Bergbauern haben die einzigartige alpine Landschaft entscheidend geprägt - und pflegen diese bis heute. Doch was auf den ersten Blick einfach und ursprünglich wirkt, ist ein komplexer und vielfältiger Job, der auf der Erfahrung vieler Generationen fußt. Autor: Lukas Grasberger
Bergbauern haben die einzigartige alpine Landschaft entscheidend geprägt - und pflegen diese bis heute. Doch was auf den ersten Blick einfach und ursprünglich wirkt, ist ein komplexer und vielfältiger Job, der auf der Erfahrung vieler Generationen fußt. Autor: Lukas Grasberger
Credits
Autor dieser Folge: Lukas Grasberger
Regie:Â Anja Scheifinger
Es sprachen: Katja Schild, Johannes Hitzelberger
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Regina Hölzl, Bergbäuerin und Sennerin auf der Schellenbergalm, Waakirchen
Nikolaus Schreyer, Bergbauer, Fischbachau
Klaus Einwanger, Fotograf und Autor des Bandes „Bergbauern“, Rosenheimem. Prof. Markus Schermer, Arbeitsgruppe Agrar- und Regionalsoziologie und früher stv. Leiter des Forschungszentrums Berglandwirtschaft
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
IQ Wissenschaft und Forschung - Alles Natur: Bergwelten  HIER
Linktipps:
Berglandwirtschaft , Universität Innsbrung  HIER
Artenvielfalt dank Almbewirtschaftung, Höhere Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Landwirtschaft Raumberg-Gumpenstein   HIER
Literaturtipp:
Bergbauern - Fotografien von Klaus Maria Einwanger HIER Â
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecherin:
Es ist ein Samstag-Nachmittag wie gemalt im oberbayerischen Mangfallgebirge: Markant ragen Bergspitzen in den wolkenlosen Himmel, darunter Wald, dazwischen saftiggrüne Wiesen, auf denen gemächlich Braun- und Fleckvieh grast.
Atmo Kuhglocken auf Alm, Wanderer unterhalten sich
Sprecher:
Mittendrin im Alpen-Panorama, auf der Schellenbergalm, hat serviert die Bergbäuerin Regina Hölzl einem halben Dutzend Wanderinnen und Wanderern ihre letzten Getränke. Von dem Kaffee, den Regina Hölzl frĂĽhmorgens aufgebrĂĽht hat, sind nur noch ein paar Schluck in der alten Plastikkanne - die sich die Wanderer dennoch dankbar teilen.Â
O-Ton 1 Regina Hölzl, Bergbäuerin, Sennerin auf der Schellenbergalm Â
„FlieĂźend heiĂźes Wasser,ein Wasserkocher, Kaffeevollautomat, ist halt ned so! Auch wenn ich eine Tasse Tee will: Feuermachen! Der muss eine Stunde warten, bis ich wieder Feuer gemacht hab. Und dann denke ich mir: Das mache ich aber auch ned, weil: Dieser Energieaufwand! Dass ich fĂĽr eine Tasse Kaffee - nur weil dieser Wanderer jetzt den Wunsch äuĂźert…. Ich denke, das schadet gar net, wenn man sich mit den Ressourcen ein bisserl auseinandersetzt, und nicht immer in HĂĽlle und FĂĽlle lebt. Das ist auf 1500 Meter Höhe eine ganz andere Liga...ganz andere Gedanken, die man sich da machen muss“Â
Sprecher
Der Blick der Bergbäuerin wandert über die Almlandschaft. Wie auch der der Urlauber, die sich kaum an der Natur sattsehen können. Und doch: Es ist kein schweigendes Einvernehmen, kein gemeinsames Genießen des Almweide-Idylls. Denn Regina Hölzl sieht die Kühe mit anderen Augen, nimmt deren Glockengeläut anders wahr als die Ausflügler neben ihr, auf der Holzbank des Almbauernhofs.
O-Ton 2 Hölzl
„Das Gebiet ist so groĂź und unĂĽbersichtlich, durch die Buckel und Leiten, du siehst sie ja nicht….Dann schau ich zuerst einmal mit dem Fernglas. Ich sehs ja zuerst einmal nur von der Farbe - oder der Glocke her. Die haben alle Glocken dran, das ist ohne Glocken dran da heroben absolut nicht zu bewältigen. Dann spitze ich die Ohren: „Wo ist das Geläut von den Kuhglocken?“Â
Sprecher
Ein gutes Gehör, Voraussicht und Weitblick, die seien das A und O in der Almwirtschaft, sagt Regina Hölzl. Dazu komme ein Gespür für Gefahr.
O-Ton 3 Hölzl
„Das ist auch ein ganz wichtiger Job für den Senner – oder denjenigen, der da heroben die Tiere anvertraut kriegt, dass der im Blick hat: Ups, das könnte gefährlich werden, da muss ich einschreiten, die muss ich jetzt da herunterholen. Die jungen Viecher am Steilgelände...weil das schönste Graserl wächst am Stoa... da fangen die an, dass sie mehr steigen, dass sie sich verzetteln und noch höher wollen. Und dann kommt´s auch vor, dass die nimmer rauskommen. “
Sprecher:
Es kommt vor, dass eine Kuh am Steilhang stolpert und abstĂĽrzt. Da Zufahrtswege zu hochgelegenen Almen selten sind, muss zuweilen ein Hubschrauber kommen, um das verletzte oder tote Tier zu bergen.Â
M The good, the bad, the ugly 1 Länge: 1´00´´
Sprecherin:
Um dies zu vermeiden, wird Jungvieh bereits im Tal in eine Art Weide-Schule geschickt, erklärt Klaus Schreyer. Der Bergbauer hat einen Hof in Fischbachau, bewirtschaftet gemeinsam mit einem Kollegen - aber auch eine Hochalm im Rotwandgebirge.
O-Ton 4 Klaus Schreyer, Bergbauer, Fischbachau
„Ich hab zur Leitzach hin eine Hanglage mit fünf Hektar, und da werden die zum Vortraining geschickt, für die Alm. Die Viecher müssen lernen, aus einem Wassergefäß zu trinken, oder, ich hab darunten einen Bach, dass sie auch mal aus einem Bach raustrinken. Und müssen sich rein in der Fläche fortbringen mit dem Fressen. Man muss sich Zeit nehmen, und sie zum richtigen Zeitpunkt rausbringen, dass sie das auch erlernen.
Sprecherin
Im September endet der Almsommer. Bis dahin mĂĽssen Bergbauern es schaffen, dass ihre KĂĽhe die Weideflächen gleichmäßig abfressen. Doch auch zu frĂĽh dĂĽrfen sie die Tiere nicht auf die Alm treiben. Â
O-Ton 5 Schreyer
„Dann passiert das, dass ich eine Überbestoßung hab, das heißt, eine zu große Viehdichte. Dann wächst mir zu wenig nach, und dann mache ich meine Fläche kaputt. Das ist so schwierig, da muss man selber ein Fingerspitzengefühl dafür kriegen. Ich muss so viel raufkriegen, dass meine Fläche nicht kaputtgeht. Und so viel auch, dass kein Überbestand kommt, vom Grasbestand her. Weil wenn das nimmer abgefressen wird, dann kommen Unkräuter, und die dürfen ja nicht kommen.“
M Im stillen Tal Länge: 0´34´´
Sprecher
Klaus Schreyer hält auf dem Sunnara-Hof und seiner Alm 50 KĂĽhe, seine Kollegin Regina Hölzl ist auf der Schellenbergalm verantwortlich fĂĽr zwei ausgewachsene MilchkĂĽhe, 16 StĂĽck Jungvieh und zwei Kälbchen. Dazu kommen fĂĽnf Ziegen, zwei Hennen und ein Hahn. Doch als Sennerin hilft Hölzl nur aus. Sonst bewirtschaftet die sehnige, temperamentvolle Frau mit ihrer Familie einen Bergbauernhof im nahen Waakirchen, mit 30 MilchkĂĽhen und kleinen Kälbern.Â
Sprecherin
Damit ist der Hölzl-Hof einer von gut 14.000 Bauernhöfen mit „Betriebssitz in den Alpenlandkreisen und Flächen innerhalb der Berggebietskulisse“, wie es das bayerische Landwirtschaftsministerium in seinem Agrarbericht 2024 formuliert. Die Zahl der Bergbauern im engeren Sinn dürfte indes deutlich geringer ausfallen, sagt Klaus Maria Einwanger. Der Fotograf aus Rosenheim hat acht Bergbauernfamilien über mehrere Jahre begleitet – und dazu ein Buch veröffentlicht.
O-Ton 6 Klaus Maria Einwanger, Fotograf und Herausgeber Bildband „Bergbauern“Â
„Es gibt ja diesen EU-Begriff...Also Bergbauer ist entweder ĂĽber 700 Meter oder ĂĽber 500 Höhenmeter mit einer gewissen Hangneigung. Manche sind wirklich so, dass sie einfach ihren Hof am Hang haben. Das heiĂźt, die haben natĂĽrlich ganz andere Voraussetzungen wie jemand in der Ebene drin und ergänzen ihren Betrieb dann nochmal mit Almbetrieb. Das ist einmal der offizielle Begriff. Trotzdem hat natĂĽrlich jeder Landwirt eine gewachsene Struktur, und lebt das auch komplett unterschiedlich. Jeder Landwirt ist komplett anders sozialisiert, aufgestellt von der Alm, von dem Hof und von der Familienstruktur.“Â
Sprecher
Die Geschichte des Hofs von Klaus Schreyer, den Klaus Einwanger in seinem Buch porträtiert hat, ist bis zum Jahr 1452 dokumentiert.Â
M Little adventures Länge: 0´34´´
Sprecherin
Einzelne Bauern indes wagten sich bereits vor 4000 Jahren in die Berge. Doch erst die wachsende Bevölkerung vom 13. bis zum 16. Jahrhundert fĂĽhrte dazu, dass landwirtschaftliche Flächen im Tal knapp wurden – und Bauern in größerer Zahl ihr Heil in den Bergen suchten. Dazu forschte der Professor fĂĽr Agrar- und Regionalsoziologie Markus Schermer, frĂĽher am Forschungszentrum Berglandwirtschaft der Universität Innsbruck: Â
O-Ton 7 em. Prof. Markus Schermer, Forschungszentrum Berglandwirtschaft, Uni Innsbruck
„Der Mensch hat mit den Almen die natürliche Waldgrenze ungefähr um 100 Meter heruntergesetzt. Und hat da eben gerodet. Und hat da oben eben möglichst viel Fläche freigemacht, damit möglichst viele Tiere im Sommer da oben ihr Futter finden“
O-Ton 8 Einwanger
„Und dann ging es wirklich darum, dass man jetzt nicht mehr aufhören darf, die Berge zu pflegen. Weil das sonst letztendlich sehr, sehr schnell und sehr, sehr stark in Murenabgängen, in Lawinenabgängen münden wird. Weil selbst Wiesenflächen, die nicht benutzt werden, müssen gepflegt werden, damit das Gras nicht zu lang wird - und das nicht zu einer Rutschpartie für den Schnee wird.“
Atmo KĂĽhe
Sprecherin
Die Almweiden der Schellenbergalm sind keine monotonen, robusten Wiesen, die fĂĽr den Landwirt leicht zu pflegen sind. Die Weideflächen ziehen sich ĂĽber steile Hänge, werden immer wieder durchbrochen von Wanderwegen oder Trampelpfaden der KĂĽhe. Der Almboden ist wie eine dĂĽnne, sensible Haut der Erde, die sich durch Wind, Wetter und Steinschlag im alpinen Gelände ständig verändert. Und den ein Bergbauer – oder eine Sennerin wie Regina Hölzl - zum Wohl der Weide wie zum Schutz seines Viehs ebenso ständig im Blick haben muss.  Â
M Little adventures Länge: 0´39´´
Sprecher
Dazu gehören auch regelmäßige Kontrollgänge entlang der Zäune und zu den Wasserstellen. Ist nach einem Regen Geröll hineingeraten, sind sie verschlammt, oder durch den Kot von Wild verschmutzt? Dann muss Regina Hölzl sie sauber machen. Oft sind Zäune durch Wind und Wetter oder übermütiges Vieh beschädigt – und müssen repariert werden. Doch die mühevolle Kleinarbeit, die die Almbauern täglich vollbringen, um die Weiden frei und sicher zu halten – sie allein reicht nicht aus. Um die Berglandschaft zu pflegen, bedarf es zusätzlich einer ganz speziellen Kulturtechnik.
O-Ton 9 Hölzl
„Schwenden sagt man da, was gemacht wird auf den Almen. Das ist ein richtig schöner Ausdruck, ((gibt gar keinen Ersatzausdruck für „Schwenden“.)) Schwenden heißt, dass diese Latschen, Büsche, Fichten, die diese Weiden verwuchern, weil man´s einfach nicht geschafft hat an der Größe, an der Weite der Flächen – macht man so Aktionen...und die werden wieder freigelegt, Almflächen meistens verbrannt!“
M Alptraumpanorama Länge: 0´45´´
Sprecher
Gleich Fackeln ragen die Feuer zur Zeit des Schwendens aus den Berghängen. Rauchschwaden durchwabern den Wald, und tauchen die Almlandschaft in unwirkliches Licht. Der Fotograf Klaus Einwanger war beim Schwenden dabei – und beeindruckt davon, mit wie viel Aufwand und Know-How die Almbauern die Urgewalt des Feuers zähmen.
O-Ton 10 Einwanger
„Das ist unglaublich aufwendig. Da gehen zehn, zwölf, 15 Mann los in dem Fall und machen einen Tag das „Schwenden“. Also die fällen Bäume. Diese Stämme, wir waren ungefähr 40 Minuten von der Hütte weg, müssten alle per Hubschrauber ausgeflogen werden. Und das ist natürlich ökologisch ein gleicher Wahnsinn. Sie müssen aber auch verbrannt werden, weil wenn sie zum Verrotten dagelassen werden würden, dann würde das genauso wieder zuwuchern. Wir hätten Käferbefall und wir hätten einfach Oasen des Verfaulens. Und dann gehen die vier, fünf Wochen später hoch und brennen diese Holzhaufen, die sie gebildet haben, ab, um eben diesen Recyclingprozess, dass das Holz wieder zu Asche wird, somit auch wieder zurückgeführt werden kann in die Natur.“ (sehr abgerissen!)
M Alptraumpanorama Länge: 0´28´´
Sprecherin
Die Almwirtschaft erfordert spezielle Kenntnisse, dem fragilen kleinteiligen alpinen Lebensraum angepasst, oder ihm abgerungen. Einem Wissen, das auf den Erfahrungen der Vorfahren beruht.Â
Sprecher
Ein Wissen, das angehende Bergbauern in Schule oder landwirtschaftlichem Studium oft nicht lernten, sagt Klaus Schreyer.Â
Ein Wissen, das man ĂĽber Generationen bewahrt habe - und das sich bewährt hat, ergänzt Regina Hölzl: Die Bewirtschaftung von Alm und Alp zwängen Bergbauern seit Jahrhunderten dazu, innovativ zu denken. Wie etwa schafften es frĂĽhere Generationen auf der Schellenbergalm, dass ihnen die Milch auch ohne KĂĽhlschrank nicht schlecht wurde? Die Sennerin fĂĽhrt eine steile Holztreppe hinab, in den Keller der AlmhĂĽtte.Â
Atmo Schritte, gehen auf hölzerner Kellertreppe
O-Ton 11 Hölzl
„Ich hab einen Keller mit Wasserfall. (lacht) Des hoast so: Der Keller hat keinen Boden ned. Der hat nur einen Kiesboden drin, da kommt vom Berg her zu 90 Prozent immer natürliches Wasser eina. Und je höher die Luftfeuchtigkeit, um so kühler das Ganze... Sehr schlau gedacht, sehr innovativ, mitdenkt. Wie bringe ich das hin, dass ich auch auf 1500 Meter ohne Strom Lebensmittel haltbar machen kann?“
Sprecher
Dass es sich bei „ihrer“ Milch um ein besonders kostbares Lebensmittel handelt – das steht fĂĽr die Bäuerin auĂźer Frage.Â
Nach Analysen der Forschungsanstalt Raumberg-Gumpenstein, einer Einrichtung des österreichischen Landwirtschaftsministeriums, enthält die Milch von KĂĽhen, die auf Bergwiesen und Almen weiden, tatsächlich einen besonders hohen Anteil an gesunden Omega-3-Fettsäuren sowie an Vitaminen und Mineralstoffen.Â
M Im stillen Tal 0´52´´
Sprecherin:
Die Art und Weise, wie AlmkĂĽhe fressen, befördert Forschern zufolge auch die Artenvielfalt. Demnach halten die grasenden KĂĽhe, Schafe und Ziegen den Pflanzenbestand niedrig. Das Gros der lichtbedĂĽrftigen Blumen und Kräuter bekommt dadurch genug Sonne, um zu wachsen und zu gedeihen. Werden diese von KĂĽhen gefressen und wieder ausgeschieden, so versorgt dies den Almboden mit wichtigen Nährstoffen. Treten KĂĽhe Löcher in diesen Boden, so können darin eingetragene Pflanzensamen keimen. SchlieĂźlich transportieren die Tiere Samen in ihrem Fell bis in die entlegensten Winkel der Alm, an Raine, in Ăśbergänge zu Wald und Fels, die unwegsam sind, aber ein wahres Refugium der Biodiversität. Der Innsbrucker Professor Markus Schermer:Â
O-Ton 12 Schermer
„Wir wissen, dass in den Rändern von bestimmten Landschaftsteilen die höchste Biodiversität ist. Also am Waldrand, oder den Feldrändern...diese Randbereiche sind ganz besonders wichtig. Und deswegen auch diese Flurgeholzstreifen und solche Dinge die eben wichtige Lebensräume darstellen. Dass diese offenen Flächen ganz wichtig für das Wasserregime sind, dass da mehr Wasser in den Boden hineinsickern kann, als wenn das Waldflächen sind, weil in den Waldflächen die Verdunstung auch höher ist.“
Sprecher
Markus Schermer, der lange am Forschungszentrum Berglandwirtschaft der Universität Innsbruck geforscht hat, spricht es aus, dieses: „Was wäre wenn?“Â
Sprecherin
Was wäre, wenn die Almgegenden nicht mehr von Bauern bewirtschaftet würden: Wie würden sie aussehen? Welche Folgen hätte dies für Fauna und Flora von Alpen und Voralpenland, welche für diese gewachsene Kulturlandschaft von und mit der Menschen seit hunderten von Jahren leben?
Atmo Hof/Alm
Sprecher
Klaus Schreyer steht vor seinem Hof, auf einer leichten Anhöhe, so dass er seine Streuobstwiesen ĂĽberblickt, dahinter sanft-hĂĽgelige, voralpine Landschaft wie aus dem Fremdenverkehrsprospekt. Ganz zufrieden ist er dennoch nicht.Â
O-Ton 13 Schreyer
„Es ist halt dann ein enormer Strukturwandel in der Gegend, weil die ganze Landschaftsprägung ändert sich dann. (…) Vor mir ist der Schwarzenberg. Wo ich jetzt Wald sehe bei mir, bis rauf zum Gipfel war das Weidelandschaft. Ich unterhalt mich ja auch oft mit norddeutschen Touristen, wenn die bei uns da sind, also Gäste, und die sagen: Das einmalige an der Gegend ist halt, weil der Übergang so ist. Man hat eigentlich schon relativ kleinstrukturierte Flächen, und hat auch die Waldränder. Haglandschaft heißt das bei uns. Und das gibt’s ja da oben fast nicht“
Sprecherin
Dass einzigartige Berg-Landschaften nach und nach verschwinden – es ist ein nicht weit hergeholtes Szenario. Ihr Rückgang begann Markus Schermer zufolge, als die Almwirtschaft, vor gut 50 Jahren, unter Druck geriet.
O-Ton 14 Schermer
„Das war an und fĂĽr sich schon etwas, was man in den frĂĽhen 70er Jahren beobachten konnte, dass die Bergbetriebe die Modernisierungsverlierer sind. Dass sie also nicht so mit der Mechanisierung, Intensivierung, Spezialisierung mithalten konnten, die man also nach dem Zweiten Weltkrieg allgemein in der Landwirtschaft durchgefĂĽhrt hat.“Â
Sprecher Â
Klaus Schreyer hat das Sterben der Höfe in seiner Nachbarschaft hautnah miterlebt.Â
O-Ton 15 Schreyer
„Brunnfeld heiĂźt der ganze Ort, und das waren einmal acht Bauern in Brunnfeld. Und jetzt sind wir noch der Einzige.“Â
Sprecher
Dass es seinen „Sunnara“-Hof noch gibt: Das hat Schreyer der Um- und Weitsicht seiner Vorfahren zu verdanken, die das Anwesen nach und nach bis zu einer überlebensfähigen Größe erweiterten: Von 5 Kühen in der Frühzeit des Hofs auf heute fast 50. Klaus Schreyer schließlich investierte weniger in Quantität - sondern in die Qualität der Tierhaltung.
O-Ton 16 Schreyer
„Wir haben dann einen neuen Stall gebaut, der ist auch jetzt wieder 34 Jahre all. Und dortmals habe ich natürlich schon eine riesige Revolution gebrochen, da im Leitzachtal, weil ich hab den ersten Laufstall gebaut. Also bei mir laufen die Kühe schon frei. Weil ich hab kein Anbindehaltesystem gefunden, wo sich eine Kuh richtig wohlfühlt.“
Sprecherin
Die Anbindehaltung, bei der Vieh das ganze Jahr ĂĽber im Stall angebunden bleibt, soll aus TierschutzgrĂĽnden in einigen Jahren nicht mehr erlaubt sein. Dies schreckte zunächst auch Bergbauern auf, die Kombihaltung betreiben. Dabei haben die KĂĽhe im Sommer – wie bei Regina Hölzl auf der Schellenbergalm – Weidegang. Im Winter im Tal, oder abends und nachts, werden sie im Stall angebunden. Â
Atmo Jungkuh kommt in Stall der Schellenbergalm getrottet
O-Ton 17 Hölzl
„Da kommt die Guggi, die will in den Stall… Das ist eins von den Kälbern, die am Spätnachmittag selber heimgeht...“
Sprecher
Eine junge Kuh kommt in den niedrigen Stall getrottet, stellt sich an ihren Platz – und wartet darauf, von Regina Hölzl angebunden zu werden.
O-Ton 18 Hölzl
„Das ist ein Braunvieh, und die weiĂź auch, dass sie schön ist. Die ist sehr eitel, ja. Die wird jetzt ĂĽber Nacht in dem Stall angehängt, damit sie ihren festen Platz hat, damit sie ihre Ruhe hat, damit sie die groĂźen KĂĽhe einfach in Ruhe lassen. (…) Des sind Alphatiere, das sind Herdentiere. Die groĂźe Kuh neben dem kleinen Kaibal: die schafft da drin an. Das Kälbchen kann nicht aus. Und so hat sie ihren Platz, darf da bleiben ĂĽber Nacht, und kriegt ihre Portion Heu.“ Â
Sprecherin
Eine solche Kombihaltung soll auch nach einer Neufassung des Tierschutzgesetzes möglich sein. Unmut gab es zuletzt darĂĽber, den Winterauslauf von Rindern verpflichtend zu regeln. FĂĽr Almbauern, die ihr Vieh ohnehin wann und wo möglich ins Freie lieĂźen, noch eine Regulierung mehr, klagt Regina Hölzl. Sie berät mittlerweile Kolleginnen und Kollegen im komplizierten Klein-Klein der DĂĽngeverordnung.Â
O-Ton 19 Hölzl
„Es sind diese Vorschriften, die´s einem so leidig machen. Es ist enger geworden, es sind viel mehr Vorschriften geworden. Oder dieser Bleistift, die Subventionen, es wird immer wieder minimalisiert: Dabei muss ich ja investieren, Rücklagen bilden. Die allermeisten Betriebe haben noch irgendein Standbein: Ein Schankrecht, eine Ferienwohnung im Tal, damit man „Urlaub auf dem Bauernhof“ noch mitnehmen kann.“
Sprecherin
Sich breiter aufstellen, etwa durch touristische Angebote: Dies sei eine Möglichkeit fĂĽr Bergbauern, das Ăśberleben zu sichern, sagt Agrarsoziologe Markus Schermer. Eine andere liege in mehr Spezialisierung. Durch Direktvermarktung oder ökologisches Wirtschaften könnten sie höhere Preise erzielen. SchlieĂźlich könnten sie ihre Betriebskosten geringer halten: Etwa durch ZusammenschlĂĽsse wie Maschinenringe oder Genossenschaften. Doch so gut sich ein Bergbauer neu aufstellt - ohne einen weiteren Faktor wĂĽrde es laut Schermer wohl nicht gehen: Ohne Subventionen, mit denen die EU - wie auch das Land Bayern mit einem speziellen Bergbauernprogramm – die Almwirtschaft fördern.Â
Sprecher
Der Wert der Subventionen für die Bergbauern: Er lasse sich nicht in Heller und Pfennig berechnen, sagt Markus Schermer. Denn die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Alpen und Voralpen sei vernetzt, bilde eine bäuerliche Subkultur, einen Kitt auch für die Gemeinschaft, und eine gemeinsame Identität in den Dörfern.
O-Ton 20 Schermer
„Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass wir neben einer Biodiversitätsförderung auch eine Soziodiversitätsförderung brauchen. Das heiĂźt, wir sollten gesellschaftliche Organisationsformen und Lebensformen erhalten und deren Habitat erhalten, die eine Alternative zu unserem Leben und Wirtschaftsweisen, zu unserer kapitalistischen Lebens- und Wirtschaftsweise bieten. Ob das jetzt regional ist, wie die Bergbauern und Bergbauerninnen, oder ob das global ist. Aber im Prinzip ist es etwas, was mich in den letzten Jahren etwas mehr beschäftigt, dass wir mit unserer Wirtschaftsweise eigentlich die letzten Bereiche, die Alternativen dazu böten, kaputt machen. Dass unsere dominante Wirtschaftsweise eigentlich die Alternativen ausradiert, die wir so sehr brauchen wĂĽrden fĂĽr eine Transformation in Richtung sozial-ökologischer Nachhaltigkeit.“Â
 M Weltverdruss 1´27´´
Sprecher
Sie verspüre den Auftrag, das Wissen und die Erfahrung der Ahnen weiterzugeben, sagt die Bergbäuerin Regina Hölzl: Nicht nur an die nächste Generation der Bergbauern, sondern auch an die Gesellschaft. Als „Erlebnisbäuerin“ bringt sie Schülerinnen und Schülern das Leben der alpinen Landwirtschaft näher. Aber auch Wanderern auf der Schellenbergalm, die bei der Bergbäuerin Regina Hölzl Nachhaltigkeit hautnah erleben können.
O-Ton 21 Hölzl
„Das, was gottseidank wieder moderner geworden ist: Dass man sich wieder bewusster mit den Ressourcen auseinandersetzt, umgeht und die auch schätzt.Â
Das erlebe ich da oben immer wieder: wenn ich die Butter jetzt rühre in diesem Butterfass, und es sind zufällig Wanderer da, und die sagen: Was machst du den Da? Ja ich mach einen Butter. Woah, dürfen wir zuschauen? Woah schmeckt die gut! Und es geht einem selber auch so, dass man das leider ein bisschen vergessen hat: Dass das von einer gesunden Kuh ist, die frisches Wasser braucht. Und wie viel Energie, wie viel Liebe, wie viel Handarbeit da dahintersteckt. Wie gern man das macht, und mit was für einem souveränen Wissen das auch gemacht wird. Es wird einem schon bewusst, was das für ein bereichernder Aufwand ist, bis man das Stückerl Butter dann da hat. Und das kriegt dann einen ganz anderen Stellenwert.
Â