radioWissen - Bayern 2   /     Hexen - Die Geschichte von Angst, Folter und Mord

Description

FĂŒr viele Menschen sind Hexen auch heute real. US-Forscher fanden bei einer Befragung in 95 LĂ€ndern heraus, dass mehr als 40 Prozent glauben, dass böse Hexen anderen schaden können. Im frĂŒhneuzeitlichen Europa fielen SchĂ€tzungen zufolge Zehntausende Frauen den Hexenverfolgungen zum Opfer. Autorin: Claudia Steiner

Subtitle
Duration
00:23:29
Publishing date
2024-05-30 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/hexen-die-geschichte-von-angst-folter-und-mord/2093949
Contributors
  Claudia Steiner
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2093949/c/feed/hexen-die-geschichte-von-angst-folter-und-mord.mp3
audio/mpeg

Shownotes

FĂŒr viele Menschen sind Hexen auch heute real. US-Forscher fanden bei einer Befragung in 95 LĂ€ndern heraus, dass mehr als 40 Prozent glauben, dass böse Hexen anderen schaden können. Im frĂŒhneuzeitlichen Europa fielen SchĂ€tzungen zufolge Zehntausende Frauen den Hexenverfolgungen zum Opfer. Autorin: Claudia Steiner

Credits
Autorin dieser Folge: Claudia Steiner
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Gudrun Skupin
Technik: Christine Frey
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Dr. Stefan Eisenhofer, Kurator im Museum FĂŒnf Kontinente.
Gertrude Nkrumah, Historikerin und Gender-Forscherin an der University of Education in Winneba in Ghana. 
Dr. Sarah Rafajlovic, Ethnologin, Ann-Christine Woehrl, Fotografin.  

Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren:

Hexer und Heiler - Eine Schattengeschichte der Deutschen
Deutschland 1949 - Im GrĂŒndungsjahr der Bundesrepublik geschieht Ungeheuerliches: Die Menschen fĂŒrchten den Weltuntergang, Zehntausende ziehen Wunderheilern hinterher. Sie glauben an Hexen und Verschwörungen. Eine Reise in die Schattengeschichte der Nachkriegszeit. 
JETZT ENTDECKEN

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

Das Verbrechen lauert ĂŒberall – auch zwischen Mensch und Tier. "Wild Crimes" liefert packende Storys von True Crime im Tierreich. In Staffel eins erzĂ€hlen wir euch vom "ProblembĂ€ren" Bruno. Der war erst bei uns willkommen, dann wurde er gejagt und getötet. Wie kam es zu dieser dramatischen Wende? Wer hat ihn abgeschossen? Und war es gerechtfertigt, ihn zu töten? JETZT ENDTECKEN

Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | RadioWissen
JETZT ENTDECKEN

Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Sie fliegen auf Besen, tanzen um Feuer, haben feuerrote Haare und schwarze Katzen, Kontakt zu Geistern und sogar dem Teufel, dem sie den Hintern kĂŒssen, um sich dann mit ihm zu vermĂ€hlen. 

MUSIK kurz hochkommen lassen 

Sie praktizieren magische Rituale, murmeln ZaubersprĂŒche und können mit ihren ĂŒbernatĂŒrlichen KrĂ€ften anderen schaden: Hexen. 

MUSIK hochkommem 

SPRECHERIN

Die meisten denken vermutlich sofort an Hexenverbrennungen im Mittelalter und in der frĂŒhen Neuzeit. Doch der Glaube an Hexerei und die Angst davor sind kein PhĂ€nomen der Vergangenheit. FĂŒr viele Menschen sind Hexen real – auch im 21. Jahrhundert. 

MUSIK:  Evil forest 0‘22

 The dark lord 0‘52

SPRECHERIN

Ein Forschungsteam der American University in Washington befragte mehr als 140.000 Menschen in 95 LĂ€ndern. Demnach glauben mehr als 40 Prozent, dass Hexen anderen Leid zufĂŒgen können. Die Studie ergab, dass der Glaube an die dunkle Macht von Hexen vor allem in LĂ€ndern mit schwachen Institutionen, geringem sozialen Vertrauen und geringer Innovationskraft prĂ€sent ist. Besonders verbreitet ist der Hexenglaube zum Beispiel in Marokko, Tunesien, Tansania und Kamerun, Mittel- und SĂŒdamerika, dem Nahen Osten und Russland. Auch in Teilen Ghanas werden immer wieder Frauen als Hexen diffamiert, verstoßen, bedroht oder sogar getötet. Die Historikerin und Gender-Forscherin Gertrude Nkrumah unterrichtet an der University of Education in Winneba in Ghana (Aussprache bei "Hexen iXm6011_00003 Gertrude Nkrumah Historikerin und Genderforscherin Ghana" in „Wissen und Forschung“ 0.34 Sek).  

O-TON 1 (Gertrude, 3, 3.34 The point 
. about it, 4.48 Usually 
 chicken) – Overvoice 

Was ich betonen möchte, ist, dass es solche Vorkommnisse nur in bestimmten Regionen Ghanas gibt. Die meisten Menschen in Ghana aber wissen darĂŒber kaum etwas. / Normalerweise ist es so, wenn eine Person beschuldigt wird, ĂŒber HexenkrĂ€fte zu verfĂŒgen, dann wird die Person in ihr Dorf gebracht, wo mit besonderen Ritualen versucht wird herauszufinden, ob die Frau eine Hexe ist oder nicht, zum Beispiel indem man ein Huhn schlachtet.  

MUSIK: Secret proofs red 0‘27

SPRECHERIN 

Bei dem Ritual wird einem Huhn die Kehle durchschnitten. Die Art, wie der Vogel nach seinem Tod auf der Erde liegt, entscheidet dann darĂŒber, ob es sich bei der beschuldigten Frau um eine Hexe handelt oder nicht. Manchmal findet auch eine Beschau der Eingeweide des Tieres statt. Die deutsch-französische Fotografin Ann-Christine Woehrl portrĂ€tierte in der abgeschiedenen Northern Region Frauen, die als Hexen bezichtigt werden. In ihrer Schau mit dem Titel „Witches in Exile“ – also Hexen im Exil – 2023/24 im Museum FĂŒnf Kontinente in MĂŒnchen portrĂ€tiert sie Frauen, die in sogenannten Witch Camps leben - das sind einfache Dörfer, in denen ausschließlich Frauen leben, die als Hexen stigmatisiert werden. Ann-Christine Woehrl: 

O-TON 2 (2 Woehrl, 00.48) 

Alle Frauen tragen natĂŒrlich das gleiche Schicksal, dass sie meist lebenslĂ€nglich aus ihren Dörfern, also Dorfgemeinschaften und Familien, ausgegrenzt wurden und Zuflucht in einem sogenannten Witch Camp gefunden haben. Und insofern ist natĂŒrlich das Schicksal, was sie da tragen, die sind da schon auch sehr gezeichnet davon.

SPRECHERIN

Manchmal haben die Frauen noch Kontakt zu ihren Familien, oft aber sind sie ganz auf sich alleine gestellt. Sie bestellen ein kleines Feld oder klauben auf MĂ€rkten Körner zusammen, die auf den Boden gefallen sind. Andere Menschen fĂŒrchten sich vor ihren vermeintlich bösen KrĂ€ften und meiden sie. Die Frauen selbst sehen sich nicht als Hexen, sagt Ann-Christine Woehrl: 

O-TON 3 (2, Woehrl, 01:40)

Von den Frauen, die ich dort getroffen hat, hat keine von sich behauptet, dass sie eine Hexe sei, aber grundsÀtzlich das PhÀnomen haben sie nicht in Frage gestellt. Ich habe ganz konkret auch die Frage damals gestellt: Siehst du dich als Hexe? Und alle haben gesagt: Nein, ich wurde falsely accused. Aber ich glaube, um die Existenz von Witches, von Hexen, daran wird gar nicht gezweifelt, dass es die gibt, weil eben dieser Glaube so verankert ist.  

MUSIK:  Nocturnal research red. 0‘25

SPRECHERIN

Es gibt in Ghana auch den Glauben an Hexer, also MĂ€nner, denen magische KrĂ€fte nachgesagt werden. Doch fĂŒr MĂ€nner ist dieses Label meist nicht so gefĂ€hrlich, sagt Gertrude Nkrumah: 

O-TON 4 (3, Gertrude, ca 10.48, Mostly 
 protection) Overvoice  

Meistens denken Menschen, dass auch MĂ€nner ĂŒber HexenkrĂ€fte verfĂŒgen können, aber sie glauben, sie nutzen es fĂŒr Gutes, anders als Frauen. Meiner Ansicht nach ist das vor allem deshalb so, weil Frauen in einer verletzlicheren Position sind. Es ist leichter, sie zu beschuldigen, besonders wenn sie keinen Schutz haben.   

SPRECHERIN 

Oft treffen die VorwĂŒrfe die SchwĂ€chsten der Gesellschaft. Je nach Land, Region und gesellschaftlicher Situation werden neben Frauen auch marginalisierte Gruppen wie Waisen, mittellose, junge MĂ€nner oder Menschen mit Albinismus an den Pranger gestellt. Doch wie kommt es, dass jemand als Hexer oder Hexe bezichtigt wird? Die Frauen in Ghana erzĂ€hlen, dass manchmal Neid und Missgunst eine Rolle spielen. Teilweise werden die Frauen auch fĂŒr Krankheiten, Epidemien, UnfĂ€lle, DĂŒrren oder TodesfĂ€lle verantwortlich gemacht. Meist sind die AnklĂ€ger keine Unbekannten. Die Fotografin Christine Woehrl:  

O-TON 5 (2, Woehrl, 5.05) 

Oft sind es aber natĂŒrlich auch Familienmitglieder, die diese Frauen anklagen. (
) Also es ist ja oft auch ein Thema in der polygamen Gesellschaftsstruktur, dass natĂŒrlich eine Frau auch von einer Rivalin verstoßen wird oder sie eine Traumerscheinungen hat. 

SPRECHERIN

Eine Frau aus dem Witch Camp erzĂ€hlte Ann-Christine Woehrl zum Beispiel, dass die Zweitfrau ihres Mannes sie beschuldigt habe, fĂŒr die Krankheit ihres Sohnes verantwortlich zu sein. Die erste Ehefrau wurde daraufhin als Hexe verstoßen und musste das Dorf verlassen. Die Zweitfrau aber stieg dadurch gesellschaftlich auf und wurde zur Hauptfrau. 

MUSIK:  Dark figures 0‘47

SPRECHERIN

In der ghanaischen Gesellschaft ist der Glaube an Hexen tief verankert. Die Frauen dienen als SĂŒndenböcke fĂŒr Probleme. Indem vermeintliche Hexen verstoßen und vertrieben werden, sollen Konflikte zum Beispiel im Dorf gelöst werden. FĂŒr die geĂ€chteten Außenseiterinnen können die Anschuldigungen fatale Folgen haben: 2020 machte in Ghana die Ermordung von Akua Denteh Schlagzeilen (Aussprache: https://www.youtube.com/watch?v=my8AQYLXyww Aussprache des Namens bei 00.10). Die als Hexe diffamierte 90-JĂ€hrige wurde auf der Straße erschlagen – eine Gruppe von Menschen beobachtete die Tat. Videos des Mordes landeten in den sozialen Medien. Dies veranlasste die Regierung dazu, gegen Hexenverfolgung und Hexenanklagen vorzugehen. Die beiden HaupttĂ€terinnen wurden zu langen GefĂ€ngnisstrafen verurteilt. Inzwischen gibt es Bestrebungen, die Verfolgung von Hexen als Straftatbestand zu etablieren, sagt Stefan Eisenhofer, Kurator der Ausstellung im Museum FĂŒnf Kontinente. Doch der Weg der ghanaischen Regierung dahin ist nicht einfach:  

O-TON 6 (4, Eisenhofer, 6.06) 

Wenn die sagen, wir folgen vielen Menschen der eigenen Bevölkerung, fĂŒr die Hexerei eine soziale RealitĂ€t ist und die das als integralen Bestandteil auch vom Gerechtigkeitsempfinden und Strafverfolgung sehen, damit kicken sich die afrikanischen Staaten sozusagen aus der Weltengemeinschaft der anderen Staaten aus. Wenn sie dann aber Hexerei fĂŒr nicht existent betrachten, dann hat man zum Teil aus der eigenen Bevölkerung Gegenwind, weil die sagen: Ja, ihr folgt wieder europĂ€ischen, kolonial-zeitlichen Vorgaben und tretet auf afrikanischem Kulturerbe mit FĂŒĂŸen herum. 

MUSIK:  Deserted and destroyed (reduziert) 0‘38

SPRECHERIN

Es gibt afrikanische LĂ€nder, in denen die Kolonialgesetzgebung weiter besteht, die Hexerei schlicht als nicht existent betrachtet. Doch Gesetze helfen wenig, wenn es um Angst geht. Erfolgreicher sind zum Beispiel AnsĂ€tze von Pfingstkirchen, in denen der Heilige Geist eine große Rolle spielt. Viele der christlichen Gemeinschaften akzeptieren den Glauben an Hexerei, an die Macht des Bösen und die KrĂ€fte des Teufels. Der Ethnologe Stefan Eisenhofer. 

O-TON 7 (Eisenhofer, 4, 16.02) 

Und sowohl die Menschen, die sich verhext fĂŒhlen, können Zuflucht finden in dieser christlichen Gemeinschaft als auch diejenigen, denen Hexerei vorgeworfen wird, weil dann sozusagen die göttliche Kraft diese MĂ€chte ĂŒberstrahlt und ja, in den Griff bekommt und aufhebt und ins Positive wenden kann. Also den grĂ¶ĂŸten Erfolg haben sozusagen nicht die, die so mit einer europĂ€ischen AufklĂ€rungsidee ‚Jetzt mĂŒssen die Menschen mal besser gebildet werden, dann erledigt sich das von alleine‘
 So einfach ist es offenbar nicht. Oft haben diejenigen grĂ¶ĂŸeren Erfolg, die sich so irgendwie in vertrauteren Argumentationsmustern bewegen. 

MUSIK:  Foreboding fate 0‘45

SPRECHERIN

In einigen LĂ€ndern wie zum Beispiel Kamerun gilt Hexerei als Tatbestand im Strafgesetzbuch. Hexen, die von Hexenfindern identifiziert werden, drohen langjĂ€hrige GefĂ€ngnisstrafen. In Ghana versuchen Menschenrechtsorganisationen die Bevölkerung mit drastischen Plakaten wach zu rĂŒtteln. Es sind Zeichnungen von Frauen, die verfolgt oder geschlagen werden. Die Botschaft lautet: „Auch Du könntest an der Stelle dieser Frau sein“ oder „Das könnte auch deine Mutter sein.“ Ab und an gelingt es durch Verhandlungen mit Dorfgemeinschaften, dass Frauen aus den Witch Camps wieder zu ihren Familien zurĂŒckkehren können. Doch manche mĂŒssen erneut in das Witch Camp flĂŒchten, weil sie neuen Anschuldigungen oder Verfolgungen ausgesetzt sind. Stefan Eisenhofer betont, dass der Glaube an Hexen in vielen Regionen unabhĂ€ngig vom Bildungsniveau verbreitet ist. 

O-TON 8 (Eisenhofer, 4, 2.04) 

Ein anderer wichtiger Punkt ist fĂŒr mich: Das ist kein PhĂ€nomen irgendwelcher rĂŒckstĂ€ndiger Gebiete ist (
), sondern dass Hexenglauben auch fĂŒr viele großstĂ€dtische, gebildete Menschen einfach soziale RealitĂ€t ist. Und das betrifft auch Diaspora-Kreise. Wenn wir jetzt zum Beispiel diese Bilder hier sehen, dann ist es fĂŒr uns in Mitteleuropa sozialisierte Menschen, erwirkt das ja eher Mitleid, Sympathie, Empathie. Aber es gibt eben auch Menschen, die den Bildern vielleicht skeptischer gegenĂŒberstehen und denken: Na ja, so ganz von ungefĂ€hr werden die schon nicht in diesem Hexenlager sein. Und das ist tatsĂ€chlich (
) fĂŒr mich als Ethnologe immer so eine Gratwanderung, weil ich halt vor allem auch vermeiden will, mit dem mitteleuropĂ€ischen, urbanen, deutschen Zeigefinger zu zeigen: Wir haben wieder die Weisheit mit Löffeln gefressen. Und jetzt bringen wir dann mal ein bisschen Bildung und unsere Werte und unsere Weltsicht in andere Weltenteile und dann wird alles gut. 

MUSIK:  Main title from The name oft he rose 1‘07 

SPRECHERIN

In Europa dauerte es lange, bis Hetzjagden auf vermeintliche Hexen ein Ende fanden. In Deutschland zum Beispiel wurde 1775 die letzte angebliche Hexe umgebracht, in der Schweiz 1782. In den Jahrhunderten zuvor wurden infolge der Inquisition – der kirchlichen Verfolgung – aber auch durch Urteile weltlicher Schöffengerichte Zehntausende Menschen – ĂŒberwiegend Frauen - qualvoll getötet. Sie starben durch Folter, bei HexenprĂŒfungen oder auf dem Scheiterhaufen. 

MUSIK kurz hoch

SPRECHERIN

Die Kirche spielte in dem dunklen Kapitel der europĂ€ischen Geschichte eine wichtige Rolle: Der im 13. Jahrhundert lebende Kirchentheoretiker Thomas von Aquin ging davon aus, dass Hexerei wie die Tierverwandlung, HexenflĂŒge oder Unwetterzauber mit Hilfe des Teufels ausgefĂŒhrt werden kann. Die römische Kurie ernannte Inquisitoren, die durch BistĂŒmer zogen, um Hexenverfolgungen zu organisieren - so auch der Dominikanermönch Heinrich Kramer. Grundlage vieler Hexenprozesse war sein Werk, ein fast 700 Seiten umfassendes Buch mit dem Namen „Hexenhammer“. Das 1487 erschienene Buch diente als Anleitung zur ÜberfĂŒhrung und Verurteilung von vermeintlichen Hexen. Die MĂŒnchner Ethnologin Sarah Rafajlovic (Aussprache - "Hexen Sarah Rafajlovic iXm6127_00001" bei 0.28 Sek.): 

O-TON 10 (Sarah Rafajlovic, 8.03 /11.37) 

Der Hexenhammer liefert ein ganzes Spektrum an Dingen, wie man herausfinden kann, ob jemand eine Hexe ist. Da ist auch klar definiert, was Hexe bedeutet und Anweisungen fĂŒr den Inquisitor sind vorhanden. / Er wurde alleine zwischen dem 16. und dem 17. Jahrhundert 16-mal neu aufgelegt. Das ist fĂŒr eine Zeit, in der der Buchdruck und das Lesen noch gar nicht so verbreitet waren, richtig viel. Und das hat es auch ermöglicht, dass dieser Glaube zum Beispiel nach Nordamerika exportiert wurde und dass dort auch Hexenpogrome stattfinden konnten.

MUSIK:  Dark activities 0‘20

Atmo Pesttrommel 0‘15

SPRECHERIN

Die Hexenverfolgung in Europa fiel in die sogenannte „kleine Eiszeit“, eine KĂ€ltewelle mit langen Wintern, schlechten Ernten und Hunger. Auch die Pest wĂŒtete. Ihren Höhepunkt erreichten die Hexenprozesse wĂ€hrend des DreißigjĂ€hrigen Kriegs. Die Frauen dienten als SĂŒndenböcke fĂŒr Missernten, SchĂ€den, Krankheiten und den Tod. Ihnen wurde vorgeworfen, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben und mit ihm zu buhlen. ÜberfĂŒhrt wurden sie unter anderem mit der sogenannten „peinlichen Befragung“, gemeint ist Folter, unter der die Beschuldigten Schadenzauber oder Tanzorgien mit dem Teufel gestanden und oft auch weitere Menschen als Hexen beschuldigten, die dann ebenfalls ermordet wurden. Manchmal dienten auch Muttermale dazu, um eine angebliche Hexe zu identifizieren – teilweise in Kombination mit der Nadelprobe, bei der in ein Muttermal gestochen wurde. Floss kein Blut, war die VerdĂ€chtige als Hexe entlarvt. Teilweise spielte aber auch nur die Form oder die Körperstelle, an der sich ein Muttermal befand, eine Rolle. Sarah Rafajlovic:

O-TON 11 (Sarah Rafajlovic, 10.05) 

Das kann alles sein, das kann auch ein Leberfleck irgendwie in einer seltsamen Form am RĂŒcken oder auf dem Hintern sein, was der Inquisitor quasi als solches definiert. Es gibt verschiedene Dinge, die durch den Hexenhammer als Zeichen einer Hexe gesehen wurden. 

MUSIK: Howling moon 0‘42

SPRECHERIN

Eine andere Methode, um herauszufinden, ob es sich bei einer Frau um eine Hexe handelte, war die Wasserprobe. DafĂŒr wurden die vermeintlichen Hexen in ein fließendes GewĂ€sser geworfen, teilweise wurden Steine an sie gebunden. Gingen die Frauen unter, war ihre Seele rein, der Vorwurf falsch. Viele Frauen ĂŒberlebten die Probe aber nicht und ertranken. Wenn die Frauen aber an der OberflĂ€che trieben, war fĂŒr die Inquisitoren klar, dass sie mit ĂŒbernatĂŒrlichen MĂ€chten im Bunde standen – diese Frauen landeten auf dem Scheiterhaufen. Sarah Rafajlovic:

O-TON 12 (Sarah Rafajlovic, 8.50) 

Man muss sich vorstellen, dass Frauen zu der Zeit mehrere Unterröcke auch anhatten, wo sich Luftpolster bilden konnten, was die logische, rationale ErklĂ€rung dafĂŒr ist, warum Frauen nicht untergegangen sind. Ich habe in meiner Forschung diese Wasserprobe auch in SĂŒdosteuropa gefunden, wo der Magieglaube ambivalent geprĂ€gt ist - also weder gut noch böse, sowohl schĂ€dlich als auch nĂŒtzlich. Und da hat man diese Frauen an einem Seil ins Wasser geworfen und hat beide Frauen wieder rausgezogen und beide Frauen haben ĂŒberlebt - mit dem Unterschied, dass diejenige, der der Hexereivorwurf gemacht wurde, der negativen Magie abschwören musste. Sie durfte aber weiterhin als Heilerin in die Gesellschaft tĂ€tig sein.

MUSIK:  Healing process 0‘42

SPRECHERIN

Als die Schulmedizin in Serbien noch nicht etabliert war - hatten dort Heilerinnen die Funktion von Ärztinnen. Sie kannten sich mit KrĂ€utern aus, wussten, welche Pflanzen bei verschiedenen Beschwerden helfen. Anders als in vielen europĂ€ischen LĂ€ndern schaffte es die orthodoxe Kirche nicht, die Heilerinnen als Hexen zu diffamieren, sagt Sarah Rafajlovic, die ĂŒber Frauen, Magie und das Okkulte im post-sozialistischen Serbien promovierte. 

O-TON 13 (1, Rafajlovic, 20.54) 

Es gab nie ein so großes Erstarken der eigenen Kirche, dass diese Kirche das BedĂŒrfnis gesehen hĂ€tte, das irgendwie (
) zu vertreiben. Im Gegenteil - die Regierung hat im 19. Jahrhundert proklamiert, dass Leute, die andere Leute als Hexen diffamieren, vor Gericht gestellt werden. (
) Und das hat dazu beigetragen, dass die traditionelle Magie immer noch vorhanden ist.

SPRECHERIN

Noch heute gibt es vor allem in lĂ€ndlichen Regionen sogenannte Babas, denen magische KrĂ€fte nachgesagt werden. Baba bedeutet Großmutter. Hilfesuchende finden die Frauen durch Mund zu Mund-Propaganda. Aufgesucht werden sie bei verschiedensten Problemen und Sorgen, sagt Sarah Rafajlovic: 

O-TON 14 (1, Sarah, 21.50) 

Auch wenn man glaubt, jemand hĂ€tte den bösen Blick ĂŒber einen gebracht. (
) Der hĂ€ufigste Grund sind BettnĂ€ssen bei Kindern zum Beispiel oder wenn ein Kind viel weint, oder wenn man Eheprobleme hat, dann ist das auch ein Anlaufpunkt oder auch Angst, also grundsĂ€tzlich Depressionen und AngstzustĂ€nde.

SPRECHERIN

In serbischen StĂ€dten wiederum gibt es heutzutage Frauen, die sich selbst als Heilerinnen bezeichnen und die auf Basis der traditionellen Magie ein neues MagieverstĂ€ndnis entwickeln, oft angereichert durch esoterische Elemente. Einen Ă€hnlichen Trend gibt es auch in Deutschland. Hier geben selbst ernannte Hexen zum Beispiel auf dem Videoportal TikTok ihr Wissen weiter. Sie posten kurze Clips mit Kerzen, Kristallen und Tarotkarten, erklĂ€ren Rituale und SprĂŒche, die gegen Liebeskummer oder auch bei Geldproblemen helfen sollen. Die Frauen sehen sich als gute Hexen, die einen Missstand beheben und ein Problem zum Positiven wenden wollen. 

MUSIK: Die kleine Hexe 0‘38

SPRECHERIN

Ende des 19. Jahrhunderts machte „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe die Walpurgisnacht populĂ€r. Faust und Mephisto machten sich in dem Werk auf den Weg zum Brocken und trafen unterwegs auf eine Hexe. Die Sagen rund um Hexen nutzt inzwischen der örtliche Tourismusverband. In der Nacht zum 1. Mai strömen viele Menschen – auch wenn sie nicht wirklich an Hexen glauben - auf den „Blocksberg“, den Brocken im Harz, um die Walpurgisnacht zu feiern. Mit Hilfe von gruseligen Masken und Feuern werden böse Geister vertrieben. Benannt ist die Walpurgisnacht ĂŒbrigens nach der angelsĂ€chsischen Benediktinerin Walburga, die im 8. Jahrhundert nach Deutschland kam. Der 1. Mai ist der Tag ihrer Heiligsprechung – mit dem Hexenreigen hat die Ordensfrau nichts zu tun, vielmehr gilt sie als Schutzpatronin gegen schlechte Ernten, Seuchen und böse Geister. 

MUSIK:  Waldgebirge 0‘46

SPRECHERIN

Das Bild von Hexen war auch lange nach dem Ende der Hexenverfolgung in Europa noch lange negativ geprĂ€gt. In vielen MĂ€rchen der GebrĂŒder Grimm, die im 18. Jahrhundert entstanden sind, kommt eine böse Hexe vor. In „BrĂŒderchen und Schwesterchen“ ist zum Beispiel die böse Stiefmutter eine Hexe. Im „Froschkönig“ verwandelt eine Hexe einen Prinzen in einen hĂ€sslichen Frosch. Und in „HĂ€nsel und Gretel“ sperrt die Hexe im dunklen Wald HĂ€nsel in einen KĂ€fig ein, weil sie ihn mĂ€sten und verspeisen möchte. Sarah Rafajlovic: 

O-TON 15 (1, Rafajlovic, 32.44)  

Das fußt immer noch auf der inquisitorischen Hexen-Vorstellung. Das habe ich so auch in der Sagen- oder MĂ€rchenwelt in SĂŒdosteuropa gefunden. Da gibt es eine Hexe, in Russland heißt die Baba Jaga, in SĂŒdosteuropa ist es die Baba Roga, die im Wald in einem Haus wohnt, das auf HĂŒhnerbeinen steht, umzĂ€unt von Menschen-Gebeinen und die quasi auch verirrte Wanderer verspeist oder ihr Unwesen im Wald treibt.

MUSIK: Ein neuer Tag 0‘36

SPRECHERIN

Es hat einige Zeit gedauert, bis Hexen in Geschichten auch gut sein konnten. Mit der „Kleinen Hexe“ im Kinderbuch von Otfried Preußler hat der Leser eher Mitleid, denn sie wird mit ihren 127 Jahren von den anderen, viel Ă€lteren Hexen nicht fĂŒr voll genommen und ausgeschlossen. Auch verbreitet sie keine böse, schwarze Magie, sondern hilft armen Frauen, die im Wald Klaubholz sammeln, rettet einen Ochsen vor dem Schlachter und lĂ€sst an Fastnacht zur Freude der Kinder Krapfen regnen. Sarah Rafajlovic: 

O-TON NEU 16 (1, Sarah, 33.25) 

Es hat sich riesig was verĂ€ndert, wenn wir gerade Harry Potter anschauen und dann die Entwicklung (
) wie 80er und 90er-Jahre, (
) was so fĂŒr ‚Coming of age‘ steht, (
) Übergang von der Kindheit und PubertĂ€t, der auch so ein bisschen magisch konnotiert ist, (
) wo das Thema ganz gut passt. Aber das ist (
) nur dadurch möglich, dass dieses Bild romantisiert wurde und dann auch in den 70er und 80er-Jahren positiv umgedeutet wurde. 

MUSIK: Dark vision 0‘39 

SPRECHERIN

Der Glaube an Hexen, Zauberer und Zwischenwesen zieht sich durch alle Kulturkreise und Zeiten. Er prĂ€gt Sagen und ErzĂ€hlungen, oft aber auch den Alltag vieler Menschen, fĂŒr die Hexen real sind. Der Glaube an Hexen lĂ€sst sich nicht einfach verbieten. Denn selbst wenn es entsprechende Gesetze gibt - die Angst von dunklen MĂ€chten ist in vielen Kulturen dennoch tief verwurzelt.Â