radioWissen - Bayern 2   /     Städtisches Leben im Mittelalter – Die Augsburger RechnungsbĂĽcher

Description

Was bekam im Mittelalter der Henker für eine Hinrichtung? Wie viel Steuern zahlten die Huren an die Stadt? Die Augsburger Baumeisterbücher verraten es. Insgesamt 31 Regalmeter umfasst das Verzeichnis der städtischen Ausgaben und Einnahmen zwischen 1320 und 1784. Dieter Voigt hat nach seiner Pensionierung im Rahmen einer Doktorarbeit die ersten 120 Jahre der Bücher erschlossen und in einer Datenbank allen Interessenten online zugänglich gemacht. Von Carola Zinner

Subtitle
Duration
00:23:12
Publishing date
2024-07-04 03:30
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/staedtisches-leben-im-mittelalter-die-augsburger-rechnungsbuecher/2095224
Contributors
  Carola Zinner
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2095224/c/feed/staedtisches-leben-im-mittelalter-die-augsburger-rechnungsbuecher.mp3
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Shownotes

Was bekam im Mittelalter der Henker für eine Hinrichtung? Wie viel Steuern zahlten die Huren an die Stadt? Die Augsburger Baumeisterbücher verraten es. Insgesamt 31 Regalmeter umfasst das Verzeichnis der städtischen Ausgaben und Einnahmen zwischen 1320 und 1784. Dieter Voigt hat nach seiner Pensionierung im Rahmen einer Doktorarbeit die ersten 120 Jahre der Bücher erschlossen und in einer Datenbank allen Interessenten online zugänglich gemacht. Von Carola Zinner

Credits

Autorin dieser Folge: Carola Zinner
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Julia Fischer, Peter WeiĂź
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Dr. Dieter Voigt, Augsburg

Linktipps:
Die gesamte von Dieter Voigt erstellte Datei der Augsburger Baumeisterbücher steht  auf der Website der Augsburger Universitätsbibliothek online: Die Augsburger Baumeisterbücher von 1402 bis 1440. Die Augsburger Baumeisterbücher sind die Rechnungsbücher von Augsburg, die ab 1320 zu einem großen Teil überliefert sind. 1276 hatten sich die Augsburger Bürger aus der Herrschaft des Bischofs gelöst. Damit wurden sie eigenverantwortlich für alle finanziellen Aufwendungen, die das Zusammenleben von Menschen auf einem begrenzten Territorium erfordern
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Mittlerweile ist man übrigens auch andernorts auf die Bücher aufmerksam geworden: Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft arbeitet auch ein Team der Universität Mainz an einer Online-Präsentation der Augsburger Baumeisterbücher, in diesem Fall von 1320 bis 1466.
HIER gehts zur Website.

Dazu:

Edition der Augsburger Baumeisterbücher. Methoden der Digital Humanities in der Bearbeitung und Erforschung mittelalterlicher Rechnungsbücher – Möglichkeiten und Grenzen am Beispiel der digitalen Edition der Augsburger Baumeisterbücher.
HIER gehts zur Website


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Wir freuen uns ĂĽber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

 ZITATOR

Item 2 Gulden zwain armen Menschen, die ihr Fueß abgefallen hetten und die nichtz zue essen hetten 

MUSIK hoch

ZITATOR

Item 2 Guldin Vnd 13 Schilling dem Augustin ainem potten (= Boten) der Uns Brieff pracht der Berihtun (= berichtet) von Costantz. 

MUSIK hoch 

ZITATOR

An Unser Frauen Tag Natiuitas haben Wir den Zoll empfangen Von dem Torhueter daselbst 29 Pfund.   

ERZĂ„HLERIN

Zolleinnahmen, Botenlohn für Nachrichten vom Konzil in Konstanz, milde Gaben an Bedürftige: alles, was Augsburgs Stadtkasse füllt oder belastet, wird in den „Baumeisterbüchern“ sorgfältig vermerkt. 

ZUSPIELUNG 1 (Voigt)

Wir würden heute sagen, das sind städtische Rechnungsbücher, ab 1320 und das geht bis 1784. 

ERZĂ„HLERIN

Auch andere Städte führten „Baumeisterbücher“, wie die Verzeichnisse heißen, weil die Gelder zunächst fast ausschließlich für den Bau und Erhalt der schützenden Mauern und Gräben rund um die Stadt verwendet wurden. Nirgendwo sonst jedoch wurden die Listen über einen derart langen Zeitraum so sorgfältig geführt und aufbewahrt wie in Augsburg. 

ZUSPIELUNG 2 (Voigt)

Die ursprünglichen Bücher waren einzelne Papierlagen, die dann zusammengebunden wurden. Also stand ein Wille dahinter, dass man auch wieder darauf zurückgreifen konnte: Was war denn da? Was haben wir ihm damals gegeben? Was geben wir ihm heute? Und das ist für die Zeit eine Besonderheit, denn das meiste ging ansonsten mündlich, bloß wenn die Träger dieser Information gestorben sind, dann war die Erinnerung weg. Hier hat man etwas fixiert und konnte darauf zurückgreifen. 

MUSIK: „Tanec“ –  (0:25)

ERZĂ„HLERIN

Heute liegen die insgesamt 379 überlieferten Bücher im Augsburger Stadtarchiv: eine einzigartige Dokumentation städtischer Einkünfte und Ausgaben vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit. Einen Teil davon hat Dr. Dieter Voigt (spr.: Vogt) mittlerweile im Rahmen seiner Dissertation erschlossen. 

ZUSPIELUNG 3 (Voigt)

Es sind 31 Regalmeter. Und davon habe ich den ersten Meter erfasst. 

Da habe ich dann praktisch alle diese Einträge, die in den Büchern waren, hier so transkribiert, damit die noch lesbar sind, und hier dann die Einnahmen, woher die kommen, Ausgaben und Personalkosten…. 

ERZĂ„HLERIN

Im Zuge seiner Arbeit übertrug Dieter Voigt den kompletten Inhalt der Bücher aus der Zeit von 1320 bis 1440 in eine Datenbank. Dort sind jetzt die teils schwer zu entziffernden Einträge auch für Ungeübte problemlos lesbar und können nach Schlagwörtern, Gesamt- oder Teilsummen durchsucht werden. 

ZUSPIELUNG 4 (Voigt)

Manche schreiben sehr schön – das können Sie gut lesen – dann haben wir wieder welche, die ne ausgesprochene Klaue haben… 

ERZĂ„HLERIN

Bereits im 12. Jahrhundert rangen die Bewohner Augsburgs, das damals noch komplett dem Bischof unterstellt war, beharrlich um ihre Selbständigkeit. Mit Erfolg, wie das „Stadtrecht“ aus dem Jahr 1276 zeigt, ein vom Kaiser abgesegnetes Rechtsbuch, in dem sie ihre Gesetze und Privilegien schriftlich festhielten, vom Strafrecht über den Kredithandel bis hin zu den diversen Abgaben und Zöllen. Damit würden sich in Zukunft alle Diskussionen wegen rechtlicher Unsicherheiten erübrigen, heißt es sinngemäß im Vorwort, das wie der gesamte Text nicht etwa in Latein verfasst ist, der Sprache der Kirche, sondern auf Deutsch. 

 MUSIK: „Tanec“ – (0:30)

ZITATOR

Wes man irre wirt daz man daz an disem buche vinden sol, daz daz danne reht ist unde niemen widerreden sol.

ERZĂ„HLERIN

Im „Buch“, wie die Augsburger es schlicht nannten, fand Dieter Voigt viele Hintergrundinformationen, die auf den ersten Blick eher kryptische Passagen in den Baumeisterbücher verständlich machten. Anfangs sind die Eintragungen dort noch lateinisch -  

ZITATOR 

De tribus septimanis recepimus de antiquo thelonio - 3 Pfund et 5 Schilling.

ZUSPIELUNG 5 (Voigt)

Das hat er fĂĽr drei Wochen rĂĽckwirkend eingetragen, eingenommen aus dem alten Zoll, antiquo thelonio. Und dann ist hier drei Pfund und fĂĽnf Schillinge und der Getreidezoll waren 30 Schillinge.

 ERZÄHLERIN

Es wirkt auf den ersten Blick recht karg, was die verschiedenen Schreiber über die Jahre mit Feder und Tinte zu Papier brachten. Doch je genauer man sich damit befasst, umso interessanter – und manchmal auch anrührender – wird es. 

MUSIK: „Die Wintersonnwende 2““ – (0:50)

ZITATOR

Item 28 Pfund um ainen Loden armen Leuten an Suntag ante Michahel -

ZITATOR

Item 2 Guldin haben Wir geben Andresen dem Langen do er kranck belaibe tzue Muenchen -

ZITATOR 

Item 1 Pfund ainem gemainen Froelin daz gewan ain Kindlein in dem Frauenhause -

ERZĂ„HLERIN

Warmer Lodenstoff für die Armen, Unterstützung für einen Augsburger, der in München krank oder Geld für das „gemeine Fräulein“, das im städtischen Frauenhaus schwanger wurde und ein Kind bekam: Die Bücher zeugen nicht nur vom alltäglichen Elend in der mittelalterlichen Stadt, sie erzählen auch von den zunehmenden Anstrengungen der Obrigkeit, Hilfestellung zu leisten.    

ZITATOR

Item 30 Schilling dem Luitpoltzbader vom Baden die Funtkint 

ZUSPIELUNG 6 (Voigt)

1320 bauen die ein Haus für eine Frau, die nennt sich „Sternin", und die betreut Findel- und Waisenkinder. Das war ein großes soziales Problem…. die bekamen Bekleidung, die bekamen Essen, die haben ein Bett, die haben ein Dach über dem Kopf und die wurden regelmäßig gebadet, der Bader rechnete immer mit der Stadt ab, wenn er die Kinder gewaschen hat. Und das war die erste Frau, die dann eine wirklich regelmäßig gleichbleibende, quartalsmäßige Bezahlung von der Stadt bekam. Die bekommt Butterschmalz. Sie bekommt wöchentlich Milch, die bekommt Schweine und eine Kuh, ja, also dass die wirklich ziemlich autark in der Versorgung waren. Und da kommt dann immer wieder eine neue Sternin, später bekommt die einen eigenen Brunnen, der wird mit Tuffstein ausgemauert, die bekommen einmal 1320 Krautköpfe - das zeigt, dass die viele Kinder haben musste. 1417 kauft die Stadt ein zweites Haus dazu und das alte Haus von 1320 wird 1418 abgerissen und neu gebaut. Und dann hat praktisch die Stadt, wenn es damals auch nicht so benannt wurde, zwei Waisenhäuser, was wir später als Waisenhäuser bezeichnen. 

ERZĂ„HLERIN

Gleichzeitig lässt es sich die Stadt auch etwas kosten, hart gegen Verbrecher vorzugehen. Am 9. Mai 1372 etwa erhält der Henker mit 15 Schilling für eine Hinrichtung -  

MUSIK: „Tanec“ –  (0:20)

ZITATOR

Dem langen Ulrich dem man da kepfft 

ERZĂ„HLERIN

Zum Vergleich: ein Arbeiter bekommt am Tag rund 8 Denare. 12 Denare ergeben einen Schilling – die 15 Schillinge für den Henker sind also mehr als das Zweiundzwanzigfache des Tageslohns eines Arbeiters. Der Rat sorgt auch für Frieden und Sicherheit innerhalb der Mauern, indem er ein Haus am Stadtrand für die „schönen Frauen“ unterhält, an die sich die vielen Männer wenden können, die aufgrund restriktiven Heiratsregeln ledig bleiben müssen. 

ZITATOR

Von Fensterbreter umb zwen Laden und Fenster zu der Schönenfrauen Huiser - 26 Schilling. 

ERZĂ„HLERIN

Gut angelegtes Geld, denn das Geschäft wirft für die Stadt einiges ab.  

ZITATOR 

Von den Frawen Huͤsern 18 Pfund 6 Schilling. 

ERZĂ„HLERIN

Wie kleine Spots erhellen manche der Texte bisher unbekannte Aspekte des mittelalterlichen Lebens. Andere wiederum zeigen gleichsam die finanzielle Seite von wichtigen Ereignissen der Stadtgeschichte wie etwa der Revolte der Augsburger Zünfte gegen den Rat, in dem damals allein die Patrizierfamilien vertreten waren.   

ZUSPIELUNG 7 (Voigt)

1368 sind die Handwerker vors Rathaus gezogen und haben die Übergabe der Machtinsignien verlangt. Das war das Stadtrecht, das waren die Bücher, die Schlüssel für die Tore, die Sturmglocke - und nach zwei oder drei Tagen war vollkommen unblutig die Machtübergabe gelungen. Und als das gelungen war, saßen die Bürger auf dem Rathausplatz, und die Stadt spendierte denen Wein -   

MUSIK: „Tanec“ –  (0:20)

ZITATOR

Item 44 Denare umb Wein die da sazzen und die Eid namen von de frid Und sun die Reich und Arm swuren

ZUSPIELUNG 8 (Voigt)

Und da saßen sie in Frieden, in Sunn und Freundschaft miteinander, und feierten die Machtübergabe. 

MUSIK: „Connecting“ – (0:40)

ZITATOR 

1402-1440 Ausgaben: Lecharbeiten – 2306.872 Denare / Personal 4.649832 Denare / Botenwesen 4 878 581 Denare / Söldner 10.452.918 Denare / Ärzte 243.408 Denare / soziale Ausgaben… (nach „Botenwesen“ blenden, evtl. unter Erzähler weiterlaufen lassen)  

drĂĽber

ERZĂ„HLERIN

Ob es die Ausgaben für Söldner sind oder Einnahmen aus dem Fischverkauf: Die von Dieter Voigt erstellte Excel-Datei filtert es nach Wunsch heraus. Er habe mit der Arbeit Pionierarbeit geleistet, bescheinigte ihm sein Doktorvater Martin Kaufhold, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Augsburg.  

ZITATOR wieder hoch

Einnahmen: Tore – 780771 Denare / Zölle 272.821 Denare / Ungelder 26.055.542 Denare (am Ende ganz kurz blenden)

ERZĂ„HLERIN

Der frischgebackene Doktor war auch in anderer Hinsicht ein außergewöhnlicher Fall: Voigt, Jahrgang 1939, hatte erst nach dem Ende seines Berufslebens mit dem Studium begonnen. So war der ehemalige Pharmareferent bei seinem Abschluss 2014 der älteste Student, der je an der Augsburger Universität promovierte. Und gleichzeitig ist er wohl auch einer der größten Experten für die   städtischen Geldflüsse im Mittelalter. 

ZUSPIELUNG 9 (Voigt)

Das war faszinierend für mich. Sowas von ner Geschichte einer Stadt! Ich bin zwar in Leipzig geboren, aber ich bin Augsburger! 

ERZĂ„HLERIN

Was für Augsburg eindeutig ein Gewinn ist. Denn Voigts Arbeit trug maßgeblich dazu bei, dass die Stadt nun auf der Liste des „Unesco-Welterbes“ steht – für sein, wie es auf der Website der Kommission heißt, „weltweit einzigartiges Wassermanagement-System“. Der Historiker konnte anhand der Baumeisterbücher die mittelalterlichen Ursprünge dieses hochkomplexen Systems nachweisen, bei dem bereits zwischen Trink- und Brauchwasser unterschieden wurde.

 ZUSPIELUNG 10 (Voigt)

„Item drei Pfund, vier Schilling Knechten, die den Tücheln graben haben zu dem neuen Brunnen die Kirchgasse heruff.“ Das ist die erste Eintragung für die erste Verlegung der Wasserleitung in Augsburg am 25.06.1413. Die haben wahrscheinlich 1412 damit angefangen. Da fehlt uns aber das Buch. Aber 1413 haben die ganz massiv hier angefangen, die ersten Wassertürme zu bauen und die ersten Wasserleitungen zu legen.

ERZĂ„HLERIN

Um das Trinkwasser des „Brunnenbachs“ bis ins um 13 Meter höher gelegene Stadtzentrum zu leiten, ließen die Augsburger unter anderem ein großes mit, wie es in den Baumeisterbüchern heißt, „Löffeln“ versehenes Rad errichten, das mit Lechwasser betrieben wurde. Löffel für Löffel – heute würde man wohl sagen, Eimer für Eimer - wurde auf diese Weise das kostbare Brunnenbachwasser in einen erhöht errichteten Behälter befördert und floss von dort aus durch ausgehöhlte Fichtenstämme, die „Tücheln“, zum Brunnen in der Stadtmitte. 

ZUSPIELUNG 11 (Voigt)

Am 13. Juni sind die ersten Tücheln hier verlegt worden, und da hat man circa 400 Meter in der alten Kirchgasse, das ist mal ´ne genaue Ortsangabe, hat man das dort hochverlegt in den Brunnen. Also der erste Bauabschnitt ist wohl gelungen, dass die Stadt zufrieden war und da hat der Brunnenmeister einen Gulden Trinkgeld bekommen. Aber das Ding hat nicht ganz funktioniert, die haben sich verrechnet. Und drum steht dann in einem anderen Eintrag: „Das Huislin muss erhöhet werden“, und dann hat es funktioniert. 

MUSIK: „Moto perpetuo“ – (0:32)

ZITATOR

„Item zwei Pfund um Sieben zu dem neuen Brunnen in das Huslin“ 

ZUSPIELUNG 12 (Voigt)

Da wurden Siebe eingebaut für das Wasser. Dass da keine gröberen Schmutzpartikel reinkommen. 

ZITATOR

„Item 6 Pfund 2 Schilling haben wir geben dem Lechmaister und den Seinen zue dem Neuen Prunnen Werckleuten und Zymmermannen“.

ERZĂ„HLERIN

Und wie viel Geld ging insgesamt in diesen Jahren in den Brunnenbau?  

ZUSPIELUNG 13 (Voigt) 

(Klickgeräusch) Hamma da. Also 1413 haben 98.544 Denare ausgegeben für die Hauptarbeiten, weil da noch weitere Wasserleitungen verlegt worden sind, die sind hier 196.868 und dann 224.799.

ERZĂ„HLERIN

Voigt wüsste gerne mehr zum Thema, doch ach – ausgerechnet! 

ZUSPIELUNG 14 (Voigt) 

Der Schreiber hier, der war ja, sagen wir mal schreibfaul, oder was auch immer. Der hat einen Standart-Satz gehabt: „dem Lechmeister und den Sinen für sin Arbeit in den Lechen“. Und dann kam die Summe. Woche für Woche der gleiche Satz, nur mit anderen Beträgen. Und deshalb haben wir hier zwar enorme Ausgaben, aber wir wissen nicht, wo die da gearbeitet haben. Das sind so die mittelalterlichen Unschärfen, die wussten damals Bescheid, alles war überschaubar, und wir hätten uns gefreut, wenn er ein bisschen genauer gewesen wäre.

ERZĂ„HLERIN

Das gilt auch für die verschiedenen Währungen, von denen in den Büchern die Rede ist. Da gibt es Kreuzer und böhmische Groschen, Plapphart, Ratisponen, Haller, Dukaten, Rheinische, Würzburger, Vernoneser, Monacer, Florentin und und und… (Blende?)

ZUSPIELUNG 15 (Voigt)

Wie die damit klarkamen, ist mir ein Rätsel. 

ERZĂ„HLERIN

Voigt, der einstige Wirtschaftsfachmann, hat in seiner Datei alles sorgfältig umgerechnet in die offizielle Augsburger Währung von damals, Denar, Schilling, Pfund und Gulden.

ZUSPIELUNG 16 (Voigt)

Gulden und der Denar, das waren Münzen, die konnten Sie in die Hand nehmen und in die Tasche stecken. Dann haben die aber noch Recheneinheiten gehabt. Ein Pfund und ein Schilling. Ein Pfund entsprach 240 Denaren. Denar war der Pfennig damals. Und ein Schilling waren zwölf Denare. Wenn Sie jetzt auf dem Markt gegangen sind, haben sie ein Huhn gekauft, und der sagt, das kostet einen Schilling, dann mussten Sie 12 Denare auf den Tisch legen.

ERZĂ„HLERIN

Alles klar? - Dabei war noch gar nicht von den Inflationszeiten die Rede, von Umtauschverlusten oder minderwertigen Münzen… 

ZUSPIELUNG 17 (Voigt)

Da steht da 24 Schilling, die verloren wurden an 24 Gulden „ze ring“ - also die waren zu gering, ja. Also, da haben sie die Währungsverluste, das habe ich also auch genau hiermit erfasst. 

ERZĂ„HLERIN

Es war nicht das einzige Minus in der städtischen Kasse: irgendwie scheint immer weniger reingekommen zu sein als ausgegeben wurde. Für die Zeit von 1320 bis 1400 etwa zeigt Voigts Gesamtrechnung rund 30 000 Denare an Einnahmen – aus Zöllen, von Zinsen oder von Stiftungen, wie einige der wichtigen Posten lauten. Gleichzeitig betrugen die Ausgaben aber über 73 000 Denare, also mehr als das doppelte. Wie ging die Stadt damit um? Gab es vielleicht irgendwo geheime Quellen, aus denen man sich bedienen konnte …? Fest steht jedenfalls: Man ließ sich immer mehr einfallen, um an das Geld der Untertanen zu kommen. Das Zauberwort lautete „Ungelder“.

ZUSPIELUNG 18 (Voigt) 

Ungelder war damals eine Art und Weise, wie die Stadt Projekte finanziert hatte, wofür kein Geld in der Kasse war, so haben die damals auf die verschiedenen Dinge des täglichen Lebens, unter anderem Wein, Bekleidung, Honig, Wachs - ich habe insgesamt 14 verschiedene Ungelder, die eigentlich gedacht waren nur für die Finanzierung eines bestimmten Projektes, und danach sollten sie wegkommen. Ist nie geschehen, ja? Und das Wein-Ungeld hat teilweise in manchen Jahren bis zu 70 Prozent der Gesamteinnahmen der Stadt ausgemacht. Und wer das einziehen durfte, das war ein „Wein-Ungelder“, so nannten sich die, die sind wohl in die Gaststätten reingegangen oder am Weinstadel und haben dort den Zoll erhoben, das Ungeld. 

MUSIK: „Wo die schönen Trompeten blasen“ –  (0:25)

ZITATOR

Item an dem nehsten Samstag nach vnseres Herren Auffart tage Habent uns geantWĂĽrt Eberhart Langenmantel und der Zottman Ungelder tzĂĽ dem Wein in der niedern Stadt 100 Pfund und 14 Schilling.

  ERZÄHLERIN

Auf der ständigen Suche nach neuen Finanzquellen landen die Augsburger schließlich sogar beim Bischof, ihrem ewigen Sparringpartner im Ringen um die Macht. Vorangegangen war die vollmundige Ankündigung der Stadt, Kaiser Ludwig den Bayern, ihren großen Beschützer, anlässlich seiner Krönung mit 1000 Pfund zu beschenken. Die sie allerdings offenbar nicht mal ansatzweise besaßen. Also nahmen sie die wohlgefüllte Truhe des Kirchenmannes ins Visier. 

 ZUSPIELUNG 19 (Voigt)

Da hat man zwei Pfaffen vom Bischof gekidnappt, entführt und vom Bischof 600 Pfund Lösegeld verlangt. Und darüber gibt es eine Urkunde außerhalb der Baumeisterbücher, zwei ungefähr DiN-A 4-Seiten, wo man sich gegenseitig dann wieder verspricht, weiterhin in Frieden und „Froindschaft“ miteinander zu leben, und der Bischof verspricht auch denen, die die an der Entführung dabei waren, nicht zu bestrafen. Diese 600 Pfund sind ordentlich in den Baumeister-Büchern als Einnahmen eingetragen. 

ERZĂ„HLERIN

Es ist ein gigantischer Fundus an Geschichten, die sich hinter den sparsamen Eintragungen verbergen. Voigt ist vielem davon nachgegangen, tauchte immer aufs Neue ein in alte Zeiten. 

ZITATOR 

Item 6 Pfund Hansen dem Leuffel gen Prag zu unser Botschafft do si mit dem Herzogen von Teck bei dem Kaiser waren - der fand si da nit und loff gen Wien

ZUSPIELUNG 20 (Voigt) 

… da ist wohl eine Abordnung der Stadt Augsburg beim Kaiser in Prag gewesen. Und da müssen irgendwelche Papiere nachgeliefert werden. Und da schickte man dann einen Boten dort nach Prag. Und da waren die schon, weil das ja ein Kaisertum im Umherziehen war, nach Wien weitergezogen und „er loff“ nach gen Wien: Laufen Sie mal in Augsburg los nach Prag. Wo laufen sie denn lang? Und im nächsten Dorf fragen Sie: Wo geht es denn nach Prag? - Wie die sich damals orientiert haben! Die hatten noch keine Landkarte, geschweige denn Navi oder sonst irgendetwas. Aber sie haben sich zurechtgefunden. Und wo haben die übernachtet? Da gibt’s tausend interessante Dinge. 

MUSIK: „Connecting“  (0:35)

ERZĂ„HLERIN

Und jede Antwort bringt neue Fragen hervor, eröffnet neue Themenbereiche - die dank der Datei und dem Zusatzmaterial deutlich leichter fĂĽr zukĂĽnftige Forscherinnen und Forscher zugänglich sind.  Doch eigentlich wĂĽrde sich Dieter Voigt am liebsten gleich wieder selbst ans Werk machen.Â