Wenn die Eltern alt werden, bekommen sie vielfach UnterstĂŒtzung von ihren Kindern. Die kĂŒmmern und sorgen sich. Doch oft lassen sich die alten Eltern nichts von ihnen sagen. Ein schwieriger Rollentausch, der viel mit LoyalitĂ€t und FĂŒrsorge, aber auch mit und Wut und Ăberforderung zu tun hat. Autorin: Karin LamsfuĂ
Wenn die Eltern alt werden, bekommen sie vielfach UnterstĂŒtzung von ihren Kindern. Die kĂŒmmern und sorgen sich. Doch oft lassen sich die alten Eltern nichts von ihnen sagen. Ein schwieriger Rollentausch, der viel mit LoyalitĂ€t und FĂŒrsorge, aber auch mit und Wut und Ăberforderung zu tun hat. Autorin: Karin LamsfuĂ
Credits
Autorin dieser Folge: Karin LamsfuĂ
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Hemma Michel, Sebastian Fischer
Technik:
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Anne Otto, Dipl. Psychologin und Autorin;
Dr. Susanne Zank, Professorin fĂŒr rehabilitationswissenschaftliche Gerontologie;
Dr. Katja Werheid, Professorin fĂŒr Neuropsychologie;
Katrin und Barbara, Mutter und kĂŒmmernde Tochter,
Johanna, Tochter einer demenzkranken Mutter.
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags ĂŒberall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
ZUM PODCAST
Linktipps:
Studie von Susanne Zank zur Lebenssituation Hochaltriger: HIER
Literatur:
Anne Otto: FĂŒr immer Kind, Wie unsere Beziehung zu den Eltern erwachsen wird, Edition Körber, 2022
Katja Werheid: Nicht mehr wie immer. Wie wir unsere alten Eltern begleiten können. Piper 2020
Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
O-Ton 1 GesprĂ€ch zwischen Mutter und Tochter (0â51â)
Katrin: Jetzt wohnst du hier im Erdgeschoss in nem Mietshaus, und es ist auch schon mal eingebrochen worden, und vor Jahren⊠hast du dir so ein doppeltes Schloss machen lassen, und wenn ich mal komme und es ist hier keiner, und dieses wunderbar angebrachte Schloss ist ĂŒberhaupt nicht abgeschlossen, dann denke ich mir so âgehtâs noch? Kannst du das mal bitte abschlieĂen?âÂ
Barbara: Also bei mir ist noch nie eingebrochen worden und bei mir ist auch noch nie was geklaut worden, ich denke, das muss erst mal passieren, bis ich das einsehe, dass ich mich mehr schĂŒtzen muss.Â
Katrin: Und dann find ich halt⊠was heiĂt, dass ich ein Recht habe, dir das zu sagen⊠ich will dir das dann sagen, âdu das Ă€nderst und deine scheiĂ TĂŒr abschlieĂt, damit nicht eingebrochen wird!â
Barbara: JaaaaâŠ. Die ist ganz schön streng mit mir!
ErzĂ€hlerin:Â
Eine ganz typische Szene zwischen der 58jĂ€hrigen Katrin und ihrer 85jĂ€hrigen Mutter Barbara. Beide wollen nur ihre Vornamen nennen. Mutter Barbara lebt alleine und kommt eigentlich noch gut klar.Â
Doch immer öfter braucht sie UnterstĂŒtzung von ihren beiden Töchtern: bei BankgeschĂ€ften, Behördenschreiben, bei Arztbesuchen oder der Bedienung ihres HörgerĂ€ts.
In Musik einbetten
O-Ton 2 GesprĂ€ch zwischen Mutter und Tochter (0â11)
Katrin: FĂŒhlst du dich denn getadelt, wenn ich sage âZieh mal das HörgerĂ€t an!â?
Barbara: Jooo⊠Ich denke, ich kann das alleine bestimmen, ob ich das anziehe oder nicht.Â
Katrin: Denkst du dann, ich bevormunde dich?Â
ErzĂ€hlerin:Â
Katrin kĂŒmmert sich gerne. Doch sie hat oft etwas andere Vorstellungen davon, was das Richtige fĂŒr ihre Mutter ist. Das sorgt manchmal fĂŒr Konflikte.Â
Sprecher:Â
Fast alle erwachsenen Kinder erleben solche oder Ă€hnliche Situationen. Es passiert schleichend. Irgendwann zwischen 40 und 60. Lange Zeit war die Beziehung zwischen ihnen und den Eltern auf Augenhöhe. Und plötzlich verĂ€ndert sich etwas: Die alten Eltern benötigen UnterstĂŒtzung.Â
O-Ton 3 Anne Otto (0â24â):Â
Ich hab das ja selbst in meinem Freundeskreis festgestellt, dass immer mehr Leute von ihren ganz alten Eltern erzĂ€hlen und sind selbst schon so um die 50, 60 und kĂŒmmern sich jetzt um 80-, 90jĂ€hrige, andererseits bedeutet das, dass man dieser Beziehung auch immer eine neue Form geben muss und sich wahrscheinlich auch immer neu abgrenzen â einfach bewusster.Â
ErzĂ€hlerin:Â
Sagt die Psychologin Anne Otto. FĂŒr ihr Buch âFĂŒr immer Kind â Wie unsere Beziehung zu den Eltern erwachsen wirdâ â hat sie erwachsene Kinder interviewt, die sich um ihre alten Eltern kĂŒmmern.
O-Ton 4 Anne Otto (0â13â):Â
Das gab es so frĂŒher nicht, eine Zahl, die kommt aus ner Studie von Hans Bertram, einem Sozialwissenschaftler, der halt sagte: Vor 100 Jahren hatten VĂ€ter und Kinder nur 15 gemeinsame Jahre! 15 bis 20. Heute sind das 60!Â
Sprecher:Â
Viele trĂ€umen von der Vorstellung, wo die Alten - intergiert in die Familie - liebevoll bis zum Schluss versorgt werden. Und die Kinder den Eltern von Herzen das zurĂŒckgeben, was sie selbst einmal bekommen haben. Das gibt es nach wie vor. Doch die meisten tun sich schwer mit dem Rollentausch.
Diese neue, oft lange gemeinsame Lebensphase zu gestalten ist fĂŒr viele eine groĂe Herausforderung. Vor allem ab dem Moment, wo die Eltern Hilfe brauchen. Anfangs sind es meist nur Dinge des Alltags wie Einkaufen, BehördengĂ€nge oder BankgeschĂ€fte. SpĂ€ter vielleicht auch Beantragen einer Pflegestufe. Oder UnterstĂŒtzung bei der Körperpflege. Die alten Eltern mĂŒssen ihre erwachsenen Kinder zunehmend um Hilfe bitten und geraten in eine abhĂ€ngige Rolle. Nicht ganz einfach.
ErzĂ€hlerin:Â
Auch die 85jĂ€hrige Barbara bemerkt die Rollenumkehr: Obwohl sie sich gut mit ihren beiden Töchtern versteht, ist es ein seltsames GefĂŒhl: Plötzlich ist sie nicht mehr die âWissendeâ die âErfahreneâ, die ihren Kindern die Welt erklĂ€rt. Nun braucht sie selbst Hilfe. Nach Jahrzehnten der Autonomie.
O-Ton 5 Barbara (0â28â):Â
Ich war ja immer schon alleine, also ohne Mann, und musste immer alles alleine machen und denke: Ich kann alles alleine, und bin froh, dass ich in meinem Alter noch so das kann, was ich so möchte, aber ich sag ja: Ich fĂŒhle mich getadelt, und ich hab auch etwas Angst vor Katrin, wenn ich weiĂ, die kommt: âHast du auch die TĂŒr zwei Mal abgeschlossen? Hast du auch die WaschmaschinentĂŒr aufgelassen?â
Sprecher:Â
Wenn alte Eltern erkennen, dass sie manches nicht mehr allein können, tut das erst mal weh.Â
ErzÀhlerin:
Dr. Susanne Zank ist Professorin fĂŒr Rehabilitationswissenschaftliche Gerontologie an der Uni Köln und hat in einer groĂen reprĂ€sentativen Studie die Lebenssituation der Hochbetagten untersucht, also der Menschen ĂŒber 80.Â
O-Ton 6 Susanne Zank (0â30â):Â
Da ist offenbar eine sehr, sehr groĂe Angst davor, wahrzunehmen, dass die eigenen KrĂ€fte geschwunden sind, und das kann man nicht mal so eben ablegen. Und wenn ich 70 Jahre lang völlig selbststĂ€ndig gelebt habe, und das fĂŒr mich auch ein groĂer Wert war und ist, autonom zu sein, selbststĂ€ndig zu sein, und da kommt dann auf einmal dieses blöde Kind â das ist jetzt zwar auch 60 Jahre alt â und will mir erzĂ€hlen, was ich zu tun und zu lassen habe!
Sprecher:Â
Wenn die alten Eltern zunehmend hilfsbedĂŒrftig werden, lassen sie sich ungern etwas sagen. Von ihren eigenen Kindern oft schon mal gar nicht.Â
ErzĂ€hlerin:Â
Das sorgt fĂŒr ZĂŒndstoff, sagt die Psychotherapeutin und Neuropsychologin Prof. Katja Werheid. Vor allem dann, wenn alte Eltern und kĂŒmmernde Kinder kein wirklich liebevolles VerhĂ€ltnis zueinander haben.Â
O-Ton 7 Katja Werheid (0â27â)
Selbst, wenn es Konflikte gibt, selbst wenn die Beziehung nicht so eng ist â trotzdem lĂ€sst das Kinder nicht kalt, wenn ihre Eltern gebrechlich werden. Im Gegenteil: Da kommen diese ganzen Fragen von Schuld, warum ich, warum nicht meine Geschwister? Also diese ganzen Geschichten kommen dann wieder hoch; ich bin nicht unbedingt immer dafĂŒr, dass man alles geraderaus ansprechen muss.Â
MusikzÀsur
ErzĂ€hlerin:Â
Johanna hatte ein konfliktbeladenes VerhĂ€ltnis zu ihren Eltern. Statt Liebe erfuhr sie Strenge, Druck und HĂ€rte. Mit 18 verlieĂ sie ihr Elternhaus, ging ins Ausland und zog in eine andere Stadt, etwa 300 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt.Â
Der Kontakt zu den Eltern war eher spĂ€rlich. Als der Vater starb, besuchte sie alle paar Wochen ihre Mutter. Widerwillig.Â
O-Ton 8 Johanna (0â22â):Â
Da hab ich sehr drunter gelitten, und bin da manches Mal hingefahren und völlig verzweifelt nach Hause gefahren, weil nur Boshaftigkeit war, weil sie sehr in so alten Geschichten auch wĂŒhlen konnte, die zwischen uns schief gelaufen sind und ich gedacht hab: âoh Gott, diese weiter Fahrt, das viele Geld, was du verfĂ€hrst â das um dich fertig machen zu lassen?âÂ
O-Ton 9 Anne Otto (0â13â):Â
Jetzt ist man ja erwachsen, fĂŒhlt sich eigentlich sehr souverĂ€n, kommt dann ins Elternhaus und wird dann mit alten SĂ€tzen und alten Triggern konfrontiert und ist dann sofort in GefĂŒhlen aus der Kindheit.Â
ErzĂ€hlerin:Â
Nach dem Tod des Vaters verĂ€nderte Johannas Mutter ihr Wesen. Kam mit vielem nicht mehr klar. Johanna befĂŒrchtete: Demenz.
O-Ton 10 Johanna (0â29â)
Und habe dann bei einem Psychiater an ihrem Wohnort einen Termin vereinbart, um das mal checken zu lassen, da hat sie sich gebĂ€rdet wie eine Wilde: Sie wĂ€r doch nicht verrĂŒckt! Und hab mit viel Geduld es geschafft, dass sie mit mir dahin gegangen ist, dann saĂen wir in der Sprechstunde, es war ein rammelvolles Sprechzimmer, wir mussten Stunden warten, sie stand mehrfach auf und wollte rausrennen, und meckerte: âDas brauch ich nicht! Ich will hier nicht warten!âÂ
Sprecher:Â
Rollenumkehr. Es gibt einen Punkt, an dem erwachsene Kinder ihre Eltern nicht nur unterstĂŒtzen und ihnen gleichzeitig ihre Autonomie lassen, sondern in hohem MaĂe Verantwortung fĂŒr deren Leben ĂŒbernehmen. Ăbernehmen mĂŒssen.Â
ErzĂ€hlerin:Â
Johannas 80jÀhrige Mutter, so diagnostizierte der Arzt, sei in einem Stadium fortgeschrittener Demenz.
So machten sich Johanna und ihre Schwester auf die Suche nach einem guten Platz fĂŒr die Mutter. Hinter deren RĂŒcken.
O-Ton 11 Johanna (0â20â):Â
Ich hatte oft das GefĂŒhl, ich hab nicht das Recht in ihr Leben einzugreifen. Man ĂŒberschreitet Grenzen dessen, was zwischen Eltern und Kindern normal ĂŒblich ist. Ich hab viele schlaflose NĂ€chte darĂŒber gehabt, ich hab nicht gewusst: Darf ich das? Soll ich das? Kann ich das? Muss ich das? Es war einfach richtig, richtig schwer.
ErzĂ€hlerin:Â
Es fĂ€llt leichter, so die Psychologin Anne Otto, wenn Kinder ihren alten Eltern schon in guten Zeiten ĂŒber die entscheidende Frage gesprochen haben: Was ist, wenn du mal nicht mehr fĂŒr dich sorgen kannst?
O-Ton 12 Anne Otto (0â49â):Â
Und die Tendenz ist dann hĂ€ufig, es bis zum letzten aufzuschieben, und ich hab ja auch fĂŒr das Buch mit vielen Familien gesprochen, und es war immer wieder das gleiche Muster: Erst wenn die alten Eltern stĂŒrzen oder eine schwierigere Erkrankung da ist, dann wird dieses Thema unheimlich forciert. Auf ne Art ist das auch verstĂ€ndlich, aber ich glaube, dass es gut ist, mit nem bisschen lĂ€ngeren Anlauf⊠dass man guckt: Wie wollen wir das eigentlich gestalten? Denn irgendwann kommt das, und immer mal wieder dieses Thema aufgreifen: âWie willst du spĂ€ter wohnen? Möchtest du mal in die Stadt ziehen, in der ich bin? Was fĂŒr ne Art von Pflege?â und dass man sich da so ein bisschen gemeinsam vortastet.Â
ErzĂ€hlerin:Â
Johanna und ihre Mutter konnten nie darĂŒber sprechen. Vielmehr verhakten sie sich im tĂ€glichen Kampf um die Grundversorgung: Haarewaschen, NĂ€gel schneiden, KĂŒhlschrank leerrĂ€umen, in dem die Mutter 15 Pakete Wiener WĂŒrstchen und sieben Pakete Butter hortete. Vieles schon vergammelt. Die Rollen kehrten sich um.Â
O-Ton 13 Johanna (0â06â):Â
Das hat auch zu unglaublichem Streit gefĂŒhrt, dann schrie sie rum âIch lass mich nicht entmĂŒndigen von dir, hau ab!âÂ
Sprecher:
Respektvoll und fĂŒrsorglich mit garstigen, abweisenden, vielleicht auch wĂŒtenden alten Eltern umzugehen, kann zur riesengroĂen Herausforderung werden.Â
ErzĂ€hlerin:Â
Susanne Zank sagt: Der erste Schritt ist es, anzuerkennen, dass auch das, was den Kindern als absurd und unvernĂŒnftig erscheint, in den Augen der Eltern eine Berechtigung hat: Hinter jeder Abwehrreaktion steckt eine tieferliegende Angst.
O-Ton 14 Susanne Zank (0â18â):Â
âMan will mich entmĂŒndigen!â Man muss im Einzelfall gucken: Was könnte dahinterstecken? Was ist die konkrete Bedrohung dieser Person vor dem Hintergrund ihrer Biografie? Was ist daran so schrecklich, Hilfestellungen anzunehmen?Â
ErzĂ€hlerin:Â
Dabei sei hilfreich, so die Psychologin Anne Ottto ist es, wenn Kinder zuvor etwas erreicht haben, was man in der Fachsprache âfiliale Reifeâ nennt.
O-Ton 15 Anne Otto (0â16â):Â
Dass man z.B. sagt: Ich will von meinen Eltern nicht mehr kindliche BedĂŒrfnisse befriedigt haben oder ich sehe meine Eltern als âganzeâ Menschen und nicht nur als meine Eltern, da gibt es Konzepte, wie man das lernen kann, in einem anderen VerhĂ€ltnis zu den Eltern zu stehen.Â
Sprecher:Â
Filiale Reife heiĂt: Von den Eltern nichts mehr erwarten. Ihnen erwachsen begegnen. Akzeptieren, dass vielleicht noch alte Rechnungen offen sind, die niemals mehr beglichen werden. Und sie sehen als das, was sie sind: alte Menschen, die ihr Leben gelebt haben und nun vielleicht hilfsbedĂŒrftig sind.Â
ErzĂ€hlerin:Â
Wenn die Eltern mit Wut und Abwehr reagieren, hilft es, etwas Grundlegendes zu verstehen, so Susanne Zank, Professorin fĂŒr Rehabilitationswissenschaftliche Gerontologie: Die heute 80jĂ€hrigen sind Kriegskinder. Und in diesen Biografien gibt es Gemeinsamkeiten:Â
O-Ton 16 Susanne Zank (0â29â):Â
Dass sie sehr schnell sehr selbststĂ€ndig werden mussten keine SchwĂ€che zeigen, nicht hilfsbedĂŒrftig sein, sondern im Gegenteil: Zu einer Zeit, wo sie vielleicht selbst hilfsbedĂŒrftig waren, durften sie es nicht sein, Wenn Sie in ihrem ureigensten Kern das GefĂŒhl haben âIch muss besonders stark sein!â, dann fĂ€llt es Ihnen auch sehr, sehr schwer, ĂŒberhaupt wahrzunehmen, dass Sie jetzt weitere UnterstĂŒtzung brauchen.Â
Sprecher:Â
Eltern, die nur schwer Hilfe annehmen können und Kinder, die sich verantwortlich fĂŒhlen. Manchmal ĂŒber-verantwortlich. Ein Konflikt, der oft schwer auszuhalten ist.Â
MusikzÀsur
ErzĂ€hlerin:Â
Vor einiger Zeit hatte sich Katrin groĂe Sorgen um ihre Mutter gemacht, die fĂŒr viele Wochen im Krankenhaus war. Nach einer groĂen Operation war sie anfangs sehr geschwĂ€cht und wackelig auf den Beinen. Katrin hatte Sorgen, dass die Mutter stĂŒrzt.
In Musik einbetten
O-Ton 17a GesprĂ€ch zwischen Mutter und Tochter (0â23â)
Katrin: 31â30â Du hast ein Riesen Theater gemacht! âIch geh doch nicht mit dem Rollator ĂŒber die StraĂe! Bist du irre? Brauch ich nicht!â geht weiter, Ăberhang O-Ton zum Unterlegen
ErzĂ€hlerin darĂŒber:Â
Und wĂ€hrend Katrin argumentiert, dass der Rollator ein tolles Hilfsmittel ist, verzieht Mutter Barbara nur angewidert den Mund. Ihre gröĂte Sorge:Â
O-Ton 17b GesprĂ€ch zwischen Mutter und Tochter (0â08â)
wieder hochziehen:Â
Barbara: Dass ich hier ziemlich bekannt bin und dass dann alle Leute sehen âGuck mal, die Barbara, die geht jetzt auch am Rollator! Ist die so alt geworden?
Sprecher:Â
Brille, HörgerĂ€t, Rollator, vielleicht auch irgendwann Inkontinenzeinlagen. Das sind nicht nur sinnvolle Hilfsmittel, sondern auch Symbole. Symbole fĂŒrs Ălterwerden, fĂŒr den Verlust von FĂ€higkeiten, fĂŒr schmerzhafte Abschiede von dem, was ein Leben lang selbstverstĂ€ndlich war.Â
ErzĂ€hlerin:Â
FĂŒr Barbara spricht der Rollator seine ganz eigene Sprache:
O-Ton 18 Mutter und Tochter (0â07â)
Barbara: Dass man nicht mehr alleine gehen kann.
Katrin: Und dass man ein tolles Hilfsmittel hat?!
Barbara: Man kann so viel nicht mehr, wenn man Àlter wird!
ErzĂ€hlerin:Â
Alt zu werden ist fĂŒr viele Menschen eine ganz groĂe Herausforderung, weiĂ Susanne Zank:
O-Ton 19 Susanne Zank:Â
Das ist ne massive KrĂ€nkung. Man muss sich damit arrangieren, dass Verluste hĂ€ufiger werden, diese körperlichen Verluste, aber natĂŒrlich auch soziale Verluste, und insofern sind die meisten alten Menschen eigentlich sehr gut darin, sich zu adaptieren. Aber nicht von heute auf morgen!
Sprecher:Â
An dem Punkt entsteht ein groĂes Spannungsfeld, das fĂŒr die erwachsenen Kinder nur schwer auszuhalten ist: NatĂŒrlich haben sie nicht das Recht, ihren Eltern Hilfsmittel vorzuschreiben oder riskantes Verhalten zu verbieten. Gleichzeitig haben Kinder ein berechtigtes Interesse, dass die Eltern so lange wie möglich gesund und selbststĂ€ndig bleiben. Denn wer wird sich im Pflegefall kĂŒmmern? Die erwachsenen Kinder natĂŒrlich. Die aber sind oft schon am Limit: gehen Vollzeit arbeiten, haben eine eigene Familie und sind zudem in einem Alter, in dem sich oft erste gesundheitliche Baustellen zeigen. Die Energie schwindet. Das KĂŒmmern um die eigenen Eltern wird zum Kraftakt.Â
MusikzÀsur
Sprecher:Â
Wie spricht man diese Dinge am besten mit den alten Eltern an? So dass sie nicht in Trotz und Abwehr verfallen und sich bevormundet fĂŒhlen?
ErzĂ€hlerin:Â
Die Neuropsychologin Katja Werheid sagt: Es ist sinnvoll, nicht in der Situation zu streiten, sondern in einem ruhigen Moment konkrete Erlebnisse anzusprechen.Â
O-Ton 20 Katja Werheid (0â38â):Â
Zu sagen: âIch mach mir Sorgen!â Also ich mach mir Sorgen, nicht du musst was Ă€ndern. Ich weiĂ nicht: Ist das jetzt noch sicher, und wenn ich jetzt so weit entfernt wohne, oder wenn du hier allein unterwegs bist, fĂŒhlst du dich dann noch sicher? Vielleicht hast du ja auch einen anderen Vorschlag.â Vielleicht ist es nicht der Rollator, sondern erst mal der Stock oder der Handlauf, der montiert werden muss⊠also im GesprĂ€ch bleiben, das ist das, was wichtig ist, nicht so im Tiefflug reingeschneit kommen, schnell mal RatschlĂ€ge an alle verteilen und dann wieder abziehen, und die Eltern dann völlig entkrĂ€ftet da sitzen und denken: Naja, jetzt hat er oder sie es uns mal wieder gegeben!
ErzĂ€hlerin:Â
Geduldig, langsam, gegebenenfalls auch mehrfach ansprechen. Mal fĂŒhrt das zum Erfolg, gibt Katja Werheid zu, mal nicht.
MusikzÀsur
Sprecher:Â
Das Thema âAutofahrenâ ist vielleicht das brisanteste unter den Eltern-Kind-Themen. Jedenfalls sorgt es fĂŒr maximalen ZĂŒndstoff. Denn da geht es nicht nur um die eigene Unversehrtheit, sondern auch um die anderer Menschen.Â
Musik, dann darĂŒber:
O-Ton 21 GesprĂ€ch zwischen Mutter und Tochter (0â29â)Â
Katrin: Autofahren ist ein sehr schwieriges Thema.
Barbara. Warum?
Katrin: Dass ich finde, dass du schlimm Auto fĂ€hrst, das weiĂt du ja.
Barbara: Das kann ich ĂŒberhaupt nicht akzeptieren. Ich bin die beste Autofahrerin der Welt.
Katrin: Ein Blick rechts ĂŒber die Schulter - kommt da ein Fahrrad oder nicht? machst du nie.Â
Barbara: Doch!
Katrin: Ich wundere mich total, dass du noch nie einen Fahrradfahrer totgefahren hast,Â
Barbara: Ich gucke immer nach rechts! Ich gucke ĂŒberhaupt ĂŒberall hin! Ich bin sehr aufmerksam!
Sprecher:Â
Autofahren ist vielleicht die letzte Bastion der schwindenden SelbstĂ€ndigkeit. Autofahren bedeutet: Am Leben teilnehmen, Menschen treffen, selbststĂ€ndig einkaufen gehen, einfach unabhĂ€ngig sein. Auf dem Land noch mehr als in der Stadt.Â
[[ O-Ton 22 Barbara (0â17â):Â
Da denk ich immer: Hoffentlich passiert mir das nie, dass ich wen umfahre. Aber das weiĂ ich nicht, ob das ein Grund wĂ€re, den FĂŒhrerschein abzugeben. Also das Auto ist mir schon sehr wichtig. Und ich bin der Ăberzeugung, dass ich ne gute Autofahrerin bin.
ErzĂ€hlerin:Â
Nach dem Interview wurde Barbara ĂŒbrigens nachdenklich und hat zum ersten Mal das Thema âAutofahrenâ hinterfragt. Ganz vorsichtig. Das Ergebnis steht noch aus.]]
Sprecher:Â
Es ist ein schwieriger Rollentausch, der viel mit LoyalitĂ€t und FĂŒrsorge, aber auch mit Wut und Ăberforderung zu tun hat.
MusikzÀsur
ErzĂ€hlerin:Â
Die Ereignisse bei Johanna und ihrer demenzkranken Mutter ĂŒberschlugen sich. Die Mutter drehte mehrfach stundenlang die Gasflamme auf und verlieĂ das Haus. Rief immer wieder die Polizei, weil ihr angeblich etwas gestohlen wurde. Verstaute die Socken im GemĂŒsefach. Nun war klar: Sie konnte nicht mehr alleine wohnen. Johanna hatte sich bereits hinter dem RĂŒcken der Mutter nach einem Platz fĂŒr betreutes Wohnen umgeschaut.Â
O-Ton 23 Johanna (0â28â):Â
Da hat sie erst mal genickt. Es war auch ne gewisse Erleichterung spĂŒrbar, die auch einen Moment angehalten hat. Am nĂ€chsten Morgen gabâs ein riesen Theater: Sie ginge da nicht hin, und sie kĂ€me prima zurecht, alles wĂ€re ja sauber und ordentlich, und dann hab ich gesagt âMama, das stimmt alles, es ist sauber und ordentlich, wir gucken es uns einfach mal an.â Und sie war eigentlich ganz angetan. Es hatte so ein bisschen den Eindruck eines netten Hotels.
ErzĂ€hlerin:Â
Die Mutter war einverstanden, der Vertrag wurde unterschrieben. Es kam der Tag des Umzugs.Â
O-Ton 24 Johanna (0â33â):Â
Das ging noch relativ gut. Dann hat sie ein oder zwei NĂ€chte dort verbracht, und dann haben wir die Wohnung rĂ€umen lassen, und plötzlich stand sie in ihrer alten Wohnung. Sie hatte offenbar noch einen SchlĂŒssel und rastete so völlig aus: Wir hĂ€tten sie gegen ihren Willen in ein anderes Zuhause gebracht, und sie kĂ€me jetzt zurĂŒck, sie hĂ€tte das schon alles organisiert und sie schrie und brĂŒllte, wir wĂ€ren gegen die verbĂŒndet, wir wollten sie abschieben⊠also es war wirklich schrecklich.
Kurzer Musikakzent
O-Ton 25 Johanna (0â31â):Â
Ich hatte auch mit den TrĂ€nen zu kĂ€mpfen, und ich hatte von dem Psychiater eine Tablette, ich weiĂ nicht mehr, was das war, er sagt: Die wirkt ganz schnell, dann kommt die runter. Dann haben wir sie alleine gelassen und sind ein paar Mal um den Block gegangen, und wir kamen zurĂŒck und sie saĂ ganz friedlich am KĂŒchentisch, und völlig willenlos lieĂ sie sich dann zurĂŒck transportieren, meine Schwester ist bei ihr geblieben, ich hab dann weiter rĂ€umen lassen, und wir haben dann den SchlĂŒssel einfach weggenommen.Â
ErzĂ€hlerin:Â
Johanna musste ihre eigene Mutter bevormunden, Entscheidungen fĂŒr sie treffen, zeitweise sogar gegen deren Willen. So wie die Mutter es frĂŒher getan hat, als Johanna klein war. Dieser Rollentausch fĂŒhlte sich einerseits richtig an und andererseits verkehrt.Â
O-Ton 26 Johanna (0â34â):
Ganz schwierig war fĂŒr mich in der ganzen Phase mit meiner Mutter, dass ich nicht das Recht hatte, sie zu manipulieren, sie zu hintergehen, also hinter ihrem RĂŒcken ein anderes Zuhause zu suchen, nicht ehrlich mit ihr umzugehen, gleichzeitig wuchs in mir auch so ein GefĂŒhl von Pflicht, ich hab die Pflicht, fĂŒr sie zu entscheiden, wenn sie es nicht mehr kann, und diese widerstrebenden GefĂŒhle auszuhalten, war oft total schwer.
ErzĂ€hlerin:Â
Die Neuropsychologin Katja Werheid sagt: Auch die Eltern kommen mit diesem Rollentausch aus einem weiteren Grund nicht gut klar:Â
Denn fĂŒr sie bleibt auch das erwachsene Kind â von dem sie zunehmend abhĂ€ngiger werden - immer ein bisschen Kind. Das Kind, das sie einst versorgt haben.
O-Ton 27 Katja Werheid (0â13â):Â
Und das sind auch sehr, sehr einprĂ€gsame Erlebnisse, die einem, selbst wenn man stark demenzkrank ist, immer noch prĂ€sent sind, wie man sein Kleinkind, sein Baby damals im Arm gehalten hat, das vergisst man nicht.Â
MusikzÀsur
Sprecher:Â
Generell ist es fĂŒr erwachsene Kinder eine groĂe Herausforderung zu einem tieferen VerstĂ€ndnis fĂŒr ihre alten Eltern zu kommen: die einst als Kriegskinder geboren wurden und viel zu frĂŒh viel zu selbststĂ€ndig waren. FĂŒr die Hilfe annehmen viel mit SchwĂ€che zu tun hat.Â
Die den Schmerz der vielen Verluste im Alter tragen. Deren Radius immer weiter schrumpft. Und die vielleicht irgendwann mal völlig hilflos werden.Â
Und gleichzeitig gilt es fĂŒr die erwachsenen Kinder zu begreifen, dass sie von den alten Eltern nichts mehr erwarten können und vieles fĂŒr immer ungelöst und ungeklĂ€rt bleiben wird.
ErzĂ€hlerin:Â
Johannas Mutter gefiel es gut im betreuten Wohnen. Trotzdem baute sie in kurzer Zeit ab. Die Demenz schritt voran. Nach eineinhalb Jahren starb die Mutter an einem Herzinfarkt. Johanna hatte schon lange vorher ihren Frieden mit der Mutter geschlossen:
O-Ton 28 Johanna (0â24â):Â
Wenn ich an sie denke, denke ich nicht als strafende Mutter an sie, sondern als alte Frau, mit der ich auch manchmal noch lachen konnte und echten SpaĂ haben konnte und die mir gut war und der ich gut sein konnte. Und wo ne tiefe Liebe da war, die nicht mehr so nach Erwiderung gesucht hat. Und das hat mich dann auch den Tod von ihr, der dann ja sehr plötzlich kam, sehr gut ĂŒberwinden lassen.Â