Hafer ist das neue Superfood. Zumindest dem Anschein nach: Influencer werben dafür, kaum noch ein Café kommt ohne Hafermilch aus, die Supermärkte bieten Kekse, Müslis, Riegel mit Hafer an. Aber was ist dran an der Behauptung, Hafer sei supergesund? Was macht Hafer so besonders? Von Daniela Remus
Hafer ist das neue Superfood. Zumindest dem Anschein nach: Influencer werben dafür, kaum noch ein Café kommt ohne Hafermilch aus, die Supermärkte bieten Kekse, Müslis, Riegel mit Hafer an. Aber was ist dran an der Behauptung, Hafer sei supergesund? Was macht Hafer so besonders? Von Daniela Remus
Credits
Autorin dieser Folge: Daniela Remus
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Susanne Schroeder, Stefan Wilkening
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Prof. Mathias Fasshauer, Ernährungswissenschaftler, Universität Gießen
Prof. Hans Hauner, Ernährungswissenschaftler, TU München
Prof. Stefan Lorkowski, Biochemiker + Ernährungswissenschaftler, Universität Jena
Prof. Marie Christine Simon, Ernährungswissenschaftlerin, Universität Bonn
Linktipps:
Homepage von Prof. Mathias Faßhauer, Universität Gießen HIER
Homepage von Prof. Stefan Lorkowski, Universität Jena HIER
Forschung zu Hafer von Stefan Lorkowski et al:
In Frontiers in Nutrition: doi: 10.3389/fnut.2023.1095245
Homepage von Prof. Hans Hauner, TU München HIER
Homepage von Prof. Marie-Christine Simon, Universität Bonn HIER
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLERIN
Gehackt, gemahlen und gepresst: Getreide ist für uns ein unverzichtbares Lebensmittel. Und das schon seit mehr als 10.000 Jahren. Denn bereits damals haben unsere Vorfahren Getreide vielfältig verarbeitet, um es gut kauen und essen zu können.
Trotzdem kamen in unseren Breiten in den vergangenen Jahrzehnten viele Getreidesorten vor allem als Tierfutter zum Einsatz.
MUSIK 1
"Rattle" - Komponist: Oliver Doerell, Roger Döring & Alex Stolze - Album: Poems From a Rooftop - Musiker: Dictaphone - Länge: 0'50
ERZÄHLERIN
Das hat sich jetzt geändert, vor allem ein Getreide ist wieder da: Hafer! Und zwar in allen Varianten, als Brei, als Müsli, als Riegel, Keks, Kuchen oder als Milchersatzdrink. Denn Hafer werden beeindruckende Eigenschaften zugeschrieben: Das Getreide mache gesund und fit, halte schlank, reduziere das Darmkrebsrisiko, senke den Cholesterinspiegel und das Risiko für einen Diabetes Typ II. In der Werbung klingt das dann so:
Zitator
Die Kraft des Hafers
7 Gründe, warum Hafer für Dich so gesund ist
Hafer, DAS regionale Superfood
Haferflocken wirken wie Medizin
ERZÄHLERIN
Aber stimmt das überhaupt? Und was genau soll an Hafer gesund sein?
TAKE 1 (O-Ton Fasshauer)
Hafer besitzt definitiv gesundheitsfördernde Eigenschaften…
ERZÄHLERIN
Sagt der Ernährungswissenschaftler Prof. Mathias Fasshauer von der Universität Gießen.
TAKE 2 (O-Ton Fasshauer) L: 0, 30
Es hat vor allem erstmal Ballaststoffe, die in ordentlichem Maße vorhanden sind. Wir reden da von 10gr. Ballaststoffen ungefähr auf 100gr Hafer, so dass es als ballaststoffreich gelten kann. Und wir wissen, dass Ballaststoffe ganz allgemein positive Effekte haben, auf die Darmflora z.B. Die senken das Risiko für Darmerkrankungen und die helfen gegen Verstopfung, dafür werden sie auch gerne eingesetzt. Sie haben auch gute Effekte auf das Sättigungsgefühl, d.h. wenn ich Ballaststoffe esse, dann bleibe ich länger satt und es verzögert sich auch die Aufnahme von Zucker in den Blutkreislauf.
ERZÄHLERIN
Betrachten wir also als erstes die Ballaststoffe, die der Hafer enthält: 10 Gramm Ballaststoffe auf 100 Gramm Hafer ist in der Tat ziemlich viel. Zum Vergleich: Ein herkömmliches Weißbrot verfügt gerade einmal über 2,7 Gramm Ballaststoffe auf 100 Gramm., Brokkoli 2,6 g Gramm; Brombeeren 5,3 Gramm. Die deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, pro Tag etwa 30 Gramm Ballaststoffe mit der Nahrung aufzunehmen. Denn Ballaststoffe sind – wir haben es ja gerade gehört - für unsere Gesundheit außerordentlich wichtig. Auch wenn es auf den ersten Blick widersprüchlich scheint, denn Ballaststoffe können vom menschlichen Organismus gar nicht verstoffwechselt werden, erklärt Marie-Christine Simon, Professorin für Ernährungswissenschaften an der Universität Bonn.
TAKE 3 (O-Ton Simon) L: 0, 30
Dafür brauchen wir die im Darm lebenden Bakterien. …Und deswegen ist so ein Nahrungsmittel wie Hafer, das diesen Bakterien im Darm zugute kommt, die die Ballaststoffe aus dem Darm verstoffwechseln können, zu den sogenannten kurzkettigen Fettsäuren …und die helfen dann …den Zellen im Darm, dass die mit ausreichenden Nährstoffen versorgt werden. Und damit dann auch ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen können.
ERZÄHLERIN
Im Darm jedes Menschen leben Tausende von Stämmen unterschiedlichster Bakterien. Sie alle zusammengenommen wiegen ungefähr 1-2 Kilogramm und werden Darmflora oder Mikrobiom genannt. Diese Billionen von Mikroorganismen sind für unseren Darm unverzichtbar. Um unsere Nahrungsmittel zu verstoffwechseln, also so zu verarbeiten, dass sie unseren Organismus mit notwendigen Vitaminen oder Mineralstoffen versorgen. Manche dieser Bakterien können v.a. Zucker und Eiweiße verarbeiten, andere machen aus Lebensmitteln dringend benötigte Vitamine, wie beispielsweise Biotin oder Folsäure.
Diese Kooperation von Bakterien und Darm hat sich im Laufe der Evolution immer weiter optimiert. Aber sie kann durch einseitige Ernährung gestört werden, dann sprechen Medizinerinnen und Mediziner von einem „aus der Balance geratenen” Mikrobiom. Wie genau sich die Bakterien gegenseitig beeinflussen und welche Funktion sie im Einzelnen haben, ist noch nicht vollständig verstanden. Aber eins ist für die Forschenden mittlerweile klar: Je weniger Ballaststoffe ein Mensch zu sich nimmt, desto mehr gerät das Mikrobiom aus der Balance.
TAKE 4 (O-Ton Simon) L: 0, 15
Man stärkt die positiven Bakterien im Darm und deren Stoffwechsel und das ist das dann wieder gut für die …gesunde Symbiose, die wir mit den Bakterien haben im Darm.
ERZÄHLERIN
Forschende vermuten, dass ein gestörtes Mikrobiom für chronisch entzündliche Darmerkrankungen verantwortlich ist, für Diabetes und Adipositas. Auch wenn sie die genauen Mechanismen dafür noch nicht vollständig erklären können: Ob also eine gestörte Darmflora diese Erkrankungen auslöst oder ob sie eine Folge davon ist. Festzustehen aber scheint: Je gesünder das Mikrobiom, also je unterschiedlicher die Bakterien, die im Darm leben, desto gesünder ist auch der menschliche Organismus. Und dazu kann der Hafer beitragen.
TAKE 5 (O-Ton Lorkowski) L: 0, 25
Etwas ganz Besonderes bei Getreide allgemein und besonders bei Hafer: Dass wir Lebensmittel haben, die sehr ballaststoffreich sind. Und Ballaststoffe essen wir bei uns in Deutschland viel zu wenig. Die empfohlene Menge, davon essen wir nur knapp zwei Drittel und letzten Endes hilft eben der Haferverzehr in Form z.B. von Haferflocken zum Frühstück total gut dabei eben diese Ballaststoffzufuhr zu erhöhen.
ERZÄHLERIN
Erklärt der Biochemiker und Ernährungswissenschaftler Prof. Stefan Lorkowski von der Universität Jena.
TAKE 6 (O-Ton Lorkowski) L: 0, 30
Und was wir in zahlreichen epidemiologischen Studien sehen, wir haben weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen die viel Vollkorngetreide verzehren, wir haben weniger Diabetes, wir haben generell eine spätere Sterblichkeit. Das heißt, die Leute werden älter, leben länger gesund und wir haben v.a. weniger Dickdarmkrebs und eine Vielzahl dieser Wirkungen werden den Ballaststoffen im Getreide, respektive dem Hafer zugeordnet.
MUSIK 2
"City" - Musiker: Deaf Center - Album: Neon City - Länge: 1'00
ERZÄHLERIN
Hinzu kommt, dass Ballaststoffe im Darm aufquellen, unabhängig davon, ob sie im Gemüse, Obst oder Getreide enthalten sind. Und das führt dazu, dass sie länger sättigen. Das kennt jede und jeder: Eine Scheibe Vollkornbrot macht länger satt als eine Scheibe Toastbrot. Und das liegt an den Ballaststoffen, für die der Körper, bildlich gesprochen, länger braucht, bis er sie verarbeitet hat. Dieser Effekt kann sich positiv auf das Körpergewicht auswirken: Denn wer satt ist, hat weniger Hunger und isst weniger.
Aber: Hafer ist trotzdem kein Wundermittel, um abzunehmen – auch wenn das zur Zeit von vielen Influencerinnen und selbsternannten Ernährungsberatern im Netz so behauptet wird. Die wissenschaftliche Datenlage dafür ist dünn, erklärt die Ernährungs¬wissenschaftlerin Marie-Christine Simon:
TAKE 7 (O-Ton Simon) L. 0, 30
Es gibt einige Arbeiten, die darauf hindeuten, dass durch den Konsum von Hafer Gewichtsreduktion kommen kann. Es gibt aber auch andere Arbeiten, die sagen, wenn wir das auf einer isokalorischen Ebene machen, also wirklich, dass man nur eine Mahlzeit austauscht, mit einer Nicht-Hafer Mahlzeit, aber sich in der gleichen Kalorienaufnahme befindet, dass das dann zwar zu einer Verbesserung des Stoffwechsels führt, obwohl man gar keine Gewichtsreduktion hat.
ERZÄHLERIN
Wer seine Ernährung also insgesamt nicht umstellt, und zu den üblichen Kalorien noch zusätzlich eine Hafermahlzeit zu sich nimmt, erreicht damit nicht, dass die Kilos schwinden. Selbst wenn nur eine tägliche Mahlzeit durch Hafer ersetzt wird, wird das höchstwahrscheinlich keinen Effekt auf das Gewicht haben. Denn um das zu erreichen, muss die Gesamtmenge an Kalorien reduziert werden – ob mit oder ohne Hafer.
MUSIK 3
"Reveille" - Musiker: Wayne Horvitz Gravitas Quartet - Album: Way out east - Länge: 0'30
ERZÄHLERIN
Ganz anders, nämlich wissenschaftlich eindeutig, sind dagegen die gesundheitlichen Effekte, die die löslichen Ballaststoffe des Hafers verursachen. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen konnten in verschiedenen Untersuchungen zeigen, dass sie tatsächlich eine positive gesundheitliche Wirkung haben, sagt Stefan Lorkowski:
TAKE 8 (O-Ton Lorkowski) L: 0, 30
Diese löslichen Ballaststoffe haben einen ganz besonderen Mehrwert. Die können nämlich die Gallensäure im Darm binden und das führt dann dazu, dass Gallensäuren vermehrt ausgeschieden werden und das hat einen ganz positiven Nebeneffekt, dass also der Körper Gallensäuren nachproduzieren muss. Und dafür benötigt er sein im Körper vorhandenes Cholesterin, daraus werden die Gallensäuren hergestellt. Und wenn dann dieses Cholesterin verbraucht wird, dann hat das den Vorteil, dass der Cholesterinspiegel sinkt.
ERZÄHLERIN
Ein erhöhter Cholesterinspiegel, umgangssprachlich Blutfettspiegel genannt, erhöht nämlich das Risiko für Herz-Kreislauf Erkrankungen, also z.B. für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. Deshalb achten Medizinerinnen und Mediziner darauf, dass der Cholesterinspiegel im Blut nicht zu hoch ist. Und verordnen Medikamente, die sogenannten Statine, um ihn abzusenken. Aber, wie Stefan Lorkowski in einer Untersuchung an seinem Institut gezeigt hat, kann eine solche Absenkung auch ohne Medikamente, nämlich durch den Konsum von Hafer erreicht werden. Zumindest in einem gewissen Rahmen:
TAKE 9 (O-Ton Lorkowski) L: 0, 35
Wir haben zeigen können bei uns in der Studie, das waren Teilnehmer die eine leichte Hypercholesterinämie hatten, das heißt bei denen war der Cholesterinspiegel erhöht, und da haben wir einen mittleren Effekt von 6,5 Prozent Senkung gesehen. Das hängt aber natürlich auch noch von anderen Faktoren ab, nicht nur von den Getreideflocken. In der Regel gilt, je höher der Cholesterinwert ist, desto höher kann auch der Effekt der Ernährung sein, aber letztendlich können wir mit der Ernährung nur das kompensieren, was wir vorher falsch gemacht haben.
ERZÄHLERIN
Es gibt Menschen, die an einer erblichen Fettstoffwechselstörung leiden, aber in rund zwei Drittel der Fälle ist die Ernährung für einen zu hohen Cholesterinspiegel verantwortlich: Viel Fleisch, wenig Gemüse, Obst, Getreide und Fisch, viel Zucker, dazu gesättigte Fettsäuren wie in Pommes oder Chips. Deshalb kann man auch bei der Ernährung ansetzen, um den Cholesterinspiegel wieder in den Griff zu bekommen.
Medizinerinnen und Mediziner unterscheiden zwei Cholesterinwerte: Das HDL-Cholesterin, umgangssprachlich auch das „gute” Cholesterin genannt und das LDL-Cholesterin, umgangssprachlich das „schlechte” Cholesterin genannt. Das HDL-Cholesterin hat die Funktion, die überschüssigen Blutfette zurück in die Leber zu transportieren. Ganz anders das LDL-Cholesterin: Es lagert sich an den Wänden der Blutgefäße ab, so dass sich diese nach und nach immer weiter verengen. Diese Ablagerung nennen Mediziner und Medizinerinnen „Atherosklerose“. Sie verstärkt das Risiko für einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder auch für Durchblutungsstörungen in den Beinen. Dieses schädliche LDL-Cholesterin lässt sich durch Hafer in der Ernährung reduzieren, erklärt Mathias Faßhauer:
TAKE 10 (O-Ton Faßhauer) L: 0, 30
Bei Hafer wird noch ganz spezifisch gelobt, der lösliche Ballaststoff Beta-Glucan. Das sind 5gr auf pro 100gr. Endprodukt drinnen. Und das ist ein wasserlöslicher Ballaststoff, der bindet Cholesterin und verbessert dadurch die Blutfettwerte. Und wenn Menschen über die gesundheitsfördernden Aspekte von Hafer reden, dann reden sie auch ganz oft darüber, dass gerade dieses Beta-Glucan ganz besonders viel im Hafer vorzufinden ist.
MUSIK 4
"Stones Throw" - Album: Language Barrier - Künstler: Lusine Ici - Länge: 0'40
ERZÄHLERIN
Beta-Glucane, diese nützlichen Ballaststoffe mit der Cholesterinbindekompetenz, kommen nicht nur in Getreide sondern auch in Pilzen, Algen, Bakterien und Hefen vor. Und weil sich ihre gesundheitsfördernden Eigenschaften mittlerweile herumgesprochen haben, werden sie sogar als Nahrungsergänzungsmittel angeboten.
Beta-Glucane senken aber offenbar nicht nur den Cholesterinspiegel, sondern auch den Blutzuckerspiegel, wie Ernährungswissenschaftler Mathias Faßhauer von der Universität Gießen ausführt.
TAKE 11 (O-Ton Faßhauer) L: 0, 15
Wenn man über die medikamentöse Wirkung von Hafer spricht, dann würde man immer am ehesten den Diabetes Mellitus Typ 2 nennen. Also ein Diabetes Mellitus, der mit Übergewicht assoziiert ist und dazu führt, dass Menschen insulinresistent werden. D.h. das Insulin, das im Körper zirkuliert kann dann an den Zellen des Menschen nicht mehr richtig wirken und es gibt eine sogenannte Insulinresistenz.
ERZÄHLERIN
Diabetes Mellitus ist umgangssprachlich auch unter dem Namen Zuckerkrankheit bekannt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterscheiden eine erblich bedingte Form, Diabetes Typ 1, bei der die Bauchspeicheldrüse so geschädigt ist, dass sie das Hormon Insulin nicht mehr produzieren kann. Das Insulin aber brauchen wir, um den Zucker im Blut zu den Körperzellen zu transportieren, um sie damit zu versorgen. Wenn der Körper also kein Insulin herstellen kann, muss es als Medikament gespritzt werden, damit der Zuckerspiegel nicht außer Kontrolle gerät und die Menschen daran sterben. Hafer nützt in diesem Fall nichts. Aber bei einem Diabetes Typ 2, der erst im Laufe des Lebens entsteht, durch Ernährung und Lebensweise, sieht das anders aus. Denn dabei verlieren die Körperzellen nach und nach die Fähigkeit, das Insulin aufzunehmen und zu verarbeiten. Das lässt sich manchmal durch die Ernährung wieder rückgängig machen.
TAKE 12 (O-Ton Faßhauer) L: 0, 30
Und da ist vor über 100 Jahren, also das sind die 1890er Jahre gewesen, da hat Carl von Noorden festgestellt, dass, wenn er in einer solchen Situation, wenn ein Diabetes Mellitus Patient mit einer starken Insulinresistenz, wenn der Hafer zu sich nimmt, an sogenannten Hafertagen, dass dann die Insulinempfindlichkeit deutlich besser wird. Was das Gleiche ist wie, dass die Insulinresistenz geringer wird.
ERZÄHLERIN
Hafertage nützlich für Diabetes-Patienten? Diese Beobachtung hat der Diabetologe und Internist Carl von Noorden 1902 erstmalig publiziert. Er konnte zeigen, dass der Blutzuckerspiegel durch diese Maßnahme tatsächlich zurückgegangen ist. Aber wissenschaftlich ist nicht eindeutig, ob der beobachtete Effekt primär auf die Eigenschaften des Hafers zurückzuführen ist. Denn:
TAKE 13 (O-Ton Faßhauer) L: 0, 30
Das ursprüngliche Konzept, was dort gemacht wird, ist, dass man 2-3 Hafertage am Stück macht und jeden Tag würde man an 3 Mahlzeiten 75 Gr. Haferflocken in Wasser oder fettfreier Brühe kochen und das ist dann auch die einzige Mahlzeit. Und wenn man sich das dann genau überlegt, das sind ja 225 gr. Hafer und diese 225 gr Hafer haben deutlich weniger als 1000 kcal Energie. So dass man sagen muss, ein Hafertag in seiner klassischen Form ist ein ganz klassischer Diättag.
ERZÄHLERIN
Und ein solcher Diättag, mit gedrosselter Energie durch die Nahrungsaufnahme, führt eben nicht nur zu einer Gewichtsreduktion, sondern senkt auch den Blutzuckerspiegel. Dadurch erhöht sich bei Diabetes Typ 2 Patienten die Insulinempfindlichkeit. Ob dieser Effekt dem Hafer und vor allem dem Beta-Glucan zuzuschreiben ist, oder ob eher die verminderte Kalorienzufuhr dafür ursächlich ist, darüber herrscht in der Wissenschaft keine Einigkeit:
TAKE 14 (O-Ton Faßhauer) L: 0, 35
Wenn jemand einen Diabetes Mellitus Typ 2 hat oder zumindest eine gestörte Glucosetoleranz, was ja die Vorform dieses Diabetes Mellitus Typ 2 wäre, dann wird so eine Intervention zunehmend sinnvoller. Aber man muss sagen, die Hauptprofiteure der Intervention sind tatsächlich Menschen, die neben dem Diabetes Mellitus Typ 2 noch diese starke Insulinresistenz haben, weil die einfach am deutlichsten profitieren. Das sind Menschen die häufig große Mengen Insulin spritzen und wenn sie dann durch so einen Hafertag das um 30-50% senken können, ihre Insulindosen…dann ist das eine sehr wirksame und gute Therapie.
ERZÄHLERIN
Deshalb werden Hafertage auch heute noch als Therapie eingesetzt bei Menschen, die einen entstehenden oder moderat ausgeprägten Diabetes Typ 2 haben.
MUSIK 5
"Downstream" - Album: The Sails, Pt. 2 - Komponist: Scott Morgan - Ausführende: Loscil - Läbge: 0'30
ERZÄHLERIN
Im Mittelalter und der frühen Neuzeit war Hafer, gegessen als Haferbrei, vor allem eine Speise der Armen. Ganz anders heute: Porridge, Overnight Oats, Bircher Müsli und Co sind ziemlich hip. Ob im angesagten Szene Café in München oder im Supermarkt im Bayerischen Wald.
TAKE 15 (O-Ton Faßhauer) L: 0, 15
Wenn jetzt jemand die Frage stellt, sollte ich jetzt Hafer essen, ist das immer günstig? Dann würde ich persönlich sagen, dass, wenn jemand mir erzählt, dass er viel Hafer isst, ich noch nicht sehr viel weiß darüber, ob er sich gesund ernährt.
ERZÄHLERIN
So Mathias Faßhauer, Ernährungswissenschaftler an der Universität Gießen.
TAKE 16 (O-Ton Faßhauer) L: 0, 25
Ich muss ihm dann ganz konkret die Frage stellen, diesem Menschen, wie isst du deinen Hafer? Wenn ich dann höre, ich esse Haferflocken oder Overnight Oats und ich mach mir da Obst dazu oder Nüsse, dann kann man sagen, nimmt diese Person alle günstigen Eigenschaften des Hafers mit und dann ist das ernährungsphysiologisch als sehr empfehlenswert zu sehen.
ERZÄHLERIN
Aber nicht alle Lebensmittel, die damit werben, dass sie Hafer enthalten, sind gleichermaßen gesund. Denn wer Haferriegel, Kekse oder auch Müslis isst, die mit viel Zucker und Aromen angereichert sind, der macht damit die positiven und gesundheitsförderlichen Aspekte von Hafer wieder zunichte:
TAKE 17 (O-Ton Faßhauer) L: 0, 15
Weil, dann ist aus einem Lebensmittel mit Hafer ein hochverarbeitetes Lebensmittel geworden, da sind Dickmacher-Zutaten drin, von denen wir wissen, dass sie das Über-Essen und das Übergewicht fördern und dann wird dieses Haferprodukt ungesund und sollte vermieden werden.
ERZÄHLERIN
Deshalb sollten Haferprodukte vor dem Kauf genau angeschaut werden. Und das heißt: Die Zutatenliste durchlesen. Wenn beispielsweise dem Müsli Aromen, Süßungsmittel und/oder Zucker zugesetzt sind, dann ist klar, dass der Wert des guten Nahrungsmittels Hafer, geschrumpft ist. Dass die negativen Anteile dieser Ernährung die positiven Eigenschaften des Getreides überwiegen.
TAKE 18 (O-Ton Faßhauer) L: 0. 35
Hochverarbeitete Lebensmittel heißt ja, dass es ein Lebensmittel ist, was sehr sehr weit weg von einem natürlichen Ursprung ist, das heißt, wenn man jetzt beim Thema Haferprodukte bleibt, würde das heißen, dass der Hafer in einen Kontext gebracht wird, also verpackt wird, z.B. mit ganz viel Zucker oder Süßungsmittel und Aromen und dann ein neues Produkt kreiert wird, was so in der Natur nicht vorkommt. Und wir wissen aus sehr gut gemachten Studien, dass der Genuss solcher hochverarbeiteter Lebensmittel mit Übergewicht und Adipositas verbunden ist, aber auch mit einer Vielfalt anderer Erkrankungen.
ERZÄHLERIN
Viele der sogenannten Wohlstandskrankheiten wie Übergewicht, Adipositas, Diabetes Typ 2 oder die Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden ganz entscheidend durch die Ernährung mitverursacht. Und egal, wie wertvoll ein Lebensmittel von Natur aus ist, wenn es hochverarbeitet wird, um schmackhafter zu sein, verliert es einen Großteil des Werts für uns. Das gilt auch für den Milchersatz Haferdrink oder Hafermilch, ohne den heute kaum ein angesagtes Café seinen Kaffee anbietet. Die Vorstellung, mit diesem Milchersatz mehr für die Gesundheit zu tun als mit Kuhmilch, ist wissenschaftlich betrachtet nicht haltbar, sagt Prof. Hans Hauner, Ernährungswissenschaftler an der TU in München:
TAKE 19 (O-Ton Hauner) L: 0, 30
Was bringt dieser Haferdrink? Dieses Getränk ist nicht besonders wertvoll, das ist im wesentlichen Wasser mit ein bisschen was, was übrig bleibt aus diesem Herstellungsverfahren. Dabei geht viel verloren, dabei gehen Ballaststoffe verloren, andere wertvolle Inhaltsstoffe die sonst im Haferkorn enthalten sind, all das geht zum großen Teil mehr oder weniger verloren durch diese aufwendige Verarbeitung der Körner bis dann am Ende so eine Art Getränk entsteht.
ERZÄHLERIN:
In der sogenannten Hafermilch ist kaum Eiweiß, wenig Energie, sind wenige Ballaststoffe, und kaum Nährstoffe. So dass der Ernährungswert nicht besonders hoch ist. Dennoch entsteht durch Werbung und social media posts bei vielen Menschen der Eindruck, sich mit diesem Kuhmilchersatz etwas Gutes zu tun. Für Hans Hauner vor allem ein gutes Geschäft für die Lebensmittelindustrie:
TAKE 20 (O-Ton Hauner) L: 0, 15
Das Interessante für die Industrie ist, dass das relativ einfache Getränke sind, die aber zu wesentlich höheren Preisen abgesetzt werden können als die klassischen Milchgetränke. Also mit anderen Worten: Ein gutes Geschäft für die Hersteller und Anbieter solcher Pflanzendrinks.
Musik 6
"Rattle" - Komponist: Oliver Doerell, Roger Döring & Alex Stolze - Album: Poems From a Rooftop - Musiker: Dictaphone - Länge: 0'52
ERZÄHLERIN:
Was ist also dran am Hafer-Hype? Wie gesund ist das gepriesene Superkorn tatsächlich? Die Antwort ist eindeutig: Hafer an sich ist ein empfehlenswertes, wertvolles Nahrungsmittel, denn er hat viele Eigenschaften, die für den menschlichen Organismus gesundheitsfördernd sind. Aber Hafer ist nicht gleich Hafer. Ob als Drink, Riegel, Keks oder Müsli: Es kommt ganz entscheidend darauf an, wie naturbelassen oder industriell verarbeitet das Getreide ist, wenn wir es zu uns nehmen. Davon hängt ab, ob es tatsächlich gesund ist, oder doch eher eine Mogelpackung.