radioWissen - Bayern 2   /     Urzeitkrebse - Überlebenskünstler mit Fangemeinde

Description

Urzeitkrebse gab es schon auf der Welt, als Dinosaurier über unsere Erde stapften. Anders als die Urzeitechsen sind die Krebse aber nicht ausgestorben. Von Maike Brzoska

Subtitle
Duration
00:21:41
Publishing date
2024-03-15 03:10
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/urzeitkrebse-ueberlebenskuenstler-mit-fangemeinde/2091141
Contributors
  Maike Brzoska
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2091141/c/feed/urzeitkrebse-ueberlebenskuenstler-mit-fangemeinde.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Urzeitkrebse gab es schon auf der Welt, als Dinosaurier über unsere Erde stapften. Anders als die Urzeitechsen sind die Krebse aber nicht ausgestorben. Von Maike Brzoska

Credits
Autorin dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Xenia Tiling, Christopher Mann
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Hannes Petrischak, Geschäftsführer Heinz-Sielmann-Stiftung; 
Ralph Schill, Zoologe und Professor am Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme an der Universität Stuttgart; 
Roland Eichhorn, Leiter des Geologischen Dienstes in Bayern

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Mit dem Auto unterwegs in der Döberitzer Heide, einem Naturschutzgebiet im Havelland westlich von Berlin. 

O-TON (Petrischak)

Jetzt kann ich hier das Tor aufschließen. Wir sind jetzt also am Zaun um die Kernzone und ich hoffe, dass wir an den Stellen, wo ich es vermute, noch Reste von Wasser finden. Und wenn wir Glück haben, sehen wir die. 

SPRECHERIN

Hannes Petrischak ist Leiter des Geschäftsbereichs Naturschutz der Heinz-Sielmann-Stiftung, die dieses Gebiet unterhält. Er öffnet ein großes, mit Elektrozäunen gesichertes Gatter und weiter geht’s in die sogenannte Kernzone. 

ATMO Autofahrt

MUSIK 2  Chris Gilcher / Michi Koerner: Vibration Sphere 0‘35

SPRECHERIN

Früher war das Gelände militärisches Sperrgebiet, deshalb ist die Kernzone auch nicht öffentlich zugänglich – Reste von Munition könnten im Boden lagern. Heute ist die Kernzone das Zuhause vieler seltener Tiere. Wisente und Przewalski-Pferde leben hier, genau wie der Wiedehopf, ein Vogel mit lustig abstehenden Federn am Kopf. Aber Petrischak ist auf der Suche nach einem anderen Tier – eins, das viele Fans hat und Forschenden immer noch Rätsel aufgibt. 

ATMO Autotür

SPRECHERIN

Eine große Pfütze am Wegesrand, mit schlammigem hellbraunem Wasser – ein gutes Zeichen.  

04 O-TON (Petrischak)

Also wenn das Wasser sehr trüb ist, ist das eigentlich immer ein gutes Zeichen, weil die viel wühlen im Wasser, die wühlen am Grund den Schlamm auf und dann werden die Pfützen trüb.

ATMO Wasserplätschern

SPRECHERIN

Mit einem kleinen Kescher fischt Petrischak vorsichtig durchs Wasser – mit Erfolg. Im Netz windet sich ein sogenannter Urzeitkrebs. Zwei Arten dieser besonderen Krebsart kommen in der Döberitzer Heide vor.

06 O-TON (Petrischak)

Das ist jetzt die kleine Art, die hier drinnen ist, der Sommer-Feenkrebs, Branchipus schaefferi. 

SPRECHERIN

Der längliche Feenkrebs ist nur etwa zwei Zentimeter groß. Außerdem zartrosafarben, fast schon durchsichtig. Dadurch wirkt er tatsächlich feengleich. Auffallend sind seine dunklen runden Augen – und eine leuchtend blaue Stelle am Unterkörper. 

07 O-TON (Petrischak)

Bei dem ist es so, dass die Weibchen diese hübschen blauen Brutsäcke haben, und die Männchen haben immerhin noch so eine rote Schwanzgabel.

SPRECHERIN

Petrischak entlässt den Feenkrebs wieder in die Pfütze. Sofort zieht das zierliche Wesen wieder seine Bahnen durch das Wasser. 

ATMO Wasserplätschern

Der Naturschützer keschert weiter. Er sucht nach einem Exemplar der anderen Urzeitkrebs-Art.

08 O-TON (Petrischak)

Oft sind beide Arten zusammen drin, aber nicht immer. Aber wir haben Glück!

SPRECHERIN

Im Netz ist dieses Mal ein sogenannter Triops. Das bedeutet so viel wie: der Dreiäugige – und tatsächlich sieht es so aus, als hätte er drei Augen. Außerdem ist der Triops bräunlich und im Vergleich zum Feenkrebs um einiges größer und robuster. 

09 O-TON (Petrischak)

Der hat so einen Rückenschild, der schützt ihn von oben gegen Fressfeinde, damit kann er sich auch flach auf den Boden legen, ohne dass er groß bemerkt wird. Und er kann dann den Boden aufstrudeln, die haben nämlich bis zu 70 Beinpaare am Bauch, und mit diesen Beinen können sie sowohl den Boden aufstrudeln als auch an der Basis der Beine die Nahrung gleich schon zermalmen und dem Mund zuführen, das ist wie so eine Nahrungsrinne. 

MUSIK 3  Maxi Menot: Breeze Over Grasslands 0‘41

SPRECHERIN

Urzeitkrebse fressen Pflanzenreste, zum Beispiel Algen, die typischerweise in Pfützen vorkommen. Die größeren Exemplare jagen aber auch mal kleine Tierchen wie Würmer oder Kaulquappen. Also eigentlich alles, was in Pfützen oder Tümpeln finden kann. Forschende sprechen übrigens von temporären Gewässern, weil Pfützen und Tümpel immer wieder austrocknen. Für Urzeitkrebse bieten sie ideale Bedingungen, vor allem weil keine Fische drin sind. 

10 O-TON (Petrischak)

Also wenn jetzt Fische da wären, die würden die natürlich gleich fressen, das wäre ideales Fischfutter hier. Und natürlich auch die Wärme, wenn das Gewässer nicht tief ist und die Sonne häufig draufscheinen kann, dann bedeutet das, dass das Wasser sich schnell erwärmen kann. Und der Vorteil für die Urzeitkrebse ist, dass sie sich dann eben sehr schnell entwickeln können. Die Wärme beschleunigt ja die Entwicklung, und die müssen ja, bevor die Pfützen austrocknen, mit ihrer Entwicklung durch sein, damit sie wieder Eier am Boden ablegen können. 

SPRECHERIN

Mithilfe ihrer Eier können sich Urzeitkrebse auch räumlich ausbreiten. Zum Beispiel wenn sich Wildschweine oder Wisente zur Abkühlung in der Pfütze suhlen. Dann bleiben Eier im Fell hängen bleiben. Auf diese Weise gelangen sie zur nächsten Wasserstelle. 

11 O-TON (Petrischak)

Oder das kann an Füßen oder im Gefieder von Vögeln sein, dass diese Eier von Gewässer zu Gewässer getragen werden. Und dann breiten die sich aus. 

SPRECHERIN

Sogar der Wind kann die winzigen Eier verwehen. Aber trotz der vielen Verbreitungswege gibt es heute kaum noch Urzeitkrebse. Sie sind vielerorts vom Aussterben bedroht – oder sogar schon verschwunden. Das liegt vor allem daran, dass es immer weniger temporäre Wasserstellen wie Pfützen oder Tümpel gibt. Denn der Mensch ist kein Freund von Vertiefungen im Boden, wo sich Wasser sammelt. Die Unebenheiten werden zugeschüttet, um Straßen zu asphaltieren, Felder zu bestellen oder Häuser zu bauen. Auch Auenlandschaften, wo das Wasser regelmäßig über die Ufer tritt und feuchte Wiesen hinterlässt, gibt es heute kaum noch. 

MUSIK 4  Chris Gilcher / Michi Koerner: Vibration Sphere 1‘20

Dass es in der Döberitzer Heide noch vergleichsweise viele Urzeitkrebse gibt, liegt daran, dass die Kernzone jahrhundertelang militärisches Sperrgebiet war. Panzer fuhren regelmäßig über das Gelände, Truppen marschierten auf – ansonsten ließ man die Natur im Großen und Ganzen wie sie war. Seit 1997 ist das Gelände Naturschutzgebiet. Soldaten gibt es in der Döberitzer Heide heute also keine mehr – Panzer fahren aber trotzdem noch durch die Kernzone, und zwar im Auftrag der Heinz-Sielmann-Stiftung. Denn die schweren Panzer verfestigen den Boden und verhindern, dass das Gelände mit Sträuchern überwuchert. Auf diese Weise bleiben die Vertiefungen, wo nach Regenfällen Pfützen entstehen, erhalten. Petrischak schmunzelt, als er das erzählt. Kriegsgerät im Einsatz für den Naturschutz – er weiß, wie schräg das klingt. Aber es funktioniert. In der Döberitzer Heide sind bis heute Urzeitkrebse erhalten, im Gegensatz zu den meisten anderen Orten, wo Urzeitkrebse ausgestorben sind.

12 O-TON (Petrischak)

Für Zoologen ist es etwas ganz Großartiges, und es gibt viele, die das aus dem Studium nur noch als Präparat kennen.

SPRECHERIN

Urzeitkrebse – der Name sagt es schon – gibt es schon sehr lange. Das weiß man, weil man entsprechende Fossilien, also Versteinerungen der Tiere, entdeckt hat, sagt der Zoologe Ralph Schill. Er ist Professor an der Universität Stuttgart. 

MUSIK 5 Mathieu David Gagnon: Point d’ancrage 0‘32

13 O-TON (Schill)

Von einigen dieser sogenannten Urzeitkrebse hat man sehr schöne Versteinerungen gefunden. Und dann kann man ganz genau vergleichen; wie sehen die Tiere heute aus – mit den Versteinerungen.

SPRECHERIN

Forschende gehen davon aus, dass es Urzeitkrebse seit mehr als 200 Millionen Jahren auf diesem Planeten gibt. Äußerlich haben sie sich während dieser langen Zeit kaum verändert. Deshalb sprechen manche auch von „lebenden Fossilien“. Wobei der Begriff genau genommen eigentlich keinen Sinn macht. 

14 O-TON (Schill)

Lebende Fossilien gibt es in diesem wortwörtlichen Sinne natürlich nicht, aber umgangssprachlich wird das verwendet, um sozusagen klarzumachen, diese Tiere und Pflanzen haben sich über lange, lange Zeiträume hinweg nur minimal verändert und sind manchmal auch die einzigen verbliebenen Vertreter in dieser evolutionären Linie.

SPRECHERIN

Die kleinen Krebse wühlten also schon Pfützen auf, als andere Urzeitwesen, wie die Dinosaurier, die Erde bevölkerten. Das ist es auch, was viele Menschen an diesen kleinen Wesen so fasziniert.

15 O-TON (Schill)

So haben wir letztendlich dann ein Fenster in die Vergangenheit und können uns auch ein bisschen vorstellen, wie die Tiere damals vielleicht gelebt haben.

SPRECHERIN

Denn vor 200 Millionen Jahren, im sogenannten Erdmittelalter, sah unsere Erde noch ganz anders aus.  

16 O-TON (Schill)

Es war generell wärmer und man kann sich das Ganze vorstellen, dass wir große, ausgedehnte, flache Meeresbuchten hatten mit einer ganz reichhaltigen Lebenswelt unter Wasser. Und an Land hatten wir wahrscheinlich ausgedehnte Wälder aus Farnen und Schachtelhalmen. Und dazwischen eben die Dinosaurier, die die Landschaft durchstreiften.

MUSIK 6  Daniel Backes / Peter Moslener: Easy Plucker 0‘30

SPRECHERIN

Die Dinosaurier hinterließen riesige Fußspuren, wenn sie über den Boden stapften. Fiel dann Regen oder wurde der Boden zeitweise überschwemmt, entstanden zahlreiche Pfützen – beste Bedingungen für Urzeitkrebse. Heute funktioniert das im Prinzip noch genauso: Es entsteht eine temporäre Wasserstelle, und wenn es an dieser Stelle Urzeitkrebs-Eier im Boden gibt, schlüpfen in Rekordzeit kleine Larven. 

17 O-TON (Schill)

Dann können wirklich innerhalb von 24 Stunden kleine Urzeitkrebse wieder schlüpfen. Und die beeilen sich dann ganz schnell und wachsen heran, pflanzen sich fort, weil sie letztendlich auch wieder nur eine ganz bestimmte Zeit zur Verfügung haben, bis ihr Lebensraum, wie bei den elterlichen Tieren, dann auch wieder austrocknet. 

SPRECHERIN

Gibt es nur noch wenig Wasser in der Pfütze, ist es an der Zeit, die befruchteten Eier abzulegen. Den richtigen Zeitpunkt dafür erkennt der Triops übrigens mithilfe des dritten Auges – das eigentlich kein Auge ist.

18 O-TON (Schill)

Dieses dritte Auge hat keine Sehfunktion. Es dient vielmehr der Regulation von Körperflüssigkeiten, das heißt in diesen Gewässern verändert sich letztendlich immer der Salzgehalt durch Niederschlag und Verdunstung. Und wenn wir so eine Veränderung haben, dann müssen die Triopse sich relativ schnell auf diese veränderten Salzgehalte einstellen. Und dieses sogenannte dritte Auge spielt dabei eine entscheidende Rolle, indem es den Salzgehalt in diesen temporären Gewässern überwacht.

MUSIK 7  Mathieu David Gagnon: Point d’ancrage 0‘47

SPRECHERIN

Verdunstet das Wasser, steigt der Salzgehalt in der Pfütze – für den Triops das Zeichen, dass sein Lebensraum bald verschwindet. Die abgelegten Eier sichern dann die Nachkommenschaft. Bis die nächste Generation schlüpft, kann allerdings sehr viel Zeit vergehen. Denn die Eier von Urzeitkrebsen sind in dieser Hinsicht etwas ganz Besonderes. 

19 O-TON (Schill)

Die legen Eier, die dann auch ganz allmählich mit ihrem Lebensraum austrocknen können. 

SPRECHERIN

Normalerweise stirbt ein Lebewesen, wenn es austrocknet. Nicht so die Urzeitkrebs-Eier.

20 O-TON (Schill)

Bevor diese Eier vollständig ausgetrocknet sind, erfolgen im Inneren einige Zellteilungen bis zu einer bestimmten Anzahl an Zellen. Und dann gehen diese Zellen in einen Zustand der Anhydrobiose über. Das ist ein Zustand, in dem es keine offensichtlichen Lebenszeichen mehr gibt, in dem die Zellen letztendlich dann auch eingetrocknet sind. Und in diesem getrockneten Zustand können sie über lange Zeiträume hinweg unbeschadet überdauern. Das können viele Monate sein, das können Jahre oder sogar Jahrzehnte sein. 

SPRECHERIN

Man spricht deshalb auch von Dauereiern. Was genau in den Eiern passiert, wie sie trotz Austrocknung überleben, ist für Forschende ein Rätsel. Ralph Schill und sein Team arbeiten daran, dieses Rätsel zu lösen. 

21 O-TON (Schill)

Wir sind interessiert daran, wie schaffen es diese Zellen trotz Eintrocknen letztendlich lebendig zu bleiben? Und da gibt es sicherlich noch sehr, sehr viel Forschungsbedarf und wir kratzen da momentan mit unserem Wissen wirklich erst an der an der Oberfläche. Aber wenn wir das verstehen, dann hätten wir sicherlich sozusagen ein besseres Verständnis über so grundlegende Erkenntnisse über das Leben und was ist Leben letztendlich? 

SPRECHERIN

Dieses Wissen könnte für uns Menschen noch sehr nützlich werden, zum Beispiel bei Gewebe- oder Organ-Transplantationen. 

22 O-TON (Schill)

Man kann sich durchaus vorstellen, dass wenn man weiß, wie diese Tiere es schaffen, ihre Zellen einzutrocknen, sodass sie nicht geschädigt werden, dass man dieses Wissen in den medizinischen Bereich überführen kann. Das heißt, wenn es möglich ist, zum Beispiel mehr Zeit zu gewinnen zwischen Entnahme von einem Organ bis zur Transplantation von einem Organ, dann hätte man letztendlich sehr, sehr viel gewonnen.

MUSIK 8 Jens Buchert: Open Senses 0‘40

SPRECHERIN

Die äußerst widerstandsfähigen Dauereier der Urzeitkrebse sind vermutlich auch ein Grund dafür, dass einige Urzeitkrebs-Arten nicht ausgestorben sind, anders als etwa die Dinosaurier. Urzeitkrebse sind Überlebenskünstler der Evolution. Sie haben es geschafft, sich immer wieder an die unterschiedlichsten Bedingungen der verschiedenen Zeitalter anzupassen. Zumindest bis wir Menschen begannen, die Welt zu verändern und Erdlöcher im großen Stil zuzuschütten.

23 O-TON (Schill)

Und diese Zerstörung von solchen Lebensräumen, die hat letztendlich dann auch zu einer starken Dezimierung von diesen Urzeitkrebs-Populationen geführt.

SPRECHERIN

Insgesamt zwölf Urzeitkrebsarten gibt beziehungsweise gab es in Deutschland. Allesamt sind sie entweder stark gefährdet oder bereits ausgestorben. 

24 O-TON (Schill)

Zwei von diesen zwölf Arten gelten bereits als ausgestorben oder verschollen. Man hat sie also in den letzten Jahren nicht wiedergefunden. Fünf sind akut vom Aussterben bedroht und die verbleibenden fünf sind zumindest als sehr stark gefährdet eingestuft. Das bedeutet letztendlich, dass sämtliche in Deutschland lebende Urzeitkrebsarten entweder gefährdet oder bereits ausgestorben sind.

SPRECHERIN

In Bayern gibt es noch einige Orte, wo man – mit sehr viel Glück – Urzeitkrebse finden kann. Zum Beispiel im unterfränkischen Steigerwald. Wo genau, will Roland Eichhorn nicht verraten. Er ist Leiter des Geologischen Dienstes in Bayern.

25 O-TON (Eichhorn)

Sie sind eben selten und deswegen wollen wir es dabei belassen, dass es sie in Bayern gibt, dass sie sich auch wohlfühlen. Aber man muss es nicht genauer sagen. Also auf jeden Fall im Steigerwald. Es gibt aber auch noch andere Orte in Bayern, wo man sie finden könnte.

MUSIK 9 Simon Bohrer: Löwenzahn 0‘40

SPRECHERIN

Tatsächlich war es auch im Steigerwald, wo man zum allerersten Mal fossile, also versteinerte Triopse entdeckt hat. Ein Geologie-Student namens Ferdinand Trusheim fand sie in einem Steinbruch bei Koppenwind, heute ein Gemeindeteil von Rauhenebrach. Trusheim kannte sich bestens mit den Urzeitkrebsen aus: Er hatte seine Diplomarbeit über sie geschrieben, über die lebendigen wohlgemerkt. Denn die hatte er bei Wanderungen durch den Steigerwald oft in Pfützen gesehen. Nach fünf Jahren war er mit seiner Arbeit fertig. 

26 O-TON (Eichhorn)

Danach war er fertiger Geologe, ging wieder in den Steigerwald, ging an der Pfütze vorbei. Aber diesmal schaut er nicht in die Pfütze, sondern schaut in das Gestein, weil er ja Geologe ist. Und es stockt ihm der Atem. Ganz in der Nähe findet er die versteinerten Urzeitkrebse. Das heißt, er hat eine Stelle auf der Welt gefunden, wo offenbar diese Krebse 225 Millionen Jahre lang gelebt haben – jetzt in der Pfütze, vor 200 Millionen Jahren versteinert. 

SPRECHERIN

Quicklebendige Triopse ganz in der Nähe von versteinerten – eine kleine Sensation. Wobei es die lebendigen Urzeitkrebse in früheren Zeiten noch sehr viel häufiger gab als heute. Zeitweise traten sie sogar in Massen auf.

27 O-TON (Eichhorn)

Es gab es so sie so massenhaft in den Pfützen in Wien, dass die Marktweiber angeblich diese als Schweinefutter sogar auf dem Markt verkauft haben. Das ist dokumentiert und nachzulesen.

SPRECHERIN

Zum Beispiel in dem Bericht eines gewissen K. Lampert in der Zeitschrift Kosmos: 

ZITATOR

Im August des Jahres 1821 wurden in Wien von Marktweibern gar seltsam aussehende, 40-50 mm große Tiere zum Verkauf angeboten. Sie bewegten sich lebhaft im Wasser und sollten nach Angabe der Verkäuferinnen mit dem einige Zeit zuvor niedergegangenen, ungewöhnlich schweren Regen vom Himmel gefallen sein. Den meisten schien dies sehr glaubwürdig, denn die Tiere hatten eine gar absonderliche, nie gesehene Gestalt und fanden sich in ungeheuren Mengen in Pfützen und Regenlachen, an deren Stelle kaum zwei Wochen vorher staubige Straßengräben und mit dürrem Gras bedeckte Mulden zu sehen waren.

MUSIK 10  Simon Bohrer: Sunnestore 0‘52

SPRECHERIN

Krebse, die vom Himmel gefallen sind, vielleicht sogar aus dem Weltall kommen – eine ziemlich schräge Vorstellung. Aber man konnte sich das plötzliche und massenhafte Auftreten der Urzeitkrebse einfach nicht anders erklären. Erst eine eigens eingesetzte Kommission brachte Aufklärung. Aber trotz aller Erklärungen und Versicherungen, dass die Krebse nicht vom Himmel gefallen sind, hält sich die Bezeichnung „Himmelskrebs“ mancherorts bis heute. 

Es liegt auch an solchen Geschichten, dass die Urzeitkrebse eine große Fangemeinde haben. Ein weiterer Grund sind die sogenannten Yps-Hefte. 

28 O-TON (Eichhorn)

Also was die Yps-Hefte angeht, da bin ich ja absoluter Fan gewesen wie ich ein kleiner Junge war. Ich habe ja die Hefte verschlungen und der Gimmick darin, das war ja das Allerbeste. 

SPRECHERIN

20 Mal lagen der Jugendzeitschrift Yps ab Mitte der 1970er Jahre Urzeitkrebseier bei – kein anderes Gimmick war so häufig vertreten. 

29 O-TON (Eichhorn)

Dann musste man sich so ein kleines Aquarium machen. Da musste man dann so eine Wasserflüssigkeit anrühren und nach paar Tagen konnte man tatsächlich beobachten, wie die kleinen Krebselchen geschlüpft sind. 

SPRECHERIN

Echte Lebewesen, die aus getrockneten Eiern schlüpfen, das ist schon etwas Besonderes. Auch Ralph Schill war damals beeindruckt – und ist es noch heute.

30 O-TON (Schill)

Also ich glaube schon, dass diese Faszination, wie aus einer trockenen Materie plötzlich Leben entstehen kann, mich damals als Kind fasziniert hat. Und das hat sicherlich auch Anteil daran, dass ich heute immer noch begeistert bin, wenn ich wirklich sehen kann, wie aus diesen getrockneten Eiern nach 24 Stunden plötzlich kleine Krebschen entstehen. Diese Faszination kann man vielleicht wirklich auf die Kindheit zurückführen.

SPRECHERIN

Wobei man sagen muss, dass es sich nicht um echte Urzeitkrebse gehandelt hat. Den Yps-Heften lag ein anderer Krebs bei, der sich evolutionär erst später entwickelt hat. Und der auch nicht in Pfützen oder Tümpeln lebt.

31 O-TON (Eichhorn)

Es ist kein Süßwasserkrebs. Nein, die Yps-Macher, die haben Salzwasser-Krebseier hergenommen von einer anderen Art, und die kommt gar nicht aus der Urzeit. Die ist ganz neu, aber viel, viel pflegeleichter. Die heißt Artemia. Na ja, es war eigentlich eine kleine Verbrauchertäuschung, aber hey, jetzt sind wir alle alt und Yps gibt’s gar nicht mehr, jetzt darf man das verraten (lacht). 

MUSIK 11 Jens Buchert: Dragonfly 1‘05)

SPRECHERIN

Die Yps-Hefte sind seit vielen Jahren eingestellt. Die Begeisterung für Urzeitkrebse hält hingegen an: Die Eier sind in Zoo- oder Aquariengeschäften erhältlich. In Internet-Foren tauschen sich Fans über Aufzucht und mögliche Fundorte aus. Vielleicht haben einige von ihnen auch mitgefiebert, als mehrere Triops-Eier zur ISS geflogen sind. Forschende der internationalen Raumstation testeten, ob die extreme Temperatur im All und die Weltraumstrahlung den Tieren etwas anhaben können. Mehrere Monate umrundeten die Urzeitkrebseier in Proben-Container an der Außenseite der ISS den blauen Planeten. Und siehe da: Zurück auf der Erde schlüpften aus den Eiern wieder kleine Urzeitkrebs-Larven. Mission geglückt! 

Zumindest für diese Tiere stimmt sie nun in gewisser Weise also doch – die Bezeichnung „Himmelskrebse“.