Wer über Malerei spricht, meint meist Motiv und Stil, also das WAS und WIE der Darstellung, die Farben und Formen, die Stimmung im Bild. Dabei ist Malen zunächst mal ein technischer Vorgang: ohne Handwerk kein Gemälde. Julie Metzdorf mit einem Blick auf die technische Kunstgeschichte, auf rollbare Leinwände, schimmelnde Fresken und Kunstwerke aus Hasenhaut und Eigelb. Von Julie Metzdorf
Wer über Malerei spricht, meint meist Motiv und Stil, also das WAS und WIE der Darstellung, die Farben und Formen, die Stimmung im Bild. Dabei ist Malen zunächst mal ein technischer Vorgang: ohne Handwerk kein Gemälde. Julie Metzdorf mit einem Blick auf die technische Kunstgeschichte, auf rollbare Leinwände, schimmelnde Fresken und Kunstwerke aus Hasenhaut und Eigelb. Von Julie Metzdorf
Credits
Autorin dieser Folge: Julie Metzdorf
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Christian Baumann, Susanne Schroeder
Technik: Anton Wunder
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Dr. Kathrin Kinseher, Leiterin Studienwerkstatt Maltechnik an der Akademie der Bildenden KĂĽnste MĂĽnchen
David Kremer, Farbmittelhersteller Kremer Pigmente
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZĂ„HLERÂ
Am Anfang waren Fels und Stein. Die ersten Menschen nutzten fĂĽr ihre Malereien Holzkohle, Blut oder zu Pulver geriebenes Ockergestein, das sie mit Wasser oder Speichel zu Farbe vermischten und direkt auf die Höhlenwand aufbrachten. Als Pinsel dienten fasrig angekaute Zweige. Die Farbe konnte aber auch durch ein Röhrchen aufgesprĂĽht werden, Hände dienten dann gern als Schablonen.Â
Musik 2: Parovskapproved - 27 Sek
Schon die ersten Menschen nutzten also ganz verschiedene Materialien und Techniken. Im Lauf der Jahrtausende kamen unzählige weitere hinzu. Das beginnt beim Untergrund: Mauerputz und Tonvasen, Buchseiten aus Pergament oder Glasscheiben für Kirchenfenster, selbst die menschliche Haut kann als Malgrund dienen: beim Body Painting.
ERZĂ„HLERIN
Heute denken wir beim Stichwort Malerei vor allem an transportable Gemälde, „Öl auf Leinwand“ scheint dabei so etwas wie der Standard zu sein. Doch Leinwände aus Stoff sind erst seit 500 Jahren üblich. Zuvor wurde vor allem auf Holz gemalt, man spricht dann von „Tafelbildern“. Die Mona Lisa hat beispielsweise Pappelholz im Rücken, Albrecht Dürers Selbstbildnis im Pelzrock ist auf Linde gemalt.
1 OT Kinseher
Also wenn wir zurĂĽckschauen, in die Malereigeschichte, dann sind es immer massive Holztafel. Im Mittelalter ist es immer die sogenannte Kerntafel, also ohne Splintholz, die ist am stabilsten, mit stehenden Jahresringen. Die verbiegt sich am wenigsten…Â
ERZĂ„HLERÂ
Dr. Kathrin Kinseher leitet die Studienwerkstatt Maltechnik an der Akademie der Bildenden KĂĽnste in MĂĽnchen. Sie ist studierte Restauratorin und kennt sich deshalb sowohl mit historischen, als auch mit aktuelle Maltechniken aus.Â
Die Qualität der Holztafeln war entscheidend fĂĽr den Wert des gesamten Gemäldes. War das Holz zu frisch oder schlecht verleimt, konnte es sich in verziehen, Risse bilden und das Bild letztlich zerstören.Â
Musik 3: Melancholy Pavan – 13 Sek
ERZĂ„HLERIN
Etwa um das Jahr 1500 entschlossen sich immer mehr Maler dazu, statt auf Holz, auf Leinwand zu malen, also auf einem flexiblen Gewebe, weil…
2 OT Kinseher
…die Leinwand einfach sehr viel leichter ... ist. Das Gemälde von A nach B zu tragen, zu transportieren, ist sehr, sehr viel einfacher.
Musik 4: Manifest - 36 Sek
ERZĂ„HLERÂ
Gemälde konnten nun viel größer werden. Das Große Jüngste Gericht von Peter Paul Rubens in der Alten Pinakothek in München misst fast fünf mal sechs Meter, die Leinwand musste aus vier einzelnen Bahnen zusammengenäht werden. Auf Holz wäre solch ein Gemälde undenkbar, zumindest hätte man es nie und nimmer von Antwerpen nach Bayern bekommen. Das Leinwandbild aber konnte zum Transport gerollt werden.
3 OT Kinseher
Das geht natĂĽrlich tatsächlich nur bei jĂĽngerer Kunst, bei junger Malerei ein Gemälde, das 50 oder 100 Jahre ist oder noch älter wĂĽrde man natĂĽrlich absolut vermeiden ist zu rollen. Ja, auch wenn man das nach allen Regeln konservatorischen Regeln macht, sagen es ist natĂĽrlich eine extreme Strapaze und extremer Stress.Â
ERZĂ„HLERIN
Trotzdem wurde der Rubens später noch zweimal aufgerollt: 1945 bei der Evakuierung der Alten Pinakothek und noch einmal fĂĽr eine Restaurierung in den 90er Jahren. Das Gemälde hätte sonst einfach nicht durch die TĂĽr gepasst.Â
ERZĂ„HLER
Um die Leinwand bemalen zu können, muss sie zunächst einmal auf einen Rahmen gespannt werden. So wird das flexible Leinen zur einigermaßen stabilen Wand, also zur Leinwand. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts setzten sich Keilrahmen durch.
4 OT Kinseher
Wenn man die Leinwand aufspannt, hat es erstmal eine gewisse Straffheit. Aber diese Spannung kann auch nachlassen mit der Zeit. Und dann ist es natĂĽrlich hilfreich ĂĽber dieses sogenannte Auskeilen auf der RĂĽckseite der Leinwand, also ganz sachten, zarten Schlägen mit dem Hammer auf die sogenannten Keile, die in diese Ecken gesetzt werden, die Spannung wieder leicht zu erhöhen.Â
ERZĂ„HLERIN
Ursprünglich bestand das Gewebe aus Leinen oder Flachsfasern, heute spricht man auch von Leinwand, wenn es sich um Hanf, Jute oder Baumwolle handelt. Zum Schutz und für zusätzliche Stabilität wird das Gewebe mit Leim bestrichen, danach kommt die Grundierung, meist mehrere Schichten einer weißen Kreide-Leimmischung. Die Grundierung gleicht Unebenheiten aus und sorgt für perfekte Saugfähigkeit beim späteren Farbauftrag. Gerade in Kombination mit Ölfarben ist sie extrem wichtig.
5 OT Kinseher
Die Grundierung ist hier vor allem auch Schutz zwischen dem textilen Gewebe der Naturfaser und dem Ă–l. Denn sonst ohne Grundierung wĂĽrde das Ă–l durchdringen, wĂĽrde sich einbauen in die textile Faser und die Oxidation und den Alterungsprozess der Faser extrem beschleunigen. Das Gewebe wird dann sehr viel schneller spröder, brĂĽchiger.Â
Musik 5: Cavendish lab – 35 Sek
ERZĂ„HLER
Doch nicht nur Haltbarkeit, auch ästhetische GrĂĽnde spielen fĂĽr die Grundierung eine Rolle: Sie reflektiert das Licht. Ă–lfarben sind teilweise lichtdurchlässig: Das Licht dringt in die Malschichten ein. An manchen Stellen dringt es bis auf die Grundierung und wird von dort zurĂĽckgeworfen. Die Farbe der Grundierung kann die Wirkung des Bildes deshalb entscheidend beeinflussen. Eine helle Grundierung bringt ein Gemälde zum Strahlen, ein Rot oder Ockerton lässt es leicht goldig und wärmer wirken.Â
Musik 6: Walks – 40 Sek
ERZĂ„HLERIN
Es gibt allerdings auch Maler, die ganz ohne Grundierung gearbeitet haben: Der deutsche Expressionist Otto Mueller beispielsweise hat Anfang des 20. Jahrhunderts vorwiegend mit Leimfarbe auf Rupfen gearbeitet, einem Jutegewebe. Die grobe Struktur der Juteleinwand ist in seinen Gemälden sichtbar, hier und da liegt das Gewebe ganz frei. Mueller ging es in seiner Kunst um die Einheit von Mensch und Natur. Mit Vorliebe hat er Mädchen und Jungen beim Baden an einem See gemalt, nackt in der freien Natur, zwischen Bäumen und Büschen.
6 OT Kinseher
Da passt eigentlich alles zusammen, … also so der Mensch ganz pur unbekleidet in der Natur. Und auch die Wahl dieser einfachen Materialien, die Jute, die er einfach auch zeigt.
ERZĂ„HLERÂ
Nackte Menschen auf nacktem Malgrund: Thema und Technik, Motiv und Gesamtwirkung greifen hier nahtlos ineinander. Auch der britisch-kenianische Maler Michael Armitage ist dafĂĽr bekannt, seinen Malgrund ein Wörtchen mitreden zu lassen. In seinen Gemälden sind oft Risse, Nähte oder gar Löcher zu sehen. Armitage malt auf Lubugo, einem Stoff aus der Rinde der Natalfeige, der in Ostafrika fĂĽr Kleidung oder auch als Leichentuch verwendet wird. Als Grundlage seiner Malerei steht Lubugo symbolisch fĂĽr die kenianischen Wurzeln des Malers. Â
7 OT Kinseher
Das ist ja die Herausforderung in der Wahl der Materialien, dass man mit den Materialien arbeitet oder aber auch bewusst sich dagegenstellt, das kann auch interessant sein.
Musik 7: fach - 30 Sek
ERZĂ„HLERIN
Das Angebot an Farben ist heute kaum noch ĂĽberschaubar: Es gibt Dispersionsfarben, Schulfarben, Fingerfarben, Plakatfarben, Acryl-, Tempera-, Wasser-, Aquarell-, Textil- und Wandfarbe, das alles in Eimern, Tuben, Dosen, Plastikbechern oder -flaschen, beim KĂĽnstlerbedarf oder im Baumarkt. In frĂĽheren Jahrhunderten mussten die Malerinnen und Maler ihre Farben erst einmal anrĂĽhren, also selbst herstellen. Einige und vor allem die Restauratoren, machen das immer noch.Â
Geräusche Holztor
8 OT Kremer
Das ist unser Kollergang, der kommt aus Italien wurde ursprünglich für Olivenölproduktion vermutlich verwendet oder auch zum Vermahlen von Getreide, also sehr weiche Stoffe. Die Mühlräder selber sind aus Granit und werden über ein Riemenmotor angetrieben. Ich kann denn auch mal anmachen:
Geräusch Kollergang
ERZĂ„HLERÂ
David Kremer von der Farbmühle in Aichstetten im Allgäu, Der Familienbetrieb „Kremer Pigmente“ ist spezialisiert auf die Herstellung von historischen Pigmenten und Farbstoffen. Im Angebot sind mehr als 1000 verschiedene Farbpigmente.
9 OT Kremer, über Geräusch Kollergang
Hier haben wir jetzt im Moment Azurit drauf … eigentlich eher ein hellblaues (Pulver) auf dem Mahlteller hier liegen. Und wir wollen natürlich vorwiegend die dunkelblauen Teilchen hinterher, das heißt, der muss jetzt erst gewaschen werden, sortiert werden, so dass nachher ein Pigment und schönes Dunkelblau entsteht.
ERZĂ„HLERIN
Vereinfacht gesagt: werden in der Farbmühle bunte Steine zu Pulver gemahlen, dem Pigment. Aber was ist eigentlich ein Pigment? Und was ist der Unterschied zu Farbstoff? Pigment und Farbstoff verhalten sich etwa wie Sand und Salz: Schüttet man Salz in einen Becher Wasser, löst es sich auf. Die Sandkörner hingegen bleiben erhalten, nach einiger Zeit setzen sie sich am Boden ab. So etwa kann man sich auch Pigmente vorstellen, nur dass die Teilchen viel kleiner als Sandkörner sind.
10 OT KremerÂ
Das Pigment Teilchen bleibt immer ein Teil. Pigmente sind sehr viel stabiler als Farbstoffe. Sie sind nicht so lichtempfindlich, sie sind nicht so säureempfindlich und werden deshalb vorwiegend in der Malerei eingesetzt.
ERZĂ„HLERÂ
Im Showroom in Aichstetten reiht sich ein farbenprächtiges Pigment neben das andere. Alle haben eine erstaunliche Strahlkraft. Die meisten Pigmente sind aus Erden oder Mineralien gewonnen: grüner Malachit, roter Jaspis, rosa Rubin, Schiefergrün oder andalusischer gelber Ocker. Organische Pigmente aus Pflanzen wie Krapplack, Indigo, Algen oder Sandelholz gibt es weniger.
11 OT Kremer
Der Nachteil von den Pflanzen-Pigmenten oder auch Farbstoffen ist, dass sie nicht lichtstabil sind. Das Licht zerstört einfach den Farbstoff sehr viel schneller als bei einem mineralischen Pigment.Â
ERZĂ„HLERIN
Viele Maler haben aber den Anspruch, ihre Bilder in den strahlendsten und haltbarsten Farben zu malen, die es gibt. Das verlangt oft schon das Bildmotiv. Der Mantel der Jungfrau Maria darf schlieĂźlich nicht verblassen! Legendär ist die Farbe Ultramarin. Ultramarin wird aus Lapislazuli gewonnen, einem Gestein, das hauptsächlich aus Afghanistan kommt.Â
12 OT KremerÂ
Wenn man ein Kilo Stein hat, dann hat man am Ende 50 Gramm Pigment und Lapislazuli oder allgemein die mineralischen Pigmente sind eher transparent, weshalb man dann mehrere Malschichten eigentlich auch benötigt.
ERZĂ„HLERÂ
Die wenigen, teils schwer erreichbaren Vorkommen und die aufwändige Herstellung machen Lapislazuli zu einem der teuersten Pigmente der Welt, im Mittelalter wurde es mit Gold aufgewogen.
ERZĂ„HLERIN
Doch Kremer Pigmente arbeitet nicht nur mit jahrhundertealten Rezepturen. Künstler von heute freuen sich auch über ganz neue Farben – zum Beispiel über ein Pigment aus Maw Sit Sit bzw. Kosmochlor, ein Gestein, das einst per Meteor auf die Erde kam.
Geräusche Mühlen
13 OT David KremerÂ
Hier sind wir in unserer Werkstatt, wo verschiedene Mühlen laufen. Man hört das Rasseln hier hinten. Und das ist das sagenumwobene Maw Sit Sit. Und das sieht ja wirklich sehr leuchtend aus, Schwefelgrün könnte man vielleicht sogar sagen.
Musik 8: micromanaged – 30 Sek
ERZĂ„HLERIN
Doch egal ob Alge, Lapislazuli oder Kosmochlor: Mit dem Pigment allein kann man nicht malen. Damit das Pigmentpulver auf dem Untergrund hält, braucht es ein sogenanntes Bindemittel, eine Art Kleber. Möglich sind Gummiarabikum, Leim, Harz, Wachs oder Lack. Eines der häufigsten Bindemittel in der europäischen Malerei ist Ă–l. Aber Ă–l ist nicht gleich Ă–l:Â
14 OT KremerÂ
Walnussöl … ist ein sehr helles Öl im Vergleich zum Leinöl, trocknet sehr viel langsamer als das Leinöl. Der Vorzug beim Walnussöl ist, es gilbt nicht so stark, weshalb man das auch eher bei blauen und weißen Pigmenten verwendet, sonst hat man nachher beim Leinöl mit einem blauen Pigment vergrünt das nachher.
ERZĂ„HLERÂ
Jedes Öl hat andere Eigenschaften, manche neigen zum Vergilben, andere trocknen schneller. Olivenöl nutzt man zum Beispiel nicht zum Malen, das trocknet praktisch nie. Nächstes Problem: Pigmente und Öl lassen sich nicht so einfach vermischen: Das Pigment muss in das Öl eingerieben werden. In früheren Zeiten beschäftigten die großen Maler deshalb Lehrlinge, die ausschließlich mit dem Anrühren der Farben beschäftigt waren.
15 OT KremerÂ
Das macht man klassisch auf so einer Platte wie hier zum Beispiel auf einer Marmor-, auf einer glatten, nicht saugenden Oberfläche. Mit einem Glasläufer oder früher haben die auch einfach solche glattgeschliffenen Steine genommen, wo das Pigment nachher in das Öl eingerieben wird, sodass man eine Paste hat. Und mit der Paste kann man natürlich sehr pastös auf die Leinwand malen, so dass die Farbe steht.
ERZĂ„HLERIN
Ist die Paste zu dick, muss man sie verdĂĽnnen. Dazu nimmt man Terpentinöl, das aus Nadelholz gewonnen wird und fĂĽr den markanten Geruch in vielen KĂĽnstlerateliers sorgt. Es ist auch nicht ganz ungiftig. Kurz gesagt: Die ganze Sache mit dem Malen ist ziemlich kompliziert. Da wundert es nicht, dass Maler lange Zeit als Handwerker galten. Etwa bis ins Jahr 1800 unterstanden sie der Zunftordnung und bewegten sich auf der gleichen Stufe wie ein Bäcker oder Schornsteinfeger. Zwischen Malen und Schuhflicken wurde also kein Unterschied gemacht.Â
Musik 9: Parovskapproved – siehe vorn – 48 Sek
ERZĂ„HLERÂ
Jede Maltechnik hat ihre Vor- und Nachteile: Ölfarbe trocknet langsam, man kann lange nass in nass malen. Was nicht gefällt, kann man mit einem Tuch oder Spachtel gut wieder wegkratzen. Doch die Farben neigen zum Vergilben und zu Rissbildung. Eine Alternative sind Temperafarben. Als Bindemittel dient hier Ei, also ganz normales Hühnerei. Eigelb ist eine natürliche Emulsion, das macht die Farbe gut vermalbar. Die Technik ist bereits seit der Antike bekannt. Aber Temperafarben werden schnell fest und die Herstellung ist recht umständlich. Kathrin Kinseher:
16 OT Kinseher
Für manche Malerinnen und Maler ist es ganz wunderbar. Es ist ein Einstieg in den Tag, ja, erstmal die Temperafarben selbst zu binden, zubereiten, weil es ist auch am besten in der Regel immer frisch zu machen. Aber andere sagen, also das geht für mich überhaupt nicht, … das kostet zu viel Zeit. Ich will sofort ans Bild.
Musik 10: Manifest – siehe vorn – 35 Sek
ERZĂ„HLERIN
Das Malen selbst kostet ebenfalls viel Zeit. Ă–l-Farben werden meist in Schichten, den sogenannten Lasuren aufgetragen. Jede Schicht ist leicht transparent, so dass die Farbe darunter sichtbar bleibt. Die endgĂĽltige Farbwirkung eines Ă–lgemäldes entsteht im Zusammenspiel aller Schichten miteinander. Das Gesicht seiner Madonnen zum Beispiel hat Lukas Cranach nicht einfach mit Rosa gemalt. Unter den Rot-Tönen liegt eine Schicht sogenannter GrĂĽner Erde. Das ergibt einen natĂĽrlichen, lebendigen Hautton und man konnte die Gesichter so perfekt modellieren: Augenringe sind ein bisschen grĂĽnlicher, auf die höher liegenden Wangenknochen kam nochmal ein extra Schicht rot.Â
ERZĂ„HLERÂ
Eine neue Farbe kann man erst auftragen, wenn die untere Schicht ein wenig angetrocknet ist. Tizian aber malte zum Beispiel selten weniger als 40 Schichten ĂĽbereinander. Da wundert es nicht, dass manche Maler Monate oder gar Jahre fĂĽr ihre Ă–lgemälde brauchten. Zumal in vorelektrischer Zeit nur wenige Stunden Tageslicht zum Malen blieben.Â
ERZĂ„HLERIN
Die langsame Trocknungszeit von Ölfarben hat aber auch Vorteile: Will man zum Beispiel Übergänge schaffen, kann man mit der neuen Farbe in die noch feuchte untere Farbschicht hineinmalen und sie auf der Leinwand miteinander vermischen. Bei einem Sonnenuntergang etwa stehen die einzelnen Farbtöne nicht abgegrenzt nebeneinander: Vom weiß der Sonne über die verschiedensten Nuancen von Gelb bis zu Orange und Blutrot hinein in einen blauen Himmel oder das Meer, gehen sie nahtlos ineinander über. Für solche Farbverläufe sind Ölfarben besonders geeignet.
Musik 11: Boating for beginners – 54 Sek
ERZĂ„HLERÂ
Zugleich sind Malerinnen und Maler natürlich Kinder ihrer Zeit. Neue Maltechniken haben ganze Kunststile entscheidend beeinflusst: Die Erfindung der Tubenfarben 1841 ermöglichte es, in der freien Natur zu malen, direkt vor dem Motiv, „en plein air“. Und zwar nicht nur Skizzen, sondern große Formate. Die Malerinnen und Maler konnten so den Eindruck, den eine Landschaft auf sie machte, unmittelbar wiedergeben. Die Impressionisten wie Claude Monet, aber auch van Gogh, Franz Marc oder Gabriele Münter: sie alle stellten ihre Staffeleien gern an Strand, Feld und Wiesen auf.
17 OT Kinseher
Das war natĂĽrlich wirklich eine riesige Innovation… die Tubenfarben können mit auf Reisen genommen werden. Es sind diese Malkästen, dass man ein ĂĽberschaubares Sortiment der wichtigsten Farbtöne als Tubenfarbe im hölzernen Malkasten bereithält.Â
Musik 12: erupting light – 53 Sek
ERZĂ„HLERIN
Leicht zu handhaben sind auch Aquarellfarben. Aquarellfarben werden mit sehr viel Wasser aufgetragen, als Untergrund dient besonders saugfähiges Büttenpapier. Korrekturen sind in der Aquarell-Technik unmöglich, man kann weder ausradieren, noch abschaben und auch nicht übermalen, jeder Pinselstrich muss sitzen. Damit das Papier nicht trocknet, muss man außerdem noch recht schnell malen. Doch die Umstände lohnen: die Nass-in-Nass-Technik sorgt für wunderbare Farbverläufe, die Farben fließen ganz wörtlich ineinander und verschmelzen. Maler wie William Turner, Albrecht Dürer oder Paul Klee schätzten das Aquarell sehr, sie alle aquarellierten viel auf Reisen.
18 OT Kinseher
Ein wunderbarer Begleiter, ja, also man kann damit die Skizze kolorieren, aber einfach auch nur in dieser flüssigen, Farbmaterial-Sprache arbeiten, … diese fluide Kraft des Wassers spielt da eine ganz, ganz große Rolle. Und das ist natürlich auch extrem reizvoll, diese Fließfähigkeit zu nutzen.
ERZĂ„HLERÂ
FĂĽr alle Maltechniken gilt: Man kann sie auch miteinander kombinieren. Seinen Hasen malte DĂĽrer zunächst in braunen Aquarellfarben, die feinen Härchen und Lichter setzte er mit Gouachefarben. Allerdings muss man sich bei der Kombination von Farbsorten an bestimmte Regeln halten. Die wichtigste lautet: von mager zu fett. Das heiĂźt, dass die unteren Schichten eines Gemäldes weniger Ă–l als die oberen enthalten dĂĽrfen, sonst bildet sich ein hässliches Kraquelee.Â
19 OT Kinseher
Es geht in so einem Maltechnik-System oder Bildaufbau-System eigentlich immer um Haftung und Adhäsion und eine gute Verbindung der Schichten untereinander. … so dass man nicht fĂĽrchten muss, dass schnell Schichtentrennungen, Krakelees und Absplitterungen stattfinden.Â
ERZĂ„HLERIN
Zum Glück gibt es auch Farben, über die man sich kaum Gedanken machen muss: Acryl zum Beispiel. Acrylfarben haften auf den meisten Oberflächen, sie trocknen schnell und man kann sie gut übermalen. Genau genommen handelt es sich bei Acryl um eine Plastik-Dispersion, die Farbwirkung ist sehr gleichmäßig. Anders gesagt: lasierend aufgetragene Ölfarben wirken deutlich lebendiger und natürlicher. Aber das wollen manche Künstler gar nicht. Die Pop-Art beispielsweise schätze genau diese „künstliche“ Ästhetik einer Malerei, die an gedruckte Comics erinnert.
20 OT Kinseher
Also Acrylfarbe bewegt sich mehr sozusagen an dieser Oberfläche und das wirkt plakativer. Zum Beispiel die Arbeiten von Roy Lichtenstein, der mit Klebebändern arbeitet um eine klare Kante zu schaffen… Da eignet sich einfach eine schnell trocknende Farbe extrem gut dafĂĽr … und dadurch konnte gewissermaĂźen eine neue Bildsprache entwickelt werden. …Diese ganze Pop-Art-Malerei ist auch zum Teil Acryl-Malerei und der ist so was Plakatives zu eigen.Â
Musik 13: Infinite – 57 Sek
ERZĂ„HLERÂ
Als letzte Handlung werden Gemälde gern mit einem Firnis ĂĽberzogen, einem klaren Lack. Er schĂĽtzt das Gemälde und kann zugleich die Farbwirkung noch einmal unterstreichen. Das Wort Firnis kommt aus dem Französischen, „vernis“ ist der Lack. Im Lauf der Zeit entstand der Brauch, dieses „Firnissen“ im Kreis von Freunden und Auftraggebern vorzunehmen. Diese öffentliche „Vernissage“ kennen wir heute als Ausstellungs-Eröffnung. Und spätestens zur Vernissage ist es egal, was fĂĽr ein Malgrund, Pigment oder Bindemittel verwendet wurden. Dann wird aus all dem nĂĽchternen Material faszinierende Malerei.Â