Mit Reformen statt mit Revolution wollte die SPD im Königreich Bayern eine demokratische Gesellschaft durchsetzen. Der Erste Weltkrieg fĂŒhrte zur ZerreiĂprobe. Von Renate Eichmeier
Mit Reformen statt mit Revolution wollte die SPD im Königreich Bayern eine demokratische Gesellschaft durchsetzen. Der Erste Weltkrieg fĂŒhrte zur ZerreiĂprobe. Von Renate Eichmeier
Credits
Autorin dieser Folge: Renate Eichmeier
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Christian Baumann, Peter WeiĂ
Technik: Matthieu Belohradsky
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Prof. Dr. Marita Krauss, Professorin i. R.
EuropÀische Regionalgeschichte UniversitÀt Augsburg
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATOR:Â
Die Bayrische Republik wird hierdurch proklamiert. Die oberste Behörde ist der von der Bevölkerung gewĂ€hlte Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat, der provisorisch eingesetzt ist, bis eine endgĂŒltige Volksvertretung geschaffen werden wird. (âŠ) Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!
ERZĂHLERIN:
Rote Plakate informierten am Morgen des 8. November 1918 die Menschen in MĂŒnchen, dass ĂŒber Nacht die Monarchie abgeschafft worden war und sie ab sofort in einer Republik lebten. Am Tag vorher hatte eine Gruppe von RevolutionĂ€ren um Kurt Eisner, den fĂŒhrenden Kopf der sozialdemokratischen Linken, den Landtag besetzt und das Ende der Wittelsbacher Herrschaft erklĂ€rt. Es war die Geburtsstunde des Freistaates Bayern. Innerhalb von gut zweieinhalb Jahrzehnten hatte sich die bayerische SPD von der neugegrĂŒndeten Partei der Arbeiterbewegung zur Wegbereiterin eines demokratischen Bayern entwickelt.
O1 KRAUSS:Â
Die SPD ist im 19. Jahrhundert entstanden, eigentlich aus dem groĂen BedĂŒrfnis heraus, die arbeitenden Klassen in irgendeiner Form einzubinden in Politikprozesse, sie rauszuholen aus dem Bereich der Wohlfahrt, mit reinzunehmen in Politikgestaltung.
MUSIK:Â Detailed look (reduced) 0â22
ERZĂHLER:Â
Industrielle Revolution und demokratische Ideen bereiteten im 19. Jahrhundert den Boden fĂŒr die Moderne. Die Industrialisierung sorgte fĂŒr radikale UmbrĂŒche und eine neue gesellschaftliche Schicht: Massen von Arbeitern und Arbeiterinnen, die sich zu organisieren begannen und nach politischer Teilhabe strebten. Die Arbeiterbewegung formierte sich auch im Königreich Bayern als soziale und politische Kraft, aus der schlieĂlich die SPD als Partei hervorging. Die Historikerin Marita Krauss war bis zu ihrer Emeritierung Professorin fĂŒr EuropĂ€ische Regionalgeschichte an der UniversitĂ€t Augsburg und hat sich intensiv mit der Geschichte der bayerischen SPD beschĂ€ftigt.
O2 KRAUSS:Â
Da entstanden eben zunĂ€chst Arbeitervereine, die sich um Belange der Arbeiter gekĂŒmmert haben, und es entstanden dann aber auch natĂŒrlich die ersten Gewerkschaften, und diese ganzen BemĂŒhungen stehen im Kontext dieser ersten groĂen sozialen Bewegungen, die eben auch vor allem dann die zweite JahrhunderthĂ€lfte geprĂ€gt haben. Wir haben Arbeiterbewegung, dann Frauenbewegung, Friedensbewegung, alles das ist bereits in der zweiten JahrhunderthĂ€lfte des Neunzehnten Jahrhunderts da, natĂŒrlich auch die Lebensreform, und zusammen mit diesen Bewegungen ist auch der Erfolg der SPD natĂŒrlich zu sehen.
ERZĂHLERIN:
Staatlicherseits wurde der wachsende Einfluss der Arbeiterbewegung mit Misstrauen beobachtet. 1878 setzte Otto von Bismarck die sogenannten "Sozialistengesetze" durch. Sie dienten auch in der bayerischen Monarchie der staatlichen Sozialistenverfolgung.Â
Musik: In der Finsternis 0â34
ERZĂHLER:.Â
Diese Gesetze richteten sich gegen âÂ
ZITATOR:
die gemeingefÀhrlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie
ERZĂHLER:
â und boten dem Staat die Möglichkeit, sozialistische Parteien, Versammlungen und Zeitungen zu verbieten.Â
ERZĂHLERIN:
Zwölf Jahre waren die Sozialistengesetze in Kraft. In dieser Zeit wurden Tausende von Menschen verhaftet oder in die Emigration getrieben. Nach der Entlassung Bismarcks wurden 1890 die Sozialistengesetze schlieĂlich aufgehoben. Die hatten ohnehin wenig gebracht. Denn trotz der Repressionen war der Einfluss der Sozialdemokratie gestiegen â reichsweit und auch im Königreich Bayern. Der kaiserliche Kurswechsel wurde in der Parteizentrale in Berlin anders aufgenommen als bei den bayerischen Sozialdemokraten. Im Juni 1891 hielt der Parteivorsitzende Georg von Vollmar im MĂŒnchner Lokal "El Dorado" zwei Reden, mit denen er sich zum Ende der Sozialistengesetze und zum Kurswechsel der kaiserlichen Regierung positionierte und fĂŒr eine Zusammenarbeit mit den herrschenden Kreisen eintrat.Â
O3a KRAUSS:Â
FĂŒr Bayern ist dabei sehr spannend, dass die bayerische SPD sich vor allem im SĂŒden Bayerns sehr stark an einem reformistischen Konzept orientiert hat, das gesagt hat, wir wollen nicht die bestehende Gesellschaftsordnung umwĂ€lzen, sondern wir wollen innerhalb der Gesellschaft Reformen voranbringen.Â
ERZĂHLER:
Die bayerische SPD war kompromissbereiter als die Parteizentrale in Berlin. Sie stand â
O3b KRAUSS:Â
immer im scharfen Gegensatz zu dem mehr zentralistischen und auch sehr viel stÀrker revolutionsorientierten Zweig der SPD, die jetzt also das Reich auch dominierte. Wir haben da Namen wie eben dann Bebel und andere, die eben dann im Reich eine sehr stark auf Revolution auch noch ausgerichtete Politik voranbrachten.
 ERZĂHLERIN:
Diese kritisierten die Politik ihrer bayerischen Genossen als "kleinbĂŒrgerlichen Reformismus", was die Bayern aber nicht daran hinderte, ihren eigenen Weg zu gehen. Der erste Landesparteitag der bayerischen Sozialdemokraten fand 1892 in Reinhausen statt, einem damals kleinen Vorort von Regensburg. Dieser Parteitag gilt als GrĂŒndungsdatum der bayerischen SPD. Siebzig Delegierte nahmen teil, darunter auch Georg von Vollmar. Sie stellten Kandidaten fĂŒr die bevorstehenden Landtagswahlen auf und verabschiedeten ein Wahlprogramm, dessen Forderungen im GroĂen und Ganzen die nĂ€chsten zwei Jahrzehnte bestehen blieben.Â
Musik: Still waiting red 0â35
ERZĂHLER:
Die wichtigste Forderung war die EinfĂŒhrung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts fĂŒr MĂ€nner und Frauen. Bislang galt nĂ€mlich, dass Frauen nicht wĂ€hlen durften, sondern nur MĂ€nner, die Steuern bezahlten. Die Wahl erfolgte indirekt, das heiĂt die Wahlberechtigten wĂ€hlten WahlmĂ€nner, die dann ihrerseits die Abgeordneten wĂ€hlten. Und die Wahl war nicht geheim, sondern der Wahlzettel wurde unterschrieben und offen abgegeben.
AuĂerdem forderten die Sozialdemokraten: mehr Rechte fĂŒr das Parlament und fĂŒr die kommunale Selbstverwaltung, Trennung von Staat und Kirche, Reformen im Schulwesen und bei den Arbeiterversicherungen âŠ
ERZĂHLERIN:Â Â
Ein Jahr nach dem ersten Landesparteitag gewannen die Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen 1893 fĂŒnf Mandate. Der Landtag bestand damals aus zwei rechtlich gleichgestellten Kammern: der Kammer der ReichsrĂ€te, in der adelige und geistliche WĂŒrdentrĂ€ger saĂen, die per Verfassung bestimmt oder vom König berufen waren. Und es gab die Kammer der Abgeordneten, die von den Wahlberechtigten gewĂ€hlt wurde. Die stĂ€rkste Kraft dort war die katholisch orientierte Bayerische Zentrumspartei. Unter ihren Abgeordneten fanden sich katholische Geistliche. Sie vertrat in erster Linie die Interessen der mittelstĂ€ndischen Bevölkerung und machte sich fĂŒr den politischen Katholizismus stark, den kirchlichen Einfluss in der Politik. Ihr Gegenspieler waren die Liberalen, die den kirchlichen Einfluss zurĂŒckdrĂ€ngen und eine Trennung von Staat und Kirche wollten â ebenso wie die SPD und der Bayerische Bauernbund, die beide 1893 erstmals in den Landtag einzogen. Der Bauernbund war antiklerikal und sah sich als Verfechter kleinbĂ€uerlicher Interessen. Und die SPD war die erste Partei, die sich als Interessensvertreterin der Massen von Arbeitern und Arbeiterinnen verstand. Mit den ersten fĂŒnf Landtagsmandaten begann der Aufstieg der SPD zu einer politischen Kraft im Königreich Bayern.
Musik:Â Aufbruch 0â23
ERZĂHLER:
In diesen Jahren stand Prinzregent Luitpold fĂŒr seinen psychisch kranken Neffen Otto II. an der Spitze der bayerischen Monarchie. Nach seinem Tod machte es eine VerfassungsĂ€nderung möglich, dass ab 1913 sein Sohn als König Ludwig III. regieren konnte. Bayern war eine konstitutionelle Monarchie, das heiĂt die Macht des Monarchen wurde verfassungsmĂ€Ăig definiert. Zwar stand der König beziehungsweise der Prinzregent als sein Stellvertreter ĂŒber allen. Er alleine bestimmte die Regierung, also den MinisterprĂ€sidenten und das Kabinett â unabhĂ€ngig vom Landtag, den einzuberufen und aufzulösen er berechtigt war. Aber auch der bayerische Landtag hatte Rechte, etwa die PrĂŒfung des Staatshaushaltes und die Bewilligung der Steuern. Und diese Rechte nutzte die SPD, um ihre politischen und sozialen Reformen voranzutreiben. Ein groĂer Schritt war die Wahlrechtsreform von 1906, die sie gemeinsam mit dem Zentrum durchsetzte.Â
ERZĂHLERIN:
Die Landtagswahl wurde nun als direkte Mehrheitswahl durchgefĂŒhrt. Das heiĂt: Die WahlmĂ€nner wurden abgeschafft, die Abgeordneten direkt und auch geheim gewĂ€hlt. Der Kandidat mit den meisten Stimmen in seinem Wahlkreis durfte in den Landtag. Allerdings blieb das Wahlrecht auf steuerzahlende MĂ€nner ab 25 Jahren beschrĂ€nkt.
ERZĂHLER:
Ein weiteres Problem, das den Sozialdemokraten unter den NĂ€geln brannte, war die Absicherung der Arbeiterschaft, so die Historikerin Marita Krauss.
O5 KRAUSS:Â
Die Idee war, ĂŒber Tarif-Reformen es zu schaffen, dass die Arbeiter eine andere Form der Sicherheit hatten in Bezug auf Lohn, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, auch in Bezug auf erste Formen von Urlaub, von gesichertem Urlaub.
ERZĂHLERIN:
Viele Unternehmen zeigten sich offen fĂŒr den Vorschlag, ArbeitsverhĂ€ltnisse tariflich zu ordnen. Bis 1907 waren etwa 75 Prozent der bayerischen Arbeiterschaft im gewerblichen Bereich mittels TarifvertrĂ€gen abgesichert.Â
BezĂŒglich der Rechte der Frauen gab es vorerst keine wegweisenden Verbesserungen. FĂŒr die Sozialdemokraten, so die Historikerin Maria Krauss, war das Thema Frauenrechte eher schwierig.
O6 KRAUSS:
Das war eben doch eine kleinbĂŒrgerliche Partei, die sehr wohl dachte, dass die Frauen bestimmten Rollen folgen. Andererseits gab es ganz groĂartige Einzelpersönlichkeiten. Also wir haben natĂŒrlich auf der Reichsebene Clara Zetkin und solche VorkĂ€mpferinnen der Frauenbewegung. In MĂŒnchen ist es zum Beispiel Dr. Hope Bridges Adams Lehmann, eine sozialdemokratische Ărztin englischer Herkunft, die sehr intensiv vor allem im Gesundheitsbereich die Politik der SPD mitgeprĂ€gt hat.Â
Musik:Â War is coming 0â38
ZITATOR:Â
Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die euch in Frieden knechten, verachten, ausnutzen, wollen euch als Kanonenfutter missbrauchen. Ăberall muss den Machthabern in den Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Es lebe die internationale VölkerverbrĂŒderung!
ERZĂHLER:
So der Berliner Parteivorstand der SPD am 25. Juli 1914 in der Parteizeitung "VorwĂ€rts". Etwa einen Monat vorher waren der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajewo erschossen worden. Krieg lag in der Luft. Hunderttausende folgten dem sozialdemokratischen Aufruf und kamen zu Friedenskundgebungen in zahlreichen deutschen StĂ€dten â auch in MĂŒnchen.Â
Musik:Â Political efforts red 0â23
Nur ein paar Tage spĂ€ter verkĂŒndeten Kaiser Wilhelm II. in Berlin und König Ludwig III. in MĂŒnchen die Mobilmachung â und brachten auch die Sozialdemokraten sehr schnell auf Kriegskurs.Â
ZITATOR:
Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dĂŒnn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die VorstĂ€nde der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.
ERZĂHLERIN:Â
Diese berĂŒhmten Worte stammen aus einer Rede, die Wilhelm II. am 4. August 1914 im Reichstag hielt. Mit der Beschwörung der nationalen Einheit wollte er die Sozialdemokraten auf Linie bringen â und schaffte das auch. Die SPD stellte die stĂ€rkste Reichstagsfraktion. Und die kaiserliche Regierung brauchte den Reichstag fĂŒr die Bewilligung der Kredite, mit denen der Krieg finanziert werden sollte. Und tatsĂ€chlich stimmte die SPD an diesem 4. August fĂŒr die Kriegskredite. Sogar Karl Liebknecht vom linken FlĂŒgel ordnete sich der Parteidisziplin unter.Â
ERZĂHLER:
Wie kam es zu dieser Kehrtwende der SPD innerhalb weniger Tage?
ERZĂHLERIN:Â
Der Aufruf zu den Friedensdemonstrationen kam aus den links-intellektuellen FĂŒhrungskreisen der Sozialdemokraten. In der Reichstagsfraktion der SPD waren aber auch viele GewerkschaftsfunktionĂ€re, die praktische politische Arbeit leisteten wie das Aushandeln von TarifvertrĂ€gen, sich nicht prinzipiell in weltanschaulicher Gegnerschaft zum Wilhelminismus sahen, sondern die konkreten Interessen der Arbeiterschaft im Blick hatten â auch wenn damit eine UnterstĂŒtzung der deutschen GroĂmachtpolitik verbunden war.Â
ERZĂHLER:
So wurden zum Beispiel Flottenbau und Kolonialpolitik unter dem Aspekt der Schaffung von ArbeitsplĂ€tzen gesehen.Â
Musik: Foreboding of war 0â43
ERZĂHLERIN:Â
Dass dann die gesamte Reichstagsfraktion der SPD geschlossen fĂŒr die Kriegskredite stimmte, hatte mit der Wirksamkeit der kaiserlichen Propaganda zu tun, wonach das russische Zarenreich der Kriegstreiber war, der Krieg ergo ein Angriffskrieg, gegen den sich das Deutsche Kaiserreich verteidigen musste. Nun wollten die Sozialdemokraten keinesfalls als national unzuverlĂ€ssig gelten, als sogenannte "LandesverrĂ€ter", die einen Verteidigungskrieg boykottierten. Zudem stieĂ die Version vom russischen Aggressor auf offenen Ohren innerhalb der SPD. Denn dort waren antizaristische Ressentiments weit verbreitet. Â
ERZĂHLER:
Schon im Vorfeld des Krieges hatte der MĂŒnchner Journalist und SPD-Politiker Kurt Eisner in einer Rede dem russischen Zarenreich die Kriegsschuld zugeschoben â ganz im Sinne der kaiserlichen Regierungspropaganda. Eisner bezeichnete Russland als "Kriegsfurie", forderte, dass der Zarismus gebĂ€ndigt werden mĂŒsse, wolle man den Frieden in Europa erhalten. Seine antizaristische Haltung war typisch fĂŒr die Sozialdemokraten, die im russischen Zarenreich ein Ăberbleibsel des Absolutismus sahen: rĂŒckstĂ€ndig, despotisch, reaktionĂ€r.Â
MUSIK:Â Constant fear 0â39
ERZĂHLERIN:
Nicht nur Kurt Eisner, sondern die bayerische SPD insgesamt sprach sich fĂŒr den Kurs der Berliner Reichstagsfraktion aus, also fĂŒr die Bewilligung der Kriegskredite â auf Reichsebene. In Bayern dagegen stellten sie sich quer, wo auch Ludwig III. noch Geld brauchte fĂŒr den Krieg. Der Landtag in MĂŒnchen bewilligte eine zusĂ€tzliche Kreditaufnahme. Allerdings ohne die Stimmen der SPD. Die war nĂ€mlich wegen anderer Fragen gerade in erbitterte Streitigkeiten mit der bayerischen Regierung verwickelt â betonte aber ihre vaterlĂ€ndische Gesinnung und ihre Bereitschaft zu kĂ€mpfen.
ZITATOR:Â
Jetzt wird stramm exerziert und die alten Soldatentugenden wieder geweckt. Lieber Vollmar! Dessen dĂŒrfen Sie sicher sein; wohin wir auch kommen, meine Pflichten erfĂŒlle ich. Dieser Dienst wird der Partei und dem Vaterlande mit Freuden erwiesen.
ERZĂHLER:
Schrieb Erhard Auer, spĂ€ter erster sozialdemokratischer Innenminister Bayerns, an den SPD-Vorsitzenden Georg von Vollmar. Doch die nationale Euphorie erlosch schnell im ganzen Reich und ebenso schnell bröckelte die nationale Einheit. Bereits im Dezember verweigerte Karl Liebknecht im Reichstag seine Zustimmung fĂŒr weitere Kriegskredite. Und auch Kurt Eisner rĂŒckte in MĂŒnchen von seiner anfĂ€nglichen UnterstĂŒtzung des Kriegskurses ab.Â
ERZĂHLERIN:
FĂŒr ihn war wie fĂŒr den gesamten linken FlĂŒgel der SPD jetzt klar: Der Krieg diente nicht der Verteidigung, sondern der Eroberung und musste so schnell wie möglich beendet werden.Â
Musik: Wake keeping- 0â37
ERZĂHLER:
Die Mehrheit der Sozialdemokraten blieb allerdings auf monarchischem Kriegskurs. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei, die 1917 zur Spaltung fĂŒhrten. Der linke FlĂŒgel grĂŒndete die UnabhĂ€ngige Sozialdemokratische Partei, kurz USPD, die sich in MĂŒnchen zu einem Sammelbecken fĂŒr revolutionĂ€re KrĂ€fte entwickelte. Die hungernde Bevölkerung wollte Frieden â und zeigte das im Januar 1918 mit reichsweiten Massenstreiks. In MĂŒnchen nahm Kurt Eisner eine fĂŒhrende Rolle in der USPD ein, hielt Anti-Kriegsreden, war maĂgeblich an der Organisation eines Streiks von Munitionsarbeitern beteiligt und wanderte dafĂŒr ins GefĂ€ngnis. WĂ€hrenddessen versuchten Mitglieder der weiterhin regierungskonformen MSPD, der Mehrheitssozialdemokratischen Partei, eine Verfassungsreform im Landtag durchzusetzen.
O7 KRAUSS:
Das ist der berĂŒhmte Auer-SĂŒĂheim-Antrag. Auer ist Erhard Auer, der dann 1918 den Vollmar ablöst als FĂŒhrer der bayerischen Sozialdemokratie, eigentlich ein groĂer Reform-Antrag, der die konstitutionelle bayerische Monarchie in eine parlamentarische Monarchie verwandelt hĂ€tte, verĂ€ndert hĂ€tte. Und der König hat aber gezögert, und es wurde alles eben im Grunde genommen immer wieder vertagt. Und das war noch auf der Landtags-Tagesordnung gestanden Anfang November. Aber da war es dann zu spĂ€t.Â
Musik: Dark wood 0â50
ERZĂHLERIN:
Nach seiner Haftentlassung im Oktober 1918 nahm Kurt Eisner seine agitatorische RednertĂ€tigkeit wieder auf â vor Massen von kriegs- und monarchie-mĂŒden Menschen. AuĂerdem besuchte er die BrĂŒder Gandorfer in Niederbayern, um die Landbevölkerung in den revolutionĂ€ren Prozess einzubinden. Karl Gandorfer war fĂŒhrender Kopf des linken FlĂŒgels des Bauernbundes, und sein blinder Bruder Ludwig Mitglied der USPD. Letzterer war mit Kurt Eisner am 7. November auf der Theresienwiese, wo sich Zehntausende zu Friedenskundgebungen versammelt hatten. Auch die MSPD unter Erhard Auer war vor Ort, beendete aber die Kundgebung vorschriftsmĂ€Ăig. Die Gruppe um Kurt Eisner und Ludwig Gandorfer dagegen beschloss spontan, zu den Kasernen zu marschieren. Dazu Marita Krauss:
O8 KRAUSS:
Und in den Kasernen waren die vielen unzufriedenen Soldaten in der Heimat, die eben eh schon dachten, jetzt muss der Krieg unbedingt aus sein, und die sich dann diesen RevolutionĂ€ren anschlossen. Und so fand dann eben eine unblutige Revolution statt. Der König floh aus MĂŒnchen. Und am nĂ€chsten Tag wachten die Bayern auf, und es gab eine neue Regierung.
ERZĂHLER:Â
Provisorischer MinisterprĂ€sident war Kurt Eisner. Bei der Zusammensetzung seines Kabinetts musste er â auch mangels politisch versierter MĂ€nner in der USPD â mehrheitlich Politiker der MSPD zulassen. Erhard Auer bekam das Innenministerium.Â
ERZĂHLERIN:
Zwischen Kurt Eisner, der USPD, insgesamt der revolutionĂ€ren Linken und den Mehrheitssozialdemokraten um Erhard Auer gab es ideologische Unstimmigkeiten. WĂ€hrend die Linken ein basisdemokratisches RĂ€tesystem favorisierten, wollte die MSPD eine parlamentarische Demokratie.Â
ERZĂHLER:
Innerhalb kurzer Zeit fĂŒhrte die Regierung Eisner die Arbeitslosenversicherung ein, den Achtstundentag und das Frauenwahlrecht. Die ersten demokratischen Wahlen in Bayern fanden im Januar 1919 statt â und endeten mit einem Wahlsieg der MSPD.Â
Musik:Schicksal 0â42
FĂŒr die USPD war die Niederlage desaströs. Als Eisner seinen RĂŒcktritt bekanntgeben wollte, wurde er auf dem Weg in den Landtag von einem Rechtsextremisten erschossen. Die junge bayerische Republik stĂŒrzte in eine tiefe Krise: Der Landtag wĂ€hlte den MSPD-Politiker Johannes Hoffmann zum MinisterprĂ€sidenten, doch die Linken riefen in MĂŒnchen die RĂ€terepublik aus. Daraufhin floh Hoffmann mit seiner Regierung nach Bamberg. SchlieĂlich schlugen rechte Freikorps und Reichswehreinheiten die MĂŒnchner RĂ€terepublik blutig nieder. Das politische Klima kippte nach rechts.
O9 KRAUSS:Â
Unter dem Gustav von Kahr, der dann den Johannes Hoffmann nach dem Kapp-Putsch beerbt, haben wir eben diese Ordnungszelle Bayern, die sich dann grĂŒndet, die eben alles, was links und jĂŒdisch ist, eben verteufelt.Â
ERZĂHLERIN:
Als RevolutionĂ€re und GrĂŒnder der Bayerischen Republik hatten die Sozialdemokraten in den folgenden Jahren der Weimarer Republik einen schweren Stand gegen die immer stĂ€rker werdenden rechtsextremen KrĂ€fte.Â
Musik: Dark operation 0â28
Nach der MachtĂŒbernahme durch die Nationalsozialisten wurden SPD-Mitglieder politisch verfolgt, viele in KZs ermordet â wenn sie es nicht ins Exil schafften, wie etwa der Jurist Wilhelm Hoegner, der nach dem Zweiten Weltkrieg dann Bayerischer MinisterprĂ€sident wurde.