radioWissen - Bayern 2   /     Tomate, Paradeiser, Pomodoro - Auf Siegeszug durch Europa

Description

Paradeiser, Pomo d´oro, oder einfach nur Tomate: viele Namen gibt es für der Deutschen liebste Frucht, aber noch viel mehr Sorten. 10.000 sollen es sein, mit so herrlichen Namen wie Black Zebra, Schneewittchen oder Schlesische Himbeere. Auf Siegeszug durch die ganze Welt! Von Johannes Marchl

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Duration
00:23:01
Publishing date
2024-06-17 09:20
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/tomate-paradeiser-pomodoro-auf-siegeszug-durch-europa/2094618
Contributors
  Johannes Marchl
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Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2094618/c/feed/tomate-paradeiser-pomodoro-auf-siegeszug-durch-europa.mp3
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Shownotes

Paradeiser, Pomo d´oro, oder einfach nur Tomate: viele Namen gibt es für der Deutschen liebste Frucht, aber noch viel mehr Sorten. 10.000 sollen es sein, mit so herrlichen Namen wie Black Zebra, Schneewittchen oder Schlesische Himbeere. Auf Siegeszug durch die ganze Welt! Von Johannes Marchl

Credits
Autor dieser Folge: Johannes Marchl
Regie: Anja Scheifinger
Es sprachen: Katja Schild, Stefan Merki
Technik: Stefan oberle
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Prof. Yurdagül Zopf, Ernährungsmedizinerin an der Uni Erlangen
Dr. Ulrike Lohwasser, Leibnitz Institut fĂĽr Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung
Irina Zacharias, TomatenzĂĽchterin
Mario Gamba, Sterne-Koch

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Literatur:

Brunhild Bross-Burkhardt, „Tomate Kultur. Mythos. Gesundheit. Rezepte.

Wir freuen uns ĂĽber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Sprecherin:

„Du treulose Tomate“

OT 1 Geräusch zerplatzende Tomate

Sprecher:

Hast du denn Tomaten auf den Augen?

OT 2 Hupen und zerplatzte Tomate

Sprecherin: 

Ihr seid mir ja so faule Tomaten…

OT 3 zerplatzende Tomate

Sprecher:

Gewiss, sie hat nicht den besten Leumund, die Tomate. 

M El sospiro del moro (Länge: 0´42´´) unter:

Und in Spanien gibt es sogar die Stadt Bunol, die das mit der „Tomaten aufs Auge“ recht wörtlich nimmt- und noch ganz andere Körperteile anpeilt: Bei der berühmten Tomatenschlacht La Tomatina bewirft Frau und vor allem Mann sich gegenseitig mit Tausenden Kilo überreifer Tomaten. Bäche aus Tomatensaft fließen durch die Straßen, die roten Früchte klatschen an Körper und Hauswände, kleben an Haut und Haaren. Seit im Jahr 2012 um die 50 Tausend Teilnehmende für ein tomatisiertes Chaos gesorgt hatten, ist die Teilnehmerzahl strikt beschränkt. 

Sprecherin:

Doch zurück zu der Tomate, die wir nicht werfen, sondern essen. Und die immerhin der absolute weltweite Spitzenreiter in Sachen Frucht ist. Weltweit werden rund 185 Millionen Tonnen produziert. Und da sind wir in Spanien eigentlich schon am richtigen Ort. Denn es waren die spanischen Eroberer, zunächst wohl schon Christoph Columbus und dann gesichert der Spanier Cortéz, die Tomatenpflanzen mit von ihren Raubzügen brachten. 

M Crepusculo costeño (Länge: 0´33´´)

Sprecher:

…Aus Südamerika. Hier gibt es fast überall Tomaten: wilde Tomaten, aber auch Tomaten, die sich die indigenen Bewohner nutzbar gemacht hatten. In Kolumbien und Ecuador, in Peru und Chile, von den Küsten bis in die Anden sind sie gewachsen, sogar auf den Galapagos Inseln gab es Tomaten. Wobei die Ur-Tomate mit dem, was wir heute genießen, wenig zu tun hat:

OT 4 Lohwasser

„Also die ursprünglichen Formen sind natürlich Wildarten, die sehr kleine Früchte haben, die oft auch behaart sind, grün, einen bitteren Geschmack haben, ungenießbar sind.“

Sprecher:

Sehen ungefähr so wie Stachelbeeren aus, erzählt Ulrike Lohwasser vom Leibnitz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung

OT 5

„Aber es gibt eben auch aromatische Formen. Eine hat auch Alexander von Humboldt in Argentinien beschrieben, eine Wildtomate, die aromatisch ist und sehr gut schmeckt. Und die Ureinwohner Südamerikas haben zu irgendeinem Zeitpunkt, der sich nicht genau definieren lässt, festgestellt, dass man Tomaten essen kann, und haben angefangen, sie in Kultur zu nehmen.“

Sprecherin:

Was ungefähr so vor sich geht: Man entdeckt etwas Interessantes, stellt fest: das kann man essen. Und wenn ich es weiter veredle, dann schmeckt es sogar recht gut. Und wenn es dann noch – wie die Tomate – gut anzubauen ist, kultiviert man weiter: Größere Früchte, gesündere Pflanzen, auf Feldern oder im heimischen Garten.  

OT 6

„Man weiß nicht genau, ob es in Peru oder in Mexiko erstmals in Kultur genommen wurde. Es gibt keine archäo-botanischen Funde dazu. Was man weiß, ist, dass die Mayas und später dann auch die Azteken sie in Mexiko angebaut haben. Das könnte bereits tausend vor Christus schon passiert sein, könnte aber auch später passiert sein, das weiß man nicht genau.“

Sprecher:

Die Azteken nennen das von ihnen gezüchtete Gewächs „Xitomatl“ – (Aussprache: „Xi Tomatl“ gesprochen wie geschrieben und betont wie Tomate)

Sprecherin:

übersetzt: „Nabel des dicken Wassers“ 

Sprecher:

– der Name, den auch die Spanier mit nach Europa bringen. 

M ARD-LABELMUSIK Basics (a) (Länge: 0´44´´)  unter:

Daher der Ursprung unseres Begriffs „Tomate“, von „Xi-tomatl“, der ja in Varianten in vielen anderen Ländern gebräuchlich ist. 

Sprecherin:

Aber da gibt es ja auch noch den Namen „Paradeiser“, wie ihn unsere österreichischen Nachbarn nutzen, und in Italien heißt sie „Pomo d´oro“, Goldapfel. So getauft vom italienischen Botaniker Pietro Andrea Mattioli. Der hält sein anscheinend gelbes Ansichtsexemplar 1544 erstmals in einer schriftlichen Beschreibung fest – und tauft es eben „Pomo d´oro“ – hat ja bis heute in Italien seine Gültigkeit…

M Capponi: 1. Satz: Largo aus: Sonata da camera Nr. 8 (Länge: 0´42´´) unter:

Sprecher:

Dass die Tomate schnell ihren Weg von Spanien nach Italien findet, kommt nicht von ungefähr. Es gibt im 16. Jahrhundert spanische Besitztümer in Italien, wie Neapel oder Sardinien. Und als dann der toskanische Großherzog Cosimo de Medici einen Korb voll von diesen seltsam schönen Früchten erhält, ist es um das Schattendasein der Tomate geschehen. Der Adel hat großes Interesse an diesem exotischen Gewächs aus der neuen Welt, allerdings nicht, um es sich als Speise einzuverleiben, sagt Ulrike Lohwasser vom Leibnitz-Institut

OT 7 

„Man hat also sehr schnell festgestellt, dass sie zu den Nachtschattengewächsen gehört, zu denen ja auch Tollkirsche zum Beispiel gehört und andere giftige Pflanzen. Also man wusste, sie ist giftig und hat sie deshalb nur als Zierpflanze kultiviert. Und speziell in Fürstengarten wurde sie als exotische Besonderheit, als exotische Zierpflanze angebaut. Die Früchte gibt es ja nicht nur in Rot und rund, sondern gibt es in Weiß, gibt es in Gelb, in Gestreift, in Paprika, v-förmig und in allen möglichen Farben und Formen. Und das sah ja nett aus, die Früchte, die Pflanzen selbst sind ja nicht so attraktiv.“

Sprecherin:

Noch ein Wort zur Tomate als Nachtschattengewächs: Der springende Punkt ist: Nachtschattengewächse enthalten Solanin. Und Solanin ist giftig. Deshalb: Finger weg von Tollkirschen, aber auch zum Beispiel von Kartoffeln, wenn sie grün gefärbt sind. Bei den Tomaten ist das meiste Solanin in den Blättern und Stängeln. Wenn sie rot und reif sind, sind sie vollkommen ungefährlich. 

M Capponi: 1. Satz: Largo aus: Sonata da camera Nr. 8 (Länge: 0´23´´) unter:

Sprecher:

Aber wer will das schon im 16. Jahrhundert ausprobieren?! Und die Folge war, dass sie damals eben zunächst nur in den Gärten der begüterten Oberschicht als Rarität und zum Angeben angebaut werden.

Das Solanin soll ĂĽbrigens auch dafĂĽr verantwortlich sein, dass die Tomate als Aphrodisiakum angesehen wurde:

OT 8 Lohwasser

„Also, man hat geglaubt, dass die Frucht Auslöser von Liebeswahn ist, auch durch das Solanin, was enthalten ist. Deswegen hat man es Liebesapfel genannt, Pomme d´ amour, oder auch Love-Apple im Englischen. Auch das Wort Paradiesapfel geht in diese Richtung, und es gab eine Zeit, in der also Tomaten von jungen Mädchen nicht gegessen werden durften aufgrund dieses Liebeswahns, dieses Auslösers für Liebeswahn. Man hat Angst gehabt, dass die jungen Mädchen davon besessen werden.“

Sprecherin:

Junge Männer durften sich übrigens sehr wohl der Gefahr des Liebeswahns aussetzen, sie durften Tomaten essen. Das Verbot galt nur für die weibliche Hälfte der Jugend… 

Sprecher:

Nicht nur in Italien ist man vorsichtig mit den Tomaten. Dies „Kraut“ sei von einem…

Sprecherin: 

„stercken stinckenden seer seltsamen stanck“

(Aussprache-Hinweis wird nachgeliefert)

Sprecher:

…notiert der Niederländer Rembert Dodoens um 1560 in seinem Cruyde Boeck. Der Franzose Jacques Daléchamps glaubt 1587, es sei gefährlich, die…

Sprecherin:

… „fremde Pflanze“…

Sprecher:

…zu nutzen. Und besonders in England und Nordeuropa hält sich über Jahrhunderte hartnäckig das Gerücht, dass die gehobene Gesellschaft, vor allem Aristokraten, nach dem Genuss von Tomaten gestorben seien. Schuld habe die giftige Tomate. 

Sprecherin:

Ein Erklärungsversucht ist, dass höhere gesellschaftliche Kreise Teller und Schalen aus Hartzinn benutzten, ein sehr bleihaltiges Material. Das soll dann mit der Säure der Tomaten reagiert und die Esser vergiftet haben. Was arme Leute nicht betroffen hat, weil die von Holztellern aßen. 

OT 9 

„Ob das Gerücht ist oder ob das stimmt, wage ich zu bezweifeln. Weil, da müsste man schon sehr viel essen, dass die Tomaten tatsächlich aus dem Zinn Blei herauslösen, aber vielleicht über die vielen Jahre, wenn man das regelmäßig macht, kann es ein Problem gewesen sein. Aber ob das wirklich stimmt, wage ich zu bezweifeln.“

Sprecherin:

Meint Kulturpflanzenforscherin Ulrike Lohwasser. 

M Capponi: 1. Satz: Largo aus: Sonata da camera Nr. 8 (Länge: 0´44´´) unter:

Sprecher:

Fest steht jedenfalls, dass noch während der Renaissance entdeckt wird, dass die Tomate essbar ist. Wie?! Man weiß es nicht, vielleicht haben Gärtner oder Hausangestellte heimlich an den paradiesischen Früchten, die so herrlich rot leuchten und ungewöhnlich riechen, genascht. In einem italienischen Kochbuch von 1658 lässt sich jedenfalls schon ein Rezept mit Tomaten finden, ähnlich einem Ratatouille. Und seitdem ist die Tomate nicht mehr wegzudenken, vor allem nicht aus der italienischen Küche. 

Sprecherin:

Und immer noch sind Neapel, ja ganz Italien untrennbar verbunden mit der fundamentalsten aller Pasta- und Pizzasaucen: Der Tomatensauce. Und deren Geheimnis kennt einer wie kein anderer: Mario Gamba, Sternekoch und Italiener.

OT 11 Gamba

„Bei Tomatensauce denke ich an den Sommer, weil Tomate ist par excellence der König des Sommers, ich denke an Sonne, an Wasser, an alle Elemente, die die Tomate braucht, um reif zu werden und süßlich zu werden, um eine Balance zwischen Frucht und Säure zu haben, im August mit der Sonne, um diese angemessene Süße zu erreichen, das ist der Sommer, ja. Tomaten ist eine Erinnerung an die Kindheit, wo ich die Tomate direkt von der Pflanze abgebissen habe, ohne dass mich meine Oma gesehen hat, in dem Moment war auch der Geruch der Blätter ein unglaublicher Reiz.“

Sprecher:

Und jeder und jede in Italien hat natürlich ein eigenes Rezept. Und wirklich schmeckt jede Tomatensauce anders. Die Variante von Sternekoch Mario Gamba?! Der verrät erstmal eine Weisheit, die nicht nur, aber ganz besonders eben für die Tomatensauce gilt:

OT12 Mario Gamba

„Mit einer Tomatensauce darfst du nicht denken, dass du die in fünf Minuten fertig hast.

Sprecherin:

Zeit ist zentral. Und dann verrät der Sternekoch das Rezept, so wie er es von seiner Oma und seiner Mama gelernt hat

M Torna a Sorrento (Länge: 0´46´´)  

OT 14

„Meine Mutter und meine Oma, die haben 20, 30, 40 Kilo Sugo aufgekocht und dann das Ragout für den Winter erhalten. Die haben um 9.00 Uhr angefangen und um 11.30 war sie fertig. Mit verschiedenen Kräutern, am meisten Basilikum und Petersilie und dann vorher den Sofrito – Zwiebel Karotten, Sellerie – und es gab einen unglaublichen Geruch im ganzen Haus. Mit ein bisschen Schweinebauch, und alles auf langsamer Flamme. Und wir haben keinen Zucker dazu getan, weil wenn du die Tomaten so lange kochst, dann sind die nicht mehr säuerlich, dann sind die süß. Das war nicht nur „eine“ Tomatensauce, sondern das war „die“ Tomatensauce.“

Sprecherin:

Jetzt aber lassen wir die Tomate erstmal in Deutschland ankommen, hat auch lange genug gedauert. Erst um 1880 bauen die ersten Gärtner Tomaten an, verschiedene Tomaten-Samen können erworben werden. Um 1900 erscheint das „Tomatenbuch“ mit Rezepten, verfasst vom Königlichen Ökonomierat und Chefredakteur des „Praktischen Ratgebers im Obst- und Gemüsebau“, Johannes Böttner. Und dennoch: es geht weiter langsam voran, keiner könnte zu dieser Zeit von einem „Siegeszug der Tomate“ sprechen. 

Sprecher:

Im Gegenteil: Bis zum ersten Weltkrieg ist die Tomate eher ein Fremdkörper auf dem Tisch in Deutschland, denn ein gewohntes Bild. 1914 taucht die Tomate erstmals in der deutschen Warenstatistik auf. Wenige tausend Tonnen werden eingeführt, eher Rarität als Massenware. Was sich erst lange nach dem 2. Weltkrieg fundamental ändert. Die Tomate wird zum gängigen Lebensmittel, kein Salat mehr ohne sie, keine Pizza, keine Bolognese ohne Tomate. 

Sprecherin:

Was der Qualität der Tomate, ihrem Geschmack, aber nicht unbedingt guttut. Denn die Tomaten, die für den steigenden Bedarf gezüchtet werden, zeichnen sich über Jahrzehnte vor allem durch viel Wasser und wenig Aroma aus. Die Hollandtomate wird zum Synonym für Hochleistungstomaten, mit bis zu 80 Kilo Ertrag pro Pflanze - die zwar gut ausschauen, aber oft bestenfalls nichtssagend schmecken. Eine Tomate gezüchtet für den Supermarkt. 

ATMO

Sprecher

Irina Zacharias ist selbst Tomatenzüchterin. Nicht für die Tomaten-Industrie, sondern klein und fein ist ihr Tomatenpflanzen-Hof nahe Maxhütte-Haidhof in der Oberpfalz, auf dem sie jedes Jahr 300 unterschiedliche Sorten anbietet. 

Sprecherin

Trotzdem zeigt Züchterin Zacharias Verständnis für die große Tomatenindustrie

OT 15 Irina 

„Es ist auch kein Schimpfwort „Industrie“. Denn im großen Bereich würde man so nicht produzieren können. Die Leute mögen alte Sorten und traditionelle Sorten. Aber diese Sorten sind absolut nicht geeignet für lange Lagerfähigkeit, nicht für den Transport in einem Lastwagen, die kann man gerade mal für eine Schicht aufs Papier legen manchmal, weil sie nicht so hart sind, oder weil viele dünne Haut haben.“

Sprecher:

Und dennoch ist Irina Zacharias einen ganz anderen Weg gegangen. Auch wenn immer noch der Preis für die meisten Menschen in Deutschland ausschlaggebend ist beim Tomatenkauf, danach das Aussehen kommt und dann erst – an dritter Stelle – der Geschmack. Auf ihrem Hof in der Oberpfalz zählt die Vielfalt, der Geschmack und nicht der Profit. Der Grund, warum sie angefangen hat zu züchten, ist einfach

OT 16

„Weil hier Tomaten nach nichts schmeckten. Die schmeckten einfach nicht, ich war sehr überrascht. Ich bin hier seit 31 Jahren. Und seit genauso vielen Jahren sind mit mir Tomaten hier. Geschmack macht eine gute Sorte aus. Geschmack muss nicht immer eine Spitze sein. Zum Beispiel sind die besten Tomaten für Suppen und Saucen mehlige Tomaten. Und in frischem Zustand – zum Beispiel San Marzano – schmecken die gar nicht so würzig. Manchen Menschen mögen es, wenn die Tomaten sauer sind, manche wenn sie süß sind, und so weiter.“ 

M ARD-LABELMUSIK Basics (a) (Länge: 0´45´´) unter:

Sprecherin:

Und so bewahrt sie die Samen von 1500 Tomatensorten. Mit so klangvollen Namen wie „Feuerwerk“

Sprecher

Alte russische Sorte, rot-gelb gestreifte zwiebelförmige würzige Fleischtomate. Oder „Gelbe Johannisbeere“

Sprecherin:

Ertragreiche buschige kleine gelbe Wildtomate. Oder „Blondköpfchen“:

Sprecher:

Alte Deutsche Sorte. „Schneewittchen“

Sprecherin:

Mit rosa Bäckchen. „Sosuletschka“ (Gesprochen wie geschrieben), „Justens Süße“, „Early Wonder“ (Aussprache englisch)

Sprecher:

„Lucky Tiger“, „Purple Dragon“, „Green Zebra“ (Aussprache englisch)

Sprecherin:

„Sweet Cream“ (englisch)

Sprecher: 

„Smiley Worms“ (englisch)

Sprecherin:

Oder „Harzfeuer“: normale rote runde Tomate aus der ehemaligen DDR

OT 17 

„Wer kauft bei uns Pflanzen? Menschen, denen es das wert ist, sie in den Garten zu setzen. Die gewohnt sind zu verstehen, dass man für manche Sachen warten muss. Zum Beispiel, dass es im Januar keine frischen Tomaten gibt. Und die auf Vielfalt setzen. Dass man immer was hat, das ist, wenn man Vielfalt hat.“

Sprecher:

Tomatenzüchterin Irina Zacharias stammt aus Russland. Dort hat ihr Vater ihr die Essentials mitgegeben, indem er ihr auf der Familien-Datscha bei Moskau alles über „seine“ Tomaten erzählt hat - während sie ihm helfen musste. Und was ist jetzt ihre Lieblingstomate?

Sprecherin:

Typische Journalistenfrage, sagt sie. Denn: Die „richtige“ Tomate gibt es für sie nicht. Weil jeder andere Vorlieben hat. Die Italiener lieben Ochsenherz oder San Marzano, die Deutschen eher süße Kirschtomaten, und Irina Zacharias selber? Sie mag Fleischtomaten! Aber nicht aus dem Supermarkt, von ihr selbst angebaut!

OT 18

„Einmal sitzt bei mir eine Frau bei der Verkostung und weint. Ich frage, was denn los ist?! Sie sagt, sie ist gerade hierher gefahren und habe gesagt: „Hoffentlich keine Fleischtomaten, weil die mag ich nicht.“ Und jetzt geben sie gerade dies große Fleischtomate und die schmeckt so köstlich, ich bin richtig ergriffen.“

M ARD-Labelmusik Automated movement (Länge: 0´47´´) 

Sprecher:

Geruch, Aroma, Konsistenz.  Wichtig… Aber noch ein Faktor ist in den letzten Jahren immer weiter nach vorne gerückt: Tomaten sind extrem gesund. Schon die ersten Tomatenpflanzen wurden vom spanischen Arzt Nicolás Monardes Alfaro auf ihr medizinisches Potential untersucht. Und eingesetzt, um den Körper zu reinigen und Schwellungen zu lindern, mit ihrem Saft, aber auch mit Tomaten-Umschlägen. Man dachte sogar, man könne Tollwut oder Alpträume mit Tomaten behandeln. Da ist man heute mit der Forschung etwas weiter, bestätigt Ernährungsmedizinerin Professorin Yurdagül Zopf (gesprochen wie geschrieben, eher auf dem „u“ betont) von der Universität Erlangen

OT 19 Zopf

„Tomate ist unwahrscheinlich gesund, und wenn man sie richtig zubereitet, potenziert sich auch die Inhaltsstoffe in ihrer gesundheitlichen Wirkung. Und es ist eine Bombe an Pflanzenstoffen enthalten, die verschiedenen Organe positiv beeinflussen können.“

Sprecherin:

Viele verschiedene Pflanzenstoffe also in der Tomate, auch ganz viel Vitamine, aber ein Stoff sticht besonders heraus: Lykopin. Und der große Gegner des Lykopins sind die sogenannten „Freien Radikalen“, die Entzündungen hervorrufen und damit Gewebe zerstören können – wenn  da das Lykopin nicht wäre…

OT 20 Zopf

„Lykopine haben die wunderbare Eigenschaft, freie Radikale abzufangen und die Entzündung zu senken. Das hat einen positiven Effekt auf die Gefäßwände, das hat einen positiven Effekt auf entzündlich veränderte Hautveränderungen, und bedeutet einfach, dass wir keine Kalkablagerung in der Gefäßwand haben und man das Herzinfarktrisiko dadurch senken kann.“

Sprecher:

Lykopin soll aber nicht nur das Infarktrisiko senken, sondern auch das Krebsrisiko, Knochenschwund verringern, Schlaganfälle verhindern. Und je reifer die Tomate, desto mehr Lykopin ist drin. Also am besten regionale, schon ausgereifte Tomaten essen, rät Ernährungsmedizinerin Yurdagül Zopf. Und der Clou ist: Man muss Tomaten nicht mal roh essen, wenn man das nicht mag:

OT 21

„Je kleiner die zerhackten Würfel der Tomaten sind, desto mehr wird aus der Tomate der Zellstoff freigesetzt, durch die Zelle, die aufgebrochen wurde. Und am Allerbesten ist das Erhitzen, das potenziert sich in dem Sinne, dass das lange erhitzt wird, also klassisch: eine halbe bis eine Stunde kochen bedeutet dann auch mehr Lykopin-Freisetzung.“

Sprecher: 

Und wenn dann noch ein guter Spritzer Olivenöl mit dabei ist, dann ist die Aufnahmekapazität des Dünndarms in Sachen Lykopin zusätzlich verbessert. Gesünder geht kaum.

OT 22 Zopf

„Und was wir noch gar nicht angesprochen haben: dass eine gewisse Ballaststoffmenge in der Tomate enthalten ist, und dann auch noch die Darmflora durch die Ballaststoffe positiv beeinflusst wird. Also ein wunderbares Lebensmittel. Was ich manchmal höre ist, dass manche die Schale entfernen und nur geschälte Tomate konsumieren, das ist eine kleine Schande für so eine tolle Frucht, also wenn Tomate, dann im Ganzen essen.“

Sprecherin:

Gesundheit und Geschmack in einem. Und das alles haben wir einem Nachtschattengewächs zu verdanken, das das Sonnenlicht liebt. Einer Frucht, die im Gegensatz zur Himbeere oder zur Erdbeere wirklich eine Beere ist. Denn: Himbeeren und Erdbeeren sind eigentlich sogenannte Sammelnussfrüchte, während die Tomate biologisch Mitglied der Beerenfamilie ist. Und eine wirklich wunderbare Wandlung mitgemacht hat: 

M Despertando de otro sueno (Länge: 0´45´´) unter:

Von der Zierfrucht in den Renaissance-Gärten der Reichen hin zum Lebensmittel mit globaler Bedeutung – dem Allrounder Tomatensauce plus Ketchup und Pizza-Basis sei Dank. Von der verschrienen Wasserbombe holländischer Art hin zur Sehnsuchtsfrucht auf Balkon und im Schrebergarten. Eine Ikone unseres Wunsches, etwas selbst anzubauen, zu ziehen und zu ernten. Wunderbar rot leuchtend, duftend und gesund. Tomate eben.