radioWissen - Bayern 2   /     Kinder des 20. Juli - Wie es fĂŒr die Nachkommen weiterging

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Der Staatsstreichversuch vom 20.Juli 1944 gilt heute als Versuch, durch den Tod Hitlers den Zweiten Weltkrieg zu beenden und damit Millionen Zivilisten und Soldaten das Leben zu retten. Doch an dieser Anerkennung hat es lange gefehlt. Die Tat der Verschwörer um Stauffenberg, Tresckow, Beck und andere wurde ĂŒber Jahrzehnte als Verrat denunziert. Entsprechend schwer hatten es auch Angehörige und Nachkommen, in der deutschen Öffentlichkeit AnsprĂŒche auf EntschĂ€digung geltend zu machen. Von Rainer Volk

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Duration
00:24:14
Publishing date
2024-07-18 03:00
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https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/kinder-des-20-juli-wie-es-fuer-die-nachkommen-weiterging/2095710
Contributors
  Rainer Volk
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Shownotes

Der Staatsstreichversuch vom 20.Juli 1944 gilt heute als Versuch, durch den Tod Hitlers den Zweiten Weltkrieg zu beenden und damit Millionen Zivilisten und Soldaten das Leben zu retten. Doch an dieser Anerkennung hat es lange gefehlt. Die Tat der Verschwörer um Stauffenberg, Tresckow, Beck und andere wurde ĂŒber Jahrzehnte als Verrat denunziert. Entsprechend schwer hatten es auch Angehörige und Nachkommen, in der deutschen Öffentlichkeit AnsprĂŒche auf EntschĂ€digung geltend zu machen. Von Rainer Volk

Credits
Autor dieser Folge: Rainer Volk
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Jerzy May, Susanne Schroeder
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Thomas Morawetz


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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

O-Ton 1: (Hitler im Radio, 20.7.1944, LĂ€nge: 0’50)

„Deutsche Volksgenossen und -genossinnen. Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissensloser und zugleich unvernĂŒnftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen
 

(blenden ab „
mich zu beseitigen“ – unter ErzĂ€hler verlieren)

Musik:  Dark operation red 0‘43

ErzÀhler: 

Die Nachwirkungen des 20.Juli 1944 beginnen schon in der Nacht jenes Tages - als Hitler im Radio spricht. Seine Diffamierung der Akteure des Umsturzversuchs wirkt noch ĂŒber Jahrzehnte. Die brutale Rache der Nazis vor Kriegsende 1945 mit hunderten Hinrichtungen, Sippenhaft und Verschleppungen von Angehörigen ist dabei nur ein Aspekt. Das wahre Gift der SĂ€tze Hitlers zeigt sich erst nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. Axel Smend ist Jahrgang 1944. Sein Vater, der Oberstleutnant GĂŒnther Smend, versuchte seinen Vorgesetzten, den Generalstabschef des Heeres, zu bereden, dem Widerstand beizutreten, Sein Sohn Axel erinnert sich:

O-Ton 2: (Smend-VerrĂ€ter) – 

„Meine Mutter war beim Elternsprechtag. Und sie sprachen auch in irgendeiner Weise ĂŒber meinen Vater. Ich war immer ein schlechter SchĂŒler. Und dann hat der Lehrer in diesem Zusammenhang meiner Mutter gesagt. Na ja, dann ist es ja kein Wunder, dass Ihr Sohn Axel schlecht in der Schule ist - als Sohn eines VerrĂ€ters.“   LĂ€nge: 0‘23

ErzÀhler:

Smends Erlebnis ist keineswegs ein Einzelfall. Begriffe wie „Vorbilder“ oder „Helden“ fĂŒr die MĂ€nner und Frauen des 20.Juli 1944 blieben lange die Ausnahme. So fand das Allensbacher Institut fĂŒr Demoskopie 1951 heraus: 30 Prozent der Deutschen verurteilten den versuchten Staatsstreich weiterhin. Noch einmal so viele wussten nichts von den Geschehnissen oder hatten keine Meinung dazu. Irritiert schrieben die Meinungsforscher:

Musik:  Dark figures (red.) 0‘16

Zitator: 

„Beinahe die HĂ€lfte aller Leute, die ĂŒber den 20.Juli mitreden können, sagten ĂŒber die Verschwörer nur Nachteiliges
 Weiter wird ihnen Feigheit vorgeworfen, gelegentlich auch Egoismus.“

ErzÀhler: 

Besonders hartnĂ€ckig hielten sich die Verleumdungen im militĂ€rischen Milieu - in der Bundeswehr. Das Verteidigungsministerium benannte zwar 1961 die erste Kaserne nach einem der Verschwörer – in Sigmaringen, nach Stauffenberg. Doch Jobst Schulze-BĂŒttger, dessen Vater Georg ein Vertrauter von Henning von Tresckow war - neben Stauffenberg der wichtigste Kopf des berĂŒhmten „Unternehmen WalkĂŒre“ – berichtet von einem Erlebnis als Offizier Anfang der 1980er Jahre:

O-Ton 3: (Schu-BĂŒ. – VerrĂ€ter) – 

„Wir saßen im Kasino zusammen und hatten das Thema Widerstand. Und man landete im Laufe dieses GesprĂ€chs bei dem Thema natĂŒrlich auch „20.Juli“. Und da sagte ein Kompaniechef aus meinem Bataillon: „Das waren alles VerrĂ€ter.“ LĂ€nge: 0‘17

Musik: Coming closer red 0‘36

ErzÀhler: 

Kein Wunder, dass Ehefrauen, MĂŒtter, Söhne und Töchter der Offiziere des 20.Juli 1944 sich abkapselten. Die Familien hatten nach dem gescheiterten Staatsstreich Schreckliches erlebt: Etwa 50 Kinder kamen im Herbst 1944 unter falschen Namen in ein Heim bei Bad Sachsa – manche bis zum Kriegsende. Die Gestapo steckte Dutzende Frauen in Sippenhaft, um herauszufinden, was diese ĂŒber die UmsturzplĂ€ne wussten. Die Folge: In vielen Familien wurde wenig erzĂ€hlt von den VĂ€tern. Jobst Schulte-BĂŒttger:

O-Ton 4: (Schu-BĂŒ – Beschweigen) – 

„Ich habe meine Mutter und meinen Bruder nie gefragt. Irgendwie habe ich gespĂŒrt, dass da was war. Und ich ihnen im Grunde genommen nicht zumuten wollte, mir auf eine Frage, von der ich das GefĂŒhl hatte, dass es fĂŒr sie ein Problem ist, zu antworten.

Musik:  Strictly confidential 0‘41

ErzÀhler: 

In GesprĂ€chen mit den Kindern der UmstĂŒrzler vom 20.Juli 1944 finden sich aber auch Aussagen, die ein anderes Extrem andeuten: Die VerklĂ€rung des Vaters. Kurt von Plettenberg war 1944 GeneralbevollmĂ€chtigter der Hohenzollern-Familie und des FĂŒrstenhauses Schaumburg-Lippe. Er wusste von den Putsch-PlĂ€nen und stĂŒrzte sich, nachdem er dem Verhör-Beamten der Gestapo einen Boxhieb verpasst hatte, aus dem Fenster des Berliner Gestapo-GebĂ€udes in den Tod. Seine Tochter Dorothea, Jahrgang 1944 erinnert sich:

O-Ton 5: (Plettenberg – Vater Heiliger) – 

„Mein Vater war so der Heilige und wurde stĂ€ndig ĂŒberall so gelobt. Das war eine Sache, an die ich gewöhnt war.“ LĂ€nge: 0‘14

ErzÀhler: 

Derlei Schilderungen lassen sich nur schwer generalisieren. Felicitas von Aretin, Historikerin und ebenfalls Nachfahrin von WiderstandskĂ€mpfern, hat fĂŒr ihr Buch „Die Enkel des 20.Juli“ Befragungen durchgefĂŒhrt. FĂŒr sie sind die Witwen Dreh- und Angelpunkt in der FamilienĂŒberlieferung:

O-Ton 6: (Aretin – Witwen-Rolle) – 

Wenn Witwen eben sehr viel ĂŒber ihre Erlebnisse oder GefĂŒhle sprechen konnten mit ihren Kindern, dann hat sich das meistens auch sehr positiv ausgewirkt, weil eine Verarbeitung stattgefunden hat. Weil hingegen, wenn die Witwen sozusagen gar nichts erzĂ€hlt haben, dann war das fĂŒr die Kindergeneration natĂŒrlich schon viel schwieriger. Und damit, versetzt, auch fĂŒr die Enkel-Generation.“ LĂ€nge: 0‘25

Musik:  Obscure intrigue red. 0‘47

ErzÀhler: 

Teilweise erklĂ€rt sich die komplizierte Lage durch die Weltpolitik der Nachkriegszeit. 1947 begann der Kalte Krieg zwischen Amerikanern und Sowjets. Das trieb die deutsche Teilung in West und Ost voran und erschwerte den Alltag der Witwen, Eltern und Kinder weiter. Viele flohen aus der sowjetisch besetzten Zone in den Westen, verloren so ihren Besitz im Osten. Zur Diffamierung kam ein sozialer Abstieg hinzu. Axel Smends Mutter hatten die Nazis noch vor Kriegsende das Wohnrecht in ihrer Offizierswohnung in LĂŒneburg entzogen. Das provisorische Hausen in zwei oder drei Zimmern sei weniger schlimm gewesen als die finanziellen Schwierigkeiten seiner Mutter, meint Axel Smend im RĂŒckblick.

O-Ton 8: (Smend – VerhĂ€ltnisse) – 

„Es ging eigentlich mehr um Wie kann man sich finanzieren? Sie hat, glaube ich, sehr viele TauschgeschĂ€fte gemacht. Also: Sachen verkauft, um dafĂŒr Geld zu haben – und um dafĂŒr dann Lebensmittel zu kaufen.“ LĂ€nge: 0‘26

ErzÀhler: 

UnterstĂŒtzung erhielten Witwen, MĂŒtter, Kinder und Verwandte durch das „Hilfswerk 20.Juli 1944 e.V.“ - das bis heute kaum bekannt ist. Der Freundeskreis grĂŒndete sich im Herbst 1945 - vor allem auf Initiative des Juristen Fabian von Schlabrendorff und des Ehepaars Carl-Hans und Renate von Hardenberg. Schlabrendorff und Hardenberg hatten als Offiziere im Umkreis von Henning von Tresckow Attentats-PlĂ€ne mit entworfen und nach deren Scheitern diverse Konzentrationslager nur knapp ĂŒberlebt. Anhand einer Liste der Angehörigen, die Schlabrendorff erstellte, kĂŒmmerte sich das Hilfswerk unbĂŒrokratisch um die Überlebenden des militĂ€rischen Widerstands.

Musik:  Ich bin zurĂŒckgeblieben 0‘29

ErzÀhler: 

In der TrĂŒmmergesellschaft der Halbwaisen, jung Verwitweten und Ausgebombten – hier in einem satirischen Chanson beschrieben – war UnterstĂŒtzung fĂŒr die Hinterbliebenen des 20.Juli 1944 besonders dringlich. Die Evangelische Kirche in Deutschland gab mit ihrer Hilfswerks-Organisation, die der WiderstĂ€ndler und spĂ€tere BundestagsprĂ€sident Eugen Gerstenmaier leitete, was möglich war. Fundamental aber waren bis Anfang der 1950er Jahre auslĂ€ndische Gönner – vor allem karikative Organisationen in den USA und Großbritannien. Was er an Spenden erhielt, ist Axel Smend und anderen im GedĂ€chtnis geblieben:

O-Ton 10: (Smend – Pakete) – 

„Ich erinnere mich sehr gut, als wir Pakete bekamen. Und zwar von privaten Organisationen, weil mein Bruder sich darauf stĂŒrzte: Corned Beef, Rosinen, Milchpulver und ein paar Schuhe. Aus Amerika kam sogar das Angebot, mich zu adoptieren.“

Musik: New beginning 0‘32

ErzÀhler: 

Zu den wenigen Sternstunden der Nachkommen des 20.Juli zĂ€hlten Aufenthalte in die Schweiz, die ein Arzt aus Bern anbot und mit dem Britischen Roten Kreuz organisierte. Bereits im Januar 1947 konnten so 20 Kinder von ermordeten WiderstĂ€ndlern zum AufpĂ€ppeln ins Berner Oberland fahren – weitere Transporte folgten. 

ErzÀhler: 

GeprĂ€gt wurde die Arbeit des Hilfswerks durch ein hohes Maß an Improvisation und Empathie mit den Betroffenen. Durch hektografierte „Rundbriefe“, die sie per Post verschickte, gelang es GeschĂ€ftsfĂŒhrerin Renate von Hardenberg, innere SolidaritĂ€t aufzubauen und unkonventionell zu helfen. Manche UnterstĂŒtzung klingt fĂŒr heutige Ohren hemdsĂ€rmelig:

 Musik:  prayer wheel (red.) 0‘34

Zitatorin/Zitator (gemischt, im ‚VerkĂŒndungston‘): 

„Ein bekannter Chemiker macht den Vorschlag, eventuell einen jungen Mann aus dem Kreise der HilfsbedĂŒrftigen auf Kosten seiner Firma eine Ausbildung als Chemiker zukommen zu lassen.  // Kindern, die keine Gelegenheit haben, von zu Hause aus eine höhere Schule besuchen zu können, kann evtl. durch die GeschĂ€ftsstelle zu VergĂŒnstigungen bei bestimmten Internaten geholfen werden.“ 

ErzÀhler: 

Unter den SchĂŒlern, die ein solches Angebot erhielten, war auch Jobst Schulze-BĂŒttger, der mit seiner Mutter und einem Ă€lteren Bruder in Hildesheim aufwuchs. Seine Mutter habe zunĂ€chst gezögert, erzĂ€hlt Schulze-BĂŒttger. Doch die GrĂ€fin Hardenberg habe sie ĂŒberredet und ihm ein Stipendium in einer Schule bei Bad Hersfeld besorgt: 

O-Ton 11: (Schu-BĂŒ Internat) – 

„Die Hermann-Lietz-Schulen sind solche Landschulheime, von Hermann Lietz gegrĂŒndet –Und ich wollte endlich mal unter MĂ€nner und nicht alleine aufwachsen.“

ErzÀhler: 

Akten aus der frĂŒhen Bundesrepublik zeigen, wie nötig derlei Hilfe war. Denn die BĂŒrokratie ging Ă€ußerst unsensibel mit den Hinterbliebenen des 20.Juli um. Viele Frauen mussten lange um ihre Witwen-Pensionen kĂ€mpfen. So teilte die Oberfinanzdirektion MĂŒnchen der Witwe des WiderstandskĂ€mpfers Rudolf von Marogna-Redwitz im Juli 1951 mit, man habe den Versorgungs-Bescheid aufgehoben. Zur BegrĂŒndung  fĂŒhrte der Beamte ein Gesetz aus der Nazi-Zeit an, dass zum Tod verurteilte Hoch- und LandesverrĂ€ter keine Pensionszahlungen erhalten könnten. Zitat: 

Musik:  Political efforts red. 0‘25

Zitator: 

„Aus zwingenden GrĂŒnden muss deshalb die Zahlung des Unterhaltsbetrages ab sofort eingestellt werden. Es wird ihnen anheim gestellt, unverzĂŒglich beim Staatsministerium der Justiz Antrag auf Aufhebung des Urteils und dessen Folgen zu stellen. Nach Vollzug wĂŒrde die Zahlung wieder aufgenommen.“  

ErzÀhler: 

Weder in den LĂ€ndern noch in der ersten Bundesregierung fanden sich anfangs Mehrheiten, Renten- und Pensions-AnsprĂŒche der Hinterbliebenen des 20.Juli 1944 Ă€hnlich großzĂŒgig zu regeln wie bei ehemaligen Polizisten und Soldaten der Wehrmacht. Im Oktober 1951 – ĂŒber sechs Jahre nach Kriegsende! – erreichte das Hilfswerk schließlich eine „Spendenregelung“. Die Bundesregierung zahlte von nun an pauschal eine Summe, die das Hilfswerk unter seinen BedĂŒrftigen verteilen konnte. Als „Almosen“ bezeichneten viele im Hilfswerk das Ergebnis in Mark und Pfennig. Renate von Hardenberg schrieb zu ihrer Verteidigung in einem Brief:

Zitatorin: 

„Als ich merkte, dass die Sache nicht gesetzlich geregelt werden sollte, habe ich mich mit aller Energie eingeschaltet und habe das kĂŒmmerliche Resultat erreicht, was sie kennen. Alle Proteste mĂŒssen durch die Parteien an den Bundesrat gerichtet werden und an die verantwortlichen Herren der Regierung. Ich bitte, mich nicht dafĂŒr verantwortlich zu machen, aber auch keine unnötigen Lorbeeren an mich zu verschwenden.“ 

Musik: Undercover investigations red. 0‘29

ErzÀhler: 

Das zustĂ€ndige Bundesinnenministerium ĂŒberwies - wie die Akten zeigen – nie mehr als 400-tausend D-Mark pro Jahr an das Hilfswerk. Alleinstehende Frauen erhielten pro Monat 200 Mark, MĂŒtter von Kindern ohne Einkommen 300 Mark, Studenten 150 Mark – und so weiter - was die LebensverhĂ€ltnisse mehr schlecht als recht absicherte. Dass die Spenden-Symbolik dĂŒrftig war, wusste die Bonner Politik nur zu gut. Auch deshalb ergriff sie in der Folge öffentlich stĂ€rker Partei fĂŒr den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 1954 hielt erstmals ein BundesprĂ€sident die Gedenkrede zum Jahrestag. Frisch fĂŒr eine zweite Amtszeit gewĂ€hlt, versuchte Theodor Heuss in der Berliner Freien UniversitĂ€t – mit Kanzler Adenauer im Publikum – eine Ehrenrettung der MĂ€nner des 20.Juli 1944:

O-Ton 12: (Heuss – 1954)   – 

„Die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt. Das VermĂ€chtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung noch nicht eingelöst.“ 

ErzÀhler: 

Heuss‘ Rede begrĂŒndete eine Tradition. An den „runden“ Jahrestagen des gescheiterten Putschversuchs von 1944 sprechen seither regelmĂ€ĂŸig fĂŒhrende ReprĂ€sentanten unserer Demokratie – entweder im Hinrichtungsschuppen des ehemaligen GefĂ€ngnisses Plötzensee, oder im so genannten Bendlerblock, wo sich im Allgemeinen Heeresamt der Wehrmacht die historischen Ereignisse zutrugen. Aus der Sicht der Überlebenden und Nachkommen des 20.Juli 1944 eine wichtige Geste, dass die Bonner Demokratie den Putschversuch zunehmend als Teil des politischen Fundaments der Bundesrepublik verstand. Dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus jedoch weiter ein ‚heißes Eisen‘ war, wurde spĂ€testens 1969 klar, als Gustav Heinemann kurz nach seiner Wahl zum BundesprĂ€sidenten, bei der Feierstunde proklamierte:

O-Ton 13: (Heinemann – 1969) – 

„In dieses Gedenken schließen wir alle WiderstandskĂ€mpfer ein, die in den Jahren der Diktatur von 1933 bis 1945 in Deutschland und außerhalb Deutschlands, aus welcher Nation und an welchen Orten auch immer das Opfer des Lebens fĂŒr Recht und MenschenwĂŒrde brachten. Wir schließen ebenfalls und ausdrĂŒcklich auch alle jene Menschen ein, die im Namen unseres Volkes verfolgt und unter den Taten unseres verfĂŒhrten Volkes gelitten haben.“ LĂ€nge: 0‘36

Musik:  Secret proofs 0‘42

ErzÀhler: 

Heinemanns versuchter BrĂŒckenschlag zu Widerstandsgruppen mit sozialdemokratischem, gewerkschaftlichem oder kommunistischem Hintergrund ging vielen Angehörigen des Hilfswerks jedoch zu weit. Mit den Kindern und Enkeln der Ermordeten fĂŒhrten diejenigen, die den Putschversuch und seine Folgen selbst miterlebt hatten, ab Anfang der 1970er Jahre heftige Debatten zu diesem Thema. Abstand hielt man auch zur DDR, deren stalinistische Ideologen dem 20.Juli 1944 lange nichts abgewinnen konnten – erst 1967 erschien hier eine erste Stauffenberg-Biografie. 

Doch fĂŒr die meisten Nachkommen hat das Datum mit seinen Zeremonien einen ganz anderen Aspekt: Es ist Gelegenheit, den VĂ€tern nahe zu sein.  - Axel Smend nahm als 10jĂ€hriger erstmals an einer der Veranstaltungen teil. Manche Details der Feier in Plötzensee hat er bis heute vor Augen, vor allem die Predigt von Harald Poelchau, dem ehemaligen GefĂ€ngnispfarrer, der viele der Verurteilten in deren letzten Stunden seelsorgerisch betreute:

O-Ton 14: (Smend – Feier 54) – 

„Ich hab‘ wahrscheinlich von der Predigt wenig verstanden. Aber ich hab‘ dann doch Poelchau aufgesucht. Und ich habe ihn wahrgenommen als einen ganz bescheidenen, leiste sprechenden Mann. Das GesprĂ€ch, das ich mit ihm gefĂŒhrt habe – das hat er mit einem sehr positiven Ausgang abklingen lassen. Das hat mir ungemein gefallen. LĂ€nge: 0‘30

ErzÀhler: 

Fester Bestandteil der Gedenkfeiern ist an den „runden“ Jahrestagen auch ein Empfang des BundesprĂ€sidenten in Schloss Bellevue – ein Termin, den nur wenige Angehörige des 20.Juli versĂ€umen. Die Einladung im Jahr 1964 war auch fĂŒr Jobst Schulze-BĂŒttger, damals junger OffiziersanwĂ€rter der Bundeswehr, die erste Gelegenheit, sich fĂŒr eine Gedenkveranstaltung anzumelden:

O-Ton 15: (Schu-BĂŒ – Bellevue) – 

„Und wĂ€hrend ich da in der Reihe stand, dreht sich vor mir eine Dame um und sagt: „Ach, Schulze-BĂŒttger - das war die Mutter Meixner. Mein Vater war bei ihm Kompaniechef, bei Meixner in Hameln. Und von da an bin ich dann zu allen 20-ter-Juli-Veranstaltungen gefahren.“

Musik:  Absorbed in thought Red. Version 0‘27

ErzÀhler: 

Auch hier: Kein Zufall, sondern ein Muster. Wer einmal in diesem Kreis aufgenommen worden ist, bleibt ihm oft ein Leben lang treu. Dorothea von Plettenberg meint selbstkritisch, ihr Vater habe eigentlich gar nicht zum inneren Kreis der Verschwörer gehört, denn unter deren AnfĂŒhrern waren nicht wenige, die im Herzen der Monarchie nachtrauerten. Trotzdem sagt sie:

O-Ton 16: (Plettenberg – Zusammenhalt und Plötzensee) – 

„Wir mögen uns alle, aber die, deren VĂ€ter in Plötzensee gehenkt wurden – die sind natĂŒrlich fĂŒr immer verschmolzen als Menschen. Ich kann Plötzensee gar nicht aushalten. Ich war einmal da – ich kann es nicht aushalten – ich – kann – es – nicht.“ LĂ€nge: 0‘21

O-Ton 17: (Atmo Bonn) – 

Gemurmel/Pause – Königswinterer Tagung LĂ€nge: 0‘31

(auf Regiezeichen nach ca. 10 Sekunden langsam blenden, unter ErzÀhler wegziehen)

ErzÀhler: 

Eine Ahnung von diesem Gemeinschaftsgeist, der an Familientreffen erinnert, spĂŒren Außenstehende alljĂ€hrlich im SpĂ€twinter. Dann lĂ€dt die „Forschungsgemeinschaft 20.Juli 1944“, die Söhne und Töchter in den 1970er Jahren grĂŒndeten, zu einer Tagung nach Bonn ein. In den Kaffee-Pausen herrscht ein lautes Hallo wie unter alten Freunden. LĂ€ngst gehören auch Enkel und Urenkel dazu – eine spĂ€te Auswirkung der Ausgrenzung vergangener Jahrzehnte, meint Felicitas von Aretin:

O-Ton 18: (Aretin – ZusammengehörigkeitsgefĂŒhl) – 

Die Generation der Söhne und Töchter, die hatte ein großes ZusammengehörigkeitsgefĂŒhl und das hat sich in Teilen auf die Enkelgeneration ĂŒbertragen. Aber ich denke, das ist auch wiederum sehr individuell. LĂ€nge: 0‘19

ErzÀhler:

Die Akten des „Hilfswerks“ zeigen: Der Zusammenhalt der jĂŒngeren Generation wurde von PrĂ€sidium und GeschĂ€ftsfĂŒhrung aktiv gefördert. Sie organisierten bewusst fĂŒr die Söhne und Töchter Jugendbegegnungen im In- und Ausland. Sogar nach Israel schaffte es eine Gruppe in den 1960er Jahren. Axel Smend betont als Teilnehmer an einigen dieser Begegnungen:

O-Ton 19: (Smend – Jugendtreffen) – 

„Und da war das ein besonderes Erlebnis, zum ersten Mal in Paris zu sein, und auch in BrĂŒssel. Und da lernte ich auch die Älteren unseres Kreises kennen. Und sehe heute noch einige, wie die frisch und frei Französisch und Englisch sprachen – und ich mir damals vorgenommen haben: Toll! Das mĂŒsste ich eigentlich auch mal erreichen“ LĂ€nge: 0‘27

Musik: Network access 0‘24

ErzÀhler:

Derlei Erlebnisse haben dafĂŒr gesorgt, dass das Hilfswerk als Stiftung unter dem Dach der GedenkstĂ€tte Deutscher Widerstand in Berlin bis heute existiert. Als heilsam erwies sich fĂŒr die Nachfahren des 20.Juli, dass es 1990 die deutsche Einheit gab. Die Nachfahren der Hardenbergs erhielten so ihr Gut Neuhardenberg östlich von Berlin zurĂŒck – es wird heute als TagungsstĂ€tte und Hotel genutzt. Dorothea von Plettenberg konnte damals das Grab ihres Vaters Kurt von Plettenberg in Potsdam wĂŒrdig gestalten:

O-Ton 20: (Plettenberg – Grab) – 

„Und dann durften wir da einen Stein aufbauen. Und zwar direkt an einem Ausgang, der nach Sanssouci fĂŒhrt. Was ich ganz nett finde, weil die Verbindung zu den Hohenzollern ja sehr stark war. 

ErzÀhler:

Dorothea von Plettenberg, Axel Smend und andere aus der Kinder- und Enkelgeneration des 20.Juli 1944 berichten heute in Zeitzeugen-GesprĂ€chen in Schulen und Bildungs-Einrichtungen ĂŒber ihre VĂ€ter und ihr Leben. Ob sie so die Jahrzehnte des Schweigens und der Tabuisierung der Vergangenheit wettmachen wollen? Axel Smend nennt seine Begegnungen „bereichernd“, denn die Jugendlichen seien sehr neugierig. Seine Hoffnung ist, dass das Thema Widerstand gegen den Nationalsozialismus so auf der politischen Tagesordnung bleibt. Zweifel hat er, ob es kĂŒnftig reicht, dass die wichtigsten ReprĂ€sentanten der Politik an runden Jahrestagen Reden halten – und denkt laut nach ĂŒber mögliche modernere Formen des öffentlichen Gedenkens:

Musik:  Precision on demand (red) 0‘43

O-Ton 21: (Smend – Reformen) – 

„Es hatte mal jemand vorgeschlagen, am 20.Juli einen Lesetag zu machen. Das heißt, dass in allen Schulen Deutschlands Briefe vorgelesen werden von Personen, die zum Tode verurteilt worden sind wegen ihrer Beteiligung am 20.Juli. Ich habe so etwas mal in Frankreich erlebt - das hat mir sehr gefallen. Und ich kann mir gut vorstellen, wenn so etwas durchsetzbar wĂ€re, dass das ein gutes Instrument werde, um die Sache weiterzutragen.“