herrn Kiessling eine Ehrengabe ĂŒberreichen zu können. / Herr Kiessling, Sie haben 2000 Mark bekommen, das ist also eine ganze Menge Geld, was tun sie damit? / Ja, vorlĂ€ufig kommen sie einmal auf ein Sparkassenbuch. FĂŒr die Kinder ist das gedacht, ne! / (
) Hören Sie gerne Nachrichten? / Ja, Nachrichten: alle Tage. / (
) Mich wĂŒrde noch etwas anderes interessieren: in welchem Tempo wĂ€chst eigentlich die Zahl der Fernsehteilnehmer? (
) / In jedem Monat so ungefĂ€hr 10.000.“

SPRECHER

Das sich ausbreitende Fernsehen synchronisiert die Lebenswelten der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland: es drĂ€ngt die Dialekte zugunsten eines einheitlichen Hochdeutsch zurĂŒck, es etabliert 20 Uhr als landesweite Grenze zum privaten Teil des Abends, und es bringt ĂŒberallhin die exakt gleichen Sendungen, egal ob in die Stadt oder auf’s Land. 

MUSIK Z8046179 101 „Diversity“; ZEIT: 00:56

Nach Anfangsjahren mit genau einem Programm wĂ€chst das Angebot in den 1960ern. Das Bundesverfassungsgericht untersagt 1961 die Einrichtung eines staatlichen Fernsehprogramms, das die Regierung Konrad Adenauers plant – das Fernsehen soll LĂ€ndersache und öffentlich-rechtlich bleiben. Kurz darauf grĂŒnden die MinisterprĂ€sidenten der LĂ€nder das Zweite Deutsche Fernsehen, ZDF. Programmstart ist 1963. Zudem beginnen die Landesrundfunkanstalten jetzt in ihren Regionen, eigene Programme auszustrahlen. Bayerischer und Hessischer Rundfunk sind im Jahr 1964 die ersten. Die neuen Dritten Programme werden als Kultur- und Bildungsfernsehen angelegt. Beispiel: Das Telekolleg des Bayerischen Rundfunks:

MUSIK ENDE

ZUSPIELER 5 Telekolleg (1.12 Jingle Musik könnte ĂŒber Text vorlappen)

„How do you do? Let’s learn english together! I am Paul Dine.“

SPRECHER

ARD, ZDF, Dritte: Ab Mitte der 60er gibt es Konkurrenz auf dem Fernsehmarkt und das Publikum hat die Wahl. Aber „gezappt“ wird noch nicht. Wer umschalten will, muss anfangs noch aufstehen. Denn die Fernbedienung kommt erst Mitte der 1970er Jahre. 

SOUNDAKZENT UMSCHALTGERÄUSCH

SPRECHER

Im Jahr 1967 folgt ein weiterer Meilenstein der Fernsehgeschichte. Die Fernsehbilder werden farbig. In einem feierlichen Akt spricht der damalige Vizekanzler Willy Brandt auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin:

ZUSPIELER 6 Schmidt

„In der Hoffnung auf viele friedlich-farbige, aber auch spannend-farbige Ereignisse, ĂŒber die zu berichten und die darzustellen sich lohnt (
) gebe ich jetzt gewissermaßen den Startschuss fĂŒr das deutsche Farbfernsehen.“ (Applaus)

MUSIK Z8046179 103 „Inventions“; ZEIT: 00:56

SPRECHER

Zu diesen Worten drĂŒckt Willy Brandt auf einen Knopf, um das Fernsehbild auf Farbe umzustellen. Der Knopf allerdings ist nur eine Attrappe und ein nervöser Techniker hat das Bild schon bunt gestellt, bevor Brandt ĂŒberhaupt zudrĂŒckt. Eine Panne, die kaum jemand bemerken kann – denn die wenigsten haben in dieser Zeit farbfĂ€hige Fernseher zu Hause stehen. Das sollte sich allerdings schnell Ă€ndern. Fussballmannschaften besser auseinanderhalten zu können oder die olympischen Spiele 1972 in MĂŒnchen in Farbe zu sehen – solche WĂŒnsche verschaffen den neuen GerĂ€ten bald guten Absatz.

Die erste Sendung, die der Bayerische Rundfunk in Farbe ausstrahlt, ist ĂŒbrigens „Was bin ich?“, aufgezeichnet unmittelbar auf der Berliner Funkausstellung 1967. Wie Robert Lembke gleich zur BegrĂŒĂŸung ankĂŒndigt:

MUSIK ENDE

ZUSPIELER (TC 03.09)

„Das ist ĂŒbrigens ein einmaliger Exzess, schon bei der nĂ€chsten Sendung kehren wir reumĂŒtig zu Schwarzweiß zurĂŒck. Der Bayerische Rundfunk hat nĂ€mlich noch keine Farbelektronik. Im Übrigen ist Farbe schon eine feine Sache, auch wenn man im Lauf der Zeit draufkommen wird, dass es Schwarzweiß Sendungen gibt, die recht farbig, und bunte Sendungen, die ziemlich fad sind. Aber noch viel wichtiger, als das farbige Sehen wĂ€re es ja, wenn wir uns das Denken in Schwarzweiß-Kategorien abgewöhnen und ein bisschen mehr GefĂŒhl fĂŒr Zwischentöne entwickeln könnten.“

Oton 11 Wick

„Was ich auch immer noch sehr lustig finde, ist, dass das Feuilleton geschrieben hat: Man wĂ€re sich gar nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist mit der Farbe, weil in Schwarz-Weiß, sei das doch alles konzentrierter und viel kunstvoller. Also, das ist etwas, was sich stĂ€ndig wiederholt und auch an anderen Medien sich zeigt, dass man immer sagt: frĂŒher war es auf jeden Fall besser. Erst ist das Fernsehen ĂŒberhaupt nicht kulturell, und dann ist es nur kulturell, wenn es schwarz-weiß ist.“

SPRECHER

Im Jahr 1970 besitzen 68 Prozent aller bundesrepublikanischen Haushalte ein FernsehgerĂ€t. Das Fernsehen tritt in die Phase seiner grĂ¶ĂŸten Wirkmacht ein, es wird zum Leitmedium der BRD. 

OTON 12 Wick

„Dann kam die Zeit, die wĂŒrde ich sagen bis in die 90er-Jahre hineingereicht hat, dass, wenn Sie eine Platte rausbringen wollten, wenn Sie Karriere machen wollten. (
) wenn Sie als Partei eine Wahl gewinnen wollten, dann mĂŒssen sie im Fernsehen sein, weil da alle Leute es mitbekommen. Und weil am nĂ€chsten Tag darĂŒber geredet wird und sie deswegen auch die Kultur und die Gesellschaft, den gesellschaftlichen Diskurs prĂ€gen können.“

MUSIK Z8046179 101 „Diversity“; ZEIT: 00:39

SPRECHER

Das Fernsehen der DDR genießt nicht das gleiche Vertrauen. Den BĂŒrgerinnen und BĂŒrgern ist der staatliche Einfluss aufs Programm des Deutschen Fernsehfunks wohlbewusst. So muss etwa das Pendant zur Tagesschau, die Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“, teils tagelang auf die Sprachanweisung aus dem PolitbĂŒro der SED warten, bis sie ĂŒber ein Ereignis ĂŒberhaupt berichten kann– in politisch gewollten Worten. 

Doch auch das Fernsehen aus dem Westen, das in vielen Teilen der DDR empfangbar ist, beeinflusst implizit, was die Menschen im DDR-Fernsehen zu sehen bekommen:  

MUSIK ENDE

OTON 13 Wick

„Weil ja Berlin mitten in der DDR lag, konnte man sehr viel Westfernsehen sehen, was dann wiederum das Fernsehen der DDR dazu gebracht hat zu sagen: das wollen wir natĂŒrlich nicht, sondern wir machen jetzt ganz Ă€hnliche Programme. Und deswegen: es gab den Tatort. Und dann gab es den Polizeiruf im Osten. Es gab die großen Unterhaltungsshows im Westen. Es gab dann auch die großen Unterhaltungsshows aus dem Friedrichstadtpalast im Osten. Man hat schon versucht, in diesen ganzen Unterhaltungsformaten, Serien, Krimis, alles, was das Fernsehen eben populĂ€r gemacht hat, auch mitzuhalten und die Leute in den eigenen Äther zu ziehen.“

SPRECHER

Auch in der DDR wird das Fernsehen so zum Massenmedium, das die GesprÀchsthemen und den Alltag der Menschen prÀgt. Vor der deutschen Wiedervereinigung beeinflusst es den Lauf der Geschichte sogar ganz unmittelbar.

OTON 14 Wick

„Ja, das ist natĂŒrlich auch ein eigener Bereich, nĂ€mlich die Frage, was das Fernsehen dazu beigetragen hat, dass bestimmte Ereignisse so waren und nicht anders waren. Und die Öffnung der Mauer ist ja etwas gewesen, was im Pingpong (
) zwischen DDR und BRD passiert ist. Die Leute haben das eigentlich in der Tagesschau gesehen, an diesem 9. November (
), dass die Mauer geöffnet worden ist, (
). Und wenn es diesen Tagesschau-Bericht nicht gegeben hĂ€tte, wĂ€ren sie nicht an die geschlossene Mauer gegangen und hĂ€tten nicht in der Bornholmer Straße gesagt: Wir wollen jetzt aber rĂŒber. (
) das Fernsehen, (
) hat sehr viel dazu beigetragen, dass diese friedliche Revolution so gewesen ist, wie sie gewesen ist.“

MUSIK Z8046179 101 „Diversity“; ZEIT: 01:01

SPRECHER

Im wiedervereinten Deutschland findet sich eine noch einmal stark gewandelte Fernsehlandschaft. Die Vorgeschichte: Schon 1981 lĂ€sst das Bundesverfassungsgericht kommerzielle Fernsehprogramme zu, da die neuen Verbreitungstechnologien Kabel und Satellit nun die technischen Voraussetzungen fĂŒr eine Vielfalt an Programmen geschaffen haben. Der Regierung des damaligen Kanzlers Helmut Kohl kommt dies zupass – Kohl fĂŒhlt sich als Opfer eines „Meinungskartells“ der öffentlich-rechtlichen Sender und treibt den Ausbau der neuen Technik voran. 1984 nehmen dann die beiden ersten privaten Sender Deutschlands, Sat.1 und RTL plus, ihr Programm auf – können jedoch anfangs nur eingeschrĂ€nkt empfangen werden. Die UmwĂ€lzungen, die das so genannte „Duale System“ aus öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern bringt, beginnen anderswo:

MUSIK ENDE

OTON 15 Wick

„Die bestehenden Sender ARD und ZDF hatten große Angst, dass jetzt etwas kommt, was sie aus Amerika ja kannten, nĂ€mlich das Privatfernsehen, das sehr laut, sehr lĂ€rmig, sehr, sehr reich auch ist, weil es ja werbegetrieben ist, und haben angefangen, ihr eigenes Programm zu verĂ€ndern. Sozusagen in vorauseilendem Gehorsam und haben neue Spielkonzepte entwickelt. Haben andere Talkformate eingefĂŒhrt, wurden selber, kurz gesagt, ein bisschen lĂ€rmiger.“

SPRECHER

Das „Duale“ System verĂ€ndert das deutsche Fernsehprogramm tiefgreifend. So bringt es auch die Dritten dazu, sich auf das zu besinnen, was nur sie bieten können: Das Regionale. Ihr Programm beschĂ€ftigt sich nun verstĂ€rkt mit regionaler IdentitĂ€t und der Frage, was Heimat eigentlich ausmacht. Die Antwort darf auch kritisch ausfallen, wie die BR-Doku-Serie „Unter unserem Himmel“ beweist. Ein Ausschnitt aus ihrem legendĂ€ren Architektur-Film „Der Jodlerstil“ von Dieter Wieland aus dem Jahr 1985:

ZUSPIELER 7 UNTER UNSEREM HIMMEL „Jodlerstil“ 

„Kennen’s das neue Bayern? Bayern im Landhausstil? Oberbayern? Hochglanzbayern? Superbayern? (
) 52Sek

Die HĂ€user mit der besonderen Oberweite. UnĂŒbersehbar viel Holz vor der HĂŒttn. Balkone wia fĂŒr an Dampfer, sakrisch hergfrĂ€st, dass ma’s im Winter in Plastikfrischhaltebeutel einwickeln muss. Bayern griabig und mit viel Schmalz, Bayern rustikal. Die HĂ€user in der Lederhosen, Bayern im Jodlerstil.“ (1.17)

OTON 16 WICK

„Das war etwas, was man in den dritten Programmen machen konnte und was eben dann im ersten Programm schon weniger durchsetzbar war. Und das war fĂŒr viele Leute ein wichtiger Hafen, um Programm zu machen, das wir heute eben in den Museen auch sammeln und das wir fĂŒr Kulturerbe halten und das eben da eine Nische gefunden hat.“

SPRECHER

Das Privatfernsehen selbst wird in Deutschland dank seiner gewachsenen Verbreitung dann Anfang der 90er wirklich sichtbar:

OTON 17 Wick

„In der Zeit gab es dann „gute Zeiten. Schlechte Zeiten“, diese Daily-Soap. Hans Meiser machte die erste Talkshow. Also es gab eine ganze Reihe von neuen Formaten, und die haben dann eigentlich die Fernsehlandschaft ĂŒberhaupt erst verĂ€ndert. (
) Dann fingen auch die Leute an, darĂŒber zu reden, und „GlĂŒcksrad“ gucken und „der Preis ist heiß“ gucken wurde dann auch Mode. (
) Und deswegen gab es plötzlich dann halt auch noch mal Fights zu Hause, wer eigentlich wann was gucken darf. (
) Und man konnte dann sogar als Intellektuelle auch schon diese ganzen Sachen sehen (
), das war wirklich interessant zu beobachten, wie das auch zum guten Ton gehörte, plötzlich, dass man keine Scheu vor den Programmen der Privatsender hatte.“

MUSIK Z8046179 103 „Inventions“; ZEIT: 00:23

SPRECHER

Von der verĂ€nderten Sitzordnung dank Fernsehtruhe im Wohnzimmer der 1950er Jahre bis zum Zweitfernseher im Kinderzimmer, damit jeder zappen kann, wohin er oder sie mag: Die Geschichte des Massenmediums Fernsehen hat das Leben in Deutschland stark geprĂ€gt – in den HĂ€usern und Köpfen, in Freizeit und Politik, im Großen und Kleinen. 

MUSIK ENDE

Heute muss sich das Fernsehen die Aufmerksamkeit seines Publikums wieder hÀrter erkÀmpfen. Es hat durch soziale Medien und Streaming-Portale starke Konkurrenz. Auch die bedient sich bewegter Bilder, bietet aber eben kein Vollprogramm, nie das ganze, mit Bedacht kuratierte Sortiment aus Information, Bildung, Kultur und Unterhaltung. Und genau deswegen bleibt die Leiterin des Bereichs Fernsehen in der deutschen Kinemathek Berlin, Klaudia Wick, ihrem Lieblingsmedium treu: 

MUSIK Z8046179 101 „Diversity“; ZEIT: 00:25

OTON 18 WICK 

„FĂŒr mich ist Fernsehen eben dadurch gekennzeichnet, dass es gleichzeitig unterhalten und informieren will. Das sind fĂŒr mich die Streamer eben nicht. (
) Das Großartige am Fernsehen - also ich mache jetzt mal einen kleinen persönlichen Werbeblock, ist eben - dass wir ein sehr emotionales VerhĂ€ltnis zu diesem Apparat haben und es gleichzeitig aber auch ein Wissensvermittler ist, das finde ich ganz großartig.“

MUSIK ENDE