Mehr als 70 Jahre ist es her, dass sie gegründet wurde - die Organisation erdölexportierender Staaten, kurz: Opec. Vor allem in den 1970ern hat sie wochenlang die Nachrichten dominiert. Inzwischen hört man kaum mehr von ihr. Dennoch wäre es falsch, die Opec als zahnlosen Tiger abzutun. Von Maike Brzoska
Mehr als 70 Jahre ist es her, dass sie gegründet wurde - die Organisation erdölexportierender Staaten, kurz: Opec. Vor allem in den 1970ern hat sie wochenlang die Nachrichten dominiert. Inzwischen hört man kaum mehr von ihr. Dennoch wäre es falsch, die Opec als zahnlosen Tiger abzutun. Von Maike Brzoska
Credits
Autorin dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Julia Fischer, Burchard Dabinnus
Technik: Susanne Harasim
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Andreas Goldthau, Politologe und Professor an der Universität Erfurt
Alexander Nützenadel, Wirtschaftshistoriker und Professor an der Humboldt Universität Berlin
Literatur:
Jan Martin Witte und Andreas Goldthau: Die Opec. Macht und Ohnmacht des Ă–l-Kartells. Hanser Verlag, 2009.
Daniel Yergin: Der Preis. Die Jagd nach Ă–l, Geld und Macht. Fischer Verlag, 1991.
Giuliano Garavini: The Rise and Fall of Opec in the Twenties Century. Oxford University Press, 2019.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
 01 TON (Krisenplan): Medienbroker (Video)
240517FSMM50056
1061038; Erstsendedatum:10.11.1973; Titel Ă–lkrise
(Piepen) Der Krisenplan. (…) Bei einer akuten Gefährdung der Energieversorgung kann die Bundesregierung zeitlich begrenzte MaĂźnahmen verordnen, um den Energieverbrauch zu drosseln. (…) Erstens: Fahrverbote fĂĽr Kraftfahrzeuge am Wochenende. (…). Zweitens: Begrenzung der Geschwindigkeit. Nur mehr 100 Stundenkilometer auf der Autobahn. Drittens: Beschränkung der Heizölabgabe an Private. (…) Viertens: Freiwilliger Verzicht auf das ĂśberflĂĽssige. Selbstbeschränkung bei nächtlicher Illumination. Stromsperren wären nur ein letztes Mittel.Â
SPRECHERIN
Zu den befĂĽrchteten allgemeinen Stromsperren kam es im Winter 1973 letztlich nicht. Aber ohnehin sparten viele Menschen, wo sie nur konnten. Denn binnen kurzer Zeit hatte sich der Ă–lpreis vervielfacht. Viele Wohnungen blieben kalt, auch bei dieser Mutter von zwei Kindern.Â
02 TON (Frau) Medienbroker: Video 1108035TMM00081; Erstsendedatum: 14.12.1973, 1108035TMM00081; Zum Beispiel Sie/ Heute: Sozialpolitik
Es ist einfach unmöglich, dass ich es mir leiste wie frĂĽher, zwei bis drei Räume zu heizen, weils Ă–l ja ums Doppelte und teilweise ums Dreifache gestiegen ist.Â
MUSIK: „dark addiction“ (0:30)
SPRECHERIN
Kalte Wohnungen. Fahrverbote. Dunkle Innenstädte. Lange Schlangen an den Tankstellen. Und immer der bange Blick auf den Ă–lpreis. Keine Frage, der Schock saĂź tief Anfang der 1970er Jahre, die Stimmung war am Boden – zumindest in den westlichen Staaten. Denn gleichzeitig war die Ă–lpreiskrise ein voller Erfolg fĂĽr eine bis dahin eher unbekannte Organisation.Â
03 O-TON (Goldthau)
Spätestens 1973 mit dem Ă–lpreisschock zeigten die Opec-Staaten, dass sie in der Lage waren, Preispolitik und Ă–lproduktion unilateral zu setzen. Damit hatten sie die Opec als zentralen ölpolitischen Akteur etabliert.Â
SPRECHERIN
Der Politologe Andreas Goldthau. Er ist Professor fĂĽr Public Policy an der Universität Erfurt.Â
Mit dem Ă–lpreisschock begann die goldene Dekade der Opec, das KĂĽrzel steht fĂĽr Organisation erdölexportierender Länder.Â
04 O-TON (Goldthau)
Das war der Zeitraum, in dem die Opec Ă–l, den zentralen Schmierstoff der Weltwirtschaft, nutzte fĂĽr ihre Zwecke, zu politischen Zielen. Und wenn man so will, konnte man es sehr gut ablesen, wie weit die Macht gediehen war. Denn das Ergebnis war eine weltweite Rezession und das Ende eines jahrzehntelangen weltwirtschaftlichen Aufschwunges nach dem Zweiten Weltkrieg.Â
MUSIK: „Main capacity reduced “ (0:35)
SPRECHERIN
Die Opec war ab 1973 bis Anfang der 1980er auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Wenn sie drohte den Ölhahn zuzudrehen, zitterte die westliche Welt. Das ist einige Jahrzehnte her. Wie ist das heute? Denn trotz aller Bemühungen, vom Erdöl loszukommen, rollen immer noch unzählige Verbrenner-Fahrzeuge über unsere Straßen und auch Millionen Wohnungen werden weiterhin mit Heizöl geheizt. Hat die Opec die Staaten also immer noch im Griff?
Die meisten Expertinnen und Experten geben Entwarnung. Sie gehen nicht davon aus, dass die Opec die Industrienationen noch mal so in die Zange nehmen könnte. Und das liegt vor allem an der Organisation selbst. Denn von Beginn an hat sie ein grundlegendes Problem: Ihre Mitglieder ziehen selten an einem Strang.Â
05 O-TON (Goldthau)
Das ist ein sehr heterogener Club. Die haben nicht alle dasselbe Interesse und auch nicht alle dieselben Rationale.Â
SPRECHERIN
Die Anfänge der Opec reichen zurĂĽck bis in die späten 1950er Jahre. Damals schlossen einige ölfördernde Staaten auf Initiative Saudi-Arabiens und Venezuelas den sogenannten Maadi-Pakt. Erklärtes Ziel war, die Ă–lförderung stärker abzustimmen, um mehr Einfluss zu bekommen. Dass der Pakt tatsächlich schon kurz darauf in eine formale Organisation mĂĽndete, war keineswegs ausgemachte Sache. Denn der Nahe Osten war damals bereits eine politisch instabile Region: Im Irak war gerade ein Putschversuch gescheitert. Kuwait befreite sich zu dieser Zeit aus jahrzehntelanger britischer Kolonialherrschaft. Und Iran und Saudi-Arabien rivalisierten, weil beide Staaten die Vorherrschaft im Nahen Osten beanspruchten. Konflikte gab es also genug. Es bedurfte deshalb erst eines gemeinsamen Gegners, damit sich die Staaten zusammenrauften. Und dieser Gegner waren – die „Seven Sisters“, die Sieben Schwestern.Â
06 O-TON (NĂĽtzenadel)
Das waren die groĂźen Erdölgesellschaften wie zum Beispiel BP, wie Standard Oil, wie Royal Dutch Shell und andere Gesellschaften.Â
SPRECHERIN
Sagt der Wirtschaftshistoriker Alexander NĂĽtzenadel. Er ist Professor an der Humboldt Universität Berlin. Die Arbeitsteilung im Erdölmarkt sah damals so aus: Auf der einen Seite gab es die Länder mit den Ă–lvorkommen, also Saudi-Arabien, Venezuela, Kuwait und so weiter. Auf der anderen Seite standen die Sieben Schwestern, die westlichen Ă–lkonzerne, welche die Vorkommen ausbeuteten. Â
07 O-TON (NĂĽtzenadel)
Sie haben sozusagen ĂĽber groĂźe Tankerflotten verfĂĽgt, ĂĽber Raffinerien und haben deswegen eine sehr starke Stellung auf dem internationalen Markt gehabt.
MUSIK: „Geiger counter“ (0:50)
SPRECHERIN
Vom Bohrturm bis zur Tankstelle – in den 1950er und 60er Jahren dominierten die Sieben Schwestern den weltweiten Ă–lmarkt und machten sagenhafte Gewinne. Die Länder, deren Vorkommen sie ausbeuteten, bekamen einen Anteil, der nach einer komplizierten Formel berechnet wurde. Wichtig fĂĽr den Anteil war der sogenannte Listenpreis. Die Festlegung dieses Rohöl-Preises war deshalb immer eine heikle Angelegenheit. Vor allem Preissenkungen waren schwierig. Denn schon damals waren viele Länder des Nahen Ostens sogenannte Petro-Staaten.Â
08 O-TON (Goldthau)
Das bedeutet, sie sind sehr stark abhängig von einem einzigen Exportprodukt, das Ă–l, was wiederum die Haushaltslage direkt beeinflusst, wenn der Ă–lpreis schwankt.Â
SPRECHERIN
Eine Senkung des Listenpreises war also gleichbedeutend mit einem schrumpfenden Staatshaushalt. Und genau das wurde Ende der 1950er zum Problem. Weil immer mehr Erdöl auf den Weltmarkt kam, senkten die Ă–lkonzerne den Listenpreis immer weiter, und zwar weitgehend ohne Absprache. Ein Affront fĂĽr die Länder, deren Vorkommen sie ausbeuteten. Deshalb schafften es die Staaten, ihre Differenzen zu ĂĽberwinden und eine neue Organisation zu grĂĽnden – die Opec.Â
09 O-TON (NĂĽtzenadel)
Die Opec wurde im September 1960 in Bagdad gegrĂĽndet.
Es war eine Gruppe von ursprĂĽnglich fĂĽnf erdölfördernden Staaten Irak, Iran, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela, die sich zusammenschlossen und entschieden, dass sie ihre Erdölförderung in Zukunft koordinieren, um eine marktbeherrschende Position auf dem internationalen Ă–lmarkt zu bekommen.Â
MUSIK: „The vote“ (0:50)
SPRECHERIN
Der Sitz der neuen Organisation war zunächst in Genf und später in Wien. Auf regelmäßigen Konferenzen wollten die Opec-Mitglieder von nun an über Fördermengen und -Preise beraten. Die Stimmung war anfangs euphorisch. Der venezolanische Politiker Pérez Alfonso sagte damals:
ZITATOR
Wir haben einen sehr exklusiven Klub gegründet. Wir kontrollieren 90 Prozent aller Rohölexporte in den Weltmarkt und sprechen jetzt mit einer Stimme. Wir schreiben damit Geschichte!
SPRECHERIN
Das taten sie tatsächlich – allerdings erst später. In den 1960er Jahren hörte man erst mal wenig von der Opec. Und der Listenpreis – der stieg kaum. Das lag vor allem daran, dass die großen Ölkonzerne – die Sieben Schwestern –, auch mit Unterstützung der westlichen Regierungen, geheime Absprachen trafen. Sie bildeten also ein Kartell, um die Politik der Opec zu konterkarieren.
10 O-TON (NĂĽtzenadel)
 Deswegen hat auch die Strategie der Opec in den frĂĽhen Jahren nicht so gut funktioniert.Â
SPRECHERIN
Das änderte sich schlagartig im Oktober 1973 mit dem Jom-Kippur-KriegÂ
MUSIK: „Dark heartbeat“ (1:10)
11 TON (Nachricht Krieg)
Seit heute Mittag finden am Suez-Kanal wie auch an der israel-syrischen Front schwere Kämpfe zwischen Panzer, Infanterie und Lufteinheiten der arabischen wie auch israelischen Streitkräften statt.Â
SPRECHERIN
Weil der Westen Israel mit Waffen unterstĂĽtzte, beschlossen einige Opec-Staaten ein Ă–lembargo: Pro Monat wollten sie fĂĽnf Prozent weniger Rohöl liefern, und zwar so lange, bis Israel Gebiete räumen wĂĽrde, die es im vorangegangenen Sechs-Tage-Krieg besetzt hatte. Das Embargo war ein Paukenschlag – selbst Nahost-Expertinnen und Experten hatten das so nicht kommen sehen. Der Krieg selbst dauerte nicht lang, die Angreifer waren schnell zurĂĽckgedrängt, bereits Ende Oktober wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Und doch war plötzlich alles anders: Ă–l war eine politische Waffe – und den westlichen Industrienationen wurde schlagartig bewusst, wie sehr sie am Ă–l-Tropf hingen. Der fossile Brennstoff war sprichwörtlich in alle Lebensbereiche gesickert.Â
12 O-TON (Goldthau)
Das war natĂĽrlich zum einen Mobilität, also Autofahren. Der Flugverkehr fängt an wichtig zu werden, die Industrieproduktion, die Prozesswärme braucht, oder die Petrochemie, also all die Schwerindustrie, die Ă–l benötigt. Aber zudem auch der Heizungssektor.Â
SPRECHERIN
Hinzu kam, dass die Opec-Staaten die Erdölförderung in ihrem Land nach und nach verstaatlicht hatten. Saudi-Arabien tat dies – als eines der letzten Länder – ab 1972. Deshalb bestimmten die Opec-Staaten nun selbst, wie viel Ă–l gefördert wurde. Den Einfluss der Sieben Schwestern hatten sie, zumindest auf ihrem Staatsgebiet, erfolgreich zurĂĽckgedrängt. Ein Erfolg fĂĽr die Opec.Â
Aber damit begann auch schon gleich der Abstieg der Organisation. Denn nach dem ersten Ă–lpreisschock gab es fĂĽr die Industrienationen nichts Wichtigeres als wegzukommen vom Ă–l der Opec. Das sollte auf mehreren Wegen passieren.
13 O-TON (Goldthau)
Zum einen gelang es den westlichen Industrienationen, eigene Ă–l-Produktionen aufzubauen oder auszuweiten. Beispielsweise wurde die Nordsee erschlossen. Man setzt aber auch gleichzeitig auf Alternativen, zum Beispiel in Frankreich auf Atomstrom, in Deutschland auf Erdgas. Insofern es war ein Mix aus mehreren Dingen.
MUSIK: „Knocking“ (0:20)
SPRECHERIN
Aber schon wenige Jahre nach der ersten Ă–lpreiskrise der nächste Schock: 1979 kam es zur Islamischen Revolution in Iran. Ein Jahr später zum Ersten Golfkrieg – dem Krieg zwischen Iran und Irak. Die Förderung in den Ländern lag weitgehend brach. Es kam zu Engpässen auf dem Rohölmarkt, zu erneuter Panik im Westen – und zur zweiten Ă–lpreiskrise. Â
14 O-TON (Goldthau)
Man war noch mitten in der Frage, wie man auf den Ă–lpreisschock von 1973 reagieren soll. Einige Dinge wurden da bereits angeschoben und gleichzeitig hat man versucht, auch institutionell zu reagieren, zum Beispiel hat man die Internationale Energieagentur geschaffen, die letzten Endes strategische Ă–lreserven managt fĂĽr die Industrieländer, um gewappnet zu sein fĂĽr einen erneuten Schock. Aber damals, 1979, war natĂĽrlich all das erst im Aufbau und noch nicht groĂźflächig genug angelegt, um wirklich einem erneuten Schock zu begegnen.Â
SPRECHERIN
Die Reaktion des Westens: Noch mehr Tempo. Und in Bayern zum Beispiel setzte man auch auf den Ausbau der Kernenergie.
Gleichzeitig veränderte sich aber auch die Opec selbst in dieser Zeit.Â
Die Differenzen zwischen den Mitgliedern nahmen zu. Die Opec-Konferenzen fanden zwar weiterhin statt, blieben aber oft ohne konkretes Ergebnis.
16 O-TON (NĂĽtzenadel)
Die Opec ist eben überhaupt gar keine politische Einheit mehr und es sind ja auch andere Länder hinzugekommen, die sich gar nicht mehr so politisch eindeutig zusammenführen lassen.
SPRECHERIN
Neue Mitglieder, wie zum Beispiel Ecuador, Libyen, Nigeria, Angola und Gabun, sind der Opec nach und nach beigetreten. In den 1980ern kam hinzu, dass das Wachstum der Weltwirtschaft nachlieĂź. Die Nachfrage nach Erdöl sank – und damit auch der Preis. Um den Ă–lpreis zu stabilisieren, einigten sich die Opec-Staaten darauf, ihre Fördermengen zu kĂĽrzen. Zumindest offiziell. Die Praxis sah allerdings meist anders aus. Vor allem kleinere Mitglieder hielten sich oft nicht daran.Â
17 O-TON (Goldthau)
Wenn es um Förderausweitungen geht, sind Absprachen zumeist unproblematisch. Man fördert einfach mehr. Bei KĂĽrzungen allerdings besteht das groĂźe Problem des Freeriding, also des Trittbrettfahrertums.Â
SPRECHERIN
Trittbrettfahrer profitieren doppelt: Zum einen vom gestiegenen Ă–lpreis, der dadurch zustande kommt, dass die anderen Staaten ihre Ă–lförderung drosseln. Zum anderen können sich die trittbrettfahrenden Staaten aber auch Marktanteile der anderen Staaten sichern. Das machte es attraktiv, FörderkĂĽrzungen zwar zuzustimmen, sich dann aber nicht daran zu halten.Â
Dass das System nicht völlig zusammenbrach, lag vor allem an Saudi-Arabien. Das Land fungierte als sogenannter Swing Producer, es fuhr seine eigene Ă–lförderung so weit zurĂĽck, dass sich der Ă–lpreis – trotz der Trittbrettfahrer – stabilisierte. Saudi-Arabien gehörte damals wie heute zu den größten Erdölproduzenten der Welt – und hat deshalb ein groĂźes Interesse, den Ă–lmarkt langfristig zu stabilisieren.Â
MUSIK: „Knocking“ (0:20)
SPRECHERIN
Aber Mitte der 1980er Jahre reichte es den Saudis. Ihre eigene Ölproduktion war mittlerweile so weit heruntergefahren, dass das Land finanzielle Probleme bekam. Es griff zu einer drastischen Maßnahme: Innerhalb kurzer Zeit förderte es sehr viel Öl – und flutete damit den Weltmarkt.
18 O-TON (Goldthau)
Damit kam es zu einem sogenannten Counter-Shock 1986, und der Preis ging in den Keller. Viele Opec-Staaten gerieten in eine Schuldenspirale, was letzten Endes die Handlungsfähigkeit der Opec sehr stark einschränkte. Und dazu kam dann natĂĽrlich: Ab den 90er Jahren gab es neue unabhängige Produzenten in der Folge der Auflösung der Sowjetunion, und all das hat die Opec lange Jahre an Einfluss gekostet.Â
SPRECHERIN
Manche prophezeiten damals das Ende der Organisation. Dass es anders kam, lag weniger an der Opec selbst, sondern an den fĂĽr sie gĂĽnstigen Bedingungen. In den 1990er und 2000ern wuchsen Welthandel und Weltwirtschaft sehr stark, Stichwort Globalisierung. Auch der wirtschaftliche Aufstieg von China begann zu dieser Zeit.
19 O-TON (Goldthau)
Seit den frühen 2000er Jahren ist China eines der größten Einfuhrländer (und heute der zweitgrößte Konsument von Erdöl). Und auf der Angebotsseite war ebenfalls einiges los. Die Förderkapazitäten der Opec waren begrenzt. Also das war die Zeit, als Saddam Husseins Irak unter Sanktionen war, später der Iran aufgrund des Atomprogramms.
SPRECHERIN
Auch das trieb den Ölpreis nach oben, weil schlicht weniger Öl auf dem Weltmarkt vorhanden war. In diesem Umfeld schafften es die Opec-Staaten, ihre Politik wieder zu koordinieren – und den Ölpreis weiter nach oben zu treiben.
20 O-TON (Goldthau)
Und all das fĂĽhrte in der Gesamtschau zu einem steigenden Ă–lpreis 2008 mit ĂĽber 140 Dollar.
SPRECHERIN
2008 dann die Finanzkrise und ein weltweiter wirtschaftlicher Abschwung. Der Ă–lpreis sank, aber nur kurz, schon kurz darauf eilte er wieder von Rekord zu Rekord.Â
MUSIK: „dark addiction“ (0:35)
SPRECHERIN
Aber zur gleichen Zeit zeichnete sich bereits eine neue Droh-Kulisse fĂĽr die Opec ab. Denn die Industrienationen begannen allmählich, ihre Produktionsweisen umzubauen. Weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien. Der Prozess begann zwar schon in den 1970er Jahren, aber erst in den 2010ern wurde die sogenannte Peak Demand These diskutiert.Â
21 O-TON (Goldthau)
Es geht um die Frage, ob die Weltwirtschaft nicht mittlerweile einen Punkt erreicht hat, in dem die Nachfrage auf einem Plateau angelangt ist und schon langsam anfängt zu sinken. Das hat damit zu tun, dass die Ölintensität der Produktion zurückgeht, wir effizienter geworden sind, dass wir das sogenannte Decoupling hinbekommen haben, also dass wir das Wirtschaftswachstum mittlerweile von der Ölnachfrage entkoppelt haben.
SPRECHERIN
Eine Welt, die immer weniger Erdöl braucht – fĂĽr Petro-Staaten, deren Staatshaushalt sich aus den Ă–leinnahmen speist, ist das ein riesiges Problem.Â
SPRECHERIN
Hinzu kommt aus Sicht der Opec ein weiteres Problem: Die USA, lange Zeit einer der größten Importeure, fördern nun selber Ă–l im groĂźen Stil.Â
Die neue Ölschwemme sorgt auf dem Weltmarkt für einen sinkenden Ölpreis. Der Druck auf die Opec steigt. In dieser Situation gelingt der Organisation ein Meilenstein. Sie schmiedet ein neues Bündnis – die Opec Plus.
23 O-TON (NĂĽtzenadel)
Die Opec Plus wurde im September 2016 mit einem Kooperationsvertrag zwischen den alten Opec-Staaten und weiteren ölproduzierenden Ländern gegrĂĽndet. Es kamen eben neue ölproduzierende Staaten wie Russland, Kasachstan, Mexiko oder Oman, die sich eben nicht in der Opec direkt binden wollen, als Kooperationspartner hinzu. Und diese Staaten haben nun das Kartell wieder sehr viel effizienter gemacht, weil sie sozusagen sehr viel effizienter wieder Preisstrategien durchsetzen konnten.Â
SPRECHERIN
Das neue Bündnis birgt auch intern neue Machtverhältnisse. Während Saudi-Arabien die Opec lange Zeit als größter Produzent und Swing Producer dominierte, gibt es in der Opec Plus nun mit Russland einen weiteren einflussreichen Player. Denn Russland verfügt ebenfalls über riesige Mengen Erdöl.
24 O-TON (Goldthau)
 Jetzt hat man Russland eingebunden, der Disziplin quasi des Clubs unterworfen, und sofern Russland mitspielt, ist das durchaus ein Gewinn für die Opec.
MUSIK: „Main capacity reduced “ (0:15)
SPRECHERIN
Was bedeutet das fĂĽr die Industriestaaten? Wäre eine neue Ă–lpreiskrise ausgelöst durch die Opec denkbar? Alexander NĂĽtzenadel hält das fĂĽr wenig wahrscheinlich. Das habe auch der Krieg in Nahost gezeigt.Â
25 O-TON (NĂĽtzenadel)
Viele Staaten haben sich doch eher zurĂĽckgehalten und haben gesagt: Wir wollen jetzt nicht noch mal eine Ă–lpreiskrise. Man hat zwar die Ă–lpreise erhöht und man versucht sozusagen hier auch weiterhin eigene wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, aber es gibt keine so starke Zuspitzung des internationalen Konfliktes ĂĽber den Ă–lpreis. Das ist doch ein deutlicher Unterschied verglichen mit den frĂĽhen 70er Jahren.Â
SPRECHERIN
Öl als Waffe – diese Zeiten sind mit Blick auf die Opec vorbei, meint auch Andreas Goldthau.
26 O-TON (Goldthau)
Ich glaube, dass spätestens mit den 80er Jahren und dem Counter-Shock, also dem fallenden Ă–lpreis, die groĂźen internationalen politischen Ambitionen der Opec begraben waren. Die Opec versteht sich heute schlicht als ein Ă–lmarkt-Akteur, aber nicht mehr als Akteur, der die Entwicklungsagenda des globalen SĂĽdens befördert.Â
SPRECHERIN
Der also Interessen gegen die Industrienationen auf der Nordhalbkugel durchsetzen will.Â
27 O-TON (Goldthau)
DafĂĽr ist die Opec ist mittlerweile nicht nur zu heterogen, sondern einfach schlicht auch in einem Einkommensniveau angelangt, was den GroĂźteil ihrer Mitglieder angeht, die es auch de facto schwer machen, die Karte des globalen SĂĽdens zu spielen.Â
MUSIK: „dark addiction“ (1:05)
SPRECHERIN
Bleibt die Frage, welche Rolle die Opec Plus, also das erweiterte Bündnis, künftig spielen könnte. Denn dass Russland seine Energielieferungen für politische Ziele nutzt – daran gibt es spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine keinen Zweifel. Wie viel Einfluss die Opec Plus auf den Ölpreis haben wird, wird insbesondere davon abhängen, wie einig sich die beiden großen Player sind, also Saudi-Arabien und Russland. Und da zeigte sich bereits, dass Russland vor allem seine eigenen Interessen verfolgt. So auch zu Beginn des Ukraine-Kriegs, als die Opec Plus Kürzungen beschloss – Russland aber nicht mitzog, auch weil es auf die Einnahmen aus seinen Öl- und Erdgasgeschäften angewiesen ist.
28 O-TON (Goldthau)
Russland steht unter Sanktionen, was zumindest teilweise die Einnahmen gedämpft hat. Es hat daher erst verspätet verabredete KĂĽrzungen umgesetzt, im Gegenteil zunächst seine Produktion gesteigert.Â
SPRECHERIN
Und in Folge die Einnahmen aus Ă–l und Gas zeitweise sogar massiv gesteigert.Â
28 O-Ton Fortsetzung Goldthau Insofern ist die Opec plus im Moment zwar einig im Ziel, aber in der Umsetzung weniger stringent, wie es eventuell nötig wäre, um den Ölmarkt erfolgreich zu managen.
MUSIK: „Main capacity reduced “ (1:15)
SPRECHERIN
Dass die Opec oder Opec Plus in absehbarer Zeit die westlichen Industrienationen erneut in die Zange nehmen können wie Anfang der 1970er, ist deshalb wenig wahrscheinlich. Zu unterschiedlich sind die Interessen, zu heterogen die Mitglieder. Hinzu kommt, dass neue große Erdölproduzenten, wie die USA, entstehende Lücken zumindest ein Stück weit füllen können. Und mit dem Ausbau erneuerbarer Energien sinkt langsam, aber sicher die Abhängigkeit der Industriestaaten von den fossilen Brennstoffen. Und dennoch: Die Unsicherheit bleibt. Die Abhängigkeit von Erdöl birgt eben ein Risiko. Andreas Goldthau meint deshalb:
29 O-TON (Goldthau)
Lasst uns möglichst schnell de-karbonisieren und das Ă–lzeitalter hinter uns lassen. Denn damit sind wir dann auch das Opec-Problem los.Â