radioWissen - Bayern 2   /     Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne - Die Magie des Neubeginns

Description

Ein neuer Job, eine neue Stadt, eine neue Liebe: NeuanfĂ€nge sind aufregend und voller Hoffnung. Voraussetzung fĂŒr einen kraftvollen Neuanfang sind Mut und Risikobereitschaft sowie ein Abschied. Von Karin Lamsfuß

Subtitle
Duration
00:22:40
Publishing date
2024-03-19 03:05
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/jedem-anfang-wohnt-ein-zauber-inne-die-magie-des-neubeginns/2091322
Contributors
  Karin Lamsfuß
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2091322/c/feed/jedem-anfang-wohnt-ein-zauber-inne-die-magie-des-neubeginns.mp3
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Shownotes

Ein neuer Job, eine neue Stadt, eine neue Liebe: NeuanfĂ€nge sind aufregend und voller Hoffnung. Voraussetzung fĂŒr einen kraftvollen Neuanfang sind Mut und Risikobereitschaft sowie ein Abschied. Von Karin Lamsfuß

Credits
Autorin dieser Folge: Karin Lamsfuß
Regie: Martin Trauner
Es sprachen:
Technik:
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
GĂŒnter Menne, Coach; Gerald HĂŒther, Hirnforscher
Peter Gross, Buddhist und Psychotherapeut
Dr. Michael Schonnebeck, Facharzt fĂŒr Psychotherapie und Psychosomatik; Petra Bock, Autorin und Coach
Petra van Laak, Unternehmerin

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

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ZUM PODCAST

ARD alpha
Sein Leben Àndern: Wie ihr einen NEuanfang wagt und meistert

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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Sprecher: 

Aus dem grauen, leblos wirkenden Erdboden arbeiten sich zaghaft die ersten Triebspitzen der Krokusse empor und bilden bald darauf lila Teppiche. Nahrung fĂŒr die Hummeln, die langsam aus der Winterruhe erwachen. Sie sind bei den ersten Sonnenstrahlen aus ihren Erdlöchern emporgekrabbelt und fliegen nun mit leisem Summen von BlĂŒte zu BlĂŒte. So als wĂŒrden sie die Geschichten des Winters miteinander teilen. Goldgelbe Pollenstaubwolken fliegen durch die Luft. Das pralle Leben kehrt zurĂŒck nach dem langen, kargen Winter. 

Sprecherin: 

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

Sprecher: 

In der Natur, so wie in allem Leben.

O-Ton 1 Petra Bock (0‘29“)

Und dann bin ich ins Bett gegangen, konnte lange nicht einschlafen, plötzlich hatte ich ne Art Vision, so kann man es wirklich nennen, hatte ich ein Bild, wie ich an einem wunderschönen FrĂŒhlingstag in einem Zimmer sitze bei offenem Fenster, draußen ist ein Obstgarten, die Vögel zwitschern, und ich sitze da und schreibe. Und in dem Moment kam so ein richtiges GlĂŒcksgefĂŒhl auf. Eins, dass ich seit Monaten nicht mehr kannte. 

Sprecherin: 

Ein Neuanfang im Leben der promovierten Politologin Petra Bock. Bevor er Wirklichkeit wurde, kam er zunÀchst als vielversprechende Vision in ihr Leben geschneit. 

Sprecher: 

„Neuanfang“ – das klingt fast magisch. Nach Chancen. Verheißungsvoll, inspirierend, motivierend. Nach frischem Wind, FĂŒlle, Optimismus und Weiterentwicklung. Das ganze Leben ist voller Neustarts: freiwilligen wie unfreiwilligen. Großen wie kleinen. Jeder Tag, jedes Aufwachen, jeder Atemzug ist im Grunde ein winziger Neuanfang. Nicht immer, aber oft muss etwas Altes sterben, bevor etwas Neues beginnen kann. 

Musik, dann darĂŒber

Sprecherin: 

Petra Bock fĂŒhrte ein Leben wie aus einem Hochglanzmagazin. Sie fuhr ein chices Auto, trug teure Klamotten und fĂŒhrte ein klassisches Businessleben in der Banken-Metropole Frankfurt. Dort arbeitete sie – nach ihrer Promotion mit 28 – als Unternehmensberaterin und Wirtschaftsanalystin.  12-14-Stunden-Tage waren die Regel.

O-Ton 2 Petra Bock (0‘16“)

Das war einfach sehr, sehr anstrengend, und ich war immer öfter erkĂ€ltet. Bin dann trotzdem ins BĂŒro gegangen, hab mich trotzdem reingeschleppt, hab dann fĂŒr die PrĂ€sentationen noch irgendwie ne Tablette geschluckt, dass ich mit dem Fieber zurechtkomme. Das ist dann so ein Prozess geworden, so dass ich mich fast jede Woche neu erkĂ€ltet hab. 

MusikzÀsur

O-Ton 3 GĂŒnter Menne (0‘11“): 

Wenn Menschen zu mir kommen, dann kommen sie aus zwei BeweggrĂŒnden. Eigentlich immer. Sie wollen irgendwo hin – zu oder sie wollen von – weg. Von etwas weg. 

Sprecherin: 

GĂŒnter Menne ist Coach. Er begleitet Menschen bei NeuanfĂ€ngen. Oft, so seine Erfahrung, meldet sich dieses BedĂŒrfnis in der Lebensmitte.

O-Ton 4 GĂŒnter Menne (0‘06“): 

Wo die große Frage im Raum steht fĂŒr viele: Was denn noch? Was ist noch möglich?

O-Ton 5 Petra Bock (0‘08“) 

Die Frage war: Möchte ich das bis zum Ende meines Lebens machen? Also bis zum Ende meines Berufslebens machen? Und dann kam sofort so ein: „Nee, um Gottes Willen. Das halt ich gar nicht aus!“

O-Ton 6 GĂŒnter Menne (0‘53“): 

Wenn Hesse in seinem Gedicht „Stufen“ von jedem Zauber spricht, der uns beschĂŒtzt bei allen NeuanfĂ€ngen, dann denke ich aus meiner Erfahrung, die ich auch als Coach gewonnen habe, dass dieser Zauber sich nur dann entfalten kann, wenn wir wirklich gegenwĂ€rtig bleiben bei den VerĂ€nderungen, die uns oft auch widerfahren. 

[[ Und um die Gelegenheit zur Aktualisierung, zur VerĂ€nderung in jeder neuen Erfahrung ĂŒberhaupt zu erkennen, mĂŒssen wir gegenwĂ€rtig sein.]]  Und zu spĂŒren: Passt die noch zu mir? [[ Und aus diesem GespĂŒr eine Kraft zu entwickeln, die wir oft als Druck oder auch als Sog erleben. Wobei dir VerĂ€nderung durch Sog in aller Regel leichter funktioniert als die VerĂ€nderung durch Druck.]]

Sprecherin: 

Petra Bock lag also mal wieder mit ihrer soundsovielten NasennebenhöhlenentzĂŒndung im Bett, als ihre Vision erschien: Das Bild von sich selbst, schreibend, mit dem Blick auf die Obstbaumwiese. 

Als hĂ€tte jemand ihrem Wunsch erahnt, klingelte plötzlich das Telefon. Ein alter Studienkollege, Programmchef eines Verlags, war auf der Suche nach einer neuen Autorin. Er hatte von ihrem steilen Aufstieg gehört. Ob sie vielleicht Lust hĂ€tte, ein Buch zu schreiben? Nach der ersten Freude machten sich schnell die Ängste breit.

O-Ton 7 Petra Bock (0‘16“)

Die eine Angst war, dass ich gar nicht gut genug schreiben kann, z.B. Denn ich hatte vorher nichts gerade Substanzielles geschrieben. Wusste ich ja nicht, ob ich das kann! Dann dachte ich mir auch: was machst du, wenn du irgendwie plötzlich siehst: Es ist alles MĂŒll, und der Verleger sagt „können wir ĂŒberhaupt nicht nehmen!“. Was machst du dann? Also, da hatte ich schon Angst davor, dass ich scheitern könnte. Auf jeden Fall.  

Sprecher: 

Das ist ganz oft der Punkt, an dem sich das anfangs sĂŒĂŸe und verheißungsvolle GefĂŒhl des Anfangszaubers wandelt: in nagende Zweifel und diffuse Ängste. Was ist, wenn es nicht klappt? Und wie stehe ich dann da?

O-Ton 8 Michael Schonnebeck (0‘28“): 

Wir alle haben sogenannte Ich-Ideale. Also wie wir im besten Falle funktionieren, zurechtkommen, kleine innere Visionen, was wir alles könnten und sollten und erreichen wollen, und wenn diese manchmal doch recht geheimen Visionen von einem selbst dann sich nicht erfĂŒllen, dann tut das sehr weh, weil das an der eigenen IdentitĂ€t, am eigenen Selbstbild so sehr kratzt. Oder es sogar zerbricht im schlimmsten oder im dramatischsten Fall. 

Sprecherin: 

Dr. Michael Schonnebeck ist Facharzt fĂŒr Psychiatrie und Psychotherapie und leitet eine Tagesklinik. Er sagt: Zweifel und VersagensĂ€ngste sind menschlich und gehören zu jedem Neubeginn, zu jeder Weiterentwicklung dazu. Mehr noch: Sie sind sogar hilfreich.

Sprecher: 

Das bestÀtigt auch eine Studie der UniversitÀt Hamburg aus dem Jahr 2018: TrÀume und Zukunftsfantasien sind hÀufiger zum Scheitern verurteilt, wenn sie rein durch die rosarote Brille betrachtet werden. Dann strengen sich Menschen weniger an. 

Erfolgreicher sind hingegen diejenigen, die Hindernisse und HĂŒrden im Vorfeld schon mal durchspielen. Forscher nennen das "mentales Kontrastieren". 

Sprecherin: 

FĂŒr Michael Schonnebeck kann ein Neustart nur dann gelingen, wenn ein möglicher Misserfolg theoretisch praktisch miteingeplant wird. Eine Erfolgsgarantie gibt es sowieso nie.

O-Ton 9 Michael Schonnebeck (0‘28“): 

Zum mutigen, abenteuerlichen, gewagten Leben gehört die Gefahr dazu, von der Bahn abzukommen, ins Straucheln zu geraten, abzustĂŒrzen, sich weh zu tun, und ich glaub, jeder muss entscheiden, wie sein Spielraum ist: eher schmaler oder eher etwas weiter, aber sich das zu erlauben, ist der Preis, die Eintrittskarte quasi fĂŒr ein etwas aufregenderes, selbsterfĂŒllenderes Leben.

Sprecherin: 

Coach GĂŒnter Menne kennt das Stadium des Zweifelns bei seinen Klientinnen und Klienten nur allzu gut. Oft ist es der Knackpunkt, der darĂŒber entscheidet, ob aus einem Neuanfangs-Plan auch ein tatsĂ€chlicher Neuanfang wird.

O-Ton 10 GĂŒnter Menne (0‘36“): 

NeuanfĂ€nge fallen manchen oder vielleicht auch vielen Menschen schwer, weil wir oft an GlaubenssĂ€tze – aus der Kindheit beispielsweise – gebunden sind. Da hat der Vater vielleicht zu seiner Tochter gesagt „Du hast kein Talent, mach was VernĂŒnftiges!“ und diesem Glaubenssatz ist die Tochter gefolgt und entdeckt vielleicht erst im Alter von 40 Jahren die Sehnsucht neu, und jetzt geht es in einem Coaching darum, die GlaubenssĂ€tze zu betrachten und umzuschreiben. 

O-Ton 11 Petra Bock (0‘27“)

Der erste Gedanke war: Hmmm, was denken die anderen von mir? Ich bin dann so innerlich meine Reihe von Freunden und Bekannten durchgegangen und hab gedacht was sagen die dazu – ich werde jetzt Schriftstellerin! Das war ein guter Ausleseprozess fĂŒr mich. Weil ich wusste: die oberflĂ€chlichen Nervbekanntschaften, die finden’s furchtbar, und die wollen nichts mehr mit mir zu tun haben (...) und andere wiederum, da wusste ich, die sagen: hey, Petra, endlich kommst du wieder zur Vernunft und machst deinen Weg, und es gab sehr viele, die mich unterstĂŒtzt haben dann.

MusikzÀsur

Sprecher: 

NeuanfÀnge gehören unweigerlich zum Leben dazu. Neuanfang, das bedeutet auch fast immer: Abschied von etwas Altem, Liebgewonnenem. Meistens gibt es zu jedem ersten Mal auch ein letztes Mal. 

Sprecherin: 

Der letzte Schultag – der erste Tag an der Uni.

Der letzte Tag als Junggesellin – der erste Tag als frisch Verheiratete. Der letzte Tag in der alten Firma - der erste in der neuen. 

Der letzte FrĂŒhlingstag, der erste Sommertag. 

Über Musik:

Sprecher: 

Der Sommer entfaltet sich wie ein strahlender Neuanfang. Alles erwacht zu neuem Leben: Blumen blĂŒhen in leuchtenden Farben, BĂ€ume tragen stolz ihr grĂŒnes BlĂ€tterdach, und Vögel singen um die Wette. Die Luft ist erfĂŒllt von einem GefĂŒhl der Möglichkeit und des Aufbruchs. Von der Sonne gekitzelt aufzuwachen, erzeugt gleich das GefĂŒhl. Heute geht was! Packen wir’s an!

Musik weg

Sprecher: 

So magisch es auch klingen mag: Keineswegs wohnt jedem Anfang ein Zauber inne! Krankheit, Tod, Verlust des Partners, des Arbeitsplatzes – all das sind Ereignisse, die Menschen zu NeuanfĂ€ngen zwingen. Und diese Neustarts sind keineswegs verheißungsvoll, hoffnungsvoll und inspirierend. Sie sind oft einfach nur bitter und schmerzhaft. 

Ggf. ĂŒber Musik

O-Ton 12 Petra van Laak (0‘16“): 

Als junge Frau hab ich davon getrĂ€umt, viele Kinder zu haben und eine gute Ehe zu fĂŒhren und mit meinem Partner alt zu werden und spĂ€ter dann auf die Enkelkinder auf dem Rasen spielend zu gucken und sich ĂŒber die Kinder auszutauschen – das war mein Ideal. Und das ist natĂŒrlich komplett zersprungen in tausend StĂŒcke.

 Sprecherin: 

RĂŒckblende. Petra van Laak, studierte Kunsthistorikerin; fĂŒhrte ein Leben an der Seite eines erfolgreichen GeschĂ€ftsmannes. 

Sie kĂŒmmerte sich um die gemeinsamen vier Kinder, hielt das große Haus am See in Schuss. Geld spielte keine Rolle. Es war einfach immer genug da. Bis herauskam, dass ihr Ehemann nicht halb so erfolgreich war, wie er vorgab. Er war hochverschuldet, hielt das aber lange geheim.

O-Ton 13 van Laak (0‘31“): 

Das passiert alles gleichzeitig. Das Haus kommt quasi untern Hammer, also die Zwangsversteigerung steht im Raum. Sachen werden gepfĂ€ndet, Strom wird abgestellt, Telefon wird abgestellt, kein Zugang mehr zum Konto.  Es gibt kein Bargeld mehr, man kommt an Bargeld nicht mehr heran, d.h. ich hab dann so Sachen gemacht wie alle Schubladen durchforstet, nach alten WĂ€hrungen, von frĂŒher, wenn wir gereist sind, dann hab ich die WĂ€hrungen zur Bank getragen und hab die erst mal eingelöst und umgewechselt, auch zu schlechten Kursen, um wieder Bares zu haben. Und um wieder einkaufen zu können. Bei Aldi, ein paar Nudeln.

Ggf. akustische ZĂ€sur

O-Ton 14 van Laak (0‘49“):  

Ich kam mir total exotisch vor, als ich noch in der Villa war und die RĂ€umungsklage am Hals hatte und mich das Amt fĂŒr Wohnraumsicherung – so heißt das – und Obdachlosenstelle oder so Ă€hnlich, forderte mich dann auf per Brief, mich bei denen zu melden, dass mir eine Bleibe zugewiesen werden kann. Und dann bin ich zu diesem Amt gestiefelt – hatte noch ein Auto mit ganz normalem Outfit, Aktenordern unterm Arm und gehe diesen langen Flur lang und links und rechts sitzen ist jetzt total klischeehaft – wirklich Punks, Penner, Junkies das ganze Chaos sitzt da, ich geh da durch, und die grĂŒĂŸen mich alle, weil die dachten: Da kommt die Sachbearbeiterin! Das war fĂŒr mich der Hammer! Dann grĂŒĂŸte ich freundlich zurĂŒck und setzte mich zwischen die auf die Bank. 

Sprecherin: 

So tauschte die einst reiche Gattin und Mutter von vier Kindern ihr Haus am See in eine dunkle, feuchte Sozialwohnung.

O-Ton 15 van Laak (0‘35“): 

Mir war schon klar, dass das ein grausamer Abstieg war. Dass das offensichtlich regelrecht wĂŒrdelos war, wie wir da gewohnt haben, ist mir an den GesichtsausdrĂŒcken klar geworden der MĂŒtter, die ihre Kinder vorher in die Villa gebracht haben, dann eben mit ihren großen Autos in eine andere Gegend fuhren und ihr Töchterchen zum Spielen abholten oder ablieferten und dann durch dieses Treppenhaus mit Katzenpipi im Flur usw. und mit abgerissenen Tapeten an den WĂ€nden, mit Modergeruch aus dem Keller, dann sah ich an deren Gesichtsausdruck: Oh ja, das muss schon ein krasser Gegensatz sein! 

Sprecherin: 

Ein Neuanfang ohne Zauber. Einfach nur eine knallharte Herausforderung, mit den VerĂ€nderungen irgendwie umzugehen. Trotzdem - oder gerade - weil die Fallhöhe so groß war, entwickelte Petra van Laak ungeahnte KrĂ€fte. Nie hĂ€tte sie gedacht, dass sie sich mal ĂŒber eine geschenkte Kiste voller Lebensmittel so freuen wĂŒrde. Oder dass sie durchaus in der Lage sein wĂŒrde, sich und ihre Kinder mit Telefon-DrĂŒckerjobs ĂŒber Wasser zu halten. 

Sprecher: 

Vielleicht ist das der Anfangs-Zauber, von dem Hesse in seinem Gedicht spricht, der uns beschĂŒtzt und uns hilft zu leben. 

Sprecherin: 

Neben aller HÀrte und Gnadenlosigkeit, die diese Situation mit sich brachte: Petra van Laak entwickelte in dieser Zeit auch ungeheuer viel Kraft, Mut und Optimismus. 

O-Ton 16 Peter Gross (0‘07“): 

Der Buddhismus sagt: Bereite dich sozusagen darauf vor, dass nichts Bestand hat. Nichts bleibt gleich. Alles wandelt sich.

Sprecherin: 

Peter Gross ist Psychotherapeut und Buddhist. Er stellt fest, dass sich Menschen mit NeuanfÀngen oft deshalb sehr schwertun, weil sie sich vom Alten nicht gut trennen können.

Sprecherin: 

Ein großes Problem bei NeuanfĂ€ngen, so Peter Gross, lĂ€ge darin, was im Buddhismus „Anhaftung“ genannt wird:

O-Ton 17 Peter Gross (0‘26“): 

Eine Lehre des Buddhismus ist: Nicht an VergĂ€nglichem festzuhalten. Was zugegebenermaßen ein ziemlicher Lernprozess ist. Also erst mal die VergĂ€nglichkeit anzuerkennen: dass es so ist und dass es da keine Ausnahmen gibt. Und zweitens: dass dieses Festhalten am VergĂ€nglichen, dass das die Ursache des Leidens ist. 

Sprecher: 

Eine Studie der UniversitĂ€t New York und der UniversitĂ€t Hamburg kam 2020 zu dem Ergebnis, dass ein guter und zufriedener Abschied mit dem Lebensabschnitt davor entscheidend fĂŒr einen erfolgreichen Neuanfang ist.

Und auch Hermann Hesse spricht davon, dass das Herz bei jedem Lebensruf bereit sein mĂŒsse zum Neubeginn – und zwar ohne zu trauern. Ein Gedanke, der besonders bei schmerzhaften Verlusten ein wenig fremd anmuten mag. 

Über Musik

Sprecher: 

Im Herbst wechselten die Farben. Das satte GrĂŒn der BlĂ€tter verwandelt sich in ein Kaleidoskop aus Rot, Orange und Gelb. Es wird allmĂ€hlich kĂŒhler und dunkler, die NĂ€chte lĂ€nger. Zeit der Reflexion, die vorher nicht zur heiteren Stimmung der langen hellen SommernĂ€chte passte. Auch der Herbst ist ein Neuanfang, eine Zeit des Wandels und die Vorbereitung auf die kommende Ruhe des Winters.

Musik weg

Sprecher: 

Alles ist stets im Fluss. Klingt nach Kalenderspruch, ist aber ein Gesetz des Lebens. Eins, gegen das sich Menschen manchmal mit aller Macht stemmen. Aus Angst vor Weiterentwicklung verharren sie dort, wo es ihnen schon lange nicht mehr gut geht: in lieblosen Beziehungen, frustrierenden ArbeitsverhÀltnissen, leeren Freundschaften. Sie horten hunderte von GegenstÀnden, die sie gar nicht brauchen. Einfach weil sie es nicht schaffen, sich davon zu trennen. 

Sprecherin: 

FĂŒr Hirnforscher Dr. Gerald HĂŒther liegt ein Grund dafĂŒr in der Art, wie unser Gehirn konzipiert ist. 

O-Ton 18 Gerald HĂŒther (0‘43“): 

Wir sind ja alle ziemlich bequeme Menschen, und das Hirn ist ein Energiesparorgan. Immer dann, wenn dich das Hirn anstrengen muss, wenn man noch mal denken muss oder gar wenn man was verĂ€ndern muss, wird’s furchtbar energieaufwendig. Wenn man sich einmal im Leben mit bestimmten Verhaltensmustern eingerichtet hat, dann ist das ne Katastrophe, wenn man plötzlich anders denken soll. Und wenn man anders handeln soll. Das macht keiner gern. Weil das Angst macht. Sie fĂŒhlen sich in dem alten Denken, in den alten RĂ€umen, in denen Sie sind, da fĂŒhlen Sie sich total wohl, und jetzt sollen Sie raus in die Welt und etwas grundsĂ€tzlich Neues probieren: Da wissen Sie gar nicht, wie Sie das alles einordnen sollen!

Sprecher: 

Der Aufbruch fĂ€llt - je nach Persönlichkeit - dem einen leichter und der anderen schwerer. Neugier, Mut und ein gewisser AnfĂ€ngergeist sind hierfĂŒr gute Voraussetzungen. 

Sprecherin: 

Gerald HĂŒther sagt: NeuanfĂ€nge sind jederzeit möglich - wenn das Herz die Richtung vorgibt. Wenn sich also ein 85jĂ€hriger in eine Chinesin verliebt, sei er durchaus noch in der Lage, chinesisch zu lernen!

O-Ton 19 Gerald HĂŒther (0‘11“): 

Wenn es einem unter die Haut geht. Also wenn es wirklich wichtig ist. Dann werden im Hirn die so genannten emotionalen Zentren aktiviert, und dann macht man sich auch auf den Weg!

GerĂ€usch 1: 18‘30“ Kommt, poltert, bringt Jagdhorn, blĂ€st

Sprecherin: 

Auch Coach GĂŒnter Menne wagte einen Neustart. Der Magic Moment ereignete sich an seinem 57. Geburtstag. 

O-Ton 20 GĂŒnter Menne (0‘16“): 

Ein paar Freunde waren zum Essen eingeladen, und da oben auf dem Schrank im Esszimmer, da lag seit Jahrzehnten ein kleines Jagdhorn. Ein Geschenk meines Vaters an mich im Alter von sieben Jahren, ja, und dann lag’s rum. 50 Jahre lang. 

GerÀusch 2:  Horn

O-Ton 21 GĂŒnter Menne (0‘30“): 

Und wie zum Jux nahm ich dann dieses kleine Jagdhorn aus Kindertagen in die Hand, traut auf die Terrasse, und tatsĂ€chlich kam da ein Ton und auch ein zweiter, und diese zwei, drei Töne, die ich dann in dieser Nacht auf der Terrasse hinausblies, die haben eine solche magische Wirkung auf mich gehabt, dass ich am anderen Tag nach meinem Geburtstag nur diesen einen Wunsch in mir spĂŒrte: Ich möchte Horn lernen. Mit 57 Jahren. 

Sprecherin: 

Es war ein freiwilliger Neustart. Ohne Not, ohne vorherigen Abschied. Also die Luxusvariante eines Neubeginns. Einfach so aus einem Entdeckergeist heraus, der Lust zu experimentieren.

O-Ton 22 GĂŒnter Menne (0‘19“): 

Der Klang war fĂŒr mich reine Magie. Und damit verbunden der heiße Wunsch, das auch können zu wollen. Man stelle sich vor: Dieses vielleicht schwierigste aller Instrumente zu erlernen und hoffentlich eines Tages ganz schön spielen zu können. 

Sprecherin: 

Nach Jahren des intensiven Übens und unzĂ€hliger Unterrichtsstunden ist der Coach heute so weit, dass er sagt: Ich bin zufrieden!

 Sprecher: 

Vielleicht liegt darin das Geheimnis, gut mit dem Wandel des Lebens umzugehen: Sich einfach immer mal wieder im Kleinen etwas Neues zu trauen. Dort, wo es um nichts geht. Unwissend, ob es klappt. Das Scheitern einkalkulierend. Das trainiert vielleicht fĂŒr den großen Wandel. 

MusikzÀsur

Sprecher: 

NeuanfĂ€nge bieten große Chancen fĂŒr persönliches Wachstum und die Verwirklichung von TrĂ€umen und Zielen. Auch Hermann Hesse spricht in seinem Gedicht vom Weltgeist, der uns Stufe um Stufe heben und weiten will. 

In jedem Fall aber erfordern NeuanfĂ€nge meist Durchhaltekraft und Resilienz, um RĂŒckschlĂ€ge zu ĂŒberwinden. Nicht selten wachsen Menschen ĂŒber sich heraus, wenn sie aufstehen und ihr Krönchen neu richten mĂŒssen. 

Sprecherin: 

Petra van Laak, die einst reiche Unternehmergattin, wagte irgendwann den Sprung in die SelbstÀndigkeit. Heute ist sie Chefin einer Kommunikationsagentur und wurde zur Unternehmerin des Jahres des Landes Brandenburg ernannt. Ohne den unfreiwilligen Neustart wÀre das wahrscheinlich nie so gekommen. 

O-Ton 23 Petra van Laak (0‘22“): 

Ich hatte so ne innere Freiheit, ne innere UnabhĂ€ngigkeit, ich war frĂŒher in einer viel abhĂ€ngigeren Situation, die mir vielleicht auch gar nicht in meinem Wesen entsprochen hat, und im Grunde war dieser Zusammenbruch dieser bĂŒrgerlichen Existenz auch eine Katharsis. Eine Möglichkeit, Dinge abzustreifen und vielleicht auch gereinigt aus so was hervorzugehen.

Sprecherin: 

Auch fĂŒr die frĂŒhere Finanzanalystin Petra Bock hat der Neustart die entscheidende Wende gebracht: Mittlerweile hat sie einige BĂŒcher geschrieben und coacht unter anderem Menschen auf dem Weg in ihre Berufung. 

O-Ton 24 Petra Bock (0‘21“): 

Damit macht mein Leben irgendwo Sinn. Und meine Talente, da hatte ich immer so ein GefĂŒhl: die hab ich nicht umsonst mitbekommen. Ich bin kein glĂ€ubiger Mensch im klassischen Sinne, aber so ein GefĂŒhl fĂŒr spirituelle Verbundenheit zu etwas GrĂ¶ĂŸerem habe ich auf jeden Fall. Und so hab ich das empfunden. Ich dachte: ja, das könnte was sein, wofĂŒr ich vielleicht auch mit auf die Welt gekommen bin. Das war ein sehr tiefes und dankbares GefĂŒhl.

Musik, dann darĂŒber:

Sprecher: 

Die Winterlandschaft verwandelt sich ĂŒber Nacht in ein zauberhaftes Wunderland aus glitzerndem Schnee. BĂ€ume tragen frostige Kronen, wĂ€hrend der Atem der Natur in der kalten Luft sichtbar wird. Die Natur ruht in einem tiefen Schlaf, bereit, sich fĂŒr einen neuen Zyklus vorzubereiten. Menschen nutzten die Stille und die Einsamkeit, um ĂŒber Vergangenes nachzudenken und neue PlĂ€ne zu schmieden. Der Winter ist mehr als nur eine kalte Jahreszeit – er symbolisierte Hoffnung, Reinigung und die Möglichkeit fĂŒr einen frischen Start.