Um 1900 suchen die Wiener Sezessionisten, allen voran Gustav Klimt, Anschluss an die europĂ€ische Avantgarde in der bildenden Kunst. Sie rebellieren gegen den rĂŒckwĂ€rtsgewandten Kunstgeschmack der etablierten Kunstinstitutionen und geben sich ein provokantes Motto: der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit. Von Brigitte Kohn
Um 1900 suchen die Wiener Sezessionisten, allen voran Gustav Klimt, Anschluss an die europĂ€ische Avantgarde in der bildenden Kunst. Sie rebellieren gegen den rĂŒckwĂ€rtsgewandten Kunstgeschmack der etablierten Kunstinstitutionen und geben sich ein provokantes Motto: der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit. Von Brigitte Kohn
Credits
Autorin dieser Folge: Brigitte Kohn
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Andreas Neumann
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Karin Becker
Im Interview:
Dr. Mona Horncastle, Kunsthistorikerin, Kuratorin, Autorin, Klimt-Biographin
Dr. Thomas Moser, Kunsthistoriker, technische UniversitÀt Wien
Literatur:
Horncastle, Monika, Weidinger, Alfred: Gustav Klimt. Die Biografie. BrandstĂ€tter Verlag Wien 2018. Gut lesbare, spannende Biografie ĂŒber den JahrhundertkĂŒnstler und die Wiener Kunstszene seiner Zeit.
Schulze, Sabine (Hrsg.): Sehnsucht nach GlĂŒck. Wiens Aufbruch in die Moderne. Klimt, Kokoschka, Schiele: Verlag Gernd Hatje 1997. Abbildungen, Bildinterpretationen, Essays zu einzelnen KĂŒnstlern, Motiven und europĂ€ischen Beziehungen der Sezession.
Moser, Thomas: Körper und Objekte. Kraft- und BerĂŒhrungserfahrungen in Kunst und Wissenschaft um 1900. Dissertation, Fink Verlag MĂŒnchen 2022. Wissenschaftliche Arbeit ĂŒber europĂ€ische Kunst um 1900 und die Querverbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft. Theoretischer Zugang: sinnesphysiologische Wahrnehmung, Tastsinn
Wunberg, Gotthart: Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Stuttgart Reclam 1981. Originaltexte der Literaten, Philosophen, Psychologen und sezessionsfreundlichen Publizisten (z. B. Hermann Bahr) der Wiener Moderne mit EinfĂŒhrung und ErlĂ€uterungen.
Vergo,Peter: Kunst in Wien Klimt-Kokoschka-Schiele. 1898 â 1918. Edel books NeumĂŒhlen o. J. Bildband mit viel TextÂ ĂŒber die im Untertitel genannten KĂŒnstler und andere KĂŒnstler der Wiener Sezession, inklusive der Architekten und der Wiener WerkstĂ€tte
Linktipps: Internetseite von GesprĂ€chspartnerin Dr. Mona Horncastle HIERWir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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ZITATOR BAHR:
âIn Europa weiĂ man von Wien, dass dort immer Sonntag ist, immer am Herd sich der SpieĂ dreht âŠ, dass es âhaltâ die Stadt der Backhendel, der feschen Fiaker und der weltberĂŒhmten GemĂŒtlichkeit ist.â
ERZĂHLERIN:
Der österreichische Schriftsteller Hermann Bahr hasst Wien und liebt es zugleich, wie viele seiner fortschrittlichen Zeitgenossen. Am Ende des 19. Jahrhunderts ist die Hauptstadt der österreich-ungarischen Doppelmonarchie einerseits so konservativ-katholisch geprĂ€gt wie eh und je und andererseits ein weithin ausstrahlender intellektueller Brennpunkt.Â
Musik:Â For Alban Berg 0â27
Die Wiener Moderne formiert sich. Literaten, bildende KĂŒnstler, Musiker und Wissenschaftler treffen sich in den CafĂ©hĂ€usern und fĂŒhren intensive Debatten. Die Industrialisierung und der Aufschwung von Technik und Naturwissenschaft verĂ€ndern das Leben und Denken, soziale Reformideen breiten sich aus, und rivalisierende politische Ideologien bekĂ€mpfen sich. Sigmund Freud entwickelt in Wien die Psychoanalyse, die auch die KĂŒnstler stark beeinflusst: Auch sie wenden sich nun verstĂ€rkt dem individuellen inneren Erleben zu. Derweil erbaut die Stadt Wien ihre berĂŒhmte RingstraĂe ganz im reprĂ€sentativen Stil des Historismus. Ein Prachtbau nach dem anderen erinnert entweder an die Antike, die Gotik oder die Renaissance, nur nicht an die Gegenwart. Das stört den Publizisten Hermann Bahr.
Musik:Â StĂŒck fĂŒr Klavier h-Moll 0â25
ZITATOR BAHR:
âWir sind keine barocken Menschen, wir leben nicht in der Renaissance, warum wollen wir so tun? Das Leben ist anders geworden, (âŠ) da muss auch das Bauen der Menschen anders werden, ihrem neuen Sinn und ihrem neuen Tun gemĂ€Ă.â
ERZĂHLERIN:
Nicht nur das Bauen, alle Kunst muss anders werden. Aber in den konservativen Wiener Kunstakademien und KĂŒnstlervereinigungen schottet man sich ab gegen die europĂ€ische Avantgarde, sehr zum Verdruss der jungen KĂŒnstlergeneration, die weltoffen sein und gleichzeitig die Eigenheit des Vielvölkerstaates Ăsterreich in die internationale Kunstszene einbringen will. Die Spannungen entladen sich im Jahr 1894 in einem Kunstskandal, wie Wien ihn noch nie erlebt hat. Der aufstrebende Dekorationsmaler Gustav Klimt soll die Aula der neuen UniversitĂ€t mit Allegorien auf die Philosophie, Theologie, Jurisprudenz und Medizin ausstatten. Klimt aber entfernt sich beim Malen seiner FakultĂ€tsbilder stark von den Vorstellungen der Honoratioren; er malt im Stil des modernen Symbolismus. Man sieht einen TotenschĂ€del im Bild der Medizin und einen nackten, alten, verzweifelt grĂŒbelnden Mann, umgeben von nackten, verfĂŒhrerischen Frauengestalten, im Bild der Philosophie: Eros und Tod kennzeichnen die Begrenztheit des menschlichen Strebens nach Wissen. Das missfĂ€llt den ehrengeachteten Professoren fast noch mehr als Klimts unkonventioneller Umgang mit Nacktheit. Bei ihm sieht man sehr viele lĂŒsterne Blicke und bisweilen sogar das Schamhaar!
Ein Proteststurm bricht los und fegt durch die ganze Stadt. Die Professoren sehen die Moral der studierenden Jugend gefÀhrdet, sagt die Kunsthistorikerin und Klimt-Biographin Mona Horncastle.
01 O-TON DR. MONA HORNCASTLE
Die möchten, dass er Dinge nachbessert, letztendlich zensieren sie ihn. Und Klimt ist erbost. Er rĂŒckt die Bilder auch gar nicht raus, zahlt sein Honorar zurĂŒck. Und in der Folge nimmt er nie wieder einen Staatsauftrag an.
Musik:Â Erinnerung fĂŒr Klavier 1â09
ERZĂHLERIN:
Es gibt neben Klimt viele weitere KĂŒnstler in Wien, deren Schaffen von den damals modernen Kunstrichtungen geprĂ€gt ist. Oft sind sie auf mehreren Gebieten gleichzeitig tĂ€tig. Klimts enger Freund Carl Moll malt hauptsĂ€chlich Landschaften und Stillleben im Stil des Impressionismus, er ist zugleich ein Meister des Holzfarbschnitts und betĂ€tigt sich auch als Kunstschriftsteller. Ernst Stöhr ist Maler, aber auch ein anerkannter Musiker und Dichter. Die KĂŒnste zueinander in Beziehung setzen, das wollen alle, die sich am 3. April 1897 in der âVereinigung der bildenden KĂŒnstler Ăsterreichsâ, kurz Wiener Secession genannt, zusammenschlieĂen. Neben den bereits Genannten entschlieĂen sich unter anderen auch der von Naturalismus und Realismus geprĂ€gte Maler Josef Engelhart, die Architekten Joseph Maria Olbrich, Otto Wagner und Josef Hoffmann und der Kunstgewerbler Koloman Moser fĂŒr eine Mitgliedschaft.Â
Die Bauten der sezessionistischen Architekten und Stadtplaner prĂ€gen Wien bis heute. Sie umfassen ein breites Spektrum, darunter Heil- und Pflegeanstalten, Villen, Kirchen und WohnhĂ€user. Es werden hĂ€ufig radikal neue Materialien wie Beton, Glas und Eisen verwendet, die widerstandsfĂ€hig gegen Umweltverschmutzung und WitterungseinflĂŒsse sind und dem wachsenden Hygienebewusstsein der Moderne Rechnung tragen. Die glasierten Platten an Otto Wagners Majolikahaus sind noch dazu, typisch fĂŒr den Jugendstil, mit farbenprĂ€chtigen floralen Motiven verziert. Â
Musik:Â Erinnerung fĂŒr Klavier 0â45
ERZĂHLERIN
Aber die kĂŒnstlerisch ĂŒberragende GröĂe unter den Sezessionisten ist Gustav Klimt, und er ist auch der erste PrĂ€sident der Sezession. Sezession bedeutet Abspaltung; gemeint ist die Abspaltung von etablierten kĂŒnstlerischen Traditionen und Institutionen wie den Kunstakademien der Zeit. Sezessionen gibt es auch in MĂŒnchen und etwas spĂ€ter auch in Berlin. Die Wiener verzichten auf ein Programm. Jeder KĂŒnstler geht seine eigenen Wege und knĂŒpft Kontakte zu unterschiedlichen Kollegen in anderen europĂ€ischen LĂ€ndern, um sie zur Teilnahme an den geplanten Ausstellungen zu bewegen, sagt der Kunsthistoriker Thomas Moser von der Technischen UniversitĂ€t Wien:
02 O-TON DR. THOMAS MOSER:
Diese sehr starke Vernetzung hat auch zu einem Stilpluralismus gefĂŒhrt. Ein Nebeneinander von sehr unterschiedlichen Stilen hat sich auch in der Sezession niedergeschlagen. Es ist eine sehr vielstimmige Bewegung.
Musik:Â 2. Satz Tempo di Menuetto 0â31
ERZĂHLERIN:
Die Zeitschrift der Wiener Sezessionisten, die im Januar 1898 zum ersten Mal erscheint, heiĂt âVer sacrumâ, ĂŒbersetzt âheiliger FrĂŒhlingâ. Sie ist graphisch sehr aufwĂ€ndig im Jugendstil gestaltet: geschwungene Linien, florale Formen. Das Titelblatt schmĂŒckt ein BĂ€umchen, dessen Wurzeln den Pflanztrog sprengen.Â
03 O-TON DR. THOMAS MOSER:Â
Der Jugendstil leitet sich sprachlich ab von der Zeitschrift âDie Jugendâ, die in MĂŒnchen verlegt worden ist. Letzten Endes muss man sagen, dass der Jugendstil eine Art Sammelbegriff ist, in Frankreich sind dann andere Begriffe, eben âArt Nouveauâ, die neue Kunst, eher ĂŒblich. In Spanien ist es der âModernismoâ, in Italien der âStile Libertiâ.
ERZĂHLERIN:
Ver Sacrum stellt Verbindungslinien zwischen bildender Kunst, Literatur und Musik her. Sie versteht sich als Gesamtkunstwerk und propagiert diese Idee: Alle KĂŒnste sollen zusammenwirken, damit sich die von Industrialisierung, von ethnischen Spannungen im Vielvölkerstaat und UmbrĂŒchen im sozialen GefĂŒge getriebene Epoche positiv in ihnen spiegeln und einer erlösten Zukunft zustreben kann.Â
04 O-TON DR. MONA HORNCASTLE:
Die Sezessionisten wollten nicht schockieren, sondern sie haben sehr stark auf Vermittlung gesetzt, weil sie die Kunst in den Alltag der Menschen bringen wollten. Die Sezessionisten hatten eine Mission und haben daran geglaubt, dass Kunst politisch ist. Weil sie das Leben Àsthetisiert oder verfeinert, wie man damals gesagt hat, und damit das Wertesystem der Gesellschaft. Das hehre Ziel der Sezessionisten war also nichts Geringeres als Weltrettung durch Kunst.
Musik:Â Poem fĂŒr Klavier 0â28
ERZĂHLERIN:
1898 organisieren die Sezessionisten die erste Ausstellung, in den RĂ€umen der Wiener Gartenbaugesellschaft.Â
Gezeigt werden vor allem Werke auslĂ€ndischer KĂŒnstler, die die Wiener noch nie gesehen haben. Die RĂ€ume sind kostbar ausgestattet. Jedes Bild kommt gut zur Geltung und korrespondiert mit seiner Umgebung; diese Sorgfalt ist etwas ganz Neues in dieser Zeit. Die Wiener, die in Scharen herbeiströmen, nehmen ein ganzheitliches Ă€sthetisches Erlebnis mit nach Hause. Selbst Kaiser Franz Joseph lĂ€sst sich empfangen, kauft aber nichts, hĂ€lt also Distanz. Doch viele reiche Wiener BĂŒrger wollen die Bilder haben, und anschlieĂend ist genug Geld in der Kasse, um ein eigenes AusstellungsgebĂ€ude in der NĂ€he des Karlsplatzes zu bauen.Â
05 O-TON DR.THOMAS MOSER:
ZunĂ€chst ist aber geplant gewesen, den Bau fĂŒr die Sezession am Opernring noch prestigetrĂ€chtiger zu platzieren. Das hat allerdings sowohl im Gemeinderat als auch im Kriegsministerium, das wĂ€re gegenĂŒber gewesen und war Besitzer des Baugrunds, zu heftigen Diskussionen gefĂŒhrt. Das Kriegsministerium hat befĂŒrchtet, dass seine LĂ€ndereien durch die vermeintlich modernistische Verschandelung an Wert verlieren wĂŒrden, und enorme Preise aufgerufen, so dass als Kompromiss ein anderer Ort gefunden worden ist.
ERZĂHLERIN:
Der Sezessionsbau gilt mit seinen kubischen Formen und seiner auffÀlligen Kuppel aus vergoldeten schmiedeeisernen LorbeerblÀttern
als programmatische Absage an den Historismus und als Paradebeispiel fĂŒr den Jugendstil in der Architektur. Er ist in moderner Weise zweckgebunden, widersteht aber mit seinem reichen Dekor und den edlen Materialien der funktionalen NĂŒchternheit des Industriezeitalters. Unterhalb der Kuppel prangt das Motto der Wiener Sezession in goldenen Buchstaben.
ZITATOR:
Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.
Musik:Â Ode an die Freude 0â49Â
ERZĂHLERIN:
Im Jahre 1902, anlĂ€sslich der 14. Ausstellung, bekommt die Ăffentlichkeit Klimts Beethovenfries zu sehen, der noch heute im SezessionsgebĂ€ude betrachtet werden kann.Â
07 O-TON DR. MONA HORNCASTLE:
Beethoven um 1900 â das war ein Superstar. Klimt malt sich an seinem Fries an der 9. Sinfonie entlang. Die hat Richard Wagner als Erster als Gesamtkunstwerk bezeichnet. Das verarbeitet Klimt, und natĂŒrlich verarbeitet er auch Schillers Ode an die Freude. Die ist bei ihm im Bild aber nicht nur ein Triumphgesang, sondern das war Beethovens Gassenhauer zu der Zeit. Die Melodie hatte echt jeder im Ohr. Und so hat es Klimt geschafft, ein synĂ€sthetisches Gesamtkunstwerk zu schaffen in seinem Fries, und da packt er dann noch ganz viel Zeitgeist rein, weil: Was Klimt da malt, das ist musikalisch, das ist eine kultische Verehrung Beethovens als Genie, und das ist ein existentieller Fiebertraum.Â
ERZĂHLERIN:
Der Fries, eine zusammenhĂ€ngende Bilderfolge, zeigt den Menschen, so schildert es Klimts Biografin Mona Horncastle, in seinem Ringen mit Krankheit, Wahnsinn und Tod, mit seiner Sehnsucht nach GlĂŒck und ErfĂŒllung, und alles strebt auf das eine triumphale Ziel hin: Freude schöner Götterfunken, die Ode an die Freude. Zwischendrin zeigt auch ein Affe seine ZĂ€hne. Möglicherweise erinnert er an die Macht der sexuellen Triebe, die Sigmund Freud aus der Tabuzone geholt hat, möglicherweise auch an Darwins Evolutionstheorie, die im 19. Jahrhundert das Menschenbild und das NaturverhĂ€ltnis revolutioniert. Die konservativen Wiener BĂŒrger wollen aber durchaus nicht vom Affen abstammen und Ă€rgern sich auch und zum wiederholten Male ĂŒber Klimts nackte Frauen, weil diese eben nicht so zĂŒchtig aussehen wie die nackten Liebesgöttinnen der Kunstgeschichte.
Die Wiener hĂ€tten sich mit Klimts nackten Frauen vielleicht ganz gern arrangiert, wenn er sie ausschlieĂlich im Glanz der Jugend dargestellt hĂ€tte âŠÂ
09 O-TONÂ DR. MONA HORNCASTLE:
Aber Klimt zeigt sie eben in allen Lebensphasen. Er zeigt sie jung und alt und schwanger und krank und gebrechlich. Das macht er in seinen symbolistischen GemĂ€lden wie eben auch in dem Beethovenfries immer, weil er das Leben nicht beschönigen möchte und weil das ganz existentiell ist fĂŒr sein VerstĂ€ndnis des Gesamtkunstwerkes. Na ja, was seine Kritiker aber sehen, ist vor allem das Skandalöse.Â
ERZĂHLERIN:Â
Dabei kann Klimt noch ganz anders. Seine Aktzeichnungen hĂ€lt er zu Lebzeiten sorgfĂ€ltig unter Verschluss. Mit Frauen, die sich selbst befriedigen, wĂ€re die Ăffentlichkeit heillos ĂŒberfordert gewesen. Es reicht schon, dass Klimt niemals heiratet, aber LiebesverhĂ€ltnisse mit einigen seiner Modelle unterhĂ€lt und einige uneheliche Kinder hat.
10 O-TON HORNCASTLE:
Klimt legt diese Zeichnungen immer als Serie an, mit bis zu 15 BlÀttern, und auf diesen BlÀttern sehen wir alle Stadien der weiblichen Selbstliebe. Klimt setzt in ihnen der Lust der Frau ein Denkmal und gesteht den Frauen zu, was seine Geschlechtsgenossen ihnen absprechen. NÀmlich sexuelle Selbstbestimmung und damit Macht.
Musik:Â 4. Satz Adagietto 0â51
ERZĂHLERIN:
Klimt setzt die Frauen auch in seiner PortrĂ€tkunst machtvoll in Szene, allerdings ganz anders. Vom Körper sind nur Gesicht und HĂ€nde sichtbar, der Rest verschwindet unter ornamentreichen GewĂ€ndern, die, flĂ€chig gestaltet, mit dem ebenso ornamental gestalteten Hintergrund verschmelzen. Betrachtet man Gesicht und HĂ€nde, so findet man einen Zugang zum Seelenleben der dargestellten Frau, man kann sich ihren einzigartigen Charakter vorstellen; wĂ€hrend die prachtvolle Ornamentik die allgemeine kulturelle Bedeutung von Weiblichkeit fĂŒr das Kunstschaffen in Szene setzt und den reprĂ€sentativen Charakter des GemĂ€ldes betont.
Diese PortrĂ€ts sind regelmĂ€Ăiger Teil der Ausstellungen und Klimts Haupteinnahmequelle. Die Auftraggeber stammen meist aus dem jĂŒdischen GroĂbĂŒrgertum. NatĂŒrlich sind nicht alle Wiener Juden reich, es strömen auch zahllose bitterarme Juden gerade aus dem Osten in die Hauptstadt des Kaiserreiches; aber wenn sie reich und gebildet sind, so haben sie oft einen unkonventionelleren Kunstgeschmack, als das katholische BĂŒrgertum, und unterstĂŒtzen vor allem Klimt, aber auch andere Sezessionisten groĂzĂŒgig mit AuftrĂ€gen und ihrer SammlertĂ€tigkeit. Klimt kann sich seine Kunden aussuchen.
12 O-TON DR. MONA HORNCASTLE:
Wenn ihn eine Frau ihn nicht interessiert, dann portrĂ€tiert er sie nicht. Das war ĂŒbrigens nicht ganz gĂŒnstig. Ein PortrĂ€t von Klimt hat so ungefĂ€hr 10 000 Kronen gekostet, das entspricht knapp siebzigtausend Euro.Â
MUSIK:Â 4 StĂŒcke fĂŒr Klarinette und Klavier, Nr.3 sehr rasch 0â38
ERZĂHLERIN:
Um 1900 gibt es Spannungen im GeschlechterverhĂ€ltnis, denn immer mehr Frauen wollen sich der mĂ€nnlichen Dominanz entziehen und auf eigenen Beinen stehen. Warum wendet die Frau in Klimts berĂŒhmtem Bild âDer Kussâ ihr Gesicht ab und bietet dem Mann nur die Wange dar? HĂ€lt sie die Hand des Mannes auf ihrer Schulter fest, um ihn von gewagteren Erkundungen abzuhalten? Will sie AbhĂ€ngigkeit vermeiden, ihre SouverĂ€nitĂ€t behaupten, bei aller im wörtlichen Sinne kniefĂ€lligen Hingabe an den bewunderten Geliebten? Manche Experten erkennen im Antlitz der Frau Klimts enge GefĂ€hrtin Emilie Flöge, die als selbststĂ€ndige Designerin arbeitet. Unter anderem entwirft sie locker fallende, modern gemusterte Reformkleider, um die Frauen von Korsett und Mieder zu befreien, sagt Mona Horncastle.
13 O-TON MONA HORNCASTLE
Die beiden, die Starken, als Liebespaar, haben eine AffĂ€re. Die beendet Emilie aber, weil Klimt notorisch untreu ist. Aber sie bleiben, trotz allem, enge Vertraute, und sie teilen sich auch ihre Auftraggeberinnen. Ihr Atelier lĂ€sst sich Emilie Flöge ĂŒbrigens von der Wiener WerkstĂ€tte einrichten, und wenn man eine Tapete der Wiener WerkstĂ€tte mit einem Stoffmuster von Emilie Flöge vergleicht, dann sieht man sofort die geistige und auch die Ă€sthetische NĂ€he.Â
ERZĂHLERIN:
1903 wird diese Wiener WerkstĂ€tte im Umfeld der Sezession gegrĂŒndet. Sie verbindet die elaborierten Techniken des traditionsreichen österreichischen Kunsthandwerks mit dem Formenreichtum des neuen Jugendstildesigns. AusgewĂ€hlte Arbeiten wie zum Beispiel MöbelstĂŒcke werden regelmĂ€Ăig auch auf den Ausstellungen gezeigt. SchlieĂlich hat schon die erste Ausgabe der Zeitschrift Ver sacrum ihren Lesern versprochen, dass die Kunst auch den Alltag der Menschen erhellen solle:
Musik:Â Sonate fĂŒr Klavier op 1 0â32
ZITATOR VER SACRUM:
 âWenn du keine Bilder magst, so wollen wir dir deine WĂ€nde mit herrlichen Tapeten schmĂŒcken. ⊠Oder willst du ein köstliches Geschmeide, ein seltsam Gewebe, um dein Weib oder deine Geliebte damit zu schmĂŒcken? âŠÂ Wir wollen dir beweisen, dass du eine neue Welt kennen lernst, dass du ein Mitdenker und ein Mitbesitzer von Dingen bist, deren Schönheit du nicht ahnst, deren SĂŒĂe du noch nie gekostet hast!"
ERZĂHLERIN:Â
Einer der GrĂŒnder der Wiener WerkstĂ€tte ist der Ă€uĂerst vielseitig begabte Koloman Moser, der als Graphiker, Ausstellungsgestalter und Möbel- und Stoffdesigner arbeitet. Moser bereichert den hauptsĂ€chlich floral geprĂ€gten Wiener Jugendstil um geometrische Formen und lĂ€sst sich auch von japanischer Kunst inspirieren. Die Produkte der Wiener WerkstĂ€tte sind meist kostbar und teuer.
14 O-TON DR. THOMAS MOSER:
GrundsĂ€tzlich ist es so, dass die Idee des Gesamtkunstwerks, die VerschrĂ€nkung zwischen Kunst und Leben, bis heute ein wichtiges kĂŒnstlerisches Thema geblieben ist. Man muss aber schon feststellen, dass das Vorhaben, Kunst zu demokratisieren, letztlich als gescheitert zu bewerten ist, weil es sich eben doch um ElitenphĂ€nomene gehandelt hat.Â
ERZĂHLERIN:
Bald werfen groĂe Fabrikanten preiswerte Kopien auf den Markt, und der Jugendstil wird zur Modeerscheinung. Der wachsende Erfolg und die unvermeidliche Kommerzialisierung fĂŒhren dazu, dass unterschiedliche Kunstauffassungen innerhalb der KĂŒnstlervereinigung nicht mehr wie frĂŒher integriert werden können, sondern zu heftigen Streitigkeiten fĂŒhren. Soll man das Kunstgewerbe nicht lieber lassen und sich ganz auf die Malerei konzentrieren, soll man Klimts innovativem Wagemut folgen oder sich doch mehr auf impressionistische und naturalistische Malweisen konzentrieren, die zu dieser Zeit fĂŒr viele Mitglieder modern genug waren? Vor allem Josef Engelhart, ein damals berĂŒhmter Maler und einflussreich im Kreis der Sezessionisten, opponiert gegen Klimts Hang zu Ornament, Ăsthetizismus und Abstraktion, und seine AnhĂ€nger stimmen ihm zu. Fronten bilden sich, und schlieĂlich treten Gustav Klimt, Koloman Moser, Carl Moll und andere aus der Sezession aus. Diese besteht, mit Unterbrechung durch ein Verbot durch die Nationalsozialisten, bis heute fort und widmet sich der Förderung avantgardistischer Kunst der Gegenwart. Noch heute betont sie ihre UnabhĂ€ngigkeit, genau wie ihre fest in den Kanon der Kunstgeschichte eingegangenen GrĂŒndervĂ€ter um 1900. Thomas Moser sagt,
15 O-TON THOMAS MOSER:
â⊠dass die Sezession als Teil einer sehr viel gröĂeren, auch lĂ€nger andauernden gesamteuropĂ€ischen Entwicklung zu verstehen ist, die Kritik an den etablierten Einrichtungen des Kunstbetriebs geĂŒbt hat und eine vehemente Kritik am Kunstmarkt. Das wĂ€re spĂ€ter, soweit kann man sich vielleicht aus dem Fenster lehnen, nicht denkbar gewesen, hĂ€tten nicht unter anderem die Wiener Sezessionisten diese Pionierarbeit geleistet.
Musik: Abend auf dem Lande fĂŒr Klavier 1â09
ERZĂHLERIN:
Nach 1905 haben die verbliebenen Sezessionisten mit dem Problem zu kĂ€mpfen, dass nicht sie selbst, sondern die AbtrĂŒnnigen um Klimt die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Klimts Ruhm strahlt inzwischen so hell, dass er keine Gruppe mehr braucht. Klimt ist es auch, der die nachfolgende KĂŒnstlergeneration groĂzĂŒgig fördert, Egon Schiele und Oskar Kokoschka vor allem. Ohne das groĂe Vorbild Klimt ist Egon Schieles Werk nicht zu denken, wenn auch Schieles Erkundung von Körper und Seele des verstörten modernen Menschen mit allem Ornamentalen bricht und viel radikaler wirkt. Dazu mag auch der 1. Weltkrieg beigetragen haben, der das Vertrauen in das groĂe Versprechen der sezessionistischen Kunst, die Welt zu einem schöneren und besseren Ort zu machen, nachhaltig erschĂŒttert hat. Der Expressionismus bricht sich Bahn â und mit ihm wird ein neues Kapitel der Kunstgeschichte aufgeschlagen.