radioWissen - Bayern 2   /     Die Vampirfledermaus - Der soziale Blutsauger

Description

Sind Vampire nur Figuren der Legende? Tatsächlich leben in Südamerika drei Fledermausarten, die sich ausschließlich von Blut ernähren. Ihre Vorliebe bringt diesen Flattertieren - die übrigens gut zu Fuß sind - einige Schwierigkeiten. Von Christiane Seiler

Subtitle
Duration
00:24:31
Publishing date
2024-10-31 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/die-vampirfledermaus-der-soziale-blutsauger/2099233
Contributors
  Christiane Seiler
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2099233/c/feed/die-vampirfledermaus-der-soziale-blutsauger.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Sind Vampire nur Figuren der Legende? Tatsächlich leben in Südamerika drei Fledermausarten, die sich ausschließlich von Blut ernähren. Ihre Vorliebe bringt diesen Flattertieren - die übrigens gut zu Fuß sind - einige Schwierigkeiten. Von Christiane Seiler

Credits
Autorin dieser Folge: Christiane Seiler
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprach: Kathrin von Steinburg
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Simon Ripperger, Fledermausexperte, Landesamt für Umwelt in Bayern;
Sebastian Stockmaier, Verhaltensbiologe in Knoxville, Tennessee;
Remigiusz Kozinsky und Olga Polak, Neuer Zoo Poznan

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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

Linktipps:
Carter Lab: Website des Verhaltensbiologen Gerald Carter von der Ohio State University. Mit regelmäßigen Updates zur Vampirfledermausforschung und diversen Videos mit spannenden Details aus dem Leben dieser Tiere. HIER

Literatur:

Uwe Schmidt, Vampirfledermäuse. Spektrum Akademischer Verlag; 1. Edition (7. Dezember 1995). Die Monographie, zuerst erschienen 1979, ist die einzige umfassende deutschsprachige Publikation über das Thema.

Sebastian Stockmaier: Bat behavioral immune responses in social contexts: current knowledge and future directions. Artikel zu Fragestellungen über das Sozialverhalten erkrankter Vampirfledermäuse
https://www.frontiersin.org/journals/immunology/articles/10.3389/fimmu.2023.1232556/full

Simon Ripperger und Gerald Carter: Social foraging in vampire bats is predicted by long-term cooperative relationships. Artikel über die Tragfähigkeit von Freundschaften unter Vampirfledermäusen. https://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.3001366

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

01 OT Kozinsky / Polak

You can see one of them here, on the left side, between the wooden trunk and the wall. (läuft weiter, als Atmo unter folgendem Text)

Sprecherin

Zwei Mitarbeiter des Neuen Zoos von Poznan zeigen mir eine Rarität: Die Vampirfledermäuse. 1996 bezogen die ersten Exemplare ihren Käfig im Nachttierhaus, eine Gabe des Zoologischen Instituts der Universität Bonn. Nirgendwo sonst in Europa werden Vampirfledermäuse noch im Zoo gehalten. Aber auch hier in Polen geht ihre Ära wohl zu Ende.

02 OT Kozinsky / Polak

They are not endangered species. Our main task is breeding of endangered species. And we try to concentrate on this. We are not an entertainment place. We are more educational and breeding center… Polak: And today this cave is too small for bats. Kozinsky: We try to be better places for our inhabitants… 

Sprecherin (auf vorigen O-Ton)

Die Vampirfledermäuse seien keine bedrohte Art, erklären Remigiusz Kozinsky, der im Zoo für die Bildungsarbeit zuständig ist, und Olga Polak, die Kuratorin des Nachttierhauses. Ihr Zoo sei nicht zum Entertainment da, sondern für Umweltbildung und die Zucht bedrohter Tierarten. Außerdem sei der Käfig mittlerweile zu klein, die Standards haben sich geändert. 

03 OT Kozinsky / Polak

Olga, close the door... ((läuft weiter als Atmo unter folgendem Text)

Sprecherin

Die beiden geleiten mich vorsichtig in den Lebensbereich der Vampirfledermäuse, der mit einer Glasscheibe zum Publikumsbereich abgetrennt ist. Innen brennt Licht, noch ist es Tag für die nachtaktiven Tiere. 

04 OT Kozinsky / Polak

Autorin: There is one … (ab hier als Atmo unter folgendem Text)

Musik 2: Plus minus aus: Silver kobalt –  47 Sek 

Sprecherin

An der hinteren Wand sehe ich einen nachgebildeten hohlen Baumstamm, darin zwei kleine dunkel behaarte Fledermäuse mit spitzen Ohren und runden aufgeworfenen Nasen kopfüber von der Decke hängen. Als wir uns nähern, verziehen sie sich weiter nach hinten, ins Dunkle. Auf dem Boden, in einer kleinen Edelstahlschüssel, steht ihre Mahlzeit bereit: Schweineblut. In dem Käfig leben vier männliche Exemplare der Art Desmodus rotundus, auf Deutsch: die Gemeine Vampirfledermaus. 

05 OT Ripperger

Ja, also es gibt ja die Fledermäuse mit über 1.400 Arten, aktuell weltweit, also eine sehr große und diverse Säugetiergruppe und von den Vampirfledermäusen gibt es tatsächlich nur drei Arten, die ausschließlich in Lateinamerika vorkommen.

Sprecherin

Sagt Dr. Simon Ripperger. Er ist als Biologe beim Landesamt für Umwelt in Bayern als Fledermausexperte tätig. 

06 OT Ripperger

Und der gemeine Vampir, das ist ja die häufigste Art von diesen dreien, deswegen wird er auch regelmäßig beforscht, weil, er ist einfach zu finden in der Wildnis. Man kann ihn einfach halten in Gefangenschaft und das macht ihn natürlich zu einem idealen Forschungsobjekt. 

Musik 3: Plus minus aus: Silver kobalt – siehe oben– 19 Sek 

Sprecherin

Die Neugier der Wissenschaftler erregt diese Fledermausart vor allem aus drei Gründen: wegen ihrer einzigartigen Ernährungsweise, weil sie in Lateinamerika die Rinderbestände schädigt und weil sie ein hochkomplexes Sozialleben hat.

07 OT Kozinsky / Polak

Remigius: I can see some poo ... (ab hier unter folgendem Text)

Sprecherin

In Poznan, unter dem Schlafplatz der Fledermäuse, ist eine schwarze Substanz zu erkennen. Die Ausscheidungen der Tiere, unverdauliche Überreste ihrer Blutmahlzeit.

08 OT Ripperger

Ja, also der Kot von den Vampirfledermäusen, der ist fast teerartig, also sehr zäh, dickflüssig und schwarz und der Kot von anderen Fledermäusen ist ja eher krümelig und trocken im Normalfall.  

Sprecherin

Simon Ripperger hat in Lateinamerika, vor allem in Panama, Ruhequartiere der Vampirfledermäuse besucht. 

09 OT Ripperger

Und sobald man nah an den Baum rankommt, riecht man sofort, dass es ein Vampirfledermausbaum ist. Weil der, also der Kot, der verströmt einen extremen Ammoniumgeruch. Und Ammonium ist wahnsinnig unangenehm, weil es eben giftig ist. Also das heißt, wenn wir in so einen Vampirbaum reingehen, man kann in diese Vampirbäume tatsächlich einfach reinlaufen in vielen Fällen, weil das einfach riesige, uralte Bäume sind, die komplett ausgefault sind, also so fast wie Höhlenbäume. Und da muss man dann natürlich einen Mundschutz tragen, also eine aktive Schutzmaske gegen Ammoniumdämpfe.      

10 OT Kozinsky / Polak

(Kinderstimmen) Kozinsky: There is one... (ab hier unter folgendem Text)

Sprecherin 

Im Nachttierhaus von Poznan ist das Tageslicht erloschen, Besucher strömen hinein. Machen neben uns vor der dicken Glasscheibe zum Vampirfledermauskäfig Halt. In der schummrigen Beleuchtung nehme ich ein Tier wahr, das sich der Blutschüssel nähert, sich an den Rand hockt, mit seltsam angewinkelten Vorderbeinen. 

11 OT Kozinsky / Polak

(Kinderstimmen) He is licking… Autorin: now he looks around a little bit (Ab hier als Atmo unter folgendem Sprechertext)

Sprecherin

Das Tier beschnuppert den Inhalt, sieht sich um, schnuppert vielleicht dem Menschengeruch nach, den wir im Käfig hinterlassen haben. Dann stakst es am Rand der Schüssel entlang, auf Beinen, deren gefaltete Flughäute jetzt sichtbar sind.

12 OT Kozinsky / Polak

His tongue is for licking the blood from the dish (Ab hier als Atmo unter folgendem Sprechertext)

Sprecherin

Kurz ist eine spitze Zunge zu sehen. Das Tierchen taucht sie in den Inhalt der Schüssel. Springt dann mit einem großen Satz aus dem Blickfeld.

Musik 4: The brides -  1:09 Min

Sprecherin

Vampire, das weiß jedes Kind, sind Wesen, die Blut trinken. Geschichten von Vampiren und Untoten geistern seit Jahrhunderten durch die europäische Welt der Legenden und Mythen. Sprachwissenschaftler haben herausgefunden, dass das Wort ‚Vampir‘ in verschiedenen Varianten aus dem Slawischen stammt und seit dem ersten Jahrtausend nach Christus gebräuchlich ist. Geschichten von Untoten, die die Lebenden in verschiedenen Gestalten heimsuchen und sich an deren Blut laben, sind offenbar über die ganze Welt verbreitet. Als Eroberer und Forschungsreisende sich von Europa aus in immer entferntere Gegenden aufmachten, trat auch das Wort Vampir seine Weltreise an. In Asien, Afrika und Amerika trafen diese Abenteurer und Entdecker auf neue Mythen von mörderischen Fabelwesen. Schauergeschichten von blutsaugenden Fledermäusen machten die Runde: 

13 OT Ripperger

Es gibt schon aus der Frühzeit der Besiedelung durch die Europäer in Lateinamerika solche Berichte. Als die Conquistadores angelandet sind und mit ihren Soldaten und dem Vieh, den Pferden und den Kühen ankamen, dass Schwärme von Vampirfledermäusen über Mensch und Vieh hergefallen sind. 

Musik 5: Twelve Month - 1:25 Min

Sprecherin

Oft ging den Erzählern offenbar die Fantasie durch. Berichte über taubengroße Vampirfledermäuse stürzten Taxonomen, die neu entdeckte Tierarten beschreiben und benennen, in einige Verwirrung. So bezeichnete der berühmte schwedische Naturforscher Carl von Linné Mitte des 18. Jahrhunderts den großen asiatischen Flughund als „Vespertilio Vampyrus“, weil dieser, so Linné, bei schlafenden Dienern und an den Kämmen der Hähne Blut sauge. Ein Irrtum, denn ausgerechnet dieser große Flugsäuger ernährt sich ausschließlich von Obst und Nektar. Auch „Vampyrum Spectrum“, die größte Fledermausart Lateinamerikas, trägt den Namen zu Unrecht. Diese fleischfressende Art ernährt sich von kleinen Nagetieren und Vögeln. Erst ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts setzte sich bei den Zoologen die Erkenntnis durch, dass es nur in Lateinamerika jene drei klein gewachsenen Fledermausarten gibt, die sich ausschließlich vom Blut der Säugetiere und Vögel ernähren. Und manchmal, wenn auch sehr selten, vom Blut der Menschen.  

Musik aus

Sprecherin

Vampirfledermäuse haben sich eine sehr spezielle ökologische Nische erobert und nehmen dafür einiges auf sich. Blut sättigt nicht nachhaltig, eine Fledermaus wird also schnell wieder hungrig, Fasten kann für sie tödlich sein. Überwintern, wie es die Insekten-fressenden Fledermäuse hierzulande tun, ist ebenfalls nicht möglich, weil mit der Blutmahlzeit keine Fettreserven gebildet werden können. Deshalb leben Vampirfledermäuse nur in ganzjährig warmen Gegenden. Manche Fähigkeiten anderer Fledermausarten, wie etwa eine ausgefeilte Ortung durch Ultraschalllaute und akrobatische Flugkünste, spielen für sie eine untergeordnete Rolle. 

Musik 6: 1864 –  23 Sek

Sprecherin

Und die Zähne? An Halloween und Karneval gehört ein falsches Gebiss mit langen spitzen Fangzähnen bekanntermaßen zur Vampir-Grundausstattung. Nur beißt die Fledermaus, anders als ein sexy Gruselfilm-Vampir, nicht mit den Eckzähnen, sondern mit den Schneidezähnen.     

Musik aus

14 OT Ripperger

Die oberen vorderen Schneidezähne, die sind sehr stark modifiziert. Also die sind nach vorne gerichtet, fast sichelförmig und die Innenseite ist eben rasierklingenscharf. Und mit diesen beiden Zähnen können sie eben sehr effizient die Haut einritzen von Beutetieren. Und dann haben Sie natürlich auch eine ganze Reihe von weiteren Anpassungen an das Trinken von Blut. Also im Speichel sind Gerinnungshemmer für das Blut. Also das heißt, das Blut kann dann für längere Zeit aus der Wunde herausrinnen. Sie sind tatsächlich keine Blutsauger, wie man immer sagt, sondern sie lecken mit der Zunge das Blut auf. Auch auf der Zunge ist dann eine Hornplatte, mit der sie einerseits sehr effizient Haare von der Bissstelle entfernen können, andererseits wird diese Hornplatte vermutlich auch zum Schärfen der Zähne genutzt. Also es sind völlig verrückte Anpassungen für ein Säugetier.

Sprecherin

Bevor es aber ans Blutlecken geht, wohlgemerkt nicht ans Blutsaugen, muss das Tier die Beute finden. Auch dazu hat sich die Vampirfledermaus im Lauf der Evolution besondere Fähigkeiten zugelegt:

15 OT Ripperger

Sie sind oft eben nicht im Flug unterwegs, wenn sie auf der Beute landen, sondern sie landen ein paar Meter neben der Beute und schleichen sich dann zu Fuß an. Man hat Versuche gemacht mit den Tieren, wie sie eben ihre Flügel und ihre Beine zum Laufen benutzen und hat sie auf kleine Laufbänder gesetzt. Und da hat man eben gesehen, dass die Tiere das Rennen wieder gelernt haben. Und so können die eben relativ zügig dann über den Boden sich der Beute annähern. Dann müssen sie natürlich auch einen guten Ort finden, an dem sie den Biss machen, an dem dann hoffentlich auch Blut austritt. Und dazu haben sie dann Wärmesensoren in der Schnauze, mit denen sie eben diese, ja, die Adern unter der Haut gut detektieren können.

Sprecherin

Vampirfledermäuse überfallen mit Vorliebe schlafende Beutetiere. Bis zu einer halben Stunde lang trinkt ein Tier an der selben Wunde und scheidet dabei immer wieder den wässrigen Anteil des Blutes aus, um Platz im Magen zu schaffen

16 OT Ripperger

Und das ist wirklich verrückt, wenn man ein Tier fängt, das praktisch frisch vollgefressen ist. Die sehen wirklich aus, als wären sie schwanger. Und dann guckt man genauer hin und sieht: Nee, es ist doch ein Männchen. Und es ist einfach nur dieser prall gefüllte Bauch voll mit Blut. Und dieses Blut, die dunkle Farbe schimmert dann schwarz durch den Unterleib. Also es ist wirklich eine fantastische Erfahrung, so ein Tier in der Hand zu haben.

Musik 7: The Moment I’m still awake -  31 Sek

Sprecherin

Vor der Kolonisierung Lateinamerikas waren Vampirfledermäuse vermutlich relativ selten. Sie konnten sich nur an Wildtieren und an domestizierten Lamas oder Meerschweinchen laben. Als die Eindringlinge aus Europa große Mengen an Rindern, Schweinen und Pferden mitbrachten, änderte sich das Nahrungsangebot für die gemeine Vampirfledermaus grundlegend. Die Tiere wurden zu Zivilisationsfolgern.

17 OT Ripperger

Wenn man sich das vorstellt, heute diese Bäume, in denen die Fledermäuse ihr Quartier beziehen, an denen wir arbeiten, die stehen manchmal mitten auf der Viehweide. Die Fledermäuse fliegen aus diesem Baum raus und der Tisch ist bereits reich gedeckt. 

Sprecherin

Die Population der gemeinen Vampirfledermaus wuchs derartig, dass sie schon bald von den Viehzüchtern als lästige Schädlinge empfunden wurde. Denn am liebsten bedienen sich die Fledertiere an den Rindern:

18 OT Stockmaier

Kühe sind natürlich quasi so ein bisschen wie der McDonald's. Der ist einfach da, der geht nirgendwo hin. 

Sprecherin

Sebastian Stockmaier. Er hat mit Simon Ripperger in Panama gearbeitet. Heute forscht der Verhaltensbiologe an der Universität von Knoxville in Tennessee.

19 OT Stockmaier

Kühe, die bewegen sich nicht viel, die sind immer so auf ihrer Weide. Im Gegensatz zu jetzt Wildtieren, wo sie jetzt in den Dschungel müssten und sich einen Tapir suchen müssten. 

Sprecherin

Wenn manchmal mehrere Fledermäuse nachts an derselben Wunde trinken, tropft das Blut, wegen der im Fledermausspeichel enthaltenen gerinnungshemmenden Substanzen, noch lange aus der Wunde. Aber das Problem mit den Fledermausbissen ist nicht der Blutverlust. Durch den Kontakt des Speichels mit dem Blut werden Krankheitserreger übertragen, vor allem das Tollwut-Virus. Dieser Zusammenhang wurde in den 30er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts erkannt und führte in den sechziger Jahren zu großangelegten Fledermaus-Vernichtungsaktionen unter anderem in Brasilien und Venezuela. Tausende Höhlen wurden mit Dynamit in die Luft gesprengt, zigtausende Fledermausquartiere mit DDT und anderen Giften ausgerottet. Dem fielen natürlich nicht nur Vampirfledermäuse zum Opfer. Heute gibt es Tollwutimpfungen. Aber Farmer sind oftmals nicht zimperlich, wenn sie Vampirfledermäuse auf ihrem Land entdecken:

20 OT Stockmaier

Was viel verwendet wird, ist „vampiricide“. Das ist ein Mix aus Rattengift und Vaseline und was dann gemacht wird: Die Vampirfledermäuse werden gefangen und dieses Gift wird denen auf das Fell geschmiert. Die Idee ist dann, dass sie zurückgehen zu ihren Artgenossen, in ihren Baum, ihren roost, und dass die anderen das dann quasi durch dieses Grooming, durch diese Fellpflege, dass das Gift dann quasi durch die Gruppe sich überträgt. 

ATMO Fledermäuse

Sprecherin

Die Methode mit dem Vampirizid nützt das besonders soziale Verhalten der Tiere aus. Vampirfledermäuse in ihrem Ruhequartier hängen nicht einfach schlafend und reglos von der Decke, vielmehr beschäftigen sie sich intensiv miteinander. Die Jungen üben fliegen, Männchen kämpfen, und sehr viel Zeit verbringen die Tiere, alte wie junge, mit gegenseitiger Fellpflege. Nicht nur eng verwandte Tiere kraulen und belecken einander. Simon Ripperger:

21 OT Ripperger

An Forschung in Gefangenschaft konnte man eben zeigen, dass die Tiere so scheinbar Vertrauen aufbauen. Man muss natürlich auch mal darüber nachdenken, was das alles voraussetzt. Also die Tiere müssen sich erstmal individuell erkennen, dann müssen sie auch ihre, ja die soziale Vergangenheit irgendwie bewerten können. Also wenn die Tiere praktisch anfangen mit Fellpflege, müssen sie irgendwie bewerten, führt das jetzt irgendwohin oder ist das eine Sackgasse? Ja, und das ist natürlich wirklich eine tolle kognitive Leistung, solche sozialen Interaktionen zu bewerten und auch strategisch zu planen. Und man geht da immer so davon aus, der Mensch, die Krone der Schöpfung und unsere sozialen Bindunwwwgen, das ist was ganz Besonderes. Aber das, was hier die Vampirfledermäuse machen, geht tatsächlich in diese Richtung.

Musik 9: Plus minus – siehe vorn – 44 Sek

Sprecherin

Es kann Wochen oder Monate dauern, bis Vampire eine tragfähige Beziehung aufbauen. Ist sie erst einmal gefestigt, gehen die befreundeten Vampirfledermäuse noch einen Schritt weiter. Sollte eine von ihnen kein Jagdglück gehabt haben und hungrig in das Quartier zurückgekehrt sein, teilt die Freundin die Mahlzeit mit ihr, würgt Blut aus dem Magen hoch und gibt es ab, verzichtet also auf einen Teil ihrer Nahrung, damit die andere satt wird. Vampirfledermausweibchen tun dies regelmäßig für ihre Jungen und in dieser mütterlichen Fürsorge hat das Verhalten wohl auch seinen Ursprung. Aber sie teilen erstaunlicherweise nicht nur mit Verwandten. 

22 OT Ripperger

Und das hat eben viele Biologinnen und Biologen über die Jahre verwirrt, wie das eben evolutionär stabil sein kann, sagt man dazu also: wie kann sich so ein Verhalten manifestieren, wenn es eigentlich einen Nachteil mit sich bringt? Aber wenn wir das als wechselseitiges Verhalten betrachten, dann macht das natürlich plötzlich Sinn. Es ist tatsächlich so: Futter zu erhalten wird am besten dadurch vorhergesagt, wem ich früher mal Futter gegeben habe. Und daraus sieht man direkt ja, wenn ich einer anderen Fledermaus in Not helfe und es ist dann sehr wahrscheinlich, dass ich was zurückbekommen, wenn ich selbst in Not bin, dann macht das Ganze Sinn. Also dann kann das eben auch stabil sein, weil man profitiert selbst eben auch von diesem Investment in der Zukunft.

Sprecherin

Simon Rippergers Kollege Sebastian Stockmaier interessiert sich für die Frage, ob und wie Vampirfledermäuse ihr soziales Verhalten ändern, wenn sie erkrankt sind. Erste Studien zeigen, dass kranke Fledermäuse sich Artgenossen gegenüber teils reservierter verhalten. 

23 OT Stockmaier

Wir haben uns das noch nicht wirklich angeschaut, ob dann Fledermäuse die krank sind und die deswegen nicht raus können und jagen können, ob die dann von anderen versorgt werden und von wem die versorgt werden, ob es dann wirklich verwandte Fledermäuse sind oder ob es auch die anderen Artgenossen sind. Ja, das wissen wir nicht. Das ist interessant. Und wir haben schon Experimente geplant in der Zukunft, um uns das anzuschauen.

Sprecherin

Viele Forschungen wurden überhaupt erst möglich durch eine neuartige Generation von Bewegungstrackern, Sensoren, die die Begegnungen unter einzelnen Tieren aufzeichnen, ähnlich der während der Pandemie ab dem Jahr 2020 gebräuchlichen Corona-App. An der Entwicklung dieser Sensoren war Simon Ripperger beteiligt. 

24 OT Ripperger

Also es sind kleine Sensoren, die kleben wir auf den Rücken von Tieren auf, in dem Fall eben von den Vampirfledermäusen. Und dann fangen diese Sensoren an, miteinander zu kommunizieren und wir wissen im Sekundentakt genau, welche Tiere verbringen wie viel Zeit miteinander, sind die im Körperkontakt, sind die nur im gleichen Quartier. Und das im 24-Stunden-Takt und über ein, zwei Wochen. Und das ist natürlich eine Datenqualität, die war bis dahin undenkbar. 

Sprecherin

Bis dahin ließ sich das Verhalten der Vampirfledermäuse nur in Gefangenschaft detailliert beobachten. Die neuen Sensoren ermöglichen Antworten auf viel weitergehende Fragen. Etwa ob Freundschaften zwischen Fledermäusen, die in Gefangenschaft entstanden sind, auch in freier Wildbahn halten: 

25 OT Ripperger

Und nachdem wir diese Tiere freigelassen haben, in die Wildnis, konnten wir eben sehen, dass die Tiere, die sehr viel Zeit miteinander in Gefangenschaft verbracht haben und eben auch viel Zeit in Fellpflege investiert haben und gegenseitig Futter geteilt haben, dass die dann eben auch sehr viel Zeit in der Wildnis in engem Körperkontakt verbracht haben. Und das war eben ein starker Indikator dafür, dass diese sozialen Bindungen wirklich extrem stabil sind, selbst wenn sich das Umfeld der Fledermäuse komplett ändert. Und das war natürlich eine tolle Erkenntnis, weil ja, solche starken sozialen Bindungen kennt man tatsächlich nur von wenigen anderen Tierarten.

Sprecherin

Eine weitere Fragestellung hat das Team mit Hilfe der neuartigen Sensoren bereits erforscht: Ob nämlich Fledermäuse, die im Quartier enge Beziehungen pflegen, gemeinsam auf die Jagd gehen. Auch hier kam es zu überraschenden Erkenntnissen: 

26 OT Ripperger

Die verlassen das Quartier nicht zusammen, sondern einzeln, auch mit größeren Abständen, zehn, 20 Minuten oder auch länger. Und dann treffen sie sich aber wieder auf der Kuh. Und das war eben erstmal irritierend, weil die nächste Frage ist: Wie finden Sie sich denn wieder? Und da war dann eben interessant, dass wir Ruftypen aufgezeichnet haben. Also ich war dann wirklich Teil der Kuhherde und bin da mit einem Mikrofon und mit einer Videokamera mit den Kühen mitgelaufen und habe beobachtet, was die Tiere da machen. Und dort haben wir eben Ruftypen aufgezeichnet, die wir aus dem Quartier nicht kannten. Und das liegt eben nahe, dass das Signale sind für die Kooperationspartner, wo man eben zu finden ist. Und vielleicht auch ein Signal: Hier gibt es was zu fressen. Und das ist bisher nur Spekulation. Was die Funktion genau ist von diesen Rufen, das muss man in der Zukunft genau testen, wie sich die auswirken auf die sozialen Partner...

Musik 10: Plus minus – siehe vorn – 52 Sek

Sprecherin

Fragen über Fragen. Wie werden kranke Fledermäuse im Quartier versorgt? Was teilen die Tiere einander mit ihren Rufen mit? Weitere Studien werden es zeigen. Eins ist sicher: Viele mögen Vampirfledermäuse gruselig finden oder für lästige Schädlinge halten. Aber in Sachen Fürsorge für andere sind sie vorbildlich. Das findet auch Remigius Kozinski vom Neuen Zoo in Poznan:

27 Poznan, Atmo Kinder, (darauf zügig  O-Ton 28)

28 OT Kozinsky

We should learn to do like them. Try to help each other. In all difficult situations in our life. 

Sprecherin

Wir Menschen sollten uns ein Beispiel an den Vampirfledermäusen nehmen, meint er. Und in schwierigen Lebenslagen einander helfen.