radioWissen - Bayern 2   /     Verhandeln - Rhetorik, Macht und Nervenkrieg

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Gut verhandelt? Die Frage entscheidet ĂŒber den persönlichen Kontostand und ĂŒber die Aussichten einer Nation. Denn verhandelt wird ĂŒber alles und ĂŒberall: in Juristerei, Wirtschaft, Politik, auf FlohmĂ€rkten und Jobbörsen. Wie gelingt die Verhandlung und wie Ă€ndert sich historisch ihr Handwerkszeug? Autorin: Marie Schoeß

Subtitle
Duration
00:22:14
Publishing date
2024-04-10 03:30
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/verhandeln-rhetorik-macht-und-nervenkrieg/2092069
Contributors
  Marie Schoeß
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2092069/c/feed/verhandeln-rhetorik-macht-und-nervenkrieg.mp3
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Shownotes

Gut verhandelt? Die Frage entscheidet ĂŒber den persönlichen Kontostand und ĂŒber die Aussichten einer Nation. Denn verhandelt wird ĂŒber alles und ĂŒberall: in Juristerei, Wirtschaft, Politik, auf FlohmĂ€rkten und Jobbörsen. Wie gelingt die Verhandlung und wie Ă€ndert sich historisch ihr Handwerkszeug? Autorin: Marie Schoeß

Credits
Autorin dieser Folge: Marie Schoeß
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann
Technik: Matthieu Belohradsky
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Roman Trötschel, Professor fĂŒr Sozial- und Politische Psychologie an der FakultĂ€t Nachhaltigkeit der Leuphana UniversitĂ€t LĂŒneburg
Simon Wolf, nach Studium und Promotion in der Rhetorik arbeitet er als Rhetorik-Coach

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Verhandeln ist mehr als Kopfarbeit: Treten zwei Menschen einander gegenĂŒber – bereit zum Verhandeln –, beginnt ein diffiziles Spiel, das den ganzen Menschen beansprucht. Alles ist jetzt gefragt. Augen, Arme, Mundwinkel, Herz, Puls, Kopf und Zunge: Jeder Nerv, jede Zelle muss mitspielen, alles muss eingestimmt sein auf das, was jetzt folgt. Höchstspannung – sichtbar gerade in den Momenten des Scheiterns. Wenn die Spannung plötzlich abfĂ€llt. Im November 2017 zum Beispiel.

SPRECHER

Erinnern Sie sich noch? Deutschland sucht gerade eine neue Regierung, die Sondierungsverhandlungen sind dieses Mal aber deutlich kniffliger als gewohnt. Union, GrĂŒne und FDP wollen es miteinander versuchen und so – in dieser Kombination, auf Landesebene – haben die Beteiligten noch nie zusammengefunden. Ihre Programme liegen in zentralen Fragen auch weit auseinander. FĂŒr sie alle – schwarz, grĂŒn, gelb – steht also einiges auf dem Spiel. Lassen sich genĂŒgend der eigenen Ziele durchsetzen? Gelingt es – allen – das Gesicht zu wahren, weil alle ZugestĂ€ndnisse in den Fragen machen, die fĂŒr die jeweils anderen zentral sind? Können so auch lauter faule Kompromisse verhindert werden? All das ist offen, als die FDP plötzlich vor die Presse tritt. Christian Lindner hat seine Parteikolleginnen und Kollegen im RĂŒcken, eine fast schon versteinerte Miene haben sie, als ihr Parteivorsitzender verkĂŒndet: Besser nicht regieren, als falsch regieren. 

Musik: Prayer wheel (red.) 0‘20

SPRECHERIN 

Mit diesem Statement gehen die Verhandlungen erfolglos zu Ende, und den anderen – Verhandlern auf Seiten der Union, der GrĂŒnen – stehen die Fragen ins Gesicht geschrieben: Was ist da schiefgelaufen? Was kann man daraus lernen?

01 ZUSPIELER ROMAN TRÖTSCHEL 

Es geht in Verhandlungen sehr stark um Reputation, Aufbau von Vertrauen und den Aufbau von Beziehungen, weil ich langfristig davon Vorteile ziehen werde. Und wenn ich fragwĂŒrdig kurzfristige Erfolge erziele, indem ich die Gegenseite ĂŒber den Tisch ziehe, Interessenskonflikte vortĂ€usche oder was auch immer, hat das zwar kurzfristig Erfolg, aber langfristig wird mir das auf die Beine fallen. Es dauert 20 Jahre, mir eine Reputation aufzubauen, aber ich kann sie in fĂŒnf Minuten zerstören. 

SPRECHERIN

Roman Trötschel ist Experte in Sachen Verhandlungen, er lehrt als Professor fĂŒr Sozial- und Politische Psychologie an der Leuphana UniversitĂ€t LĂŒneburg. Versucht zu verstehen, unter welchen UmstĂ€nden Verhandlungen glĂŒcken und was sie scheitern lĂ€sst. Vertrauen, weiß er, ist ein zentraler Punkt fĂŒr jede Verhandlung. 

Musik:  Precision on demand 0‘36

SPRECHER

Und der Herbst 2017 bildet da keine Ausnahme. Mehr als ein Mal dringen Informationen nach draußen. Irgendwer spielt sie an die Presse, offenbart sie der Öffentlichkeit – sicher auch, weil es in diesem Moment der eigenen Strategie dient. Vertrauen baut man so aber nicht auf. Auch das plötzliche Wechseln von Strategien und Positionen ist nicht gerade vertrauensbildend. Der Streit um den Familiennachzug ist ein Beispiel dafĂŒr. Ein Knackpunkt, die Verhandler beißen sich an dieser Frage fest – insofern wĂ€re ein vertrauensvoller Umgang gerade jetzt wichtig. Das Gegenteil aber passiert: JĂŒrgen Trittin, lange unter den diskretesten Verhandlern, kritisiert die FDP öffentlich dafĂŒr, plötzlich einen Schulterschluss mit der CSU zu suchen, heißt: Plötzlich auch darauf zu pochen, den Familiennachzug weiter auszusetzen, was fĂŒr die GrĂŒnen bekanntermaßen ein rotes Tuch ist. Das Interview: zerstört Vertrauen. Der plötzlich gesuchte Schulterschluss, der dem Interview vorausging, ebenfalls. 

SPRECHERIN

Das Ende der Verhandlungen, der nicht abgesprochene Abbruch, war letztlich Ausdruck des Vertrauens-Problems innerhalb der Verhandlungen. Die Sondierungsverhandlungen sind aber nur ein Beispiel: Gescheiterte Verhandlungen gehören zum politischen Alltag. Und auch fĂŒr Vertrauensverluste findet man etliche Beispiele. 2018 etwa, ein anderes Scheitern. Auch das vor aller Augen.

Musik: Facts&data 0‘42

SPRECHER

Donald Trump verlĂ€sst den G7-Gipfel vor dem eigentlichen Ende. Erinnern Sie sich noch? An diesen Aufbruch, der nichts ist als: Symbolpolitik, ein Signal, wie groß der US-amerikanische PrĂ€sident die eigene Verhandlungsmacht einschĂ€tzt, wie gering die seiner Partner? Trump mĂŒsste hier nicht weg, der Anschluss-Termin mit dem nordkoreanischen PrĂ€sidenten Kim Jong Un ließe ihm Zeit, aber er verlĂ€sst die Verhandlungspartner frĂŒhzeitig, fliegt – und twittert: Er werde die US-UnterhĂ€ndler anweisen, „die AbschlusserklĂ€rung nicht zu unterstĂŒtzen“. Gerade hatte man sich auf einen Kompromiss geeinigt – ein großer Wurf war der ohnehin nicht, die großen Streitfragen waren ausgeklammert worden – aber jetzt auch noch das: Das öffentliche, nicht abgesprochene AufkĂŒndigen des Kompromisses.

02 – ZUSPIELER ROMAN TRÖTSCHEL 

Es dauert 20 Jahre, mir eine Reputation aufzubauen. Aber ich kann sie in 5 Minuten zerstören. 

SPRECHERIN

Verhandeln kann Nervenkrieg sein, das beweisen diese Beispiele – aber sie suggerieren gleichzeitig etwas Falsches: Dass eine Verhandlung Wettbewerb ist. Weiter nichts. Die Wahrheit ist komplexer:

03 – ZUSPIELUNG ROMAN TRÖTSCHEL

Was Verhandlungen auszeichnet, ist, dass das immer Situationen sind, in denen Kooperation und Competition gemeinsam auftreten. Einerseits versuche ich ja als Verhandlungspartei die Interessen der eigenen Seite – also wenn ich eine Gruppe vertrete oder auch meine individuellen Interessen – durchzusetzen gegen den Widerstand der anderen Seite. Aber ich wĂŒrde ja mit der anderen Seite nicht verhandeln, wenn ich das ganz allein könnte. 

SPRECHERIN

Ein klassischer Fehler in Verhandlungen: Sie als Fußballspiel zu verstehen, entweder man gewinnt oder man verliert. Dabei ist die vielleicht wichtigste Einsicht eines Verhandlers, dass die Gegenseite auch Entscheidungsmacht hat, dass die AbhĂ€ngigkeit wechselseitig ist, dass beide Akteure Teil des Entscheidungsprozesses sind, im besten Fall sogar beide gewinnen. Wer daran zweifelt, kann die Verhandlung eigentlich gleich einstellen. 

04 – ZUSPIELUNG ROMAN TRÖTSCHEL  

GrundsĂ€tzlich können soziale Konflikte auf verschiedene Art und Weise gelöst werden. Entweder durch Agieren und Reagieren – also, dass eine Partei Aktionen ergreift. In Tarifverhandlungen – eine Partei löst einen Streik aus, und die Gegenseite reagiert dann drauf, geht vor Gericht. Oder durch Interagieren. Und Interagieren ist dann Verhandeln. 

Musik: Research activity 0‘40

SPRECHER

Noch ein Beispiel: Die „Letzte Generation“ will – genauso wie „Fridays for Future“ – einen gesellschaftlichen Wandel herbeifĂŒhren, will der Gesellschaft vor Augen fĂŒhren, was der Klimawandel fĂŒr die Jungen bedeutet. Aber wĂ€hrend sich „Fridays for Future“ offen zeigt, ihre Positionen zum Gegenstand von Diskussionen und Verhandlungen zu machen, pocht die „Letzte Generation“ immer wieder darauf, dass vieles schlicht „nicht verhandelbar“ sei. Und setzt insofern auch auf eine andere Strategie: auf Aktion statt Interaktion. 

05 – ZUSPIELUNG SIMON WOLF

Ja, also von der Definition, da kann man sagen, dass es bei der Verhandlung immer um den Abgleich von konfligierenden Interessen geht. Zwei Personen oder zwei Institutionen haben unterschiedliche Interessen. Das können auch mehr als zwei sein. Und sie haben trotzdem das gemeinsame Interesse, das auf dem Weg der Verhandlung zu klÀren und nicht auf anderem Wege. 

SPRECHERIN

Dr. Simon Wolf arbeitet als Rhetorik-Coach, wobei er Theorie und Praxis der Verhandlung zusammenbringt. 

Er ist damit Fachmann fĂŒr eine Disziplin, an der niemand vorbeikommt: Verhandelt wird ĂŒberall, in KĂŒchen und Kirchen, in Parlamenten und auf dem Pausenhof. Zu verstehen, was eine Verhandlung ausmacht, wie sie sich gut gestalten lĂ€sst, ist also enorm wichtig – fĂŒr das Leben jedes Einzelnen und die Entwicklung einer Gesellschaft. Und trotzdem gehen es viele falsch an. Simon Wolf kennt das aus der Praxis:

06 – ZUSPIELUNG SIMON WOLF

HĂ€ufig gibt es so die Idee von der einen richtigen Formulierung, und da muss man schon von der GesprĂ€chsfĂŒhrung her und erst recht von der VerhandlungsfĂŒhrung her sagen: Das eine richtige goldene Wort gibt es nicht, sondern im Gegenteil es geht um Verhaltensweisen, und es geht um Mindset. Also von der einen goldenen Formulierung, von dem einen goldenen Wort muss man sich leider ein StĂŒck weit lösen.

Musik: New beginning 0‘19

 SPRECHERIN

Aufs Mindset, also auf die Haltung und Einstellung bei der Verhandlung, pocht auch Roman Trötschel. Es hÀlt flexibel, sagt er. Und dass ein Mindset keine Wertvorstellung sei, nichts Starres, Unverhandelbares. Eher schon eine Brille.

07 – ZUSPIELUNG ROMAN TRÖTSCHEL

Und wie so eine Brille, die ich auf- und absetzen kann, wirken auch Mindsets, die sind nÀmlich sehr flexibel. Und ich brauche FlexibilitÀt in Verhandlungen. Und jetzt gibt es kein universelles Mindset, das mir grundsÀtzlich hilft, in Verhandlungen voranzukommen. Vielleicht schon das grundsÀtzliche VerstÀndnis, dass Verhandlungen eben immer Kooperation und Competition sind, also beides. Das muss Bestandteil des Mindsets sein. Aber zusÀtzlich kann ich mir in AbhÀngigkeit von meinen FÀhigkeiten und Fertigkeiten bestimmte Grundprinzipien geben.   

SPRECHERIN

Wer ein großes HarmoniebedĂŒrfnis in sich trĂ€gt, setzt besser erstmal die Brille „HartnĂ€ckigkeit“ auf, damit er nicht zu schnell um des Friedens willen einknickt. Darf sie aber auch wieder absetzen, wenn die wichtigsten Elemente besprochen sind. Eine Varianz an Brillen – Grundprinzipien in der Verhandlung – helfen ohnehin am besten weiter. „Neugier“ ist eines davon. Und „KreativitĂ€t“.  

08 – ZUSPIELUNG SIMON WOLF

FĂŒr die Vorbereitung auf eine Verhandlungsstrategie ist es in der Praxis ganz wichtig zu sehen: Was sind meine Interessen? Nicht nur meine Positionen. 

SPRECHERIN

Bedeutet: Nicht nur zu wissen, was ich will, sondern warum ich das will. Das erhöht die FlexibilitĂ€t und ist Moment fĂŒr KreativitĂ€t. 

Musik: Corporate questions more red 0‘42

SPRECHER

Konkretes Beispiel: Wenn ich ins GesprĂ€ch mit meinem Chef gehe und mehr Gehalt fordere, kann ich schnell scheitern. An VergĂŒtungsgruppen zum Beispiel, die in einer Firma klar geregelt sind und an denen wirklich niemand vorbeikommt. Wenn ich aber weiß: Ich will mehr Gehalt, weil ich Geld fĂŒr ein Lastenrad zurĂŒcklegen will, kann ich womöglich von der Firma ein Rad gestellt bekommen. Oder eine Karte fĂŒr die Öffentlichen Verkehrsmittel, fĂŒrs Fitness-Studio, irgendwas, das mir anderweitig Geld spart. In ganz vielen Situationen lĂ€sst sich das BedĂŒrfnis befriedigen, nur nicht immer auf dem einen naheliegenden Weg. Deshalb die Frage nach dem Warum.

09 – ZUSPIELUNG SIMON WOLF 

Letzten Endes steigern wir dadurch unsere Verhandlungsmacht, weil wir mehr Möglichkeiten auf den Tisch bekommen. 

SPRECHERIN

Ist KreativitĂ€t gerade wĂ€hrend der Verhandlung entscheidend – dann, wenn es wirklich ums Suchen und Finden eines Kompromisses geht –, braucht es die Neugier schon viel frĂŒher: 

10 – ZUSPIELER ROMAN TRÖTSCHEL 

Ich muss tatsĂ€chlich wie ein Detektiv vorgehen und verstehen: Was ist denn eigentlich mit der anderen Seite los in dieser Verhandlung? Was will die denn eigentlich? Die Gegenseite vertritt Positionen. Aber hinter den Positionen der Gegenseite steckt Psychologie – nĂ€mlich Motive, Wertvorstellungen, Denkmuster. Und das muss ich aufdecken und muss neugierig sein. Eigentlich bedeutet Neugier Informationssuche – und zwar so viel wie möglich. 

Musik:  Creative workshop red 0‘42

SPRECHERIN

„Hinter den Positionen steckt Psychologie“, sagt Roman Trötschel. Und in dieser Aussage steckt wiederum eine ziemlich wichtige Einsicht fĂŒr die Kunst der Verhandlung: Eine Verhandlung ist mehr als ein Austausch von Argumenten, mehr als ein Spiel, das allein mit dem Verstand zu gewinnen ist. Eine Verhandlung hat rationale, aber auch emotionale, fast schon körperliche Anteile. Die Vorbereitung muss insofern auch den ganzen Menschen einbeziehen: die Argumente und Emotionen der anderen Seite. Und meine eigenen. 

11 – ZUSPIELER SIMON WOLF

Schon Aristoteles sagt uns, ein emotional erregter GesprĂ€chspartner kann sich nicht mehr so gut konzentrieren. Und das heißt, die emotionale Vorbereitung gehört immer auch zu Verhandlungs-Vorbereitung dazu. Damit geht typischerweise die Körpersprache Hand in Hand. Wenn ich emotional aufgerĂ€umt und entspannt bin, dann kann ich meine Körpersprache auch besser einsetzen. Wenn ich sowieso schon auf 180 bin, dann machen die Mundwinkel und dann macht die Zornesfalte auf der Stirn, was sie will. Und dann wird ein GesprĂ€chspartner ein viel leichteres Spiel haben, weil ich meine Körpersprache nicht so gut kontrolliere und dann meine EmotionalitĂ€t ein StĂŒck weit besser zu lesen und zu sehen ist. 

SPRECHERIN

Die EmotionalitĂ€t des anderen einfach auszunutzen, wenn sie sich denn zeigt, ist trotzdem keine gute Idee. Stichwort: Aufrichtigkeit, Vertrauen. Beides ist immens wichtig – gerade, wenn Verhandlungen Zeit brauchen oder gar kein Ende kennen. Die G7: tagen nicht bloß ein Mal. FDP und GrĂŒne haben sich bei den Jamaika-Verhandlungen 2017 nicht zum letzten Mal an den Verhandlungstisch gesetzt. Und die Verhandlung zu Hause, um die gerechte Aufteilung der Care-Arbeit zum Beispiel, ist auch erst abgeschlossen, wenn das Kind das Haus verlassen hat. Kurzfristige Verhandlungserfolge, die auf Kosten des Vertrauens gehen, helfen da kaum weiter. Weder am KĂŒchentisch und noch bei Klimaverhandlungen.

Musik: Chemical transformation 0‘50

SPRECHERIN

Und fĂŒr letztere braucht es mehr als ein Bewusstsein, welches Mindset hilfreich ist. Roman Trötschel hat sich auf solche Verhandlungen spezialisiert. Transformationsverhandlungen nennt er sie. Im Grunde fallen darunter alle Verhandlungen, die einen gesellschaftlichen Wandel einleiten wollen und dabei nachhaltige Lösungen anstreben. Einfach ist das nie. Aus mehreren GrĂŒnden: Weil viele verschiedene Interessen aufeinanderstoßen. Weil der Verhandlungsgegenstand nie bloß die Gegenwart betrifft, sondern immer auch die Zukunft. Und weil jede Entscheidung Folgen fĂŒr verschiedenste Bereiche hat: fĂŒrs Soziale, Wirtschaftliche, Ökologische. Die UN-Klimakonferenz in Paris ist ein gutes Beispiel dafĂŒr – gut nicht nur wegen der Vielzahl an Interessen, der Vielzahl an Fragen und Folgen, sondern vor allem, weil hier wirklich mal eine Verhandlung geglĂŒckt ist.

SPRECHER

Kleiner Sprung zurĂŒck, ins Jahr: 2015. Am 30. November beginnen die Klima-Verhandlungen in Paris, bis zum 11. Dezember sind sie angesetzt, aber spontan werden sie um einen Tag verlĂ€ngert, es ist eben enorm kompliziert. Am Ende steht ein Klimaabkommen, völkerrechtlich bindend fĂŒr alle Staaten der Welt, das bis heute Wirkung hat. Hier wird das Ziel gesteckt, die globale ErwĂ€rmung deutlich unter 2 °C zu halten, möglichst bei 1,5 °C. Und diese Zahl, 1,5 °C, ist bis heute Richtwert, wenn die Frage aufkommt: Tun wir genug, tun wir zu wenig in Sachen Klimawandel?

12 – ZUSPIELUNG ROMAN TRÖTSCHEL

Das war ein großer, großer Durchbruch, weil diese Verhandlung Orientierung gibt. Es wird ein Bezugspunkt festgelegt, dem viele Parteien und viele Nationen zugestimmt haben, dem sich viele Verhandlungsparteien verpflichtet haben und damit auch die entsprechenden Staaten. Diese Verhandlung ist insofern gelungen, als dass – im Gegensatz zu vorherigen Verhandlungen – nicht beispielsweise die ökonomische Ergebnisdimension die BezugsgrĂ¶ĂŸe ist, sondern tatsĂ€chlich die ökologische Ergebnisdimension. 

Musik:  Feeling good 0‘37

SPRECHERIN

Hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Was ist da wirklich geglĂŒckt und warum? Die Verhandlung ist gelungen, das sagt Roman Trötschel, weil die ökologische und nicht die ökonomische Dimension die BezugsgrĂ¶ĂŸe ist. Konkret heißt das doch: Diese Verhandlung hat einem ökologischen Ziel den Vorrang gegeben. Selbst wenn die wirtschaftlichen oder sozialen Konsequenzen dieser Vereinbarung problematisch sein sollten, das 1,5 Grad Ziel gilt – langfristig gesehen – als entscheidender. Die langfristige Perspektive hat damit Sorgen ums Hier und Jetzt geschlagen. Und das ist – aus psychologischer Sicht – alles andere als selbstverstĂ€ndlich. 

13 – ZUSPIELUNG ROMAN TRÖTSCHEL

Beispielsweise gibt es so eine grundsĂ€tzliche Tendenz von Menschen, zukĂŒnftige Konsequenzen weniger stark zu gewichten als unmittelbare kurzfristige Konsequenzen. Auch haben Menschen Schwierigkeiten mit Belohnungsaufschub, dass sie erst in Zukunft fĂŒr bestimmte Handlungen belohnt werden. Oder Menschen haben große Schwierigkeiten, mit Unsicherheit umzugehen, mit Risiko umzugehen. 

SPRECHERIN

Hier ist er wieder, der ganze Mensch, der eine Verhandlung ausmacht.

 Musik:  Simple but complex behaviour (c) 0‘25

Und der bringt noch ein Problem fĂŒr solche komplexen politischen Verhandlungen mit, die ĂŒber unsere Zukunft entscheiden: Es fĂ€llt ihm nicht leicht, die verschiedenen Dimensionen gegeneinander abzuwĂ€gen. Wenn man an das Abkommen von Paris denkt, spielen ja ganz verschiedene Aspekte mit rein: politische, soziale, wirtschaftliche, ökologische. Wie gewichtet man die? Eine einfache Rechnung lĂ€sst sich da kaum anstellen – was in der Praxis regelmĂ€ĂŸig dazu fĂŒhrt, dass kurzfristige Ziele gewinnen oder ökonomische Überlegungen ökologische ausstechen:

14 – ZUSPIELUNG ROMAN TRÖTSCHEL

Aber es gibt auch Erkenntnisse dazu, wie man dem begegnen kann. Beispielsweise, dass man ReprĂ€sentanten an den Verhandlungstisch holt, die tatsĂ€chlich ausschließlich die Aufgabe haben, Aspekte wie zum Beispiel ökologische Auswirkungen mit auf den Verhandlungstisch zu bringen. Dass Modellierer mit einbezogen werden oder die Erkenntnisse von Modellierern, die zeigen, was es fĂŒr Szenarien fĂŒr die Zukunft gibt. 

SPRECHERIN 

Klingt kompliziert, aber ein Beispiel dafĂŒr haben wir alle miterlebt: die Corona-Krise.

Musik:  Political efforts red 0‘45

SPRECHER

Plötzlich stehen sich etliche BedĂŒrfnisse gegenĂŒber. Da sind die Kinder, die nicht mehr auf SpielplĂ€tze dĂŒrfen. Isoliert, allein mit ĂŒberforderten Eltern – von heute auf morgen. Da sind die Risikogruppen, die um ihre besondere Verletzlichkeit besorgt sind, die hoffen, bitten, dass Schulen, Kitas, KindergĂ€rten geschlossen bleiben, damit sich das Virus dort nicht zu schnell verbreitet. Da ist die Industrie, die ĂŒber die enormen wirtschaftlichen SchĂ€den spricht, wenn man das Land stillstellt. Und die Ärztinnen und Pfleger, die Sorge haben, wie sich die Lage entwickelt, wenn man das Land nicht stillstellt. Und zwischen ihnen allen: die Politiker, die in Verhandlungen entscheiden sollen, welche Bedenken schwerer wiegen. 

SPRECHERIN

Ein Drahtseilakt. Aber verhandelt wurde in der Corona-Krise, wie Roman Trötschel es vorgeschlagen hat: Die Stimmen, die keine Entscheidungsmacht hatten, hatten dennoch Gewicht. Die Politik hat sie mit an den Tisch geholt: die Forschung, die Wirtschaft, die PĂ€dagogen. Sie waren nicht stimmberechtigt, die Entscheidungen trafen die Politiker, aber sie waren oft Teil der Verhandlungen, Stimmen, die dafĂŒr sorgen sollten, dass alle Dimensionen verstanden und mit einbezogen wurden. Wenngleich man ihnen nicht immer gefolgt ist.

Musik: Undercover investigations red 0‘19

Denn: Wie eine Verhandlung ausgeht, liegt immer auch daran, wie dringlich die Situation erscheint: Dass etwas wichtig ist, sagt Roman Trötschel, reicht in Verhandlungen nicht aus. 

15 – ZUSPIELUNG Roman Trötschel 

Es muss mit Bildern untermauerbar sein. Auch hier wieder das Beispiel mit der Corona-Pandemie – die Bilder aus Italien, die haben die Herausforderung, die Dringlichkeit greifbar gemacht. Dasselbe gilt fĂŒr die Katastrophe im Ahrtal. Auch das hat die Dringlichkeit greifbar gemacht und Dringlichkeit wird auch dadurch unmittelbar erlebt, dass es nĂ€her an einen heranrĂŒckt. 

SPRECHERIN

Damit könnte also die Vorbereitung jeder Verhandlung anfangen. Alle Augen auf die Gegenseite: Was wĂŒrde sie ĂŒberzeugen, dass das eigene Anliegen nicht bloß wichtig, sondern dringlich ist? Ist jetzt der richtige Moment, die Verhandlung zu beginnen? Oder warte ich auf den Augenblick, der die Dringlichkeit unmittelbar belegt? So also könnte die Verhandlungsvorbereitung beginnen – mit einem neugierigen Blick.

Musik:  Still waiting 0‘34 

SPRECHER:

Und dann treten sie alle auf, der Kreative, der HartnÀckige, der Sachliche, der Aufrichtige - alle flexibel einsetzbar, aber eben keine Schachfiguren, sondern Haltungen eines Menschen. Und sie treffen zusammen mit all den Haltungen der anderen Menschen, der Verhandlungspartner. Kein Wunder, dass sich der Ausgang einer Verhandlung nur selten voraussagen lÀsst.