radioWissen - Bayern 2   /     Die Goldjungs und die Herstatt-Bank- Eine spektakulĂ€re Pleite mit Folgen

Description

Die Pleite der Kölner Herstatt Bank war eine der spektakulÀrsten in der deutschen Geschichte. Tausende Bankkundinnen und Bankkunden verloren Geld. Dabei hatte es so gut angefangen, als die DevisenhÀndler - intern Goldjungs genannt - begannen, auf WÀhrungen zu wetten. Von Maike Brzoska

Subtitle
Duration
00:21:11
Publishing date
2024-05-06 15:10
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/die-goldjungs-und-die-herstatt-bank-eine-spektakulaere-pleite-mit-folgen-1/2093395
Contributors
  Maike Brzoska
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2093395/c/feed/die-goldjungs-und-die-herstatt-bank-eine-spektakulaere-pleite-mit-folgen-1.mp3
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Shownotes

Die Pleite der Kölner Herstatt Bank war eine der spektakulÀrsten in der deutschen Geschichte. Tausende Bankkundinnen und Bankkunden verloren Geld. Dabei hatte es so gut angefangen, als die DevisenhÀndler - intern Goldjungs genannt - begannen, auf WÀhrungen zu wetten. Von Maike Brzoska

Credits
Autorin dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Friedrich Schuler, Christian Schuler
Technik: Ruth-Maria Ostermann, Lorenz Kersten
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Ulrich KlĂŒh, Professor fĂŒr Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Darmstadt
Christoph Kaserer, Professor fĂŒr Finanzmanagement und KapitalmĂ€rkte an der Technischen UniversitĂ€t MĂŒnchen

Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Köln, den 27. Juni 1974. Vor der Haupt-Filiale der Herstatt Bank, unweit des Kölner Doms, finden sich ab acht Uhr in der FrĂŒh immer mehr Menschen ein. Sie sind aufgebracht, wĂŒtend und rufen:

ZITATOR

Halunken, Gauner, BetrĂŒger 

SPRECHERIN

Einige versuchen in die Schalterhalle der Bank zu gelangen. Mit aller Kraft stemmen sie sich gegen die GlastĂŒr. Vergeblich. Erst zwei Stunden spĂ€ter öffnet sich die TĂŒr. Ein Mann kommt raus, mit einem roten Megaphon in der Hand. Es ist der GeneralbevollmĂ€chtigte der Bank. Er versucht die Menschen zu beruhigen – und weist gleichzeitig jede Verantwortung von sich. Auch er sei von der „Dany-Dattel-Devisen-Show“ ĂŒberrollt worden. So zitiert ihn das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Dany wer?

01 O-TON (KlĂŒh)

Dany Dattel – das war durchaus eine schillernde Persönlichkeit. 

SPRECHERIN

Sagt der Ökonom Ulrich KlĂŒh. Er ist Professor fĂŒr Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Darmstadt.

02 O-TON (KlĂŒh)

Er war also der, der mit seinem Team diese spekulativen WÀhrungsgeschÀfte betrieben hat. Dieses Team wurde dann auch in Zeitungen als die Goldjungs beschrieben, weil die haben der Bank in den ersten Jahren dieser GeschÀfte sehr, sehr viel Geld eingebracht.

Musik: Financial supermarkets 0‘24 

SPRECHERIN

Die Goldjungs waren eine Zeitlang die Stars der Herstatt Bank. Sie wetteten im großen Stil auf WĂ€hrungen und machten enorme Gewinne. Das war möglich, weil Anfang der 1970er vieles im Umbruch war, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. 

 03 O-TON (Kaserer)

Die 1970er Jahre, also vor allem 71 bis 74, waren eine wirklich schwierige Zeit. Vielleicht in gewisser Weise auch vergleichbar mit dem, was wir heute erleben. 

SPRECHERIN

Sagt der Ökonom Christoph Kaserer. Er ist Professor fĂŒr Finanzmanagement und KapitalmĂ€rkte an der Technischen UniversitĂ€t MĂŒnchen.

04 O-TON (Kaserer)

Wir hatten massive geopolitische Krisen: den Jom Kippur Krieg im Nahen Osten. Wir hatten immer noch den Vietnamkrieg. Der Jom Kippur Krieg war ja dann auch der Auslöser dafĂŒr, dass es dann Ende 73 zum Ersten Ölpreisschock kam und damit ausgelöst eben alle negativen wirtschaftlichen Effekte, also Rezession usw.

SPRECHERIN

Damit endete in der Bundesrepublik eine – in wirtschaftlicher Hinsicht – relativ ruhige Phase, in der so etwas wie Bankenpleiten kaum denkbar waren.

05 O-TON (KlĂŒh)

Es hatte nÀmlich fast drei Jahrzehnte keine Pleitebank mehr gegeben, in Deutschland und sogar weltweit nicht. Und das lag wiederum daran, dass das Finanzsystem seit dem Zweiten Weltkrieg so aufgebaut war, dass es super stabil war.

SPRECHERIN

Super stabil, vor allem weil es feste Wechselkurse gab. 

06 O-TON (KlĂŒh)

Also fĂŒr eine DM hat man so und so viel Dollar bekommen, fĂŒr eine Lira hat man so und so viel Franc bekommen.  

SPRECHERIN

Das war das sogenannte System von Bretton Woods. Benannt nach dem StÀdtchen, wo sich die Regierungen 1944 darauf geeinigt hatten. 

07 O-TON (Kaserer)

Und das ist eben jetzt mit der AnkĂŒndigung von PrĂ€sident Nixon, die Goldbindung des Dollars aufzugeben, ins Wanken geraten. 

SPRECHERIN

In einer berĂŒhmten Fernsehansprache sagte der damalige US-PrĂ€sident Richard Nixon:

ZITATOR 2 (Nixon)

Ich habe Finanzminister Conally angewiesen, vorĂŒbergehend die KonvertibilitĂ€t des Dollars in Gold oder andere Reservemittel auszusetzen. 

Musik: Dark deeds (A) 0‘17

SPRECHERIN

Das lÀutete 1971 das Ende von Bretton Woods ein, zwei Jahre spÀter wurde es dann auch formal abgeschafft. Die Folge war, dass die Wechselkurse von da an sehr stark schwankten. 

08 O-TON (Kaserer)

Der US-Dollar ist allein im Jahr 1973 vom Höchst- zum Tiefstkurs um mehr als 30 Prozent gefallen. Daran kann man sehen, wie groß die Schwankungen in den WĂ€hrungen waren.

SPRECHERIN

Und genau hier schlug die Stunde der Goldjungs. Das waren sechs sehr junge DevisenhĂ€ndler, teilweise erst Anfang 20, die fĂŒr Herstatt Bank arbeiteten.

09 O-TON (Kaserer)

Die Herstatt-Bank ist das, was man als Privatbank bezeichnet und Iwan Herstatt war dann in der fraglichen Zeit der GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Bank.

SPRECHERIN

Iwan David Herstatt – genannt Iwan der Große, auch wegen seiner KörperlĂ€nge von fast zwei Metern. Er war ein rheinisches Urgestein und bestens vernetzt in der Kölner Gesellschaft.  

10 O-TON (KlĂŒh)

Er war so richtig, ich wĂŒrde sagen, Teil des kölschen KlĂŒngels. Also das ist so ein spannender Seitenaspekt, hat vielleicht auch dazu beigetragen, dass das so spektakulĂ€r war. 

Is this together (Quintett) 0‘39

SPRECHERIN

Herstatt war in mehr als 30 Karnevalsgesellschaften und 20 weiteren Vereinen aktiv. Mehr als 20 Jahre lang organisierte er als Schatzmeister die Finanzierung des Kölner Rosenmontagsumzugs. Daneben saß er in zahlreichen Aufsichts- und BeirĂ€ten namhafter Unternehmen. Kaum ein Kölner Ereignis fand ohne ihn statt. Sein Netzwerk nutzte er, um GeschĂ€fte zu machen. Von der Stadt Köln ĂŒber den Kölner Erzbischof bis zum Verleger Alfred Neven-Dumont – sie alle hatten ein Bankkonto beim Iwan dem Großen. 

Übernommen hatte er die Bank 1955, fĂŒr ihn ein Lebenstraum. Das Geld dafĂŒr kam unter anderem von seinem Freund Hans Gerling, EigentĂŒmer des gleichnamigen Versicherungskonzerns. Unter Iwan Herstatt entwickelte sich die Bank zur grĂ¶ĂŸten Privatbank Deutschlands, mit starkem Fokus auf AußenhandelsgeschĂ€fte. Diese GeschĂ€fte waren der Grund dafĂŒr, dass die DevisenhĂ€ndler, also die Goldjungs, so wichtig waren fĂŒr die Bank. Denn wenn Unternehmen im Ausland handeln, sichern sie sich oft gegen schwankende Wechselkurse ab. 

11 O-TON (Kaserer)

Ein ganz einfaches Beispiel kann man sich wie folgt vorstellen: Angenommen, es gibt einen Exporteur, der hat einen Vertrag abgeschlossen ĂŒber die Lieferung einer Ware. Er weiß, dass diese Ware in einem oder zwei Monaten bezahlt wird. Er fakturiert in, sagen wir US-Dollar, so dass er also heute nicht genau weiß, was werden dann diese US-Dollar dann wert sein, wenn die Bezahlung der Rechnung erfolgt. Und deswegen geht er zur Bank und vereinbart mit der Bank heute einen festen Wechselkurs fĂŒr die Dollarzahlung, die erst in einem Monat, dann tatsĂ€chlich erfolgt. Das nennt man ein DevisentermingeschĂ€ft. Und damit hat er das Wechselkursrisiko vom Unternehmen auf die Bank ĂŒbertragen. Und die Bank muss natĂŒrlich ihrerseits dann sich ĂŒberlegen, ob sie selber dieses Wechselkursrisiko trĂ€gt oder ob sie sich wiederum entsprechend dagegen absichert. 

SPRECHERIN

Zum Beispiel indem sie ihrerseits ein DevisentermingeschĂ€ft mit einer Bank abschließt. Diese GeschĂ€fte nahmen mit dem Ende von Bretton Woods stark zu, nicht nur bei Herstatt, sondern bei den meisten Banken. Aber die Goldjungs waren dennoch etwas Besonderes. Das lag auch an Dany Dattel, Chef der Devisenabteilung. 

12 O-TON (KlĂŒh)

Er hatte auch ein spannendes Team, und hat mit diesem Team mit modernsten Computern gearbeitet. Das war alles sehr futuristisch und das hat die Leute fasziniert.

Musik:  Ballet 0‘45

Atmo Computer

SPRECHERIN

„Raumstation Orion“ nannte man die HandelsrĂ€ume der Goldjungs, nach der gleichnamigen Science-Fiction-Serie, die damals populĂ€r war. Sie telefonierten mit New York, machten GeschĂ€fte mit London, schoben per Knopfdruck Millionen hin und her. Die Kölner Herstatt Bank war Teil der schillernden Finanzwelt und korrespondierte mit der Chase Manhattan genauso wie mit der sowjetischen Narodny Bank. Ein aufregendes GeschĂ€ft, das so ganz anders war als die traditionellen BankgeschĂ€fte, die bald als langweilig, als „boring“ galten. 

13 O-TON (KlĂŒh)

Es ist einfach so, dass bis in die 60er Jahre hinein Banken, vor allem in Deutschland, aber auch weltweit, sich beschrÀnkt haben auf ganz einfache GeschÀfte, langweilige GeschÀfte. Deswegen Boring Banking. Sie haben die Ersparnisse von Leuten verwaltet auf der einen Seite, und andererseits haben sie Kredite vergeben an die lokale Wirtschaft. Und es war ein relativ einfaches GeschÀft, weil die Zinsen auch oft vom Staat festgelegt wurden. 

SPRECHERIN

Ganz anders beim WĂ€hrungshandel. Hier setzte man zum Beispiel darauf, dass der Dollar steigt oder fĂ€llt. Und weil das wegen der starken Schwankungen zunĂ€chst große Gewinne abwarf, spekulierten in der Herstatt Bank bald alle mit. 

14 O-TON (Kaserer)

Was dann in der Bank passierte, ist, dass man offensichtlich im ersten Schritt sich nicht mehr vollstĂ€ndig gegen diese DollargeschĂ€fte, die man mit Kunden gemacht hat, abgesichert hat, aber darĂŒber hinaus wohl dann auch angefangen hat, unabhĂ€ngig von KundengeschĂ€ften, Eigenhandel zu betreiben und gegen den Dollar sozusagen zu spekulieren. 

SPRECHERIN

RĂŒckblickend lĂ€uteten diese neuartigen FinanzgeschĂ€fte eine neue Epoche ein, sagt Ulrich KlĂŒh.

15 O-TON (KlĂŒh)

Mit der Möglichkeit zu spekulieren, ist das Bankwesen ganz anders geworden. Nicht nur das Bankwesen, sondern das Finanzwesen insgesamt. Man kann sogar sagen, dass sich eine ganz neue Art von Kapitalismus entwickelt hat. Dass der Kapitalismus bis Anfang der 70er Jahre ein langweiliger, auf die Realwirtschaft, auf die normalen Unternehmen fokussierter Kapitalismus war, der Kapitalismus seit Anfang der 70er Jahre sich immer mehr zu einem Finanzmarktkapitalismus entwickelt hat. Und damit ist dann auch eine Abkehr vom langweiligen Banking verbunden. Die Banken machen ganz andere Sachen. Sie engagieren sich mit neuen Finanzprodukten, die sehr viel riskanter sind insbesondere. 

Musik: Dry and neutral (reduziert) 0‘45

 Financial supermarkets 0‘8

SPRECHERIN

Wobei es auch damals schon Menschen gab, die vor den hohen Risiken dieser GeschĂ€fte warnten. Zum Beispiel die internen Revisoren der Herstatt Bank. Aber so lange die Goldjungs Gewinne machten, wurden die Warnungen beiseite gewischt. Kritiker galten auf der Raumstation Orion als Spielverderber. Die WĂ€hrungs-Party war wohl einfach zu schön. Aber irgendwann ging es dann eben schief. Die Goldjungs verspekulierten sich. Sie setzten auf einen steigenden Dollar, aber er fiel – es kam zu großen Verlusten. Wann genau wie viele Schulden aufliefen, ist nicht ganz klar, denn nicht alle Verluste wurden ordnungsgemĂ€ĂŸ in der Bilanz ausgewiesen. Christoph Kaserer:

16 O-TON (Kaserer)

Von den Jahren 71 bis 73 hat die Devisenabteilung erhebliche Gewinne erwirtschaftet. Wobei im Nachhinein man davon ausgehen muss, dass die Gewinne von 1973 eigentlich keine Gewinne waren, sondern die wurden sozusagen fingiert. Bestimmte GeschĂ€fte sind nicht verbucht worden. Und wĂ€ren diese GeschĂ€fte ordnungsgemĂ€ĂŸ verbucht worden, dann wĂ€re vermutlich – weiß man jetzt nicht ganz genau – aber man kann davon ausgehen, dass man wahrscheinlich schon 1973 Verluste erzielt hĂ€tte. 

SPRECHERIN

GerĂŒchte machten die Runde. Denn auch den WĂ€hrungshĂ€ndlern der anderen Banken fiel auf, wie hoch der Einsatz der Goldjungs war. Das wurde auch der deutschen Aufsicht zugetragen.

17 O-TON (KlĂŒh)

Die Bundesbank hatte tatsĂ€chlich schon relativ frĂŒh gesteckt bekommen, und zwar aus London, dass da ihre Kölner Bank ein ziemlich großes Rad dreht und große Risiken eingeht. Aber die Bundesbank und die Bankenaufsicht, die waren nicht in der Lage, diese Informationen zu verwerten und dann einzugreifen.

Musik: Wrong 0‘16

SPRECHERIN

Misstrauen breitete sich in der Bankenbranche aus. Weil nicht klar war, wie es um Herstatt steht, reduzierten andere Banken ihre GeschÀfte mit den Kölnern. Dadurch verschlechterte sich deren Lage weiter.

18 O-TON (Kaserer)

Das war letztlich sozusagen der letzte Auslöser fĂŒr die Pleite –, dass sich die anderen Banken geweigert haben, mit Herstatt so KursabsicherungsgeschĂ€fte abzuschließen. So dass also Herstatt sich gar nicht mehr von diesen Risiken lösen konnte, weil sie keine Partner mehr gefunden haben, die ihnen diese Devisenrisiken abgenommen haben.

SPRECHERIN

Mitte Juni meldete Herstatt einen Verlust von rund einer halben Milliarde D-Mark – ein Vielfaches des Eigenkapitals der Bank. In den folgenden Tagen versuchte Bundesbank-Chef Karl Klasen eine Rettung zu organisieren. Es gab GesprĂ€che mit Vertretern des Gerling-Konzerns und auch mit den Großbanken, der Dresdner, der Deutschen und der Commerzbank. Ohne Erfolg. 

19 O-TON (Kaserer)

Niemand war dann bereit, diese Bank zu retten. Und auch Gerling konnte das nicht mehr bewerkstelligen. Dann war es zu spĂ€t und das war dann der Auslöser dafĂŒr, dass es gar keinen anderen Weg mehr gegeben hat, als die Bank zu schließen. 

Musik: Secret proofs red. 0‘43

SPRECHERIN

Am 26. Juni 1974 entzog die damalige Aufsicht, das Bundesaufsichtsamt fĂŒr das Kreditwesen, Herstatt die Banklizenz. Die Bank musste alle Zahlungen einstellen. Wer konnte, brachte vorher noch schnell sein Geld in Sicherheit. Darunter waren viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Herstatt, aber auch andere Banken, die Wind von der Schließung bekommen hatten, wie die Chase Manhattan. Die meisten Sparerinnen und Sparer standen am nĂ€chsten Morgen allerdings vor verschlossenen TĂŒren. 

20 O-TON (Kaserer)

Die Privatkunden waren natĂŒrlich die letzten, die dann reagiert haben. Dann war es auch schon zu spĂ€t.

Musik: Z8037260119 Incorrectness 0‘ 24

Atmo: Menge

SPRECHERIN

Vor mehreren Filialen von Herstatt gab es Tumulte.

21 O-TON (Kaserer)

ZunĂ€chst mal gibt es Panik, weil niemand weiß, wie viel Geld kriegt er zurĂŒck. Und wenn natĂŒrlich die Menschen dann auf der Straße stehen und versuchen in die Bank zu kommen, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen, hat das natĂŒrlich eine politische Dimension. 

SPRECHERIN

Eine aufgeregte politische Debatte folgte – und natĂŒrlich kam die Frage auf: Wer ist schuld an der Pleite? Iwan Herstatt schob auf einer Pressekonferenz Anfang Juli jede Verantwortung von sich. Er habe von den enormen Summen, mit denen spekuliert wurde, nichts gewusst. 

22 O-TON (Iwan Herstatt)

Ich bekam jeden Abend die Tagesmeldung und da interessierte ich mich dafĂŒr, wie der Saldo war. Der war niemals höher als 25 Millionen. Das war also alles in Ordnung.

SPRECHERIN

Über viele Monate gab es eine öffentliche Schlammschlacht mit Schuldzuweisungen und Verleumdungen. Dabei ging es auch darum, wer EntschĂ€digungen zahlen muss. Das wurde auch im Bonner Bundestag diskutiert. Dort meinte der Unionspolitiker Rudolf Sprung: 

ZITATOR

In diesem traurigen Fall (
) hat sich keiner der Beteiligten, weder die Bundesbank, noch das Bundesaufsichtsamt, noch die Großbanken, noch die GroßglĂ€ubiger, mit Ruhm bekleckert. Geradezu als skandalös aber muß das Verhalten, Finassieren und Taktieren des Aufsichtsratsvorsitzenden und MehrheitsaktionĂ€rs des Instituts, Hans Gerling, bezeichnet werden. 

Musik: Serious affair red. 0‘39

SPRECHERIN

Gerling war mit mehr als 80 Prozent der Anteile HauptaktionĂ€r der Herstatt Bank. Allerdings verwies Gerling auf die Verantwortung der Großbanken, die seiner Meinung nach bei der Rettung von Herstatt versagt hĂ€tten. Die Großbanken hielten dagegen und meinten, dass Gerling die Sparerinnen und Sparer entschĂ€digen mĂŒsse. JĂŒrgen Ponto, damals Vorstandssprecher der Dresdner Bank, ließ sich im „Spiegel“ mit den Worten zitieren:

ZITATOR 2

Zur Not muss Frau Gerling ihren Schmuck verkaufen.

SPRECHERIN

Viele zeigten damals aber auch auf Dany Dattel, schließlich war er der Chef der Goldjungs. 

23 O-TON (KlĂŒh)

Wovor man warnen muss, ist, das zu tun, was dann nach der Krise hÀufig passiert ist, ihm die ganze Schuld an der Krise zuzuschreiben. Es war nÀmlich so, dass diese Krise durchaus auch Konsequenz war des Drucks, der von der GeschÀftsleitung und von den Eignern der Bank ausging, wirklich viel zu spekulieren und Gewinn zu machen in diesen Bereichen. So eine Krise ist immer ein System-Versagen. Eine Krise ist nie nur die Verantwortung eines Einzelnen. Zum System gehören hier die Chefs vom Dany Dattel, die Eigner der Bank, auch die Aufsicht, die eben nicht genug aufgepasst hat und nicht stark genug interveniert hat.

SPRECHERIN

Weshalb es nach der Herstatt Pleite eine ganze Reihe von rechtlichen und organisatorischen Änderungen in der Bankenbranche gab. Zum Beispiel ist das Kreditwesengesetz verschĂ€rft worden. Und auch fĂŒr die privaten Sparer und Sparerinnen Ă€nderte sich etwas Grundlegendes.

24 O-TON (Kaserer)

Das Allerwichtigste ist, dass es dann 1975 zur EinfĂŒhrung einer allgemeinen Einlagensicherung kam, die es ja bis heute noch gibt. Das ist die Einlagensicherung der Privatbanken. 

SPRECHERIN

Bis 100.000 Euro sind heute alle Spar-Guthaben geschĂŒtzt. Zur Zeit der Herstatt Pleite gab es lediglich den sogenannten Feuerwehrfonds.

25 O-TON (Kaserer)

Das war eine Art freiwillige Einlagenversicherung, die Bankeinlagen bis zu 20.000 D-Mark abgesichert hat. Also bis dorthin gab es gar keine Verluste.

SPRECHERIN

Wer mehr als 20.000 D-Mark bei Herstatt auf dem Sparkonto hatte, musste allerdings Abstriche machen. 

26 O-TON (Kaserer)

Im Großen kann man sagen, dass die Sparer etwas ĂŒber 80 Prozent ihrer Gelder wiederbekommen haben. Und bei den Banken und Kommunen waren es etwas ĂŒber 70 Prozent.

Musik:  Obscure intrigue 0‘35

SPRECHERIN

Das Geld, das an die GlĂ€ubiger verteilt wurde, stammte aus mehreren Quellen: dem restlichen Vermögen der Herstatt Bank, dem privaten Vermögen von Iwan Herstatt – er war persönlich haftender Gesellschafter – und von Hans Gerling, der dafĂŒr – nein, nicht den Schmuck seiner Frau –, sondern 51 Prozent der Anteile seiner Versicherungs-Holding verkaufte. 

Daneben gab es eine Reihe von Gerichtsprozessen. Bis 2006, also 22 Jahre nach der eigentlichen Pleite, zogen sie sich hin. Warum so lange?

27 O-TON (Kaserer)

Ein Grund war auch die Tatsache, dass das die GlÀubiger, insbesondere die Sparer, auch noch versucht haben, die Bundesrepublik Deutschland, also die Aufsichtsbehörde letztlich, in die Haftung zu nehmen, was dann eben nicht gelungen ist. Aber schon allein das war ein Gerichtsverfahren, das sich viele Jahre hingezogen hat.

Musik: Still waiting red. 0‘52

SPRECHERIN

Daneben wurde Dany Dattel und Iwan Herstatt persönlich der Prozess gemacht. Wobei Dany Dattel schnell fĂŒr schuldunfĂ€hig erklĂ€rt wurde. Er war als Kind im Vernichtungslager Auschwitz und litt seitdem unter dem sogenannten KZ-Syndrom, das mit schweren posttraumatischen Störungen verbunden ist. Iwan Herstatt wurde zunĂ€chst zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde allerdings wieder aufgehoben und in zwei Jahre Haft auf BewĂ€hrung umgewandelt. Ein Grund fĂŒr die mildere Strafe war, dass er unter dem sogenannten Pickwick-Syndrom litt. Betroffene dieses Syndroms haben schwerwiegende Probleme mit der Atmung, was unter anderem zur Folge hat, dass sie plötzlich einschlafen. 

Das alles wurde in der damaligen Öffentlichkeit breit diskutiert und kommentiert. Weitgehend ausgeblendet wurde in der Debatte, dass es auch in anderen LĂ€ndern Banken-Pleiten gab.

28 O-TON (KlĂŒh)

Wir in Deutschland denken immer, es war die Herstatt-Krise, aber in Wirklichkeit war es die erste globale Bankenkrise. Es war so, dass ĂŒberall spekuliert wurde auf einmal und ĂŒberall die Aufsicht darauf nicht vorbereitet waren und ĂŒberall nicht genug Regulierung war, und eben dieser Switch von der einen Art des Kapitalismus zur neuen Art des Kapitalismus mit einer Krise einherging.

SPRECHERIN

Aber so dramatisch die Herstatt-Pleite damals auch war – aus heutiger Sicht bot sie nur einen Vorgeschmack auf das, was danach kam.

29 O-TON (KlĂŒh)

Ich wĂŒrde sagen, das sind Vorboten dessen, was dann spĂ€ter in viel grĂ¶ĂŸerem Umfang passiert ist. Die ist sozusagen der Beginn einer Entwicklung, wo dann immer mehr dereguliert wird, immer mehr Abkehr vom Boring Banking passiert, immer mehr Finanzmarktkapitalismus gemacht wird. Und insofern ist es so ein Vorbote. Danach, ĂŒber mehrere Jahrzehnte, wird das weiter intensiviert und das Ganze kulminiert dann, hat seinen Höhepunkt in der Krise von 2008, die dann das Ende erstmal darstellt dieser verrĂŒckten Phase des Finanzmarktkapitalismus. Den haben wir zwar immer noch nicht ganz ĂŒberwunden, aber danach wurde das System wieder stĂ€rker reguliert.

Musik:  Media rumors 0‘26

SPRECHERIN

Weshalb man am Ende festhalten kann: Die Pleite der Herstatt-Bank war zwar die erste in der Geschichte der Bundesrepublik – aber noch lange nicht die letzte.