Als Bayern sich zum Industriestaat entwickelte, wurde sein Hunger nach Energie immer größer. Vor allem auch der Hunger nach elektrischem Strom. Dabei gilt für Bayern, ein Land mit wenig Rohstoffen und ohne Meereszugang, schon lange: Der Zugang zu bezahlbaren Energieträgern ist ein Dauerthema. Von Lorenz Storch
Als Bayern sich zum Industriestaat entwickelte, wurde sein Hunger nach Energie immer größer. Vor allem auch der Hunger nach elektrischem Strom. Dabei gilt für Bayern, ein Land mit wenig Rohstoffen und ohne Meereszugang, schon lange: Der Zugang zu bezahlbaren Energieträgern ist ein Dauerthema. Von Lorenz Storch
Credits
Autor dieser Folge: Lorenz Storch
Regie: Martin Trauner
Es sprach: Julia Fischer
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Prof. em. Dirk Götschmann (Uni Würzburg)
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SPRECHERIN:
9. September 1957. Bayern an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter. Euphorie im frisch gebauten „Atomei“ von Garching bei München. Viele Politiker sind da, und alle haben sie ein Strahlen im Gesicht, sie drängen sich um den Ort des Geschehens. Professor Heinz Maier-Leibnitz, Chef des neuen Atomforschungszentrums, geleitet die Ehrengäste zum Höhepunkt.
ZUSP. 1 (vorne Atmo) „Also das ist jetzt ein Original-Element. Vielleicht können wir das Element nochmal hochhalten und das dann als eröffnet betrachten, wenn es Ihnen recht ist. Herr Ministerpräsident, wenn Sie es selber in die Hand nehmen wollen? Das ist unschädlich!“ (hinten Atmo, Gelächter, Ah, Oh)
SPRECHERIN:
Ein Mann im eleganten hellgrauen Anzug reckt mit einer Hand ein Bündel empor, das aussieht wie ein verschnürter Sack voll Zeltstangen.
(ATMO Applaus aus Cartwall)
SPRECHERIN:
Euphorie, Siegerpose. Das Bündel enthält einen von 39 angereicherten Uran-Brennstäben – vor Kurzem eingetroffen aus den USA! Zwei Wochen lang waren sie mangels anderer Möglichkeiten im Tresor der Bayerischen Staatsbank zwischengelagert, aber nun ist das Uran ja angekommen in Garching. Und der dynamische Herr, der das Brennelement per Taschenmesser aus seiner Transportkiste geholt hat (ein Schraubenzieher war grade nicht zur Hand) - das ist der bayerische Ministerpräsident. Wilhelm Högner. Der einzige Sozialdemokrat, der jemals an der Spitze des Freistaats stand, macht Bayern zum Atomstaat.
ZUSP. 2 „Im Namen der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Inneren heiße ich Sie im ersten Atommeiler Deutschlands herzlich willkommen.“
SPRECHERIN:
Unter tätiger Mithilfe des Bundesministers für Atomfragen, Franz-Josef Strauß von der CSU. Der Atomminister, knapp über 40 Jahre alt, von Journalisten als „jugendlich-aggressiv“ beschrieben, sieht sich als Zukunftsminister. Auf die Frage, welche Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung nötig sein werden, wenn jetzt auch Bayern einen Atomreaktor hat, sagt Strauß:
ZUSP. 3 „Es handelt sich um reine Forschungsreaktoren von geringer Kraft- und Wärmeleistung. Im Falle München von 1000 Kilowatt Leistung. Außerdem sind bereits mehrere Exemplare dieses Typs in den USA und anderen Staaten aufgestellt worden. Dieser Reaktor weist bereits hunderttausende von Betriebsstunden auf, ohne dass der geringste Unfall bisher passiert ist.“
SPRECHERIN:
Die 1950er Jahre waren auch und gerade in Bayern eine Zeit ungeheurer Atomeuphorie. Man erhoffte sich von der Kernkraft billige Energie im Überfluss. Heimischer Kernbrennstoff sollte aus Uranbergwerken im Fichtelgebirge gewonnen werden. Was nie klappte, weil der Abbau dort sich als zu teuer erwies. Das vom Ministerpräsidenten begeistert gefeierte erste Paket mit Brennelementen musste 1958 in die USA zurückgeschickt werden, weil sich Fertigungsmängel zeigten. Und auch sonst kollidierten die hoch gesteckten Erwartungen an die Kernkraft alsbald mit der Realität, erzählt Historiker Dirk Götschmann, der eine Wirtschaftsgeschichte Bayerns geschrieben hat.
ZUSP. 4 „Erwies sich dann natürlich doch alles als schwieriger, als man zunächst erhofft hatte. Das war natürlich langwieriger. Der Unterschied zwischen einem Forschungsreaktor und einem Reaktor zur Gewinnung von Energie. Der ist natürlich schon enorm. Und tatsächlich war es ja so, dass der Atomstrom über Jahrzehnte nicht konkurrenzfähig war. Wenn man also die ganzen Kosten mit einberechnet hat, die also der Bau und der Betrieb eines Atomkraftwerkes erforderte. Trotzdem hat man gemeint, dass das eben die Energiequelle der Zukunft sein wird, und man hat also daran festgehalten und hat das weiterentwickelt.“
SPRECHERIN:
Einen substanziellen Beitrag zur Stromgewinnung in Bayern leistete die Kernkraft erst ab Ende der 1970er Jahre. Auf dem Höhepunkt, ab den 1990er Jahren, lieferte die Kernkraft dann allerdings zwei Drittel des bayerischen Stroms. Mit fünf Reaktoren an den Standorten Grafenrheinfeld bei Schweinfurt, Isar bei Landshut und Gundremmingen im Landkreis Günzburg.
(MUSIK)
SPRECHERIN:
Angefangen hat die Geschichte der Elektrifizierung Bayerns jedoch mit einer anderen Energiequelle. Der Wasserkraft. Das Walchenseekraftwerk war der Ursprung des flächendeckend zusammenhängenden Stromnetzes in Bayern.
ZUSP. 5 (Sprecher Fernsehbeitrag 1960er Jahre) „Oskar von Miller, Bayerns großer Ingenieur. Ihm ist nicht nur das Deutsche Museum zu verdanken. Er wurde 1918 von der Regierung zum ehrenamtlichen Staatskommissar für den Bau des Walchenseewerks und des Bayernwerks ernannt und hat mit seinem Stab tüchtiger Männer diese vielbestaunte Pioniertat vollbracht. Das Wasser des Walchensees wird durch einen Stollen im Berg in ein Becken, das Wasserschloss am jenseitigen Hang, geführt. Durch riesige Druckrohre schießt das Wasser zu Tal. Die Energie des Walchenseewerkes speist über die große Stromschiene der Bayernringleitung das deutsche Verbundnetz. Damals 1918/19/20 war man in Bayern skeptisch. Was wollte Miller mit diesem Überfluss an elektrischer Energie?“
SPRECHERIN:
Das Walchenseekraftwerk liefert seinen Strom bis heute teilweise in das Netz der Deutschen Bahn. Und bereits der Bau des Kraftwerks damals war eng verknüpft mit dem Plan zur Elektrifizierung der Eisenbahn in Bayern. Ähnlich wie in der nahen Schweiz wurde diskutiert, möglichst das gesamte bayerische Schienennetz elektrisch zu betreiben. Allerdings erhoben die bayerischen Generäle Einspruch: Was, wenn im Kriegsfall der Strom ausfällt? Wie sollten dann Truppen transportiert werden? Noch gewichtiger war aber ein zweiter Einwand, so Wirtschaftshistoriker Dirk Götschmann:
ZUSP. 6 „Dass eben die bayerischen Lokomotivhersteller zu diesem Zeitpunkt noch nicht so ganz fit waren, was die Produktion von elektrischen Lokomotiven anbelangte und man eigentlich, wie soll ich sagen, diesen Zukunftsmarkt nicht irgendwelchen auswärtigen preußischen Herstellern überlassen wollte, Und dann hat Krauss-Maffei eben zu diesem Zeitpunkt eine besonders effektive Dampflokomotive entwickelt, die damals wirklich konkurrenzlos gut war, sparsam im Gebrauch und schnell, sodass man also gesagt hat: Wenn wir jetzt eine solche Super-Dampflokomotive haben, wozu brauchen wir dann eine elektrische Bahn: Das geht doch so auch.“
SPRECHERIN:
Und so fehlt dank der damaligen Rücksicht auf die bayerische Dampflokindustrie bis heute an der Hälfte der Bahnstrecken im Freistaat die Oberleitung. Während das Bahnnetz der Schweiz zu 100 Prozent elektrifiziert ist.
(MUSIK)
SPRECHERIN:
Statt mit elektrischem Strom fuhren die meisten Loks in Bayern also weiter mit Kohle. Aber auch in der Stromproduktion kam Bayern – trotz der Wasserkraft – nicht ohne Kohle aus. Schon bei den ersten Anfängen im 19. Jahrhundert, als noch kein Verbundnetz für Strom existierte, lieferten Dampfmaschinen die Elektrizität überall dort, wo Wasserkraft nicht zur Verfügung stand. Später mussten die Kohlekraftwerke vor allem im Winter einspringen, wenn in den Flüssen weniger Wasser fließt. Und auch sonst lieferten die Kohlekraftwerke regelmäßig, vor allem zu Spitzenzeiten des Verbrauchs. Und mit der Zeit immer häufiger, denn der Stromverbrauch in Bayern stieg. Was vor allem mit dem Aufstieg der bayerischen Industrie zu tun hatte.
ZUSP. 7 „Damals war der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung eben alles, was mit Elektroindustrie zu tun hatte. Nicht nur die Elektroindustrie selbst, die Maschinen und derartiges hergestellt hat, sondern auch die Industrie, die also in starkem Umfange Strom benötigt hat, zur Produktion ihrer eigenen Güter, dazu dann elektrische Maschinen und so weiter im Einsatz hat. Und es waren sehr viele Maschinen. Also alle Bohrmaschinen, Drehbänke, Fräsmaschinen und so weiter wurde ja dann schon elektrisch betrieben.“
SPRECHERIN:
Schwerindustrie wie Stahlhütten, die in großem Maße Kohle verbraucht, spielte in Bayern stets eine geringere Rolle. Weil die großen Kohlereviere Westdeutschlands zu weit entfernt waren. Zwar konnte die Kohle von dort mit der Eisenbahn nach Bayern transportiert werden. Was der bayerischen Staatsbahn auch schöne Einnahmen brachte. Aber dadurch wurde der Brennstoff teuer.
Was zu einer Chance für Bayerns heimische Kohle wurde. Die Pechkohle im Alpenvorland war von schlechter Qualität, für Hüttenwerke nicht geeignet. Und kam in dünnen Flözen vor, eher schwierig abzubauen. Trotzdem gab es für einige Jahrzehnte eine Marktlücke für diese oberbayerische Kohle. Für die Kriegswirtschaft im Zweiten Weltkrieg spielte sie eine große Rolle, auch noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dann ging es aber schnell bergab.
ZUSP. 8 (Sprecher TV-Beitrag) „Die Arbeit des Bergmannes war ein Fundament wirtschaftlicher Macht. Leistung und Tradition schufen den Bergleuten eine Stellung, die erst vor einem Jahrzehnt ins Wanken geriet. Seit 1958 steckt der deutsche Bergbau in einer Krise. Auch der oberbayerische Pechkohlenbergbau war davon betroffen. In den vier Zechen Marienstein, Penzberg, Hausham und Peißenberg waren die Schwierigkeiten noch größer, weil dort ohnehin unter ungünstigeren Verhältnissen abgebaut werden musste, als bei der Konkurrenz an Saar und Ruhr.“
SPRECHERIN:
1971 schloss das letzte bayerische Bergwerk, wo unter Tage Kohle abgebaut wurde, in Peißenberg.
In der Oberpfalz dagegen, wo Braunkohle im Tagebau gefördert werden konnte, war sie konkurrenzfähig. Hier erreicht die Kohleförderung mit großen Schaufelradbaggern erst in den 1970er Jahren ihren Höhepunkt.
ZUSP. 9 (TV-Sprecher) „Schließlich entfalten die Braunkohlenfelder, die sich vor allem im Schwandorfer Gebiet befinden und rund hundert Millionen Tonnen umfassen, einen wichtigen Rohstoff. Hier hat vor kurzem die BBI, die bayrische Braunkohlenindustrie AG, ein großes neues Abbaugebiet in Rauberweiher erschlossen. Das ist eine zwar nicht sehr leistungsstarke, aber billige Kohle, die das nahegelegene Dampfkraftwerk Dachelhofen bei Schwandorf speist. Dieses Kraftwerk ist für die Stromversorgung Bayerns von großer Bedeutung.“
SPRECHERIN:
1981 ist das Kohlevorkommen bei Schwandorf jedoch erschöpft. Danach werden die Gruben geflutet – sie bilden heute das Oberpfälzer Seenland.
(MUSIK)
SPRECHERIN
Aber die Tage der Kohle als Haupt-Energieträger waren da ohnehin längst vorbei. Nach dem Zweiten Weltkrieg brach die Zeit des Öls an. Im Autotank, als Treibstoff für die Massen-Motorisierung. Als Heizöl in den Kellern der Häuser. Aber auch zur Herstellung von Strom: Vor den Ölkrisen war Erdöl billig, deshalb wurden damals Heizöl-Kraftwerke gebaut. Unter anderem an der Donau, in Irsching bei Ingolstadt und Pleinting bei Vilshofen. Und weil man diesen neuen Energieträger per Pipeline transportieren konnte, sah Wirtschaftsminister Otto Schedel von der CSU eine neue Chance für das energie-arme Bayern. Eine Pipeline vom Mittelmeerhafen Triest nach Ingolstadt an der Donau!
ZUSP. 10 „Ich wollte die günstige Lage des Landes zu den Ländern, in denen Öl gefördert wird, ausnutzen. Was ich damit meine, zeigt ein Blick auf die Karte, wenn die Pipeline, die in drei Ländern im Bau sich befindet, Ingolstadt-Triest, fertig ist und der Seeweg noch kürzer wird. Wir sparen 4500 Kilometer, haben nur noch die Hälfte der Transportwege. Das bedeutet billiges Öl und billige Energie in Bayern. Das bedeutet Überwindung der Revierferne.“
SPRECHERIN:
Rund um Ingolstadt entstehen durch den Bau der neuen Pipeline fünf Raffinerien. Damit ist Regensburg ausgebootet, das mit seinem Donauhafen bis dahin das Zentrum der bayerischen Ölindustrie gewesen war. Nach den Ölkrisen der 1970er Jahre wird das Erdöl allerdings deutlich teurer. Eine weitere Raffinerie, die Texaco im Raum Ingolstadt plante, wird deshalb nie gebaut. Heute sind von den ursprünglich sechs bayerischen Raffinerien noch vier in Betrieb.
(MUSIK)
SPRECHERIN:
Und auch das Öl bekommt neue Konkurrenz: Durch Erdgas. Erst aus eigener Produktion im bayerischen Alpenvorland. Dann aber folgt schnell importiertes Erdgas. Bayerische Politiker waren führend beteiligt daran, die so genannten Erdgas-Röhren-Geschäfte mit der Sowjetunion anzubahnen. Und 1973 ist es dann so weit.
ZUSP. 11 (TV-Sprecher) „Für die Energieversorgung der Zukunft fressen sich also die kostspieligen Rohrleitungen durch die idyllische Landschaft der Oberpfalz wie hier bei Nabburg. Die Bewältigung der umfangreichen Schweißarbeiten liegt dabei fest in indischer Hand. Die billigeren, angelangten Kräfte aus Fernost mit einem Sonder-Gastarbeiterstatus ersetzen die deutschen Fach-Schweißer, für die Spitzenlöhne bis zu 6000 Mark gezahlt werden müssten. Trotz solcher Sparmaßnahmen belaufen sich die Kosten pro laufendem Meter Erdgasleitung aus druckfestem und gleichzeitig schweißfreundlichem Spezialstahl auf 1500 Mark. Der Kilometer kommt also auf 1,5 Millionen ohne Planungs- und Rechteerwerbskosten für den Grund und Boden.
SPRECHERIN:
Schon damals ist der Bau neuer Energie-Infrastruktur ein Eingriff in die Landschaft. Schon damals auch sehr teuer. Und: Schon damals subventioniert der Staat den Bau der neuen Leitungen für Erdgas. Es gibt Werbekampagnen, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, ihre Heizung und ihre Herde auf Erdgas umzustellen. Mit Erfolg – wie dieses Interview mit einem Vertreter der Münchner Stadtwerke zeigt:
ZUSP. 12 „Herr Stahlknecht, wie notwendig ist für die städtische Energieversorgung die Umstellung von Stadtgas auf Erdgas?“ – „Die Nachfrage nach dem Energieträger Erdgas steigt laufend. Wir haben derzeit in München Steigerungswerte von 20 Prozent. In exakten Zahlen haben wir im Jahr 1972 2,7 Milliarden Kubikmeter Gas abgegeben. Diese riesigen Mengen an Gas können nicht mehr durch Stadtgas, das man früher aus Kohle gewonnen hat, gedeckt werden.“
SPRECHERIN:
Auch in den Städten müssen die Leitungen – und auch die Gas-Herde - umgebaut werden, weil das Erdgas einen anderen Heizwert hat und einen anderen Betriebsdruck als das Stadtgas, das zuvor jeweils vor Ort aus Kohle hergestellt worden war. Teilweise gibt es Zuschüsse, um die Umstellung den Kundinnen und Kunden schmackhaft zu machen.
Über die Abhängigkeit von der Sowjetunion, die Deutschland durch die Erdgasgeschäfte eingeht, wird damals durchaus diskutiert. Aber Wirtschaftsvertreter beschwichtigen. Im BR-Fernsehen 1973 ein Herr Dehner:
ZUSP. 13 „Von dem gesamten Erdgas-Aufkommen der Bundesrepublik wird das sowjetische Erdgas nach gegenwärtigem Sachstand vielleicht 15 Prozent ausmachen. Sie sehen also, dass ein Abschalten des russischen Gases aus politischen Gründen oder auch aus technischen Gründen vielleicht zu örtlichen Störungen führen würde. Einen Zusammenbruch unserer Energieversorgung aber würde es jedenfalls nicht riskieren.“
SPRECHERIN:
2021, vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine, lag der russische Anteil an den deutschen Erdgasimporten dann allerdings bei vollen 65 Prozent.
ZUSP. 14 „Eine sehr viel genutzte Energiequelle. Und die war tatsächlich auch unschlagbar billig. Das muss man eindeutig sagen. Es hat also zu dem industriellen Aufschwung, der sich dann in Bayern fortgesetzt hat, in den letzten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts, hat diese billige Energie durchaus einen Beitrag geliefert. Das kann man überhaupt nicht abstreiten.“
SPRECHERIN:
Bilanziert Wirtschaftshistoriker Dirk Götschmann.
(MUSIK)
Und die Kernenergie? Ist in Bayern seit April 2023, mit der Abschaltung von Isar 2 bei Landshut, ebenfalls Geschichte. Es gab folgenschwere Unfälle – 1975 sterben im Kernkraftwerk Gundremmingen A zwei Arbeiter durch austretenden radioaktiven Dampf aus dem primären Kühlkreislauf. 1977 dann im gleichen Reaktor: Kurzschluss, Sicherheitsventile reißen ab, radioaktiver Dampf strömt in das Reaktorgebäude – das dadurch überflutet und kontaminiert wird. Der Reaktor geht nie wieder ans Netz. Ein GAU oder Störfall mit Austritt großer Mengen Radioaktivität in die Umwelt ist Bayern aber erspart geblieben. Anders als Japan. Dort passiert 2011 die Reaktorkatastrophe von Fukushima. Danach drängt Markus Söder, damals CSU-Umweltminister, darauf, die bayerischen Kernkraftwerke so schnell wie möglich abzuschalten:
ZUSP. 15 „Unser Ziel ist, einen Ausstieg bis 2020 zu ermöglichen. Spätestens bis 2022, das muss man evaluieren.“
SPRECHERIN:
Ministerpräsident Horst Seehofer verkündet in einer Regierungserklärung im Landtag:
ZUSP. 16 „Die bayerischen Kernkraftwerke, meine Damen und Herren, werden abgeschaltet. 2022 Isar 2. In elf Jahren, meine Damen und Herren, ist also in Bayern kein Kernkraftwerk mehr am Netz, und zwar verlässlich und ohne Hintertürchen.“
SPRECHERIN:
2022 allerdings – unter dem Eindruck der Energiekrise nach Russlands Angriffskrieg – hat die CSU ihre Meinung geändert. Ministerpräsident Söder findet jetzt:
ZUSP. 17 „Kernkraft auszuschalten, macht überhaupt keinen Sinn. Es gibt keine Argumente, außer ideologischen Basta-Argumenten, die Kernkraft nicht zu verlängern.“
SPRECHERIN:
Mit ihrem Versuch eines Ausstiegs aus dem Ausstieg aus der Atomkraft drang die CSU dann jedoch nicht mehr durch. Die Ampel-Bundesregierung gab den letzten Atomkraftwerken noch eine Gnadenfrist von vier Monaten, doch dann war endgültig Schluss.
War die Kernkraft auch eine billige Form der Stromerzeugung? Je nachdem, wie man es betrachtet, sagt Wirtschaftshistoriker Dirk Götschmann:
ZUSP. 18 „Die Risiken musste der Staat übernehmen, um das mal so auszudrücken. Also die ganzen Investitionen in die Grundstruktur, die man überhaupt erst mal schaffen musste, das musste alles der Staat übernehmen. Also die Industrie hat sich da sehr zurückgehalten. Wie dann die Endrechnung tatsächlich ausschaut, wieviel Gewinn hat man jetzt aus dieser Stromerzeugung gezogen? Wo ist der Gewinn hingewandert. Was hat der Staat sozusagen, was für einen Anteil hat der Staat an diesem Gewinn? Hat er die Subventionen dann tatsächlich auch rentabel erscheinen lassen? Also das sind alles so Dinge, die ich glaube bis heute noch keiner beantworten kann.“
SPRECHERIN:
Und die Zukunft? Es ist wieder eine Umstellung im Gang. Windkraft und Photovoltaik sollen künftig die wichtigsten Energieträger sein. Mit Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke die Lücken füllen. Bayern wird weiter Energie importieren müssen – wie schon immer in den vergangenen 150 Jahren, seit die Industrialisierung Fahrt aufgenommen hat. Und die Energie wird nicht so billig sein wie an manch anderem Ort auf der Welt. Ebenfalls der historische Normalzustand in diesem Land fernab der Meere und mit wenig eigenen Ressourcen. Erst teure Kohle, dann teures Öl, dann eine Stromversorgung, die schon lange zwar sehr zuverlässig war, aber auch nicht besonders billig – egal ob der Strom mit Kohle, Erdgas oder Kernkraft produziert war. Unterm Strich hat es Bayern nicht geschadet, sagt Götschmann, der eine Wirtschaftsgeschichte Bayerns seit dem 19. Jahrhundert geschrieben hat – und dadurch die langen Linien sieht.
ZUSP. 19 „Also man muss dann sozusagen in Bayern tatsächlich hochwertige Produkte herstellen, bei denen der Energieeinsatz nicht mehr so stark zu Buche schlägt. Und es war eigentlich ein Vorteil, kann man sagen für die Entwicklung der bayerischen Industrie, weil die bayerische Industrie dadurch gewissermaßen gezwungen war, rational zu arbeiten. Also immer fortschrittlich zu sein, möglichst energiesparende Verfahren zu entwickeln und hochwertige Produkte herzustellen. Also billige Energie verleitet natürlich auch dazu, dass man sie gewissermaßen verschwendet. Wenn die Energie teuer ist, dann versucht man, das Beste daraus zu machen. Und das kommt dann letztendlich den Produkten auch zugute.“
SPRECHERIN:
Billige Energie ist schon seit Langem nicht der entscheidende Standortfaktor hier im Land. Und wird es mit einiger Sicherheit so schnell auch nicht werden.