radioWissen - Bayern 2   /     Arsen - Eine mörderische Karriere

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Jahrhundertelang war Arsen das beliebteste Mordgift, auch als "Erbschaftspulver" bekannt. Lange Zeit war es kaum nachzuweisen und konnte an fürstlichen Höfen wie im privaten Familienkreis Misstrauen und Schrecken verbreiten. Das toxische Halbmetall hat allerdings auch andere Seiten. Es verlieh Bildern berühmter Maler leuchtende Farben, steckt in Raumschiffen wie Solaranlagen - und kann sogar Krankheiten heilen. Von Lukas Grasberger

Subtitle
Duration
00:23:03
Publishing date
2024-08-30 03:30
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/arsen-eine-moerderische-karriere/2097003
Contributors
  Lukas Grasberger
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2097003/c/feed/arsen-eine-moerderische-karriere.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Jahrhundertelang war Arsen das beliebteste Mordgift, auch als "Erbschaftspulver" bekannt. Lange Zeit war es kaum nachzuweisen und konnte an fürstlichen Höfen wie im privaten Familienkreis Misstrauen und Schrecken verbreiten. Das toxische Halbmetall hat allerdings auch andere Seiten. Es verlieh Bildern berühmter Maler leuchtende Farben, steckt in Raumschiffen wie Solaranlagen - und kann sogar Krankheiten heilen. Von Lukas Grasberger

Credits
Autor dieser Folge: Lukas Grasberger
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Irina Wanka, Andreas Neumann, Friedrich Schloffer
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
Prof. Bettina Wahrig, Lehrstuhl für Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte an der Technischen Universität Braunschweig;
Dr. Gabriele Roider, Pharmakologin am Institut für Rechtsmedizin, LMU München;
Simon Brugner, Fotograf und Autor „The Arsenic Eaters – die Arsenfresser“;
Prof. Christopher Rensing, Chinese Academy of Agricultural Sciences Fujian, Academy of Agricultural Sciences, Fuzhou 

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ZITATOR 1

„Er ist von schöner Farbe, die an Gold erinnert. Ein künstlicher Stoff, hergestellt durch Alchemie. Aber - er ist wirklich giftig!“

ZITATOR 2

„Das Arsenicum wirkt ähnlich dem Sandarak, aber schärfer, wird daher zum Ätzen und zum Wegbeizen der Haare angewendet. Es nimmt auch die Nagelgeschwüre, die fleischigen Auswüchse in der Nase, die Geschwüre am After und alles wilde Fleisch weg. Seine Kraft wird erhöhet, wenn man es in einem neuen Tiegel so lange röstet, bis es die Farbe verändert hat.“

ZITATOR 1

„Unter der geringsten Menge liegt unermessliche Bosheit

verborgen“.

MUSIK ENDE

Sprecherin

Es ist eine Mischung aus Bewunderung und Angst, die aus diesen Worten über Arsen spricht: Zuerst dem Satz des spanischen Malers Francisco Pacheco, der seine Bilder mit arsenhaltiger Farbe zum Leuchten brachte; dann dem Kommentar des römischen Gelehrten Plinius über kosmetische und heilende Wirkung von Arsenicum; und schließlich einem Satz über das Arsen aus dem ersten deutschsprachigen Lehrbuch der Toxikologie. 

MUSIK  „Discombobulate“; ZEIT: 00:19

Zu Weltruhm gelangte Arsen freilich als Mordgift. Die Karriere dieses chemischen Elements mit der Ordnungszahl 33 indes ist so schillernd wie facettenreich – und reicht zurück bis weit ins Altertum. 

MUSIK ENDE

Bei genauerer historischer Betrachtung zeigt sich: Arsen, dieses meist im Stein verborgene Halbmetall, trägt seinen verruchten Ruf zu Unrecht: Denn schon die alten Griechen machten sich Arsen zwar vor allem seiner Giftigkeit wegen zu Nutze, wie die Braunschweiger Wissenschaftshistorikerin Bettina Wahrig weiß... 

O-Ton 1 Prof. Bettina Wahrig, Wissenschaftshistorikerin, Uni Braunschweig

„Also man hatte das ganz, ganz breit eingesetzt, und eine der wichtigen Einsatzmöglichkeiten war natürlich die Bekämpfung von Insekten, Schadinsekten - oder auch eben Ratten und Mäusen.“

Sprecherin

Arsen war im Altertum aber auch eine wichtige Arznei. In Griechenland und dem alten Rom zerrieb man arsenhaltiges Gestein zu Pulver, mischte es zu Salben, und kurierte damit Asthma genauso wie Hautkrankheiten. Die augenfälligste Anwendungsform von Arsen, sagt Bettina Wahrig, war bis in die Neuzeit aber eine andere.

O-Ton 2 Wahrig

„Also einmal als Farbe: Einmal ist es ne Schwefel-Arsen-Verbindung, die ganz rot ist. Die heißt dann in der frühneuzeitlichen Sprache dann auch „Realgar“, also „das königliche Rot“, eigentlich. Und eine sehr schöne gelbe Tönung, Auripigment, also ne goldene Färbung, und die wurde auch zu Farben eingesetzt.“

MUSIK  „Lucy's party”; ZEIT: 00:18

Sprecherin

Silber bekam in Verbindung mit Arsen eine goldartige, Kupfer eine weiße Farbe.

MUSIK ENDE

In der Natur kommt Arsen nur selten in seiner Reinform vor, die wenig giftig ist. Meist tritt es auf in Gestein, in Verbindung mit Metallen oder Schwefel – und ist dann hochtoxisch, sagt die Pharmakologin Gabriele Roider vom Institut für Rechtsmedizin der LMU München. 

O-Ton 3 Dr. Gabriele Roider, Institut für Rechtsmedizin, LMU München

„Das gibt es so als kristalline Form... Also, wenn ich jetzt von Arsen spreche, meine ich jetzt immer Arsenik, also Arsentrioxid. Es gibt auch noch metallisches Arsen, und es gibt auch organisch gebundenes Arsen, was viel zum Beispiel in Fischen und Meerestieren drin ist. Und aber ich spreche jetzt dann von Arsenik. Also das ist die toxischste Verbindung, damit die toxikologisch relevanteste Verbindung - und auch die wirtschaftlich interessanteste Verbindung.“

Sprecherin

Bis heute ist Arsentrioxid ein Ausgangsstoff für industrielle Anwendungen – etwa zur Herstellung von Batterien. Arsenverbindungen stecken aber auch in Halbleiter-Chips für Solaranlagen wie für Satelliten oder Raumschiffe. 

Die Entwicklung von Arsen als wichtigem Wirtschaftsgut begann im Mittelalter. Es war der Regensburger Bischof Albertus Magnus, der 1240 erstmals die Herstellung metallischen Arsens durch Erhitzen von Arsenkies beschrieb. Um den Stoff in größeren Mengen wirtschaftlich zu nutzen, brauchte es eine geradezu fabrikmäßige Herstellung: Zu Beginn von Bergbau und Hüttenwesen im frühen Mittelalter fiel Arsen zunächst einmal als Abfallprodukt an. Etwa bei der Verhüttung von Metallen wie Kupfer, Zinn, Silber oder Gold in den Bergbauregionen der Steiermark. Dabei erhitzte man arsenhaltige Steine in Brenn-Öfen.

O-Ton 4 Simon Brugner Fotograf + Autor „Die Arsenfresser“ Teil 1

„In Schmelzprozessen verdampft das Arsenik, das verflüchtigt sich ziemlich schnell, und das Arsen, das im Gestein drinnen ist, wird zu Arsentrioxid. Und das ist das giftige…

Sprecherin

sagt der österreichische Fotograf und Autor Simon Brugner, 

O-Ton 4 Brugner Teil 2

„...deswegen immer auch die ganzen Brennöfen hoch bauen – weil wenn dich so ein Schwaden trifft, ist die Gefahr für Leib und Leben sehr hoch. Man hat dann – nachdem es am Anfang ein unerwünschtes Nebenprodukt war -  bald auch Arsen bewusst produziert. Das ist in so genannten Gifthütten passiert, die keine nach oben gerichteten Schornsteine hatten, sondern das waren horizontale Kammern, durch die der Rauch durchgeleitet wurde. Das Arsen hat sich verflüchtigt, hat sich in diesen horizontalen Rauchfängen als weißes Pulver abgesetzt.(…) Die Bergarbeiter, also die in der Verhüttung Tätigen, haben einfach den Beschlag abgeklopft,  und so hat man dann wirklich reines Arsen gewonnen. Auch als wirtschaftlich wichtiges Handelsgut.“

Sprecherin

Vor allem Orte in der Ober- bis zur Oststeiermark waren in den vergangenen Jahrhunderten Hotspots der Arsen-Produktion. Die dortigen Minen waren strategisch günstig gelegen. Zum einen unweit von Ungarn, wo man Arsen als Heil- und Dopingmittel für Pferde nutzte. Die Hauptabnehmer für das steirische Arsen saßen jedoch südlich der Alpen. Simon Brugner: 

O-Ton 5 Brugner

„Wo es wirklich zu großen Mengen verwendet wurde, ist in der Glasherstellung…. also das meiste. Der Großteil vom steirischen Arsenik wurde nach Venedig für die Muranoglas-Erzeugung verkauft. Also da gingen zig Tonnen jährlich nach Venedig.“ 

 Sprecherin

Bald war Arsen vom Abfallprodukt zu einem wirtschaftlich wichtigen Handelsgut der K.u.K.-Monarchie geworden. Die österreichische Herrscherin Maria Theresia hatte ein genaues Auge auf die Arsen-Produktion ihrer Untertanen. Steuern und Zölle für Erzeugung und Transport waren zu entrichten. Doch die penible Reglementierung von Herstellung und Handel hatte einen weiteren Grund:

O-Ton 6 Brugner

„Arsen ist hochpotentes Gift. Es wurde immer stark kontrolliert. Also der Umgang mit Giften, der war immer schon rechtlich reglementiert.“ 

MUSIK  „The game is on”; ZEIT: 00:50

Sprecherin

Dennoch sollte Arsen für die Herrschenden im 18. Jahrhundert zunehmend zum Problem werden. Denn trotz der genauen Kontrolle war der hochgiftige Stoff leicht zu haben, er wurde „legal“ vielfältig verwendet. Gleichzeitig gelangten zunehmend Nachrichten von Giftmorden mittels Arsen in Italien und Frankreich ans Licht der Öffentlichkeit. Mit der Aufklärung hatte die Bevölkerung hierzulande lesen gelernt - und verschlang aktuelle wie historische Berichte von Mord und Totschlag, Schuld und Sühne begierig. Man erfuhr von in Serie verübten Giftmorden der Borgia und der Medici, begangen mutmaßlich mit Arsenik. Später war in den Zeitungen von aqua tofana zu lesen, einer Arsen-Mischung, die jenseits der Alpen dutzenden Männern den Tod brachte. 

MUSIK ENDE

O-Ton 7 Wahrig

„In der Tat gab es in Italien einen sehr, sehr großen Giftmordprozess gegen [00:09:00] eine relativ große Zahl auch an Frauen, die mit der sogenannten Aqua Tofana gehandelt haben. Und das soll eben ein sehr... raffiniert zubereitetes Gift gewesen sein, das so gewirkt haben soll, dass man der Person, die man gerade loswerden wollte, über längere Zeit kleine Mengen von diesem Gift untergejubelt hat und dass die dann irgendwann mal gestorben sind, ohne dass man wirklich Krankheiten oder andere Ursachen erkennen konnte.“

Sprecherin

Das berüchtigte Arsen-Elixier raffte Dutzende, wenn nicht gar Hunderte dahin, sagt die Professorin für Wissenschaftsgeschichte und Pharmazie, Bettina Wahrig. Dass vor allem Frauen schwunghaften Handel mit dem Gift trieben und bandenmäßig mordeten – dies, sagt Bettina Wahrig, war auch den gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldet.

O-Ton 8 Wahrig

„Wenn wir das heute lesen, dann denken wir, naja gut, da gibt es eben eine Partnerschaft Mann-Frau, also die Frau hat ihn satt - und weg damit! Aber die sozialen Beziehungen am Hof waren ja viel, viel komplizierter. Deswegen...also es gab [00:11:00] jedenfalls ein Netzwerk von Leuten, die dieses Giftwissen verbreitet haben und die so gefährlich erschienen, dass extra eine Serie von Gerichtsverhandlungen abgehalten wurde, um diese Leute abzuhandeln, abzuurteilen. Natürlich ging es da auch darum, wieder zu zeigen: Der König, die Souveränität, bemerkt das und richtet die Leute deswegen dann hin oder verurteilt sie deswegen.“

MUSIK  „My Mind Rebels At Stagnation”; ZEIT: 00:43

Sprecherin

Arsen war also zur Bedrohung der patriarchalen politischen und sozialen Ordnung geworden – gegen die die Herrschenden infolge energisch vorgingen.

Der „Geist des Gifts“ war dennoch aus der Flasche – und sorgte auch in deutschen Landen zunehmend für Verwerfungen. Hier waren es vor allem Ärzte und Apotheker, die vor einem allzu sorglosen Umgang mit Arsen warnten. Und die dafür warben, den Zugang zu Giften zu beschränken, sowie die Bevölkerung aufzuklären, um unabsichtliche – oder auch absichtliche -Tötungen durch Arsen zu vermeiden. 

MUSIK ENDE

Sprecherin

War dies wirklich ein Unfall? War es Mord? Oder war es gar keine Vergiftung? Diese Fragen mussten sich Rechtsmedizinern wie Richtern seinerzeit häufig stellen, sagt die Apothekerin Gabriele Roider. Klare Antworten aber fanden sie selten... 

O-Ton 10 Roider

„Weil die Symptomatik, die wurde damals viel mit der Cholera verwechselt. Die hygienischen Verhältnisse waren ja vor bis vor 200 Jahren sehr, sehr schlecht. Das heißt, die Leute hatten häufig Brechdurchfall, und das ist auch so die typische Vergiftungserscheinung bei einer akuten Arsen-Intoxikation (…)eben 

MUSIK  „My Mind Rebels At Stagnation”; ZEIT: 01:29

Sprecherin

Dass der kenntnisreich ausgeführte Giftmord kaum nachzuweisen war; dass breite Gesellschaftsschichten mittlerweile Zugang zu umfangreichem Giftwissen hatten: Dies trieb auch die Schriftsteller der Aufklärung um. ETA Hoffmann etwa zeichnete in seiner Erzählung „Das Fräulein von Scuderi“ das dystopische Bild einer Gesellschaft, in der die Allgegenwart von Giften wie Arsen letztlich zu einer völligen Zersetzung des sozialen Zusammenhalts führt: 

ZITATOR 1

Man sah Familienväter ängstlich in entfernten Gegenden Lebensmittel einkaufen, und in dieser, jener schmutzigen Garküche selbst bereiten, in ihrem eigenen Hause teuflischen Verrat fürchtend. Und doch war manchmal die größte, bedachteste Vorsicht vergebens.“ 

Sprecherin

Auch für die Ärzte hierzulande galt letztendlich, was ein französischer Kollege angesichts der nur zufälligen erfolgten Entdeckung des Giftmischers Godin de Sainte-Croix schrieb:

 ZITATOR 1

„Bey diesen Giften ... werden die Erfahrungen falsch, die Regeln ungewiss, und die Aphorismen lächerlich. Sie schwimmen auf dem Wasser; sie lassen in der Feuerprobe bloß eine süße unschädliche Materie zurück, und liegen in den

tierischen Körpern so künstlich versteckt, dass man sie unmöglich erkennen

kann.“ 

MUSIK ENDE

Sprecherin

An einem gerichtsfesten Nachweis von Arsen forschten Wissenschaftler jahrzehnte-, ja, jahrhundertelang. Fand man verdächtige Materie, so gab man sie Tieren, um zu sehen, ob diese verendeten. Zuweilen warf man eine Probe auf glühende Kohlen. Enthielt diese Arsen, so entwickelte sich ein Geruch nach Knoblauch. 

MUSIKAKZENT  „Discombobulate“; ZEIT: 00:04

Es sollte bis 1836 dauern, dass der britische Chemiker James Marsh einen Apparat entwickelte, mit dem sich selbst kleine Mengen von Arsenik im Mageninhalt oder an Teilen einer Leiche wissenschaftlich nachweisen ließen. Dazu gab man zunächst Schwefelsäure und Zink in ein Reagenzglas und erzeugte so Wasserstoff. Dann gab man die Probe hinzu. Schließlich erhitzte man das Gemisch und hielt ein Porzellanstück hinein. Enthielt die Probe Arsen, so bildete sich am Porzellan ein gut sichtbarer, schwarzer Film.   

O-Ton 11 Wahrig

Und das konnte man dann in den Gerichtssaal tragen. Und damit war es in der Tat auch für Juroren, also wenn man Schöffen hatte - oder eben Geschworene oder Richter - ein [00:17:00] glaubhafter Beweis.“

Sprecherin

Die Zahl der Morde mit Arsen gingen mit Etablierung des Marsh-Tests schlagartig zurück. Und doch: Die letzten Geheimnisse von und um Arsen waren damit noch immer nicht gelüftet.

MUSIK  „The game is on”; ZEIT: 00:12

Bis nach Übersee drang Ende des 19. Jahrhunderts die Kunde von tollkühnen Pferdeknechten aus der Steiermark, die Arsen ganz freiwillig und in beträchtlichen Mengen als Droge konsumierten. 

MUSIK ENDE

O-Ton 12 Brugner

Kokain, Methamphetamin. Das ist wahrscheinlich das vergleichbarste mit Arsenik. (...) Man hat quasi klarere Gedanken, man kriegt leichteren Atem, man steigt leichter die Berge hinauf. Es wird auch beschrieben, die Leute hatten mehr Courage, waren rauflustiger. Das Sexualdrang wurde gesteigert. Also es war eigentlich ein Aufputschmittel.“

Sprecherin

Arsenesser waren zuerst die Berufsgruppen, die durch ihren Job mit der Substanz in Berührung kamen: Bergleute, Beschäftigte in Schmelzhütten - aber auch hart schuftende Holzarbeiter, die Arsenpulver gewissermaßen als Dopingmittel zu sich nahmen. Arsen brachte die Wangen von Pferdeknechten zum Glänzen, und das Fell ihrer Tiere zum Leuchten. „Man trank es, wurde jung - und nach einiger Zeit vom Teufel geholt“, schrieb der Volksdichter Peter Rosegger über seine arsenessenden Landsleute: Denn Arsen kann sich im Körper einlagern und bei Langzeitkonsum Krebs oder Nervenschäden verursachen. Und nicht selten ging die genaue Dosierung schief bei Konsumenten, die ohnehin eine geringe Lebenserwartung und wenig zu verlieren hatten. Doch warum überlebten andere gar jahrzehntelang den Konsum von Arsen, einem Gift, dessen tödliche Dosis zwischen 60 und 170 Milligramm – in etwa der Größe einer Tablette – liegt?

MUSIK  „Discombobulate“; ZEIT: 00:13

Die Kunde von diesen geheimnisvollen Bergbewohnern, die ein hochpotentes Gift aus reinem Spaß am Genuss konsumierten, machte europaweit die Runde. 

MUSIK ENDE

Sprecherin

Wie konnte es also sein, dass eine Person an einer minimalen Dosis Arsen qualvoll verendete - sich eine andere aber mit der drei- bis vierfachen Menge Hochgefühle verschaffte? Gab es schlicht einen Gewöhnungseffekt? Oder war es die Art der Aufnahme von Arsenik, das man wie Kandiszucker lutschen oder als feingemahlenes Pulver schlucken konnte? Die Wissenschaftlerin Gabriele Roider glaubt, dass dies am Mikrobiom der Arsenesser liegen könnte….

O-Ton 14 Roider

„...also die mikrobielle Besiedelung des Magen-Darm-Traktes sozusagen. Das ist das Mikrobiom, das setzt sich aus ganz vielen verschiedenen Bakterien und Mikroorganismen zusammen. Und da gibt es tatsächlich auch welche, die (…) das metallische Arsen in organisch gebundenes Arsen überführen. Dann ist es ungiftiger und kann auch besser über die Nieren ausgeschieden werden. Und so können auch bestimmte Bakterien im Mikrobiom tatsächlich Arsen entgiften, sodass es also vorstellbar ist, dass das möglicherweise der Mechanismus ist….

Dass die vielleicht ein bestimmtes Mikrobiom hatten und vielleicht das auch so ein bisschen gefördert haben durch diese relativ häufigere oder einigermaßen regelmäßige Arsen-Aufnahme und das Mikrobiom also die Bakterien im Magen-Darm-Trakt dann schon viel davon entgiftet haben, sozusagen und dann gar nicht so viel von dem Gift tatsächlich im Körper von diesen Arsenik-Essern angekommen ist.“

Sprecherin

Wie Arsen im menschlichen Organismus wirkt – das ist bis heute nicht bis ins Letzte verstanden. Aktuell konzentriert sich die Arsenforschung auf Kleinstmengen, die aus Gesteinsschichten unter der Erde ins Trinkwasser gelangen – und die Gesundheit von Millionen Menschen in Indien und Bangladesch, aber auch in den USA, Asien und Europa gefährden.

MUSIK  „Lucy's party”; ZEIT: 00:20

Doch Arsen hat - heute wie damals – nicht nur Schattenseiten. Als Mordgift und Aufputschmittel weitgehend passé, schickt sich das schillernde Halbmetall an, erneut Karriere als Arznei zu machen. 

MUSIK ENDE

O-Ton 16 Prof. Christopher Rensing

„Was einen am meisten wundert, ist, wie viele Gene es gibt, die irgendwie was mit Arsen zu tun haben.“

Sprecherin

...sagt der Mikrobiologe Christopher Rensing, der zu Arsen in Stoffwechselprozessen forscht.

Seit dem 19. Jahrhundert erforscht die moderne Medizin die Mechanismen, wie Arsen auch heilend in den menschlichen Stoffwechsel, den Metabolismus, eingreifen könnte. Die so genannte Fowler´sche Lösung, die Kaliumarsenit enthielt, senkte erfolgreich das Fieber von Patienten und wirkte als Heilwasser gegen Schuppenflechte. Schließlich wurde das „heilende Arsen“ ab 1910 zum ersten Mittel der modernen Chemotherapie. Mit „Salvarsan“ hatte der Mediziner und Nobelpreisträger Paul Ehrlich das erste wirksame Medikament gegen die Volksseuche Syphilis gefunden. Wegen starker Nebenwirkungen geriet das vermeintliche Wundermittel jedoch bald wieder in Vergessenheit.

Heute sehen Forscher wieder großes Potenzial für Arsen als Arznei. 

O-Ton 18 Rensing

„Arsenid-Trioxid, zusammen mit so einem Vitamin A-Derivat, wird das in der Krebsbekämpfung bei akuter promyelozyter Leukämie eingesetzt. (…)  Da kann man dann fragen: Ja, aber wenn das da funktioniert, warum soll das nicht dann bei Brustkrebs oder bei Lungenkrebs... warum soll das da nicht funktionieren? Aber dann ist da das Problem, wenn man da jetzt Arsen so einsetzen würde, dann wird die toxische Wirkung irgendwann zu viel sein. Und deshalb, dann, jetzt wird halt versucht, das Arsen gezielt an den Wirkungsort zu bringen.  Also, wenn man jetzt in Liposomen, also so kleine Fettkügelchen, wenn man da die Arsenverbindung reinbringt und dann so Moleküle da rein tut, dass die halt den richtigen target finden, dann ist natürlich die Hoffnung, dass man den Krebs auch gezielt dann bekämpfen kann.“

Sprecherin

Gemeinsam mit Kollegen fand der Professor Christopher Rensing außerdem heraus, dass Arsenpräparate auch dort wirken, wo herkömmliche Medikamente versagen: Etwa gegen einen Krankenhauskeim, der lebensbedrohliche Lungenentzündungen auslösen kann.  

MUSIK  „Lucy's party”; ZEIT: 00:45

O-Ton 19 Rensing

„Das, denke ich, wird auch viel Zukunft haben. weil es wird immer mehr zunehmen, dass Leute halt ins Krankenhaus kommen und nicht mehr behandelt werden können, weil die Antibiotika nicht mehr wirksam sind...da wird das natürlich dann auch wieder interessant dann, weil man natürlich eine Alternative auch braucht.(…) 

Sprecherin

So könnte Arsen - über Jahrhunderte als Werkzeug der Gift-Mörder verrufen - vielleicht dabei helfen, zwei gegenwärtige Geißeln der Menschheit zu besiegen – und vom verruchten Killer künftig vielleicht zum anerkannten Lebensretter werden.