radioWissen - Bayern 2   /     Der Fisch im Menschen - Unser evolutionäres Erbe

Description

Der Mensch ist ein Tier unter Tieren, Ergebnis einer Milliarde Jahre dauernden Evolution. Spuren dieser Geschichte des Lebens sind in unserem Körper zu finden: Im Aufbau unseres Skeletts, in der Struktur unserer Organe, im Aufbau unserer Zellen. Evolutionär sind wir eigentlich Fische, die an Land gegangen sind und mit ihren früheren Flossen heute die Welt gestalten. Autor: Geseko von Lüpke

Subtitle
Duration
00:22:50
Publishing date
2024-07-25 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/der-fisch-im-menschen-unser-evolutionaeres-erbe/2095956
Contributors
  Geseko von Lüpke
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2095956/c/feed/der-fisch-im-menschen-unser-evolutionaeres-erbe.mp3
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Shownotes

Der Mensch ist ein Tier unter Tieren, Ergebnis einer Milliarde Jahre dauernden Evolution. Spuren dieser Geschichte des Lebens sind in unserem Körper zu finden: Im Aufbau unseres Skeletts, in der Struktur unserer Organe, im Aufbau unserer Zellen. Evolutionär sind wir eigentlich Fische, die an Land gegangen sind und mit ihren früheren Flossen heute die Welt gestalten. Autor: Geseko von Lüpke

Credits
Autor dieser Folge: Geseko von Lüpke
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Susanne Schroeder, Johannes Hitzelberger
Technik:
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Thassilo Franke (Biologe an den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns),
Neil Shubin (Paläontologie-Professor an der University of Chicago), 
Joachim Haug (Prof. f. Zoomorphologe am GeoBioCenter der Universität München), 
Reiner Schoch (Professor f. Paläontologie an der Universität Hohenheim), 
Walter Salzburger (Professor f. Evolutionsbiologe an der Uni Basel), 
Axel Mayer (Prof. f. Evolutionsbiologie Universität Konstanz)

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Literaturtipps:

Harrison, Keith: Du bist (eigentlich) ein Fisch. Die erstaunliche Abstammungsgeschichte des Menschen, Spektum Akademischer Verlag 2007

Shubin, Neil: Der Fisch in uns. Eine Reise durch die 3,5 Milliarden Jahre alte Geschichte unseres Körpers, Fischer-Verlag 2010

Filmtipps:

‚Your inner fish‘ Website Your Inner Fish | PBS, Watch Your Inner Fish (pbs.org)

‚Der Fisch in uns‘  Der Fisch in uns Dokumentation in 3 Teilen Episodenguide – fernsehserien.de


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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHER

Was sehen Sie, wenn sie morgens ins Badezimmer kommen und aus verschlafenen Augen einen ersten Blick in den Spiegel wagen? Ringe unter den halbgeöffneten Augen? Eine zerknautschte Frisur, die wachsenden Geheimratsecken, das leidige Doppelkinn oder – in Ganzkörper-Sicht – zu viel Fett irgendwo?

SPRECHERIN

Thassilo Franke, Münchner Biologe an den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns, hat morgens einen ganz anderen Blick. Und nicht, weil er gerade mit Taucherbrille und Schnorchel in seiner Badewanne unterwegs war. Sondern weil er evolutions-wissenschaftlich sich selbst in Augenschein nimmt:

1. ZUSPIELUNG  Wort                  13:49) 

Eigentlich, wenn Sie sich in den Spiegel schauen, dann sehen Sie den Fisch überall. Man sieht den Fisch in der Haut, man sieht den Fisch in den Haaren, man sieht den Fisch in den Ohren, in der Nase, in den Augen, in den Zähnen, in den Extremitäten. Überall haben wir Merkmale, wo wir Vorläuferstrukturen auch an unseren schuppigen, kiementragenden Vorfahren im Wasser nachweisen können. (0:56) Wir sind eigentlich Fische, die sich auf ihren Bauchflossen durchs Leben bewegen, die zu Beinen umgewandelt wurden und die mit ihren Brustflossen, die unsere Hände darstellen, die fantastischen Sachen machen können. Ich meine, mit unseren fünf Flossenstrahlen pro Brustflosse können wir Sonaten auf dem Klavier spielen.

ZUSPIELUNG    Musik  1   Klaviersonate von J.S. Bach, (schon drunter, kurz frei, unter Text)

SPRECHER

Moment mal! Klavierspielende Fische? Wesen mit Flossen, Kiemen, Gräten, Schuppen?  (Musik weg)

SPRECHERIN

Genau diese! Wer mit dem Wissen der Evolutionsforschung und der Paläontologie auf den Menschen schaut, schaut quasi in ihn hinein, sieht Schichten von Geschichte in der Haut und darunter. Kann sehen, wie dieses Wunderwerk Mensch sich über die Jahrmillionen herausformte. Sieht Vorfahren, die zwar noch nicht am Flügel saßen (Musik wieder lauter), aber schon die Gliedmaßen besaßen, die ein paar Millionen Jahre später Bach-Kantaten zum Klingen bringen. Neil Shubin, Paläontologie-Professor an der University of Chicago und Autor des Buches ‚Der Fisch in uns‘ spricht im gleichnamigen Dokumentarfilm ganz ohne mystische Nebel von den ‚Geistern der Vergangenheit‘:

OVERVOICE_SPRECHER:

2. ZUSPIELUNG  Wort              1:00:14)

When I look at my fellow humans, I see ghosts of animals past … 

Wenn ich auf meine Artgenossen schaue, sehe ich die Geister der vergangenen Tiere. Flüchtige Momente einer epischen Geschichte, die in uns allen verborgen ist (…) Wie unsere Hände zugreifen, mag uns noch an unsere Ahnen unter den Primaten erinnern. Aber schon wie unser Gehör sich formte, datiert zurück auf eine Spitzmaus. Und je weiter wir zurückgehen, desto fremdartiger wird es:  (1:1:44) Richtig abenteuerlich wird es, wenn wir nach den längst verschwundenen Verwandten suchen, jenen Fischen, die vor Hunderten von Millionen Jahren aus dem Wasser an Land krochen. Ob es der Nacken oder unsere Lunge ist, unsere Extremitäten oder Hände – wir verdanken diesen mutigen Pionieren eine ganze Menge. Wenn Sie also wirklich verstehen wollen, wieso sie so gebaut sind, wie sie sind, wird es Zeit ihrem inneren Fisch zu begegnen.… time to meet your inner fish.

SPRECHER

Neil Shubin weiß, wovon er spricht. Er wurde weltberühmt, weil er nach 15 Jahren Steineklopfen 2008 ebenjenes Fossil aus dem Gestein der arktischen Küsten Westkanadas herausarbeitete, dass als bislang fehlende Verbindung, als sogenanntes  ‚missing link‘ zwischen Wasser- und Landwesen gilt: Tiktaalik, ein Wesen zwischen Fisch und Amphibie, das aber schon Oberarmknochen, Elle, Speiche und Fingerknochen entwickelt hatte, wie sie als Grundmuster in jedem Mensch der Gegenwart zu finden sind.

SPRECHERIN

Und tatsächlich: Wer den Stammbaum aller Wirbeltiere zurückverfolgt, trifft irgendwann vor einer halben Milliarde Jahre auf einen gemeinsamen Vorfahren, aus dem sich Knorpelfische wie der Hai und Knochenfische wie zum Beispiel der Barsch entwickelten. Und letztere – die Knochenfische – wurden zu den Abenteurern der Evolution. Denn aus ihnen wiederum entwickelten sich Fleischflosser, wie die Lungenfische, die sich in den seichten Gewässern der Urmeere tummelten und neue Sinne und Formen entwickelten, erklärt Prof. Joachim Haug, Zoomorphologe am GeoBioCenter der Universität München …

3. ZUSPIELUNG    Wort            13:18) 

Wir sind hochspezialisierte Fische. Und viele von den Merkmalen, auf die wir als Landwirbeltiere so stolz sind, die können wir relativ weit zurück verfolgen in der Evolution. (13:25) Wir haben eine Lunge, viele Fische haben eine Schwimmblase. (14:11) Das heißt, Lunge geht ganz weit zurück in der Evolution. Zum Beispiel ein Kiefer mit Zähnen ist ein Merkmal, das ja ganz früh eine Rolle spielt. (15:06) Einer unserer wichtigsten Sinnesorgane ist der Tastsinn. Der Tastsinn geht zurück auf die Seitenlinienorgane von vielen Fischen. (15:25) Genauso natürlich Linsenaugen, Wahrnehmung von Licht, das geht auch alles zurück auf diese Tiere, das ist da bereits evolviert mit dem komplexen Nervensystem, das dahinter steht, die Muskulatur, die Augen bewegen können. (15:56) Alles in Bezug auf Fische. 

SPRECHER

Es liegt nahe und ist doch so fremd. Wer eine Forelle ausnimmt, findet in ihr Herz, Niere, Leber, Galle, Gehirn, Augen – ein Grundbauplan, der sich historisch in Wirbeltieren aller Art fortsetzte. Doch der ‚innere Fisch‘ findet sich auch im Blutkreislauf, im Salzgehalt unseres Körpers, der dem der Meere entspricht. Und wer im Restaurant mühsam das Fleisch von den Gräten trennt, mag sich angesichts der pieksigen Knöchelchen erinnert fühlen an die Rippen, welche die eigene Lunge schützen.

SPRECHERIN

Doch der detaillierte Blick auf den Fisch im Mensch ist eine Reise in die Tiefen der Zeit, ins ‚Erdaltertum‘ – das Paläozoikum, das Kambrium vor 540 Millionen Jahren. Zurück in eine Zeit, in der sich explosionsartig die Lebensformen fast aller Tierstämme entwickeln sollten. Eben aufgrund von kreativen zufälligen Erfindungen der Evolution, die sich in den Tiefen der Meere in winzigen Schritten Leben für Leben entwickelten. Aber ohne einen Plan, wozu das einmal gut sein sollte: Für Wesen, die aus dem Wasser klettern sollten, Millionen Formen annahmen, Säugetiere wurden, ja, Bewusstsein entwickelten! Neil Shubin beschreibt, wie er auf der Suche nach dem ersten Landgänger, dem Tiktaalik, in der kanadischen Arktis staunend durch die Schichtungen der Zeit reiste.

OVERVOICE-SPRECHER:

4. ZUSPIELUNG      Wort                  (1:23:15)             

It’s hard to believe when you look out across this frozen terrain 

Wenn man auf diesem kargen gefrorenen Land steht, ist es schwer vorstellbar, dass hier einst eine warm-wässrige Welt war, in der das Leben schwamm. Es ist eine riesiger Spalt zwischen dieser Urvergangenheit und der Gegenwart. Aber die Steine hier berichten uns von einer Zeit vor 375 Millionen Jahren von einer riesigen Auenlandschaft voller Flüsse, die auf- und abschwollen, Sümpfe und Ströme aller Größen formten     ….  and streams of all different sizes.


SPRECHER

In solcher Ur-Szenerie haben sich wohl urtümliche knochige Lungenfische auf der Flucht vor gefräßigen Raubfischen in die flachen Uferregionen gerettet, wo nach und nach aus Schwimm-Flossen unförmige Gliedmaßen wurden, aus Fischen letztlich Amphibien. Neil Shubins Fund, den er nach der Sprache der Inuits ‚Tiktaalik‘ taufte, konnte sich schon mit seinen Flossen abstützen, den Kopf aus dem Wasser strecken und links und rechts in die Welt seiner Nachfahren schauen.

OVERVOICE-SPRECHER:

5. ZUSPIELUNG    Wort    (1:50:02)

Here was an animal, Darwin had predicted ….      Hier fanden wir das Tier, das Darwin vorausgesagt hatte, ein anatomischer Zwitter. Es hatte mit Schuppen, Flossen und Kiemen Züge eines Fisches, aber auch eine Lunge. Und zu unserem Erstaunen auch einen Nacken, den frühesten, der je gefunden wurde. Der Trumpf aber fand sich in der Flosse: Da war das erste Grundmuster von einem Knochen, zwei Knochen, vielen Knochen, dass wir auch in unseren heutigen Armen finden. Da gab es sogar eine Art Handgelenk, erste Hinweise auf das was mal eine menschliche Hand werden würde. Immer wenn wir eine Hand schütteln oder den Kopf drehen, können wir uns eigentlich bei Tiktaalik und seinen Cousins des Devons bedanken, die sich an das Leben dieser urtümliche Flüsse anpassten                                      …adapting to life in these ancient streams.

SPRECHER

Diese rund einen Meter lange Wesen mit krokodilartigem Schädel sollten dann vor 375 Millionen Jahren zum gemeinsamen Vorfahren aller Landwirbeltiere werden, die man als Vierfüßler in der Biologie ‚Tetrapoden‘ nennt. Sie eroberten ein fast unbegrenztes Habitat, in das ihnen kein Raubfisch folgen konnten und füllten nach und nach alle ökologischen Nischen an Land, wo es bislang nur Algen, Moose, Pilze gab, kleine Wirbellose, winzige Insekten und andere Gliederfüßler.

SPRECHERIN

Doch als der Landgang einmal vollzogen war, bildeten sich aus diesen Pionieren rasant und in Schüben neue Äste am Baum der Evolution: Alle Amphibien, alle Reptilien, alle Vögel, alle Plazenta- und Säugetiere. Millionenfach – von der Schildkröte bis zum Dino, vom Salamander bis zum Adler, von der Spitzmaus bis zum Primaten. Bis zu uns, die wir – wie der Biologe Thassilo Franke – heute staunend vorm Spiegel das Ergebnis dieser Zeitreise in sich selbst sehen können:

6. ZUSPIELUNG     Wort              50:00) 

Wenn man jetzt vom evolutionsbiologischen Standpunkt das Ganze betrachtet, gibt es ja keinen intelligenten Schöpfer, der hinter all dem steht. Sondern die treibende Kraft war natürliche Selektion, genetische Drift, die eigentlich ungerichtet abläuft. (12:26) Der Weg des geringsten Widerstands in der Evolution besteht eigentlich darin, Strukturen, die bereits vorhanden sind, umzustrukturieren und einer neuen Nutzung zuzuweisen. (52:57) Und wir Menschen sind nicht mehr als einfach die Spitze eines Zweiges unter Tausenden und Millionen und Abermillionen von Zweigen, die an diesem Baum entstanden sind. Nur durch das, was unsere geistigen Fähigkeiten eigentlich uns erlauben zu tun, unterscheiden wir uns im Handeln von den vielen anderen Lebewesen. Aber was unseren Bauplan betrifft, sind wir eigentlich nichts Besonderes.

SPRECHER

Fische halt, ebenso wie jedes Reptil, jeder Vogel, jeder Säuger. Alles besondere, hochspezialisierte Fische. Keine gerade Linie der Entwicklung, eher ein fraktales Baum-Muster mit vielen Möglichkeiten und Richtungen. Ein Mosaik aus Lebenslinien, dass mit erfolgreichen Bausteinen immer wieder neue Körper baut, neue Sinne, neue Fähigkeiten. (Musik wieder rein) Wo nicht nur aus Flossen klavierspielende Finger wurden, sondern aus Kiemen weitere Wunder wuchsen, welche diese Worte sprechen und Ihre Ohren hören lässt, erklärt Reiner Schoch. Professor für Paläontologie an der Universität Hohenheim.

7. ZUSPIELUNG        Wort          12:14) 

Die Tatsache, dass ich zu Ihnen sprechen kann, hängt damit zusammen, dass mein Vorfahr einen Kiemenkorb hatte und ein Teil dieses Kiemenkorbes wurde, umgebaut zu dem Hyalknorpel, mit dem ich sprechen kann. Und die Tatsache, dass die Zuhörer mich hören können, liegt ebenso an diesem Kiemenkorb, denn ein anderer Teil dieses Kiemenkorbes wurde zu einem Gehörknöchelchen umgebaut. Das ging nicht mit einem Schritt, sondern, wie vorhin bereits erwähnt, über viele kleine Einzelschritte, bei denen jeder so ein bisschen in eine neue Richtung geführt hat. (22:05) Das heißt, wir sind ein Teil der Fische. Zusammen mit den Haien und den Knochenfischen bilden wir eine Teilgruppe der Fische. Und natürlich zusammen mit den Stachelhäutern, also zum Beispiel den Seeigeln oder zusammen mit der Stubenfliege bilden wir die Tiere.

SPRECHER

Die innere Stubenfliege? Auch das! Ihr Körper ist genetisch genau wie unserer in Kopf, Rumpf und Extremitäten gegliedert – uralte ‚Hox-Gene‘ geben diesen Aufbau seit Urzeiten von Wesen zu Wesen weiter. Und der innere Hai?

ZUSPIELUNG     Musik  3  (Und der Haifisch, der hat Zähne und die trägt er im Gesicht…)

SPRECHERIN

Bei der Moritat von Mecky Messer aus der Dreigroschenoper aber irrte Texter Bertolt Brecht vor rund 100 Jahren. Zwar können Menschen sich wie Raubfische verhalten! Aber Haie tragen ihre Zähne nicht nur im Gesicht, sondern – das wissen wir heute – als winzige schuppige Hautzähnchen am ganzen Körper: Von wo sie dann auch in den menschlichen Mund gewandert sind. Noch einmal der Evolutionsbiologe und Haiforscher Rainer Schoch 

8. ZUSPIELUNG          Wort      19:30) 

Wir haben Zähne gemeinsam nicht nur mit Knochenfischen, sondern auch mit Haien. Und die heutigen Haie zeigen uns auch, wo die Zähne eigentlich herkommen. Denn der gesamte Körper des Haies ist überzogen mit kleinen Schüppchen, sogenannten Plakoidschuppen. Und die haben einen Aufbau, der völlig gleich ist mit dem der Zähne. Es ist also möglich, dass die Zähne erst entstanden aus solchen vergrößerten Schuppen, die am Mundrand gewachsen waren und die einfach zum Beißen umfunktioniert wurden. (20:45) Was aber auf jeden Fall klar ist, Schuppen und Zähne sind, wie wir sagen, homologe Strukturen. D.h., die sind verwandt miteinander. (21:03) Die Schuppe des Knochenfischs und mein Zahn z.B. haben einen gemeinsamen Vorfahren.

SPRECHERIN

Lächeln Sie sich mal im Spiegel an und ehren die 500 Millionen Jahre alten Haifischzähne im eigenen Gebiss! 

SPRECHER

Denn natürlich endet die Verwandtschaft im Baum des Lebens nicht bei den Primaten, den Tetrapoden, den Fischen, sondern geht immer weiter zu den Wurzeln zurück. Bis man irgendwann zu einem hypothetischen Organismus kommt, der den Namen ‚LUCA‘ trägt, die Abkürzung für den ‚Last Universal Common Ancestor‘, dem Vorfahr aller Lebewesen, erklärt Prof. Walter Salzburger, österreichischer Evolutionsbiologe an der Universität Basel.

9. ZUSPIELUNG    Wort    21:39) 

Genauso wie wir den Fisch in uns tragen, tragen wir auch den Wurm in uns oder den Einzeller in uns. An und für sich tragen wir alles in uns seit dem Ursprung des Lebens. (22:11) Und wenn wir nur weit genug zurückgehen, dann haben Pflanzen, Pilze, Bakterien und wir, als Menschen, Primaten, als Wirbeltiere, gehen wir alle auf diesen Ursprung des Lebens zurück. Und grundlegende Prozesse in unserem Körper, grundlegende zelluläre Prozesse und damit auch die genetischen Bauplan dafür, den teilen wir beispielsweise mit allen Tieren und somit auch mit allen Würmern oder sogar noch weiter zurück, mit allen Vielzellern, also mit den Pflanzen und den Pilzen. (22:54) Wo wir uns in diesem verschachtelten System sehen wollen, das ist eine willkürliche Einteilung, aber widerspiegelt ja eigentlich nur die Evolution des Lebens auf unserem Planeten.

SPRECHER

Und von dort, jenem Urknall des Lebens, führt letztlich die genetische Leiter der DNA aufwärts durch die Zeitalter des Lebens, Abermillionen von Lebensspannen mit unendlich vielen Experimenten und Erfahrungen, die letztlich alle in den Genen kodiert sind – wie eine komplette Aufzeichnung der Evolutionsgeschichte.

SPRECHERIN

Sie findet sich bis heute in jeder Befruchtung aus männlichem Samen und weiblicher Eizelle zu einem neuen Schriftsatz zusammen. Und dann durchläuft der immer wieder einmalige Organismus tatsächlich im Mutterleib im Zeitraffer große Teile der evolutionären Reise noch einmal. Weil sich wie im Baukasten eins aus dem anderen bilden muss, erklärt Evolutionsbiologe Axel Mayer aus Konstanz

10. ZUSPIELUNG      Wort         21:40) 

Also wenn sich beim menschlichen Embryo eine Hand oder ein Bein entwickelt, dann kommt erst so eine Art Flosse, so eine Art Paddel.  (23:10)  Zum Beispiel haben auch wir ursprünglich als frühe Embryos Kiemenspalten, die ja auch Fische haben. (24:15) Und das ist ein altes Muster in der Evolution, der Aufbau des Körpers in Segmenten, der eben schon in Fischen und in allen Wirbeltieren ganz früh als Embryo sichtbar ist. Ganz früh in der Embryonalentwicklung sind die Gemeinsamkeiten viel größer. Zu späteren Stadien in der Entwicklung kommen die Unterschiede, die sich dann eben zeigen in einer Entwicklung eines Pferdefußes oder eines Flügels einer Fledermaus im Vergleich zu einer Hand eines Primaten. Man kann diese Schritte nicht auslassen oder überspringen. (((29:00) Das sind hinkende Metaphern des Bauplans, wie die Gene miteinander agieren. Da ist eher die Musik der Veränderung drin. Es geht weniger darum, dass grundsätzlich andere Wege beschritten werden, sondern eher darum, dass sich die Melodie der Musik irgendwo klein wenig ändert - nicht viel mehr.))

SPRECHERIN

Kaum zu glauben: Jeder von uns war in den ersten Tagen seiner Existenz erst eine Art Urzelle, eine Art Kaulquappe, ein Fisch, ein Tetrapode, ein noch undifferenziertes Säugetier, bevor wir zum menschlichen Embryo wurden – eine auf Wochen verdichtete Zeitreise durch eine Milliarde Jahre Evolution.

SPRECHER

Man hat die Evolution einen ‚faulen Kopierer‘ genannt, einen Zufalls-Architekten, aber auch mit einen spielenden Bastler oder alte Rezepte variierenden Koch verglichen, Bäume und Mosaike als Metaphern für die wundersame Entwicklung des Lebens bemüht. Heute zeigt sich die evolutionäre Reise eher als ein fraktales Netzwerk der Anpassung, ohne eindeutige Richtung, ohne Ziel, ohne Hierarchien, sagt Prof. Joachim Haug vom GeoBioCenter der Ludwig-Maximilians-Universität München

11. ZUSPIELUNG       Wort                       25:00)  

Dieses ewige Weiter und Höher, das ist nicht überall der Fall. (((25:50) Wir sehen das gerne so, weil wir aus unserer Perspektive auf die Evolution runtergucken. (25:21) Vor 100 Millionen Jahren hatten wir auch schon Tiere, die so hoch entwickelt waren wie heute. (28:38) Da gibt es nicht  ‚Wir sind höher als die!‘, sondern es gibt immer diese Dinge, die nebeneinanderstehen. Es gibt ja keine Überhöhung in irgendeiner Form. )) (48:53) Der Mensch stammt nicht vom Affen ab. Der Mensch ist ein Affe.  (49:05) Der Mensch ist ein Fisch. Es gibt keine Möglichkeit, uns da rauszunehmen. (((28:56) Bei strikter Anwendung des philosophischen Hintergrundes gibt es keine Hierarchisierung in dieser Form. Wir sind Teil des Ganzen, wir stehen da nicht raus (49:10))) Das heißt, wir sind plötzlich mit all dem verbunden in unserem körperlichen Sein. Wir sind Teil dieses Ganzen. (49:27) Es entthront einen ein Stück weit. ((Also das ist glaube ich wirklich die Konsequenz, die man ziehen muss.)) Der Mensch als Art ist nicht besonders hervorgehoben in diesem System. ((Wenn wir uns den Impact anschauen würden, könnte man sogar so weit gehen, wenn der Mensch aus dem System rausfallen würde, wäre das für das System wahrscheinlich eher besser, als dass es schädlich wäre. (49:55) Es sieht zumindest so aus, als ob das alles auch ohne uns gut weitergehen könnte.))

SPRECHER

Es geht weiter. Alles ist möglich, sagt die Evolutionsforschung. Und wie es weitergeht, bestimmt der geniale Zufallsgenerator der Evolution. Ob mit oder ohne Menschen, daran sind wir selbst beteiligt. 

SPRECHERIN

Und manches spricht dafür, dass der Homo sapiens dafür begreifen müsste, dass er einerseits Teil einer wunderbaren großen ästhetischen Ganzheit ist. Und andererseits nicht mehr als ein einfacher Knochenfisch. Thassilo Franke von den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns zuckt mit den Schultern, schaut aus dem Fenster - und sagt:

12. ZUSPIELUNG           Wort                       51:08) 

Ich muss zugeben, ich sehe da laufende Fische. Ich finde das aber auch nicht erniedrigend, weil ich finde das eigentlich großartig, dass wir nichts anderes sind als landbewohnende Fleischflosser. Je mehr man eigentlich solche Bilder im Kopf hat, desto ehrfürchtiger wird man eigentlich, weil man sieht, was alles im Laufe der Jahrmillionen sich für unglaublich faszinierende Anpassungsstrategien entwickelt haben. Wie zum Beispiel Fische, die an Land leben, den aufrechten Gang beherrschen, die mit ihren Brustflossen Dinge fabrizieren wie eine Mona Lisa, wie ein Quantencomputer, wie eine fantastische Sonate auf dem Klavier spielen können. Das finde ich einfach faszinierend.