Die Landschaft der Hallertau wird geprägt von Hopfengärten mit ihren acht Meter hohen RankgerĂźsten. Es ist vielen Innovationen und dem technischen Geschick der Hopfenbauern zu verdanken, dass die Hallertau heute das grĂśĂte Hopfenanbaugebiet der Welt ist. Von Renate Ell
Die Landschaft der Hallertau wird geprägt von Hopfengärten mit ihren acht Meter hohen RankgerĂźsten. Es ist vielen Innovationen und dem technischen Geschick der Hopfenbauern zu verdanken, dass die Hallertau heute das grĂśĂte Hopfenanbaugebiet der Welt ist. Von Renate Ell
Credits
Autorin dieser Folge: Renate Ell
Regie: Anja Scheifinger
Es sprachen: Caroline Ebner, Frank Heilbach
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Dr. Christoph Pinzl, Direktor des Deutschen Hopfenmuseums, Wolnzach
Walter KÜnig, Geschäftsfßhrer des Bayeri-schen Brauerbundes und der Gesellschaft fßr Hopfenforschung
Hans Schreier, Hopfenpflanzer, Pfaffenhofen an der Ilm
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Linktipps:
Hopfen aus der Hallertau - Film von 1964 in der ARD-Mediathek (alpha retro)
Bitterstoff - Blog des Deutschen Hopfenmuseums in Wolnzach
Publikationen des Deutschen Hopfenmuseums, u.a. "Die Hopfenregion. Hopfenanbau in der Hallertau - Eine Kulturgeschichte" von Christoph Pinzl
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZĂHLERIN
So ein HopfengerĂźst ist ein massives Bauwerk: Viele mächtige Holzsäulen. In sieben Metern HĂśhe: waagerechte Drähte. Und von dort nach unten: senkrechte Drähte, um die sich die Hopfenranken winden. Sie sprieĂen jedes Jahr aufs Neue aus ihren WurzelstĂścken, die bis zu 50 Jahre alt werden.Â
Im zeitigen FrĂźhjahr hat der Hopfenpflanzer Hans Schreier in Pfaffenhofen an der Ilm die WurzelstĂścke beschnitten, um das Wachstum anzuregen. Und dann geht es ganz schnell.Â
(1. ZUSP.) HANS SCHREIER
In dem Augenblick, wo wir Temperaturen um die 20 Grad oder auch 25 Grad bekommen, dann kann der ganz viel und teilweise pro Tag 20, 30 Zentimeter Wachstum vorlegen, und dann hast Du innerhalb weniger Tage eine Pflanze, die dann eigentlich unbedingt Hilfe braucht â das sind dann mehrere Triebe, die man dann an die Drähte anleitet.
ERZĂHLERIN
Deshalb gehen im April Helferinnen und Helfer von Pflanze zu Pflanze und winden ausgewählte Ranken um die Drähte.
(2. ZUSP.) HANS SCHREIER
Wenn man das versäumt, oder das Personal nicht zur Verfßgung steht, dann hat man Mehrarbeit, weil er dann eigentlich schon zu weit ist, und dann muss man das mit viel mehr Aufwand bewältigen.
ERZĂHLERIN
Auch heute verlangt der Hopfen noch viel Handarbeit. Bis Maschinen wenigstens die schwersten Arbeiten ßbernehmen, bis Drahtgerßste die Hallertauer Landschaft prägen: Das ist eine Geschichte von Krisen und Innovationen.
MUSIK ELECTROCHEMICAL (LĂNGE: 0´28´´) UNTER:
ERZĂHLERIN
Seit Bier gebraut wird, braucht man dafĂźr Hopfen â zunächst vor allem um es frisch zu halten, denn Hopfen wirkt anti-bakteriell. Und seit dem Reinheitsgebot von 1516 ist Hopfen auch das einzig erlaubte GewĂźrz. UrsprĂźnglich wird Hopfen praktisch Ăźberall auf kleinen Flächen fĂźr den lokalen Brauerei-Bedarf angebaut, sagt Christoph Pinzl, Direktor des Deutschen Hopfenmuseums in Wolnzach.
(3. ZUSP.) CHRISTOPH PINZL
Es gibt ein paar so Inseln, die etwas mehr machen, ein bisschen ßber-regionaler arbeiten, die Hallertau ist bis ins achtzehnte Jahrhundert auf alle Fälle kein Hopfenanbaugebiet. Es gibt Hopfen, vielleicht gibt es auch ein bisschen mehr als anderswo, aber als Anbaugebiet, da wäre ich sehr vorsichtig.
MUSIK M MASSIVE_1193_008_THE TICK-TOCK OF TIME_LARS KURZ (LĂNGE: 0´42´´) UNTER:
ERZĂHLERIN
Im 19. Jahrhundert ändert sich Entscheidendes. Der kleinräumige Anbau fĂźr den lokalen Bedarf war das Metier von GroĂgrundbesitzern und dem BĂźrgertum, ein Nebenverdienst fĂźr Ărzte und Lehrer. Einfache Bauern hingegen sind zur so genannten Dreifelderwirtschaft verpflichtet, dem Wechsel einjähriger Kulturen auf den Ăckern â die sie auch nur gepachtet haben. Erst als sie ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts ihren eigenen Grund nach eigenen Plänen bewirtschaften kĂśnnen, wird der Hopfen fĂźr sie interessant. Weil sie ohne den Zwang der Dreifelderwirtschaft eine mehrjährige Kultur anbauen kĂśnnen. Und weil sie selbst Zugang zum Markt bekommen.
[[(4. ZUSP.) CHRISTOPH PINZL
Hopfen esse ich nicht selber auf. Das bringt mir direkt gar nichts, ich brauche einen Markt, und diesen Markt muss ich beliefern dĂźrfen, so wie ich das meine.]]
M MASSIVE_1193_006_THE TICK-TOCK OF TIME_LARS KURZ (LĂNGE: 0´55´´) UNTER:
ERZĂHLERIN
Der Markt ist da: Die BevĂślkerung nimmt zu, in Bayern von 1816 bis 1870 um mehr als ein Drittel. Und immer mehr Menschen wollen Bier trinken. Damit ist der Weg geebnet fĂźr den lukrativen, groĂflächigen Anbau. Aber kaum kommt der in Schwung, gibt es auch schon die erste Krise: HĂślzerne Hopfenstangen, die ursprĂźngliche Rankhilfe, werden knapp und entsprechend teuer. Zwar gibt es schon lange Ideen fĂźr GerĂźste mit Schnur oder Draht als Rankhilfe. Aber die Bauern sind zunächst skeptisch gegenĂźber diesen Experimenten von GroĂgrundbesitzern und Gelehrten. Die Hallertauer Hopfenbauern entwickeln lieber ihr eigenes, so genanntes Bock-GerĂźst. DafĂźr brauchen sie zwar auch viel Holz. Die nĂśtigen Bauteile kĂśnnen sie aber, anders als die extralangen Hopfenstangen, aus dem eigenen Wald holen und selbst zusammennageln. Statt teure Baumaterialien einzukaufen.
(5. ZUSP.) CHRISTOPH PINZL
Eigentlich zwar schon ein modernes Gerßst, auf der anderen Seite relativ unpraktisch, weil es mit sehr viel Querstangen aufgebaut hat werden mßssen, und gerade die alten Hopfenbauern haben mir immer beschrieben, wie gefährlich das auch war.
ERZĂHLERIN
Bauern stĂźrzen beim Zusammenbau von der hohen Leiter, verletzen sich schwer, sogar tĂśdlich. Querstangen fallen herunter und erschlagen Erntehelfer.
(6. ZUSP.) CHRISTOPH PINZL
Aber man hat so versucht, da den richtigen Durchschlupf zu finden. Man war modern, aber nicht ganz modern. Ich behauptet, das ist auch mit ein Geheimnis der Hallertau. So ein bissel diese Eigensinnigkeit, diese Eigenständigkeit schon bewahren, aber irgendwo merken: Ab einem gewissen Punkt muss ich jetzt mitmachen.
[[ERZĂHLERINÂ Â Â TEILKĂRZUNGEN MĂGLICH, VORLETZTE KĂRZUNG
Ein wichtiges Vorbild ist ein Hof, den eine englische Hopfen-Handelsfirma in den 1860er-Jahren kauft und dort mit modernsten Techniken arbeitet.
(7. ZUSP.) CHRISTOPH PINZL
Wir wissen auch, dass die Leute da in Scharen hin gepilgert sind und sich das anschauen.Â
[[ERZĂHLERIN
So stehen in der Hallertau bis 1930 Ăźberall DrahtgerĂźste. Fränkische Hopfenbauern verwenden noch in den 1950er-Jahren Hopfenstangen â ihr Anbaugebiet wird dann immer kleiner.]]
MUSIK MASSIVE_1182_009_FORCED FLOATATION_MANUEL LOOS; LARS KURZ (LĂNGE: 1´03´´) UNTER:
ERZĂHLERIN
Parallel zu den GerĂźsten werden auch die Werkzeuge nach und nach moderner. Vor allem das FrĂźhjahr ist ursprĂźnglich geprägt von schwerster Handarbeit. Erst befreit man die HopfenstĂścke mit einer primitiven âHopfenhaueâ vom Frostschutz aus Erde â da werden Tonnenlasten bewegt. Auch von Frauen. Mit dem Aufkommen der GerĂźste stehen die StĂścke weiter auseinander, und Hallertauer Schmiede entwickeln extra schmale PflĂźge, sodass Ochsen oder Pferde die Last Ăźbernehmen kĂśnnen. Solche lokalen Innovationen sind im Hopfenbau die einzige MĂśglichkeit zur Modernisierung, denn der Markt dieser speziellen Kultur ist viel zu klein fĂźr Ăźberregionale Firmen. Manche Bauern tĂźfteln auch selbst, bauen sich eigene Werkzeuge, um sich ihre harte Arbeit zu erleichtern. Dem stehen aber nicht selten Traditionen entgegen. Davon erzählt einer der alten Hopfenbauern, geboren 1919, die Christoph Pinzl fĂźr sein Buch âDie Hopfenregionâ interviewt hat:
M ZITATE: DRAMEDY EN MINIATURE (E) (LĂNGE: 0´40´´) UNTER:
(8. ZUSP.) ZITATOR (Pinzl: Die Hopfenregion, S. 144)
Die meisten Bauern haben gesagt, der Hopfenstock darf nicht geschnitten werden, der verblutet. Jetzt hastâ alles mit den Händen auszupfen mĂźssen. Da hastâ arbeiten mĂźssen wie ein VerrĂźckter, damit du beim Ausputzen mitkommst. [âŚ] Hände haben wir gehabt wie von Teer. Kohlrabenschwarz. Das hat Monate gedauert, bis du das Zeug wieder weggebracht hast. [âŚ] Also, der Hopfenstock ist ja behandelt worden, als wie ein Diamant.
ERZĂHLERIN
Moderne Drahtanlagen, neue Geräte, bald auch erste, extra schmale Schlepper â der Hopfenanbau wird effizienter, und belegt immer mehr Fläche in der Hallertau. Es geht voranÂ
MUSIK SOFDU UNGA (LĂNGE: 0´30´´) UNTER:
â und dann kommt die fast vernichtende Krise der 1920er-Jahre: Hopfenpflanzen verfärben sich rĂśtlich, werden welk, sterben ab. Die Ursache ist ein Pilz namens âPeronosporaâ. Der Ertrag sinkt auf ein Viertel der Ăźblichen Menge. Brauerbund und Hopfenhandels-Verband grĂźnden 1926 in Wolnzach die Gesellschaft fĂźr Hopfenforschung; Walter KĂśnig ist heute ihr GeschäftsfĂźhrer.Â
(9. ZUSP.) WALTER KĂNIG
Die GrĂźndung der Gesellschaft fĂźhrt darauf zurĂźck, dass die Brauwirtschaft, weil sie ans Reinheitsgebot gebunden ist, Angst hatte keinen Hopfen mehr zu bekommen.Â
ERZĂHLERIN
Man erprobt GegenmaĂnahmen und berät die Bauern, die jetzt erstmals mit Pflanzenschutzmitteln hantieren.Â
(10. ZUSP.) WALTER KĂNIG
[[Man damals, wenn man Bilder heute betrachtet von frĂźher, Ăźberhaupt nicht auf SchutzmaĂnahmen der Person geachtet,]] die sind da drin gestanden mit der kurzen Hose ohne Atem-Maske und haben zwar den Hopfen gespritzt, aber sich selber sicherlich auch mit geschädigt.
ERZĂHLERIN
Christoph Pinzl zitiert in seinem Buch die Erinnerung eines Hopfenbauern an die ersten Erfahrungen mit der Chemie:
M ZITATE: DRAMEDY EN MINIATURE (E) (LĂNGE: 0´15´´) UNTER:
(11. ZUSP.) ZITATOR (Pinzl: Die Hopfenregion, S. 160)
Gespritzt hat man mit Kupferkalk Wacker und mit Kupfervitriol. Das war sauber giftig. Wenn du das länger als eine Stunde in einem Kßbel gehabt hast, dann war der durch. Das hast du nur im Holzfass machen dßrfen.
ERZĂHLERIN
Der Pflanzenschutz fordert auch Investitionen. Kleine tragbare âBuckel-Spritzenâ oder âSchubkarren-Spritzenâ bringen nur mit MĂźhe genug Druck auf, um die SpritzbrĂźhe mehrere Meter hoch an die Hopfenreben zu befĂśrdern. Also braucht man eine Maschine.
(12. ZUSP.) CHRISTOPH PINZL
Und wenn du eine vernĂźnftige gekauft hast, dann waren das schon wieder 2000 Mark. Das ist extrem viel Geld in der Zeit -Â
ERZĂHLERIN
In der Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg, mit beginnender Wirtschaftskrise.Â
MUSIK ELECTROCHEMICAL (LĂNGE: 1´06´´) UNTER:
Doch nun ist die Hopfenversorgung wieder gesichert, und im Sommer leuchten die BlĂźten hellgrĂźn zwischen dem dunklen Laub. Dolden werden sie genannt, was botanisch nicht korrekt ist. Sie erinnern an winzige Tannenzapfen, drei, vier Zentimeter lang, mit versetzt Ăźbereinanderliegenden Blättchen. Sie verbergen die Quelle fĂźr den aromatischen Duft reifer Hopfendolden.Â
(13. ZUSP.) WALTER KĂNIG
Das ist das Lupulin, das sind goldgelbe, kleine Kristallkßgelchen, die beinhalten eben die wichtigen Stoffe, das ist die Bittersäure, die das Bier bitter macht, und es sind die HopfenÜle, die dieses markante florale Hopfenaroma ins Bier bringen, was in diesen Lupulin-KÜrnern drin ist.
ERZĂHLERIN
Von der sieben Meter hoch rankenden Pflanze mit ihrem dichten Blattwerk braucht man also nur den allerkleinsten Teil: dieses Pulver in den Hopfendolden, das Lupulin. Und deshalb ist die Ernte so aufwändig: Die Dolden mĂźssen vom Rest getrennt werden.Â
M LUISE (LĂNGE: 0´35´´) UNTER:
Mit der zunehmenden Anbaufläche sind die Landwirte seit Ende des 19. Jahrhunderts fĂźr dieses âHopfen-Zupfenâ auf Hilfe von auĂen angewiesen. FĂźr drei Wochen ab Mitte August herrscht Ausnahmezustand: In Spitzenzeiten kommen bis zu 150.000 Erntehelfer in die Hallertau â mehr als dort wohnen. Es sind Wanderarbeiter, die anderswo bei der Getreide- oder Kartoffelernte helfen. Oder Menschen aus dem Bayerischen Wald, die einen Zuverdienst gut brauchen kĂśnnen.Â
(14. ZUSP.) CHRISTOPH PINZL
Wir haben schon die Schilderungen gerade auch noch um die JahrhundertÂŹwende, bis zum Ersten Weltkrieg, da ging es schon auch rund, also nicht nur immer lustig rund, sondern auch viele Streitereien bis hin zu Mord und Totschlag,Â
M LUISE (LĂNGE: 0´56´´) UNTER:
ERZĂHLERIN
Denn es kommen sehr viele Menschen auf sehr engem Raum zusammen, schlafen in Wirtshaussälen oder Scheunen. Legendär sind allerdings eher die Erzählungen von frĂśhlichem Beisammensein am Abend â (das folgende leicht anzĂźglich betonen) und manchmal auch in der Nacht. Die Helfer brauchen einen Ausgleich fĂźr die Akkordarbeit: Tag fĂźr Tag die Dolden von den rauen Pflanzen zupfen, ohne Handschuhe, die die Fingerfertigkeit behindern wĂźrden, ohne helfende Gerätschaften. Am Abend gibt es vielleicht Schweinefett fĂźr die geschundenen Finger. Und dann: kommt der letzte Tag der Ernte.
(15. Zusp.) Christoph Pinzl
Da ist sozusagen Abschlussfeier, das Hopfenmahl, da kann jeder essen und trinken, was er will, [[und essen und trinken war sehr wichtig lange Zeit fĂźr alle Beteiligten,]] das Geld wird ausbezahlt, [[ich habe jetzt sozusagen knapp drei Wochen gearbeitet, jetzt kriege ich erst Geld, und kriege richtig Geld auf die Hand,]] alle sind glĂźcklich, alle zufrieden, und das nehmen die mit nach Hause.
ERZĂHLERIN
In den schwierigen 1920er-Jahren kommen auch Arbeitslose aus den GroĂÂŹstädten, während des Zweiten Weltkriegs werden SchĂźler und Mitglieder der Hitlerjugend oder des Bundes Deutscher Mädel zwangsverpflichtet â sie schaffen aber nicht so viel wie geĂźbte Hopfen-Zupfer. Nach Kriegsende helfen FlĂźchtlinge bei der Ernte. Viele Frauen bringen ihre Kinder mit, es herrscht eine freundlich-familiäre Stimmung. Aber bald ist kaum noch jemand auf den Lohn fĂźr drei Wochen mĂźhselige Arbeit wirklich angewiesen. Und schlieĂlich ist auch der Zuverdienst kein ausreichender Anreiz mehr. Die nächste Krise in der Hallertau: Die Hopfendolden sind reif, aber kaum jemand ist da, um sie zu ernten. Und diesmal ist die LĂśsung eine in jeder Hinsicht gewaltige Innovation: 1955 kommt die erste Hopfen-PflĂźckmaschine in die Hallertau, aus England. Jetzt reiĂen Finger aus Metall die Dolden ab â nur ein paar Helfer mĂźssen dem furchteinflĂśĂenden stählernen Monstrum die Hopfenreben zufĂźhren. 60-tausend Mark kostet die Maschine, so viel wie zwei Einfamilienhäuser in MĂźnchen. Dazu braucht man eine Halle â die Maschine ist 25 Meter lang, acht Meter hoch. Einer der Hopfenbauern, die Christoph Pinzl interviewt hat, erinnert sich:
M ZITATE: DRAMEDY EN MINIATURE (C) (LĂNGE: 0´12´´) UNTER:
(16. ZUSP.) ZITATOR (Pinzl: Die Hopfenregion; S. 234)
Seitdem, dass die Hopfenzupfmaschine auf dem Hof ist, kommst Du aus den Schulden nicht mehr raus. Weil die RĂśsser sind frĂźher immer nachgewachsen.
ERZĂHLERIN
Die unvermeidliche Investition in neue Technik lohnt sich nur fĂźr grĂśĂere Mengen, deshalb geben kleinere HĂśfe den Anbau auf. Ende der 50er-Jahre gab es knapp 8000 [[Hopfen-Betriebe]] in der Hallertau, zur Jahrtausendwende noch knapp 1600 â derzeit gut 800.
MUSIK ELEKTROCHEMICAL (LĂNGE: 1´36´´) UNTER:
ERZĂHLERIN
Auf das Hopfenzupfen folgt der diffizilste Arbeitsschritt des Hopfenanbaus: Die frisch gezupften Hopfendolden mĂźssen getrocknet werden. UrsprĂźnglich einfach auf DachbĂśden oder auch in der Sonne â aber das tut dem Lupulin nicht gut. Also entstehen so genannte Hopfen-Darren â hohe Gebäude, an denen man einen Hopfen-Hof bis heute erkennt. Nirgendwo entwickelt sich die Trockentechnik so schnell wie in der Hallertau. Weil man sich die neuen Gebäude leisten kann. Und auch weil ein Wolnzacher Zimmerer-Meister ab 1896 die so genannte Hallertauer Darre baut. Das Prinzip ist, in zeitgemäĂer Form, bis heute aktuell: Unten steht ein Ofen, heiĂe Luft wird durch Metallrohe nach oben geleitet. Auf mehreren Ebenen liegen die Hopfendolden in flachen Kästen, so genannte Horden, anfangs auch auf Leintuch. Die frischen Dolden liegen zunächst ganz oben, werden nach einer Weile auf die nächst-tiefere Ebene umgeschĂźttet und kommen schlieĂlich perfekt getrocknet unten an. [[Wenn nichts schief geht â noch heute gehen jedes Jahr in der Hallertau zwei, drei Hopfendarren samt Ernte in Flammen auf; frĂźher, mit Holz- oder Brikettfeuerung, passierte das noch häufiger.]]Â
Weil der Wassergehalt entscheidend ist fßr die Qualität des Hopfens, ßberwacht der Hopfenbauer persÜnlich den Trockenvorgang. Aber mit der Hopfenzupf-Maschine gerät der gewohnte Ablauf der Ernte aus den Fugen.
(17. ZUSP.) CHRISTOPH PINZL
Diese PflĂźckmaschine macht natĂźrlich in ein paar Stunden das, was vorher die Hopfenzupfer in drei Wochen gemacht haben. TagsĂźber schafft es die Darre gar nicht, die ist viel zu klein
ERZĂHLERIN
Also wird rund um die Uhr getrocknet â und die Bauern mĂźssen ständig ihre Darre Ăźberwachen. Einer von ihnen erzählte Christoph Pinzl im Interview, dass er einmal in 15 Tagen nur elf Stunden geschlafen habe. Ein anderer erinnert sich an einen Trick seines Schwiegervaters:
M ZITATE: DRAMEDY EN MINIATURE (D) (LĂNGE: 0´12´´) UNTER:
(18. ZUSP.) ZITATOR (Pinzl: Die Hopfenregion; S. 252)
Der hat ein Holzscheit genommen und ein Brett, hat das Holzscheit hingestellt und das Brett drauf, und da hat er sich draufgesetzt. Und wenn er eingeschlafen ist, dann ist er runtergefallen.
ERZĂHLERIN
Heute sind die Hopfendarren groĂ genug, und elektronische MessfĂźhler registrieren den Wassergehalt. Aber fĂźr den Hopfenpflanzer Hans Schreier aus Pfaffenhofen gilt bis heute:Â
(19. ZUSP.) HANS SCHREIER
Die letzte Entscheidung treffe auch ich immer noch durch visuelles Begutachten von den Hopfendolden und auch mit den Fingern. Weil: Die ganze Technik, gutes Hilfsmittel, kann einen aber auch täuschen, und dann hastâ ein Problem.
ERZĂHLERIN
Erfahrung und Geschick sind auch entscheidend fĂźr den letzten Schritt im Hopfenanbau: den Verkauf. Es beginnt das âHopfen-Rouletteâ.
(20. ZUSP.) CHRISTOPH PINZLÂ Â Â Â Â Â LEZTE KĂRZUNG
Du hast da deine Ernte, alles bestens, aber du weiĂt Ăźberhaupt nicht, was du dafĂźr bekommst. [[Und das entscheidet sich auf irgendeinem anonymen, eigentlich Weltmarkt mit diesen Händlern mit den Bierbrauern, und alle versuchen, ein gutes Geschäft zu machen, und zum Teil haben sie enorme Geschäfte machen kĂśnnen, aber auch alles verlieren kĂśnnen.]] Das ist auf der einen Seite sehr belastend. Aber faszinierend, ein bisschen wie GlĂźcksspiel halt.
ERZĂHLERIN
Schlage ich zu frĂźh ein, warte ich zu lange? Beides ist riskant.Â
M FRICTION 8 (LĂNGE: 0´45´´) UNTER:
Um stets Ăźber die Marktpreise auf dem Laufenden zu sein, nutzen Hopfenbauern schon im 19. Jahrhundert die modernsten Informationstechnologien. In Geisenfeld mit seinen damals rund 2000 Einwohnern sollen im Jahr 1879 von September bis Dezember rund 2200 Telegramme das Ăśrtliche Telegrafenamt durchlaufen haben. Wenn nicht gerade jemand die Telegrafenleitungen durchgeschnitten hatte â angeblich im Auftrag von Hopfenhändlern. Und schon wenige Jahre nachdem in Berlin die ersten Telefonate gefĂźhrt wurden, gibt es in der Hallertau sehr viel mehr Telefone als in anderen ländlichen Gegenden.
MUSIK WEG
ERZĂHLERIN
Der Hopfen verlässt den Hof, die Hallertau, Bayern â im Lauf des 20. Jahrhunderts auch zunehmend Deutschland und Europa. Seit 1967 ist die Hallertau das grĂśĂte Hopfenanbaugebiet der Welt, mit kleinen Unterbrechungen, berichtet Walter KĂśnig, GeschäftsfĂźhrer der Gesellschaft fĂźr Hopfenforschung. Rund 80 Prozent der Ernte wird exportiert.
(21. ZUSP.) WALTER KĂNIG
Wir produzieren hier gut ein Drittel der Welt-Hopfen-Bedarfsmenge; in den USA sind jetzt aufgrund des Abflauens des Craft-Bier Marktes Ăźber 2000 Hektar Hopfen aus der Produktion genommen worden, es ist immer so ein kleines Kopf-an-Kopf-Rennen. Jetzt hat die Hallertau wieder den Kopf vorne.
ERZĂHLERIN
Mit mehr als 17-tausend Hektar Anbaufläche. Craft-Bier, also: handwerklich gebrautes Bier, kommt ab den 1970er-Jahren in den USA auf. [[Als Gegenpol zu den Standard-Biersorten der wenigen groĂen Brauereien, die die Prohibition der 1920er-Jahre Ăźberlebt hatten. Tausende kleine Brauereien entstehen dort â und die Craft-Bier-Welle schwappt auch nach Europa.]] Mit der Beliebtheit des neuen Bier-Stils steigt der Hopfen-Bedarf.
(22. ZUSP.) WALTER KĂNIG
Die Brauer nutzen natĂźrlich den Hopfen sehr gut aus, man nennt das die Hopfenausbeute, Hopfen ist teuer. FĂźr ein Helles oder Pils, wie wir es hier kennen, werden ungefähr 120 bis 200 Gramm Hopfen fĂźr hundert Liter eingesetzt, in der Craft-Bier-Szene verwendet man in der Regel acht- bis zehnmal so viel Hopfen, da wird schon mal mit einem Kilo oder mehr pro hundert Liter gearbeitet.Â
MUSIK ELEKTROCHEMICAL (LĂNGE: 0´26´´) UNTER:
ERZĂHLERIN
Weil Aromahopfen deutlich weniger Bitterstoffe enthält, die jedes Bier braucht. Mit dem Craft-Bier-Boom nimmt auch die Vielfalt der Hopfen-Sorten zu. UrsprĂźnglich gibt es einerseits Bitterhopfen, dessen Lupulin-KĂśrner vor allem Bitterstoffe enthalten, andererseits Aromahopfen, bei dem das Hopfen-Ăl die Hauptrolle spielt.
(23. ZUSP.) WALTER KĂNIG
Und mittlerweile gibt es auch eine dritte Kategorie das sind die speziellen Aromasorten, die man im Laufe der Craft-Bier-Bewegung gezĂźchtet hat, und die Aroma-Varianten nach Zitrus, tropischen FrĂźchten, schwarze Johannisbeere und so weiter ins Bier bringen, wenn man sie im Brauprozess dementsprechend einsetzt.
ERZĂHLERIN
Nach dem Craft-Bier mit seiner besonderen Wertschätzung des Hopfens ist die jĂźngste Entwicklung wieder eine Krise â die aber nicht nur den Hopfenanbau trifft. In immer mehr Hopfengärten sind Kästen mit Steuerungsgeräten installiert, und am Boden liegen Schläuche. Auch bei Hans Schreier. In regelmäĂigen Abständen breitet sich ein feuchter Fleck auf dem Boden aus.Â
(24. ZUSP.) HANS SCHREIER
Wir dßrfen ßber die Tropfbewässerung, ßber die Schläuche pro Jahr 1000 Kubikmeter Wasser ausbringen, also man kann 100 Liter Niederschlag ersetzen. Wenn man bedenkt, dass man bei uns in der Gegend einen Jahresniederschlag von 700 Liter, 750 Liter idealerweise hätte, dann ist 100 gar nicht so viel.
ERZĂHLERIN
Entscheidend ist die Versorgung im Juni, Juli und August. Mit der Tropf-Bewässerung landet das Wasser direkt an den so genannten Sommerwurzeln: Feine weiĂe Fäden in den obersten Zentimetern des Bodens. Noch dazu ist das Wasser in den Schläuchen mit Nährstoffen angereichert.
(25. ZUSP.) HANS SCHREIER
Das ist, wie wenn ein Mensch eine Infusion kriegt, man kann dann ohne Verluste sehr gezielt die Pflanze, sage ich mal, fĂźttern, und somit auch zum guten Ergebnis beitragen.
MUSIK SOFDU UNGA (LĂNGE: 0´34´´) UNTER:
ERZĂHLERIN
In DĂźrrejahren wie 2018, 2019 ist der Klimawandel existenzbedrohend â fĂźr Betriebe, die keine Bewässerungsanlage haben.
Der Hallertauer Hopfenpflanzer-Verband mÜchte deshalb Wasser aus der Donau ableiten, wenn die Pegel hoch sind, und fßr den Sommer speichern, damit noch mehr Hopfengärten bewässert werden kÜnnen; derzeit reichen die Genehmigungen nur fßr 20 Prozent. Gleichzeitig werden auch klima-stabile Sorten gezßchtet, mit besonders vielen, tief reichenden Wurzeln.
ERZĂHLERIN
Es ist wie immer in der Geschichte des Hallertauer Hopfenanbaus: wieder eine Krise, wieder wird sie bewältigt: Mit Innovationen und Investitionen. Mit neuer Technik und mit TĂźftelei. Der Hopfenanbau ist so speziell, der Umfang im Vergleich zur restlichen Landwirtschaft so klein, dass die Hopfenpflanzer auf sich selbst gestellt sind, um Krisen zu bewältigen â unterstĂźtzt von der Brauwirtschaft. Denn die ist auf den Hopfen angewiesen. Deshalb werden die sieben Meter hohen Rank-GerĂźste auch weiter die Landschaft der Hallertau prägen, dem grĂśĂten Hopfenanbau-Gebiet der Welt.