Das Deutsche Reich wieder eine GroĂmacht? Den Versailler Vertrag einfach vom Tisch fegen? Solche Visionen teilten fĂŒhrende MilitĂ€rs mit dem frisch zur Macht gekommenen NS-Regime. Doch Hitlers riskante Expansionsziele stieĂen auch auf Zweifel in Teilen der MilitĂ€r-Elite. Als sich spĂ€ter die Niederlage abzeichnete, versuchte die militĂ€rische Opposition das NS-Regime zu stĂŒrzen. Eine demokratische Zukunft, die am Weimarer Zeiten angeknĂŒpft hĂ€tte, war aber nicht geplant. Von Renate Eichmeier
Das Deutsche Reich wieder eine GroĂmacht? Den Versailler Vertrag einfach vom Tisch fegen? Solche Visionen teilten fĂŒhrende MilitĂ€rs mit dem frisch zur Macht gekommenen NS-Regime. Doch Hitlers riskante Expansionsziele stieĂen auch auf Zweifel in Teilen der MilitĂ€r-Elite. Als sich spĂ€ter die Niederlage abzeichnete, versuchte die militĂ€rische Opposition das NS-Regime zu stĂŒrzen. Eine demokratische Zukunft, die am Weimarer Zeiten angeknĂŒpft hĂ€tte, war aber nicht geplant. Von Renate Eichmeier
Credits
Autorin dieser Folge: Renate Eichmeier
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Katja BĂŒrkle, Peter Veit
Technik: Stefan Oberle
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Prof. Dr. Johannes HĂŒrter, Institut fĂŒr Zeitgeschichte MĂŒnchen
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O1 HĂTER:
Eigentlich hat sich die MilitĂ€relite in sehr weitgehender Form auf den Nationalsozialismus, auf Hitler, auf die Kriegspolitik, auf die Kriegszielpolitik auch eingelassen und spĂ€ter dann sich auch an dem Vernichtungskrieg beteiligt.Â
 ERZĂHLERIN:
Sagt Professor Dr. Johannes HĂŒrter vom Institut fĂŒr Zeitgeschichte in MĂŒnchen. Als dann mit der verlorenen Schlacht um Stalingrad eine deutsche Kriegsniederlage drohte, beschlossen Angehörige der WehrmachtsfĂŒhrung, das NS-Regime zu stĂŒrzen. Am 20. Juli 1944 detonierte um 12 Uhr 42 eine Sprengladung im FĂŒhrerhauptquartier Wolfschanze im damaligen OstpreuĂen. Die Baracke, in der Adolf Hitler gerade eine Lagebesprechung abhielt, wurde zerstört, einige der Anwesenden wurden getötet. Es sollte der Beginn eines Staatsstreiches sein. Am gleichen Tag meldete der Rundfunk.
MUSIK 2 (Fabian ïitter: Dark Pulse 0â20)
ZUSPIELUNG O-Ton RadioÂ
(aus: Autor: Uwe Pagels / Archivnummer: W0550945 101 / 00:46 bis 1:00 / geklĂ€rt, rechtefrei)Â
Auf den FĂŒhrer wurde heute ein Sprengstoffanschlag verĂŒbt. Der FĂŒhrer selbst hat auĂer leichten Verbrennungen und Prellungen keine Verletzungen erlitten. Er hat unverzĂŒglich seine Arbeit wieder aufgenommen.Â
MUSIKENDEÂ
ERZĂHLERIN:
30. Januar 1933. Mit einem nÀchtlichen Fackelzug durch Berlin feierten die paramilitÀrischen SchlÀgertrupps der SA die Ernennung des NSDAP-Vorsitzenden Adolf Hitler zum Reichskanzler. Es war das Ende der Weimarer Republik. Bald waren demokratische GrundsÀtze und Rechtsstaatlichkeit abgeschafft. Politische Gegner und Menschen, die nicht der rassistischen NS-Ideologie entsprachen, wurden brutal verfolgt.
O2 HĂRTER:
Die MachtĂŒbernahme der Nationalsozialisten wurde von sehr vielen MilitĂ€rs mit einer gewissen Sorge angesichts der radikalen Tendenzen dieser Partei und dieser Bewegung betrachtet, aber auch mit sehr vielen Hoffnungen. Und unter dem Strich haben die Hoffnungen eigentlich ĂŒberwogen.
ERZĂHLERIN:
Johannes HĂŒrter war unter anderem an einem Forschungsprojekt zur Wehrmacht in der NS-Diktatur beteiligt.
O3 HĂRTER:
Denn es gab zwischen nationalkonservativen Offizieren auf der einen Seite und Nationalsozialisten auf der anderen Seite sehr viele Schnittmengen in dem, was man vorhatte, was man politisch vorhatte, was man in Hinsicht auf die AufrĂŒstung vorhatte, was man in Hinsicht auf die Ăberwindung der Versailler Ordnung vorhatte. Man spricht da auch von groĂen TeilidentitĂ€ten zwischen der nationalkonservativen MilitĂ€relite und den Nationalsozialisten.
MUSIK 3 (Johnny Klimek: Plan B 0â32)
ERZĂHLERIN:Â
Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages musste Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg alle Kriegsschiffe, Flugzeuge, Panzer, sogenanntes schweres Kriegsmaterial an die SiegermĂ€chte ausliefern und das Heer auf hunderttausend Soldaten reduzieren. Schon in den Jahren der Weimarer Republik gab es seitens der Reichswehr Versuche, diese Bestimmungen zu unterlaufen. Mit Beginn der NS-Diktatur hoffte man nun, dass die WiederaufrĂŒstung Fahrt aufnahm.
O4 HĂRTER:
Also die Hoffnung war schon sehr groĂ, dass sich unter dieser neuen nationalen Regierung etwas verĂ€ndert in Richtung Revision des Versailler-Vertrags und in Richtung AufrĂŒstung der Wehrmacht, Wieder-Erstarkung Deutschlands.Â
ERZĂHLERIN:
Deutschland wieder eine GroĂmacht? Diese Vision teilten fĂŒhrende MilitĂ€rs mit dem NS-Regime und versprachen sich von einem Wiederaufstieg Deutschlands auch eine RĂŒckgewinnung ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, die sie mit dem Ende des Kaiserreiches 1918 verloren hatten. Die neuen NS-Machthaber kamen diesen Erwartungen entgegen. Adolf Hitler versuchte von Anfang an, die Reichswehr in sein Machtsystem zu integrieren und Vertrauen aufzubauen.
MUSIK 4 (Badonviller Marsch 0â31)
SPRECHER:
Reichswehrminister Werner von Blomberg zeigte sich von den NS-Machthabern begeistert, interpretierte das neue Kabinett als "Ausdruck breiten nationalen Wollens", Ă€uĂerte sich bewundernd ĂŒber den neuen Kanzler Adolf Hitler, der "wie ein ganz groĂer Arzt" fungiere. Er war bereit, die NSDAP innenpolitisch gewĂ€hren zu lassen.
MUSIK 5 (Alan Fillip: Entering Space 0â33)
SPRECHER:
Auch Blombergs Ministeramtschef im Reichswehrministerium, Generalmajor Walter von Reichenau, Ă€uĂerte sich begeistert: "Hinein in den neuen Staat, nur so können wir die uns gebĂŒhrende Position behaupten." Und zu den Gewaltexzessen der neuen Machthaber sagte er: "Morsches muss fallen, das kann mit Terror geschehen." Â
ERZĂHLERIN:
Die militĂ€rische FĂŒhrungsriege hoffte, in einem autoritĂ€ren NS-StaatsgefĂŒge in der Hierarchie weit oben ihren Platz zu finden. Beunruhigt waren militĂ€rische FĂŒhrungskreise deshalb nicht durch die Abschaffung demokratischer Grundrechte, sondern durch die paramilitĂ€rische Konkurrenz der SA. Ihr FĂŒhrer Ernst Röhm wollte die SA zu einer Art braunem Massenheer ausbauen, in dem die Reichswehr aufgehen sollte. Als Adolf Hitler im Sommer 1934 Ernst Röhm und andere vermeintliche Gegner durch die SS ermorden lieĂ, gab es seitens der Reichswehr UnterstĂŒtzung.
SPRECHER:
"Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid" â so die Soldaten der Reichswehr Anfang August 1934. Sie schworen, dass sie Adolf Hitler, dem FĂŒhrer des Deutschen Reiches und Volkes, ihrem neuen Oberbefehlshaber, unbedingten Gehorsam leisten und bereit sind, ihr Leben fĂŒr diesen Eid einzusetzen.
ERZĂHLERIN:
UrsprĂŒnglich wurde die Reichswehr auf die Verfassung der Weimarer Republik vereidigt. Als Paul von Hindenburg starb, ĂŒbernahm Adolf Hitler zusĂ€tzlich zu seiner Kanzlerschaft das Amt des ReichsprĂ€sidenten und wurde damit Staatsoberhaupt. Noch am gleichen Tag lieĂ Werner von Blomberg die Soldaten der Reichswehr auf Adolf Hitler persönlich vereidigen.Â
MUSIK 6 (Johnny Klimek: Plan B 0â29)
SPRECHER:Â
Ohne Auftrag Hitlers, wie er behauptete. Auch sonstige ĂuĂerungen zeigen ihn regimekonform. "Das erste Jahr der nationalsozialistischen StaatsfĂŒhrung hat die Grundlagen fĂŒr den politischen und wirtschaftlichen Neubau der Nation gelegt", lieĂ er verlauten. Und: "Das zweite Jahr stellt die Notwendigkeit der geistigen Durchdringung der Nation mit den Leitgedanken des nationalsozialistischen Staates in den Vordergrund. "
MUSIK 7 (Cliff Martinez: After The Chase 0â45)
ERZĂHLERIN:
In militĂ€rischen Dienststellen und militĂ€rischen Fachschulen wurden weltanschauliche Schulungen eingefĂŒhrt und nationalsozialistisches Gedankengut vermittelt. So gab es zum Beispiel in den Kriegsschulen fĂŒr die Offiziersausbildung sogenannten "rassenhygienischen Unterricht". 1935 wurde die allgemeine Wehrpflicht wieder eingefĂŒhrt, damit die Zahl der ausgebildeten Soldaten massiv erhöht, die Reichswehr wurde offiziell in Wehrmacht und der Reichswehrminister in Reichskriegsminister umbenannt. Die militĂ€rischen Vorbereitungen fĂŒr Hitlers ExpansionsplĂ€ne begannen auf Hochtouren zu laufen.Â
O5 HĂRTER:
Hitler hat die Wehrmachtspitze, sehr frĂŒh ĂŒber seine sehr radikalen auĂenpolitischen PlĂ€ne auch informiert.Â
ERZĂHLERIN:
So der Historiker Johannes HĂŒrter.
O6 HĂRTER:
Er hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er plant, nach Osten auszugreifen, Lebensraum zu gewinnen. Er hat von Anfang an versucht, die Wehrmachtselite, damals noch die Reichswehrelite, einzubeziehen in sein Programm, in sein auĂenpolitisches Programm, das letztlich unverkennbar stark auf Krieg ausgerichtet war.Â
MUSIK 8 (Alan Filip: A Sad One 1â12)
ERZĂHLERIN:
Anfang November 1937 lud Hitler die militĂ€rische FĂŒhrungselite zu einer Besprechung in die Reichskanzlei ein. Anlass waren Streitigkeiten um die Verteilung von StahlvorrĂ€ten, die fĂŒr die AufrĂŒstung der StreitkrĂ€fte gebraucht wurden. Hitler sollte diesbezĂŒglich fĂŒr eine KlĂ€rung sorgen. Neben Reichskriegsminister Blomberg waren unter anderem auch die Oberbefehlshaber von Heer, Luftwaffe und Marine anwesend. In einem mehrstĂŒndigen Monolog nutzte Hitler nun die Chance, die versammelte MilitĂ€rspitze detailliert ĂŒber seine ExpansionsplĂ€ne zu informieren â und ihre Reaktion zu testen. Er betonte, dass militĂ€rische Aktionen bezĂŒglich Ăsterreich und der Tschechei beziehungsweise dem Sudetenland in nĂ€chster Zukunft geplant seien. Obwohl es eine prinzipielle Ăbereinstimmung bezĂŒglich einer deutschen Expansionspolitik gab, Ă€uĂerten Reichskriegsminister Blomberg und auch der Oberbefehlshaber des Heeres, Werner von Fritsch, starke Bedenken. Sie befĂŒrchteten, die Situation könnte eskalieren und zu einem Krieg mit England und Frankreich fĂŒhren. Johannes HĂŒrter:
O7 HĂRTER:
Es ging der MilitĂ€rspitze eher um die ZeitrĂ€ume. Ein Krieg schon Ende der dreiĂiger Jahre war vielen professionellen GenerĂ€len zu riskant, zu gefĂ€hrlich. Sie haben gedacht, dass die Wehrmacht da noch nicht kriegsfĂ€hig ist.Â
ERZĂHLERIN:Â
Hitlers Kritiker verschwanden daraufhin Anfang 1938 aus der militĂ€rischen FĂŒhrungsriege. Reichskriegsminister Werner von Blomberg stolperte ĂŒber seine zweite Heirat mit einer Frau, die in ihrer Jugend wegen Nacktfotos polizeilich aktenkundig geworden war. Und Werner von Fritsch musste gehen, weil GerĂŒchte ĂŒber eine angebliche HomosexualitĂ€t gestreut wurden. Im Laufe der folgenden Monate geriet dann der Generalstabschef des Heeres Ludwig Beck ins Visier Adolf Hitlers, als er versuchte die GenerĂ€le des Heeres zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen dessen riskante Kriegsplanungen zu bringen. Auch er musste seinen Posten aufgeben und zog sich ins Privatleben zurĂŒck. Er blieb aber nicht untĂ€tig, sondern erwies sich als geschickter Netzwerker. Ludwig Beck sammelte gleichgesinnte MilitĂ€rs um sich und suchte Kontakte zur zivilen Opposition. Dort war sein wichtigster Ansprechpartner der konservative Politiker Carl Friedrich Goerdeler.Â
MUSIK 9 (Johnny Klimek: Nah 1â01)
Auch Becks Nachfolger als Generalstabschef des Heeres, Franz Halder, hatte lose Kontakte in oppositionelle Kreise. In â wenn auch â sehr kleinen Teilen der militĂ€rischen FĂŒhrungselite wurden Ăberlegungen angestellt, wie man sich verhalten solle, wenn Hitler 1938 verfrĂŒht in einen Krieg hineinstolpern wĂŒrde. Doch ihre Bedenken sollten sich nicht bewahrheiten. Sowohl den deutschen Einmarsch in Ăsterreich als auch die Besetzung des Sudetenlandes konnte die NS-Diktatur als auĂenpolitischen Erfolg verbuchen. Die WestmĂ€chte scheuten eine Konfrontation mit dem Deutschen Reich und billigten mit dem MĂŒnchner Abkommen die aggressive Expansionspolitik. Einer möglichen Opposition aus militĂ€rischen Kreisen war damit die Grundlage entzogen â so jedenfalls das Narrativ nach dem Zweiten Weltkrieg.Â
O8 HĂRTER:
Man muss ja auch generell sagen, dass die MilitĂ€relite nach 1945 bemĂŒht war, sich nachtrĂ€glich von Hitler und dem Regime zu distanzieren. Und diese Konstruktion, es habe schon 1938 eine Verschwörung gegeben, einen Widerstand, hat da natĂŒrlich gut reingepasst, aber stimmte mit der RealitĂ€t nicht immer so ganz ĂŒberein. Da hat man ziemlich an der Wahrheit oder an der Vergangenheit herum manipuliert. Im Grunde war das eine Art Vergangenheitspolitik in eigener Sache, um die MilitĂ€relite zu entlasten nachtrĂ€glich, denn eigentlich hat sich die MilitĂ€relite in sehr weitgehender Form auf den Nationalsozialismus, auf Hitler, auf die Kriegspolitik, auf die Kriegszielpolitik auch eingelassen und spĂ€ter dann sich auch an dem Vernichtungskrieg beteiligt.Â
ATMO KriegsgerÀusche /
MUSIK 10 ( Iva Zabkar: FrĂŒhstĂŒck / einbruch / mord 1â06)
ERZĂHLERIN:
Als sich mit der verlorenen Schlacht um Stalingrad im Winter 1942/43 eine deutsche Kriegsniederlage abzeichnete, kam Bewegung in das oppositionelle Netzwerk, in dem die zivilen und militĂ€rischen Akteure zwar miteinander kommunizierten, aber keine konkreten Umsturzplanungen anstellten. FĂŒr letzteres waren ohnehin die MilitĂ€rs zustĂ€ndig, wĂ€hrend sich die zivile Opposition in erster Linie mit Konzepten fĂŒr ein zukĂŒnftiges Deutschland beschĂ€ftigte. Die drohende Kriegsniederlage beunruhigte die MilitĂ€rs.Â
MUSIK 11 ( Jens Buchert: Pulse 0â46)
Was wĂŒrde aus Deutschland werden im Falle einer bedingungslosen Kapitulation? Wer wĂŒrde zur Verantwortung gezogen fĂŒr die Massenmorde, all die Verbrechen, die die deutschen Besatzer in den besetzten Ostgebieten begangen hatten? Der Sturz des NS-Regimes sollte politische Handlungsmöglichkeiten schaffen â vor allem in Hinblick auf Friedensverhandlungen.
FĂŒhrende Köpfe des militĂ€rischen Widerstands waren General Friedrich Olbricht und Generalmajor Henning von Tresckow. Sie bildeten den Kern der spĂ€teren Attentatsgruppe. Mit den Widerstandsnetzwerken um Ludwig Beck waren sie bereits seit 1938 in Kontakt. Claus Schenk von Stauffenberg, der das Attentat am 20. Juli 1944 letztendlich ausfĂŒhrte, stieĂ erst relativ spĂ€t zu den Verschwörern.
O9 HĂRTER:
Stauffenberg kommt aus einem rechtsnationalistischen Milieu. Aus dem Grund hat er auch 1933 die MachtĂŒbernahme Hitlers und der Nationalsozialisten zunĂ€chst durchaus begrĂŒĂt, und man findet sogar bis 1942 noch viel Zustimmung. Das bestĂ€rkt eigentlich die These, dass er erst ab 1942 und vielleicht sogar auch erst im Laufe des Jahres 1943 auch innerlich zum ĂŒberzeugten WiderstandskĂ€mpfer geworden ist, der dann aber wirklich mit einer unvergleichlichen Konsequenz dieses eine Ziel, nĂ€mlich Hitler zu beseitigen, verfolgt hat.
Also da war er die treibende Kraft dann neben sehr vielen anderen militĂ€rischen und zivilen Akteuren, die diesen letzten Schritt vielleicht irgendwann gehen wollten, aber mit der Konkretisierung immer Probleme haben, gezaudert haben, den richtigen Augenblick, der vielleicht nie kommen wĂŒrde, abwarten wollten.
MUSIK 12 ( Iva Zabkar: Fahrt zum Kommissariat 0â35)
ERZĂHLERIN:
Eine zentrale Rolle bei den militĂ€rischen UmsturzplĂ€nen spielte das sogenannte Ersatzheer. Das waren Soldaten, teils noch in Ausbildung, teils auch in Reserve, die innerhalb des Deutschen Reiches stationiert waren und es im Krisenfall unter dem Decknamen "Operation WalkĂŒre" verteidigen sollten. Als stellvertretender Befehlshaber hatte Friedrich Olbricht Zugriff auf das Ersatzheer. Und Henning von Tresckow hatte die Idee, die WalkĂŒre-Planungen fĂŒr einen Staatsstreich umzuarbeiten.
O10 HĂRTER:
Das war eine fantastische Idee, denn dieser Plan WalkĂŒre war von Hitler ja an sich bereits genehmigt und sollte eingesetzt werden gegen mögliche AufstĂ€nde, innere Unruhen, Meutereien von Zwangsarbeitern, Kommandounternehmen der Alliierten in Deutschland, also war ein Instrument, ein Planungsinstrument, um Deutschland im Inneren, von inneren und Ă€uĂeren Angriffen zu verteidigen. Und die geniale Idee Tresckows war, das nun gegen Hitler oder besser gesagt, gegen den Nationalsozialismus zu wenden, und das war eng verknĂŒpft mit dem Plan, Hitler in irgendeiner Form zu beseitigen.
ERZĂHLERIN:
Tresckow, Olbricht und auch Stauffenberg waren maĂgeblich an der Umarbeitung des WalkĂŒre-Plans beteiligt. Friedrich Olbricht sollte von Berlin aus den Staatsstreich leiten. Nach dem Tod Hitlers sollten die Truppen des Einsatzheeres in Marsch gesetzt, NS-Organisationen ausgeschaltet, deren FĂŒhrer verhaftet und Dienststellen besetzt werden. Wichtige Rundfunk- und Kommunikations-Einrichtungen wie Fernsprech-, Fernschreib- und Funkverbindungen wollte man ĂŒbernehmen und in Berlin eine neue Regierung installieren. Soweit in groben ZĂŒgen der Plan fĂŒr den Sturz des NS-Regimes.Â
O11 HĂRTER:Â Â
Es war zunĂ€chst nicht geplant, dass Stauffenberg der AttentĂ€ter ist. Das hat sich erst so entwickelt. Denn Stauffenberg war ja gleichzeitig auch einer der Hauptorganisatoren des Staatsstreiches und sollte eigentlich ursprĂŒnglich gar nicht in diese Gefahr gebracht werden, dass er bei dem Versuch eines Attentats vielleicht dann auch selbst getötet werden könnte. Das hat sich nach und nach entwickelt. Es hat sich vor allem entwickelt, weil Stauffenberg dann in diesen Monaten derjenige war, der am leichtesten Zugang zu Hitler hatte.Â
ERZĂHLERIN:
Bereits vor dem 20. Juli 1944 nahm Stauffenberg einige Male an Besprechungen bei Adolf Hitler teil, das geplante Sprengstoffattentat konnte jedoch aus verschiedenen GrĂŒnden nicht ausgefĂŒhrt werden. Angesichts der aussichtslosen militĂ€rischen Lage kam es auch zu Diskussionen, ob Attentat und Staatsstreich ĂŒberhaupt noch einen Sinn
SPRECHER :
Das Attentat muss erfolgen, bekrĂ€ftigte Henning von Tresckow. Denn es komme nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat, alles andere ist daneben gleichgĂŒltig.
MUSIK 13 (Anselm Kreuzer: Impacts Getting Closer 1â36)
ERZĂHLERIN:
Am 20. Juli reiste Stauffenberg mit zwei Paketen Sprengstoff im GepĂ€ck ins FĂŒhrerhauptquartier Wolfschanze im damaligen OstpreuĂen, um an einer Lagebesprechung mit Hitler teilzunehmen. Kurz vor Beginn der Besprechung zog sich Stauffenberg unter einem Vorwand zurĂŒck. Er wollte die ZeitzĂŒnder an beiden Sprengstoffpaketen aktivieren, schaffte das aber nur an einem der Pakete, versteckte es in einer Aktentasche und platzierte diese dann in der Besprechungsbaracke in der NĂ€he von Hitler. Danach verlieĂ er abermals unter einem Vorwand den Raum und beobachtete aus einer sicheren Entfernung die Detonation, die an der Baracke schwere Zerstörungen anrichtete.Â
ATMO Detonation
Er nahm an, dass Hitler tot sei, und machte sich auf den Weg zurĂŒck nach Berlin. Dort hatte Friedrich Olbricht bereits die Nachricht erhalten, dass Hitler nur leicht verletzt war. Deshalb zögerte er, die Truppen des Ersatzheeres zu mobilisieren. Erst als Stauffenberg Stunden spĂ€ter in Brandenburg landete und versicherte, dass Hitler tot sei, versuchte Olbricht, das Ersatzheer in Marsch zu setzen. Da war es aber schon zu spĂ€t: Die Nachricht, dass Adolf Hitler das Attentat ĂŒberlebt hatte, war bereits durchgesickert. Im folgenden Machtkampf unterlagen die Verschwörer. Der Staatsstreich war gescheitert. Die HauptgrĂŒnde dafĂŒr, so der Historiker Johannes HĂŒrter waren zum einen, dass Adolf Hitler bei dem Attentat nicht getötet worden war.Â
O12 HĂRTER:
Der zweite Grund war, dass die Verschwörer innerhalb der MilitĂ€relite letztlich nur eine Minderheit waren, dass es zu viele Zauderer gab, die unentschieden waren, und wahrscheinlich noch mehr Offiziere in wirklich allen Bereichen und an allen Standorten, die diese Verschwörung auch abgelehnt haben, die einen Staatsstreich abgelehnt haben aus verschiedenen GrĂŒnden.
ERZĂHLERIN:
Die starke preuĂisch-deutsche MilitĂ€rtradition mit Pflicht und Gehorsam mag eine Rolle gespielt haben, der Eid auf Adolf Hitler persönlich, die Verbundenheit mit der NS-Ideologie, die Angst vielleicht auch vor den Konsequenzen, wenn der Umsturz scheiterte ⊠Friedrich Olbricht, Claus von Stauffenberg und andere wurden noch in der gleichen Nacht hingerichtet. Ludwig Beck bekam die Möglichkeit zum Selbstmord, als dieser misslang, wurde er erschossen. Unter FĂŒhrung der SS wurde eine "Sonderkommission 20. Juli" eingerichtet. Um die 500 Kriminalbeamte ermittelten, schĂ€tzungsweise 600 bis 800 Personen wurden in Zusammenhang mit dem Attentat verhaftet, etwa 200 von ihnen vom NS-Regime ermordet. Manche begingen Selbstmord, um ihrer Verhaftung zu entgehen wie Henning von Tresckow. Andere wurden in Schauprozessen vor dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt wie etwa Carl Friedrich Goerdeler.Â
MUSIK 14Â Johnny Klimek: Nah 1â01
Was sie fĂŒr die Zukunft Deutschlands geplant hatten, wĂ€re der Staatsstreich geglĂŒckt? Das war unklar.
O13 HĂRTER:Â
Was relativ klar ist, ist, dass der Plan nicht war, die parlamentarische Demokratie zu erneuern, also die parlamentarische Demokratie nach dem Vorbild der Weimarer Republik. Das ganz bestimmt nicht. Die meisten PlĂ€ne gingen so in die Richtung einer StĂ€nde-Republik mit demokratischen Elementen, vielleicht sogar eine StĂ€nde-Monarchie mit parlamentarischen und demokratischen VersatzstĂŒcken. Also, das war alles ziemlich diffus. Es wĂ€re keine Demokratie geworden, wie wir sie uns heute vorstellen, also keine parlamentarische Demokratie so wie die Bundesrepublik. Also das wĂ€re da auf keinen Fall herausgekommen.