Flüsse und Bäche trocknen wegen des Klimawandels immer öfter aus. Dabei können sie ihre Dienste als Ökosystem nicht mehr leisten und viele Arten gehen verloren. In dem Projekt ?Dry River? machen europäische Forscher und Forscherinnen nun eine Bestandsaufnahme, um unsere Fließgewässer besser schützen zu können. Autorin: Brigitte Kramer
Flüsse und Bäche trocknen wegen des Klimawandels immer öfter aus. Dabei können sie ihre Dienste als Ökosystem nicht mehr leisten und viele Arten gehen verloren. In dem Projekt ?Dry River? machen europäische Forscher und Forscherinnen nun eine Bestandsaufnahme, um unsere Fließgewässer besser schützen zu können. Autorin: Brigitte Kramer
Credits
Autorin dieser Folge: Brigitte Kramer
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Friedrich Schloffer
Technik: Susanne Herzig
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Dr. Annika Künne, Geographin, Universität Jena;
Professor Dr. Markus Weitere, Biologe, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Magdeburg;
Professor Dr. Klement Tockner, Biologe, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Frankfurt am Main.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ATMO 1 Rauschender, großer Fluss, etwas stehen lassen
SPRECHERIN darüber
Wassermassen drängen sich durch die Landschaft ... mal als in der Sonne glitzerndes Band, mal als graugrüner, tosender Strom … immer weiter, dem Meer entgegen. ATMO 1 freistellen
An ihren Ufern sind Siedlungen entstanden, aus denen später Städte wurden. Felder und Weiden wurden angelegt, später Industrieanlagen, dann kamen Talsperren, Kanäle und Begradigungen …
Flüsse gehören zu den von uns am stärksten veränderten Ökosystemen. Für den Menschen sind sie jedoch lebenswichtig.
ATMO 1 freistellen, dann weg
Zur Übernutzung, Verunreinigung und massiven Eingriffen in die Natur kommen jetzt auch noch die Folgen des Klimawandels: Weltweit steht es schlecht um Flüsse und Bäche. Ihnen fehlt das Wasser. Viele von ihnen fallen trocken, verschwinden, versickern oder enden als jämmerliche Rinnsale. Was passiert, wenn Flussbetten vorübergehend austrocknen?
Was geht dabei verloren, und was kommt danach? Professor Klement Tockner von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung erklärt, was ein gesunder Fluss alles leistet:
O TON 1 Klement Tockner
Eine der wichtigsten Leistungen ist die Selbstreinigungskraft, das heißt das Entfernen von Nähr- oder auch von Schadstoffen an der Gewässersohle, um eben sauberes Trinkwasser für uns Menschen bereitzustellen, um Wasser für die Landwirtschaft bereitzustellen. Dazu kommt auch, dass das Gewässerbett ein ganz wichtiger Lebensraum zum Beispiel für Insektenlarven, aber auch für Jungfische ist.
Musik: Z8035998125 Questions an decisions 0‘40
SPRECHERIN
Die „Reinigungsleistung“ entsteht zum einen durch die Fließbewegung, bei der das Wasser auf den Grund gedrückt und den Organismen dort zugespült wird. Diese reinigen das Wasser, zum Beispiel, indem sie es durch ihre Kiemen fließen lassen und dabei Nahrungspartikel herausfiltern - so wie es die Flussperlmuschel tut. Die Selbstreinigung eines Flusses findet zudem auch an der Gewässeroberfläche statt, in einem Biofilm, den Mikroorganismen unter Sauerstoffverbrauch bilden. Gesunde Flüsse leisten aber noch mehr:
O TON 2 Klement Tockner
Die Gewässer sind natürlich auch ein ganz zentraler Erholungsraum für uns Menschen. Das Gurgeln oder das Rauschen eines Baches hat eine positive Auswirkung auf unsere Wahrnehmung unserer Umwelt. Das sind alles zentrale Leistungen, die Gewässer für uns bereitstellen.
ATMO 2 Plätschernder Bach etwas stehen lassen, dann Blende Musik: Z8037018110 Surviving victims 1‘09
SPRECHERIN darüber
Wenn sie diese „zentralen Leistungen“ nicht mehr erbringen können, haben wir Menschen ein massives Problem: Nicht nur wegen des Trinkwassers. Fallen Flüsse bei uns trocken, zeitweise oder stellenweise, sterben viele Arten, die in ihrem Ökosystem gedeihen. Musik 3 hoch Denn im Gegensatz zu anderen Regionen der Erde, wo das Austrocknen eines Flusses zu seinem natürlichen Zyklus gehört und die Arten sich daran angepasst haben, brauchen in Mitteleuropa viele Tier- und Pflanzenarten eine Rückzugsmöglichkeit in feuchte oder nasse Lebensräume. In die „hyporheische Zone“ zum Beispiel, die Übergangszone im Sediment zwischen Grundwasser und Fließgewässer. Doch die ist oft auch trocken, weil der Grundwasserspiegel stetig sinkt. Das ist gravierend, weil Flüsse Hotspots der Vielfalt sind und zu den wertvollsten Ökosystemen überhaupt gehören: Sie bedecken zwar nur ein Prozent der Landoberfläche, dienen aber zehn Prozent der Arten als Lebensraum. Musik 3 weg
Das Ökosystem Fluss ist also weit mehr als nur das fließende Band, das wir wahrnehmen:
O TON 3 Annika Künne
Um sich das überhaupt besser vorstellen zu können, muss man eigentlich wissen, dass das Gewässer oder Flussbett auch den Bereich unter und neben dem Fluss, also auch die Flussauen mit einschließt. Also eine Zone, wo eine Interaktion stattfindet zwischen dem oberflächlichen Wasser, was wir dann als Bach oder Fluss wahrnehmen, und natürlich auch dem Grundwasser.
Musik: C1576650123 Absorbed in thought 0‘34
Atmo Bach/Fluss
SPRECHERIN drüber
Flüsse und Bäche sind nichts anderes als zutage tretendes Grundwasser: Es kommt in Quellen an die Oberfläche und bildet dann ein oberirdisches Gewässer. Fließgewässer brauchen eine intakte Uferlandschaft, erkennbar zum Beispiel an Auenwäldern, in denen in unseren Breitengraden Brennessel oder Bärlauch wachsen. Diese Uferstreifen wirken bei Hochwasser wie ein Schwamm, bei Niedrigwasser geben sie Wasser in das Flussbett zurück. Musik 1 runter Dr. Annika Künne ist Geologin und arbeitet mit Klement Tockner zusammen an einem internationalen, von der EU finanzierten Projekt, das erstmals den Zustand von Flüssen erfasst:
O TON 4 Annika Künne
Eben weil dieses Trockenfallen vielleicht in Räumen, wo das früher nicht so häufig aufgetreten ist, wurde das auch wissenschaftlich etwas stiefmütterlich behandelt. Und deswegen haben wir dementsprechend wenig Methoden. Man hat Ansätze, aber man hat noch nicht so viel Analysen, dass man das wirklich ganz genau quantifizieren kann.
SPRECHERIN
Konkret geht es bei dem Projekt „Dryver“ – der Begriff ist eine Zusammensetzung / aus den Worten… dry, trocken und river, Fluss – um die Erforschung von sechs Flusseinzugsgebieten in Europa – Spanien, Frankreich, Ungarn, Kroatien, Tschechien und Finnland –, und drei in Lateinamerika. 25 Experten aus 11 Ländern sammeln Daten und geben dann Empfehlungen und Strategien heraus für ein anpassungsfähiges Management von Fließgewässern. Die von 2018 bis 2022 fast durchgehende Dürre hat vielen Menschen in Europa gezeigt, wie schnell das Wasser ausgehen kann:
O TON 5 Annika Künne
Auch hier wird es einfach stärker. Und es gibt Veränderungen, also sowohl der Wasserqualität als auch Wassermangel. Und was wir schon sehen können, ist ein Artenrückgang.
Musik: Z8014761146 Bleak and droughty 0‘46
SPRECHERIN
Trockenfallende Flüsse sind ein weltweites Phänomen, das in Polargebieten, im Hochgebirge oder in karstigen Regionen immer schon aufgetreten ist. Weltweit fallen 51 bis 60 Prozent der Flüsse regelmäßig, vorübergehend, trocken. In besonders trockenen Gebieten der Erde, wie in Indien, Westaustralien oder der afrikanischen Sahelzone, sind es laut den Modellierungen des Forschungsprojekts Dryver sogar 99 Prozent der Fließgewässer. Aber auch in den kühlgemäßigten und feuchten Klimazonen trocknen fast ein Drittel der Fließgewässer immer wieder aus. Wenn man kleine Bäche mitzählt, sind es hier sogar mehr als die Hälfte der Wasserläufe.
O TON 6 Annika Künne
Bisherige Schätzungen zeigen, dass diese Probleme auch weiter zunehmen werden. Mechanismen kann man dabei noch nicht ganz genau abschätzen, zum Beispiel ab wann ein Fluss bestimmte Funktionen nicht mehr erfüllen kann.
MUSIK Z8037018110 Surviving victims 0‘13
SPRECHERIN drüber, dann weg
Auch große Flüsse wie der Nil, der Gelbe Fluss in China oder der Rio Grande in den USA führen immer weniger Wasser.
O TON 7 Klement Tockner
Das hat natürlich dann massive Konsequenzen nicht nur für die Natur, sondern auch für die Wasserversorgung, für die Menschen, für die Schifffahrt oder für die Kühlung von Industrieanlagen. Und das nimmt zu, weil wir auf der einen Seite eine Verschiebung des Niederschlagsregimes haben und andererseits eine zunehmende Übernutzung der Gewässer.
Musik: Z8014761104 Complex questions 0‘38
SPRECHERIN
Die Zusammenhänge sind komplex, wie alles bei der Klimakrise - weil eben alles ineinandergreift. Die Zeiten für Regen verändern sich, die Niederschlagsmenge ebenso. Es gibt mehr Starkregen. Sommer und Herbst werden in Mitteleuropa tendenziell trockener. Wegen der erhöhten Temperaturen auf der Erde brauchen wir mehr Wasser, zum Trinken und zum Bewässern und auch für die Energiewende. Und auch weil die Welt sich immer weiter industrialisiert, beziehungsweise digitalisiert. Zum Beispiel entstehen immer mehr Rechenzentren, und die brauchen Wasser zur Kühlung. Dazu kommen die Herausforderungen der Energiewende Stichwort Wasserstoffwirtschaft: In der zukunftsträchtigen Wasserstoffwirtschaft sollen fossile Energieträger durch grünen Wasserstoff ersetzt werden. Grüner Wasserstoff wird mit Strom aus erneuerbaren Energien anhand von Elektrolyse von Wasser hergestellt: Das Wasser wird in seine Elemente Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Für die Produktion von einem Kilo Wasserstoff sind mindestens neun Kilo Wasser erforderlich. Alles dreht sich also um's Wasser. Annika Künne:
O TON 8 Annika Künne
Wir sehen, dass die Grundwasserstände an mehreren Stellen seit ungefähr zehn Jahren drastisch zurückgehen, und zwar so drastisch, dass man von einer Grundwasserdürre reden kann. Und das sieht man ja nicht. Das Grundwasser ist ja, bleibt ja irgendwie unsichtbar. Und das nächste ist Grundwasserqualität.
SPRECHERIN
Grundwasser ist Trinkwasser, da muss die Qualität stimmen. Oberirdisch kann man den Missstand mit bloßem Auge erkennen – in den Flüssen und Bächen. Professor Dr. Markus Weitere vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung beschreibt, was vor dem Austrocknen eines Fließgewässers passiert – also bei Niedrigwasser. Ein Symptom ist ...
O TON 9 Markus Weitere
… dass die Auen tatsächlich richtige trockene Symptome zeigen. Also Vegetation wird oft trocken, die Gewässer in den Auen gehen zurück oder verschwinden auch ganz.
SPRECHERIN
Der Fluss trocknet sozusagen vom Rand her aus.
O TON 10 Markus Weitere
Im nächsten Schritt was passiert ist, dass das Wasser schlicht und ergreifend erstmal langsamer fließt. Da hängt zum Beispiel auch so was wie die Reinigungsleistung dran, weil dafür ist es ganz wichtig, dass sich das Wasser einfach stark bewegt. Wenn jetzt geringer Abfluss zusammenkommt mit vielleicht einer sommerlichen Hitzewelle, auch dann kann es zu ganz unterschiedlichen Prozessen im Gewässer kommen. Es können sich zum Beispiel sehr stark Algen entwickeln, die dann am Ende wieder auch zu einer Sauerstoffzehrung führen und zum Problem werden. Im Extremfall kann es dann zum Fischsterben kommen.
SPRECHERIN
Wie in der Oder im Sommer 2022,
Musik: Z8033060120 Sad water 0‘24
als mehrere hundert Tonnen toter Fische im Fluss trieben. Eine giftige Alge hatte die Fische umgebracht. Dazu war das Wasser sehr warm und, weil der Fluss wenig Wasser führte, war die Schad- und Nähstoffkonzentration sehr hoch, darunter die Konzentration von Salz, das aus schlesischen Kohlegruben in die Oder geleitet wurde. Musik weg Für Markus Weitere ein Szenario, an das wir uns gewöhnen müssen, wenn wir nicht eingreifen:
O TON 11 Markus Weitere
Wir haben Wasserdefizit aufgebaut und haben dadurch auch so ein gewisses Fenster in die Zukunft bekommen. In das, was uns eigentlich erwartet. Und was wir da gesehen haben, ist, dass viele Gewässer tatsächlich anfällig waren. Aber es gibt eben auch eine ganze Menge Gewässer, denen das offensichtlich nicht so viel angetan hat.
SPRECHERIN
Kann man Flüsse vor dem Austrocknen schützen? Ja, kann man, mit „anpassungsfähigem Management von Fließgewässern“, wie das im Dryver-Projekt heißt. Auch schon das, was vor dem Trockenfallen passiert, muss vermieden werden: Algenbildung, Fischsterben, Schadstoffkonzentration.
O TON 12 Markus Weitere
Wir sehen da zumindest drei Bedingungen, die das beeinflussen. Das eine ist das Einzugsgebiet, das heißt, kann das Einzugsgebiet viel Wasser aufnehmen, wenn es denn ein Starkregenereignis gibt und das dann dosiert auch abgeben das Wasser in Phasen der meteorologischen Dürre? Das zweite ist die Gewässerbelastung, die chemische Belastung. Also sind die Gewässer schon vorbelastet. Das ist das, was wir in der Oder erlebt hatten. Und es kommt auch auf die Struktur des Gewässers an, da spielt zum Beispiel auch der Randstreifen eine ganz wichtige Rolle. Geht das Gewässer durch den Wald, das heißt fällt Schatten auf die Gewässer. Und das ist ganz wichtig dabei, dass sich das Gewässer eben nicht zu stark erwärmt bei einer sommerlichen Hitze.
SPRECHERIN
Dabei haben wir Menschen das Wasser aus der Landschaft jahrhundertelang abgeleitet, haben Kanäle gezogen, Flüsse begradigt, Feuchtgebiete trocken gelegt, Barrieren, Talsperren eingebaut, die Flüsse regelrecht zerstückelt, Ufer versiegelt.
So geht eine Menge wertvolles Regenwasser verloren: Es fließt ungenutzt dem Meer entgegen.
Musik: Z8035149132 Light footed 0‘44
Naturnahe Flüsse halten sowohl Hochwassern als auch Dürreperioden am besten stand:
O TON 13 Klement Tockner
Ein unverbauter Fluss, ein unverbauter Bach hat eine Vielzahl an Lebensräumen, tiefe Stellen, also Gumpen, die kaum austrocknen. Grundwassereintritte, die kühl bleiben. MUSIK 2 hoch Vielfältige Zuflüsse, die wiederum unterschiedlich reagieren. MUSIK 2 hoch Und wie in der Finanzwirtschaft sprechen wir auch in der Ökologie von einem sogenannten Portfolio-Effekt. Das heißt, je vielfältiger ein System ist, desto resistenter ist es gegenüber Schwankungen.
Musik: Z8037018110 Surviving victims 0‘25
SPRECHERIN drüber
Unverbaute Fließgewässer gibt es in Europa nur noch sehr wenige. Gerade mal neun Prozent sind in Deutschland in einem guten ökologischen Zustand. Dabei schreibt die europäische Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 vor, dass ...
ZITATOR
... „alle Mitgliedstaaten der EU verpflichtet sind, bis 2015 und in Ausnahmefällen bis 2027 alle Gewässer in einen „guten ökologischen“ und „guten chemischen Zustand“ zu bringen. Für Grundwasser ist ein „guter mengenmäßiger“ und „guter chemischer Zustand“ zu erreichen.
ATMO 3 trauriges Gegurgel hoch, etwas stehen lassen
SPRECHERIN drüber
Die Erfüllung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie scheint heute utopisch. Die Zusammenhänge sind komplex und die Lösungen weitgreifend. In Bayern erwärmen sich Fließgewässer um durchschnittlich etwa ein halbes Grad in zehn Jahren. Das haben Messungen des Landesamts für Umwelt seit 1980 ergeben. In der Umgebung von Frankfurt fallen Bäche, die aus dem Taunus fließen, trocken, auch in Brandenburg trocknen im Sommer viele Bäche aus. Dort fallen nur etwa 500 Millimeter Regen pro Jahr, und die Niederschläge verschieben sich: Es gibt kürzere, feuchtere Winter und längere Sommer mit langen Trockenzeiten, wie sie eigentlich in südlichen Regionen typisch sind.
O TON 14 Annika Künne
Also es gibt dann eben Grenzen, wo man sagt okay, das hält in der jetzigen Zeit, wo es einfach unter Klimawandel häufiger zu Trockenfallen kommt und auch das Trockenfallen länger anhält, führt das einfach dazu, dass das die Arten, die vielleicht das eine ganze Weile auch gut hinbekommen haben, jetzt nicht mehr schaffen.
SPRECHERIN
Klimamodelle gehen zwar davon aus, dass mehr Niederschlag fallen wird. Der könne den Austrocknungsprozess aber nicht abmildern, meint Annika Künne:
O TON 15 Annika Künne
Das ist schon erschreckend. Das passiert einfach durch die Erderwärmung, weil die Verdunstung so stark zunimmt. Das heißt, das Wasser kommt da gar nicht an, das verdunstet.
Musik: Z8021444127 Calculations 0‘25
SPRECHERIN
Bei jedem Grad, um das sie wärmer wird, kann die Luft weitere sieben Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen. Der Dampf bleibt in der Luft, regnet sich vorerst nicht ab, sondern wandert mit der atmosphärischen Zirkulation in Richtung Pole.
ATMO: Regen/Fluss
Die Folge ist, dass ohnehin schon regenreiche Regionen zu bestimmten Zeiten noch mehr Niederschläge bekommen:
O TON 16 Annika Künne
Diese, was man im Wetterbericht immer so schön sieht, die Hoch- und Tiefdruckgebiete, das heißt diese Wirbel werden stärker und ziehen dann einfach aus noch größeren Regionen Wasser an und dadurch gibt es viel mehr extreme Niederschlagsereignisse.
SPRECHERIN
Starker Regen führt zu Überschwemmungen – die wirken in trockengefallenen Fluss- oder Bachbetten geradezu zerstörerisch, wie Klement Tockner von der Senckenberg-Gesellschaft weiß:
O TON 17 Klement Tockner
Man muss sich vorstellen, während der Trockenperioden sammelt sich organisches Material, Blätter, auch Schadstoffe an der Sedimentoberfläche. Und wenn dann das Wasser kommt, nach dem ersten großen Regenereignis, dann wird dieses Material auf einmal abtransportiert. Man spricht von sogenannten Black Flats, also schwarzen Hochwässern. Dann kann es flussabwärts, zum Beispiel in Seen oder im Küstenbereich, zur völligen Sauerstoffarmut kommen.
SPRECHERIN
Nährstoffreiches Wasser kann den Sauerstoffgehalt im Wasser verringern. Den brauchen die Wassertiere aber zum Überleben. Viele ersticken. Starkregen richtet nach einer Dürre im Flussbett und im Mündungsgebiet also mehr Schaden an, als er Nutzen bringt. Und wenn dann das Wasser wieder ruhiger fließt? Kehrt dann das Leben zurück? Markus Weitere vom Helmholtz-Zentrum:
O TON 18 Markus Weitere
Regeneration von trockengefallenen Gewässern, die ist sehr unterschiedlich. Wenn wir zum Beispiel von den Mikroorganismen sprechen, die erholen sich relativ schnell wieder. Wenn wir von größeren Tieren sprechen, dann hängt das davon ab, wie gut die sich zurückziehen konnten, also in andere Gewässerabschnitte auswandern. Oder sind es vielleicht Insekten, die erstmal eine Zeit am Land verbringen und dann wieder ihre Eier in das Wasser legen und sich da als Larven wieder entwickeln? Die kommen auch relativ schnell wieder. Aber es gibt dann durchaus auch Tiere, die letztendlich auch durch so eine Austrocknung aussterben können und die überhaupt nicht mehr wiederkommen oder die unheimlich lange brauchen, bis sie so ein Gewässer wieder besiedeln.
MUSIK: Z8037018110 Surviving victims 0‘34
SPRECHERIN drüber
Ein extremes Beispiel dafür ist die Flussperlmuschel, die als Wasserfilterer viel für das ökologische Gleichgewicht eines Flusses tut:
O TON 19 Markus Weitere
Die Flussperlmuschel ist bei uns eine sehr seltene, sehr schützenswerte Art, die unheimlich alt wird. Und die kann nicht auswandern, wenn es zur Trockenheit kommt. MUSIK 3 hoch Die Wandergeschwindigkeit ist einfach sehr, sehr gering und die würde dann aussterben. MUSIK 3 hoch Und das wäre tatsächlich ein Verlust, der so schnell nicht wieder gut zu machen ist.
SPRECHERIN
Auch das gehört zum Dryver-Projekt: Ursachen und Folgen des Trockenfallens werden erfasst. Annika Künne benutzt dazu Felddaten von Kollegen und Kolleginnen, die in Flussbetten Pegelstände und Veränderungen gemessen haben. Auch Bürger können helfen: Mit der Dryver-App können sie den Zustand von Flüssen oder Bächen ganz einfach dokumentieren und in die Datenbank einspeisen. Letztlich sollen mit den Daten Modelle entstehen, die die Realität abbilden und dann mit Klimaprojektionsdaten angetrieben, also gefüttert werden können. So können Klimaprognosen und -anpassungsstrategien für Flüsse erstellt werden und zwar geologisch, biologisch und sozioökonomisch. Was schon heute klar ist: Flüsse müssen renaturiert werden, wenn sie klimaresilienter werden sollen und ihre wertvollen Dienste weiterhin leisten sollen. Dabei geht es nicht nur um die Flüsse selbst, sondern auch um ihre Einzugsgebiete. Markus Weitere:
O TON 20 Markus Weitere
Ein großes Stichwort sind blau-grüne Infrastruktur in Städten. Also wie kriegen wir Städte zum Beispiel dazu, dass das Wasser nicht zu schnell abfließt über die versiegelten Flächen, sondern dass es zurückgehalten werden kann in Zisternen und ähnlichem, dass wir Grünflächen haben, wo auch Wasser versickern kann.
ATMO 1 Rauschender, großer Fluss, etwas stehen lassen
SPRECHERIN drüber
Wir Menschen haben uns seit jeher an Flüssen angesiedelt, denn sie garantierten Trinkwasser und fruchtbare Böden. Jahrtausendelang hat die Menschheit von Flüssen profitiert, aber sie hat sie auch vergiftet, zerstückelt, kanalisiert, ihnen Wasser abgezapft. Zeit, dass ihre große Bedeutung mehr ins Bewusstsein rückt.
Musik: Z8019017111 Green planet 0‘42
Flüsse brauchen Raum, um auf die Herausforderungen des zu einem erheblichen Teil durch die Menschen verursachten Klimawandels zu reagieren.
Markus Weitere ist optimistisch, gerade wegen der drastischen Ereignisse der Dürrejahre 2018 bis 2022:
O TON 21 Markus Weitere
Ich glaube, dass das im Moment vielen Menschen bewusst wird, dass sich die Gewässer verändern und dass das durchaus ein Problem ist. Ich habe das Gefühl, dass das Bewusstsein dafür zunimmt.