radioWissen - Bayern 2   /     Die Zentralbanken - Big Player der Politik

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Banknoten ausgeben und Goldmünzen verwalten - dafür wurden einst Zentralbanken geschaffen. Heute müssen sie unsere Banken regelmäßig vor dem Kollaps retten. Im modernen Finanzmarktkapitalismus läuft nichts mehr ohne die mächtigen Geldmanager. Wie kam es dazu? Von Maike Brzoska

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Duration
00:23:05
Publishing date
2024-11-05 09:20
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https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/die-zentralbanken-big-player-der-politik/2099400
Contributors
  Maike Brzoska
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Shownotes

Banknoten ausgeben und Goldmünzen verwalten - dafür wurden einst Zentralbanken geschaffen. Heute müssen sie unsere Banken regelmäßig vor dem Kollaps retten. Im modernen Finanzmarktkapitalismus läuft nichts mehr ohne die mächtigen Geldmanager. Wie kam es dazu? Von Maike Brzoska

Credits
Autorin dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann
Technik: Heiko Hinrichs, Susanne Harasim
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:

Joscha Wullweber, Politikwissenschaftler und Professor an der Universität Witten/Herdecke
Leon Wansleben, Soziologe und Gruppenleiter an Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln
Nils Herger, Ökonom und Dozent an der Universität Bern

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Literatur:

Nils Herger: Wie funktionieren Zentralbanken? Geld- und Währungspolitik verstehen. Springer/Gabler, 2015

Joscha Wullweber: Zentralbankkapitalimus. edition Suhrkamp, 2021

Leon Wansleben: The Rise of Central Banks. State Power in Financial Capitalism. Har

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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Juli 2012 auf einer Investorenkonferenz in London. Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, tritt vor das Mikrofon und hält eine kurze Rede. Mitten in seinem Vortrag hält er inne, schaut ins Publikum und sagt mit Nachdruck die folgenden Worte: 

01 / TON

Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough.

02 OT (Wullweber)

Das war ja der berühmte Ausspruch: Was es auch bedeutet, ich werde auf jeden Fall den Euro retten. 

SPRECHERIN

Der Politikwissenschaftler Joscha Wullweber. Er ist Professor an der Universität Witten/Herdecke. 

Nicht wenige meinen: Mit diesen Sätzen hat Draghi den Euro gerettet. Zumindest aber eine weitere Eskalation der Eurokrise verhindert. 

Zur Erinnerung: Nachdem in den USA eine Immobilienblase geplatzt war, mussten erst Banken und dann ganze Staaten, vor allem in Südeuropa, gerettet werden. Ob das klappt, war damals fraglich. Eine Reihe von Investorinnen und Investoren wettete darauf, dass die Eurozone zerbricht, dass also Griechenland oder Italien aus dem Euro austreten müssen, weil sie pleite sind. Bis Draghi die entscheidenden Worte sprach: Wir werden den Euro retten, whatever it takes, was immer es kostet.

03 OT (Wullweber)

Das Signal an die Finanzmärkte: Italien wird nicht Pleite gehen, weil die EZB wird da sein, und sofort haben sich die Finanzmärkte beruhigt, ohne dass Mario Draghi auch nur einen Euro ausgeben musste.

Musik:  New beginning 0‘32

SPRECHERIN

Ein paar Worte des Zentralbank-Chefs genügten, um die Stimmung zu drehen. Ein Einzelfall? Keineswegs. Ein anderes Beispiel ist die Rede von Alan Greenspan 1996. Die Börsen hatten damals einen langen Aufwärtstrend hinter sich, als Greenspan, damals Chef der US-amerikanischen Zentralbank, auf einer Dinnerparty beiläufig vom „irrationalen Überschwang“ sprach. 

04 OT (Wullweber)

Und in dem Fall war das so, dass Greenspan meinte, er ist sich nicht ganz sicher, ob die guten Entwicklungen auf dem Finanzmarkt in nächster Zeit so weitergehen. Führte dazu, dass sofort rein interpretiert wurde; Oh je, es könnte sein, dass etwas abstürzt, also verkaufe ich. Und dann fingen diverse Leute an zu verkaufen. Das führt dann zu einer Spirale, die immer weiter runterzieht. 

SPRECHERIN

Draghis entschiedene Worte in der Eurokrise, Greenspans Zweifel im Börsenhoch: Die Zeiten waren sehr verschieden, aber beide Male haben Zentralbank-Chefs viele Milliarden an Euro oder Dollar bewegt – allein durch ein paar Worte. Wie kann das sein?

06 OT (Wullweber)

Finanzmärkte sind hoch psychologisch, emotional getrieben. Und mit diesen Emotionen, mit der Psychologie müssen Zentralbanken, die ja die Hauptstabilisatoren dieses Systems sind, auch umgehen. Und das tun sie auch.

SPRECHERIN

Hauptstabilisatoren, weil ohne sie nichts mehr läuft. Joscha Wullweber hat dafür den Begriff Zentralbankkapitalismus geprägt.

07 OT (Wullweber)

Was die Zentralbanken heute so mächtig macht, ist, dass eigentlich das gesamte Finanzsystem ohne die permanenten Interventionen der Zentralbanken nicht mehr funktionieren würde. 

SPRECHERIN

Geplant war das nicht. Vielmehr war es so, dass die Zentralbanken im Laufe der Zeit an Bedeutung gewannen. Die ersten Zentralbanken gründeten sich im 17. Jahrhundert.

08 OT (Herger)

Das sind insbesondere zwei Zentralbanken, die es heute noch gibt. 

SPRECHERIN

Sagt der Ökonom Nils Herger. Er ist Dozent an der Universität Bern.

09 OT (Herger)

Das ist einerseits die schwedische Reichsbank. Und die zweitälteste ist die Bank of England. 

Musik:   2.Satz Bach 0‘25

SPRECHERIN

In Schweden lief das mit den Zahlungen damals ziemlich schleppend – im wahrsten Sinne des Wortes. Eine oft verwendete Kupfermünze wog knapp 20 Kilogramm. Ein echtes Schwergewicht. Deshalb bot der Banker Johan Palmstruch an, die Münzen in seiner Bank zu verwahren und stattdessen Papierquittungen auszugeben. Die Idee überzeugte den schwedischen König. Palmstruchs Bank erhielt das hoheitliche Recht, Banknoten auszugeben. Die Quittungen kursierten bald als Zahlungsmittel, um größere Beträge zu begleichen. Papiergeld statt Kupfermünzen – das war neu. Die Innovation bestand darin, …

10 OT (Herger)

… dass eine private Gesellschaft vom Staat sozusagen das Recht erworben hatte, um in einem gewissen Gebiet eben Papiergeld, Banknoten auszugeben als ein innovatives Zahlungsmittel damals. 

SPRECHERIN

Palmstruchs Bank ging ein paar Jahre später Pleite, aber seine Idee hatte sich bewährt. Die Regierung gründete 1688 die Schwedische Nationalbank, die Vorläuferin der heutigen Zentralbank Schwedens. In Großbritannien lief es ähnlich. 1694 bekam die Bank of England das Recht, Banknoten auszugeben. Die englische Krone brauchte dringend Geld für den Krieg gegen Frankreich. Ein häufiges Motiv für die Gründung von Zentralbanken.

11 OT (Wansleben)

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Zentralbanken eigentlich ausschließlich zur Kriegsfinanzierung gegründet. 

SPRECHERIN

Der Soziologe Leon Wansleben. Er ist Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.

12 OT (Wansleben)

Und die Idee bei der Kriegsfinanzierung war eigentlich: Man gründet eine Zentralbank, die so eine Art Fonds ist, in denen reiche Bankiers, die Kapitalisten der jeweiligen Gesellschaften, einzahlen und der Regierung diesen Kredit zur Verfügung stellen für die Kriegsführung. 

SPRECHERIN

Weil das gut funktionierte, gründeten sich nach und nach überall in Europa Zentralbanken. Man nennt sie auch Notenbanken, weil sie eben Banknoten ausgeben.

Musik:  Precision on demand 0‘25

SPRECHERIN

Mit der Zeit eröffneten auch normale Geschäftsbanken Konten bei der Zentralbank. Für sie war das praktisch: Sie konnten dort ihre Goldbarren lagern und sich Kapital borgen. Die Zentralbanken wurden somit jeweils zur „Bank der Banken“. So werden sie heute noch oft genannt. 

Nach und nach entstand ein zweistufiges System mit einer Zentralbank im Mittelpunkt. Unumstritten war das allerdings nicht. Eine einzelne Bank, die so eine zentrale Stellung innehat. Und die auch noch Papiergeld drucken darf. Das warf Fragen auf: Warum ausgerechnet diese Bank? Und ist das Papier, das sie ausgibt, überhaupt richtiges Geld? Solche Fragen wurden im 19. Jahrhundert intensiv diskutiert – und stellen sich auch heute wieder: beim digitalen Geld. 

15 OT (Herger)

Es ist auch eine technische Innovation und es ist nicht ganz klar, was ist hier die Rolle der Zentralbank? Soll man das jetzt einfach dem Wettbewerb überlassen? Sie kennen diese Kryptowährungen, Bitcoin, es gibt ganz viele verschiedene Währungen. Soll man das regulieren? Soll sie ein eigenes elektronisches Zentralbankgeld ausgeben? Diese Diskussionen, die kommen heute wieder, in einem anderen technischen Umfeld. 

SPRECHERIN

Die Skepsis gegenüber der herausragenden Stellung einer Zentralbank führte mancherorts dazu, dass sie erst relativ spät gegründet wurde. 

16 OT (Herger)

Bekannte Beispiele sind vor allem die USA, die das auch sehr lange beibehalten hat, bis zur Gründung des Federal Reserve Systems 1914. 

Musik:  Dark waters (reduziert) 0‘32

SPRECHERIN

Dass schließlich dort doch eine Zentralbank gegründet wurde, lag am äußerst instabilen US-Finanzsystem. Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in den USA regelmäßig Bankenpleiten, die Wirtschaftskrisen nach sich zogen. Deshalb kam man auch hier zu der Überzeugung: Es braucht eine zentrale Bank, die im Notfall mit Geld aushelfen kann. Eine Bank mit Reserven, das Federal Reserve System, besser bekannt als die Fed.

17 OT (Wansleben)

Und die Idee hier ist, dass die Zentralbank den anderen Banken Liquidität bereitstellt, wenn die Kunden ganz schnell ihr Papiergeld gegen Gold eintauschen wollen. 

SPRECHERIN

Lange Zeit gab es ein Anrecht darauf, die Papierquittungen gegen Gold oder andere Edelmetalle einzulösen. Nach und nach wurde die Einlösepflicht allerdings abgeschafft. Das war eine längerfristige und keine lineare Entwicklung. Aber mit Beginn des Ersten Weltkriegs suspendierten eigentlich alle am Krieg beteiligten Länder die Goldeinlösepflicht. Auf diese Weise konnten die Zentralbanken freier agieren, wenn das Geld sehr knapp war – und das war es in Kriegszeiten praktisch immer. 

18 OT (Wansleben)

Die Idee war dann nicht mehr, dass es in der Zentralbank Gold gibt, das den Banken bereitgestellt wird, sondern dass die Banken selbst nur Reserven in Form von Schulden bei der Notenbank haben. Und die Notenbank tun letztlich nichts anderes als Schulden auszugeben als Reserven. 

Musik:  Prayer wheel 0‘51

SPRECHERIN

Die Zentralbanken sicherten die Kredite der Geschäftsbanken also nicht mit zurückgelegtem Gold ab, sondern mit selbst geschaffenem Geld – und genauso funktioniert das auch heute noch. Vor allem in Krisenzeiten stellen Zentralbanken auf diese Weise große Mengen an Geld bereit. Oft heißt es dann, die Zentralbanken werfen die Notenpresse an, wobei der Anteil der physischen Geldscheine heute verschwindend gering ist. Aber das Bild der Notenpresse ist geblieben – vielleicht weil es so schwer vorstellbar ist, dass solche enormen Summen mehr oder weniger aus dem Nichts erschaffen werden. 

Mit der Aufgabe, im Krisenfall schnell Liquidität bereitzustellen, wandelte sich jedenfalls die Rolle der Zentralbanken. Sie wurden zum Lender of Last Resort, zum „Geldleiher der letzten Instanz“. 

19 OT (Herger)

Da findet schon eine gewisse Wandlung der Zentralbank statt in dem Sinne, dass sich die Zentralbank – zumindest während der Krise – von einer rein privaten Institution hinwendet zu einer Institution, die mehr das öffentliche Interesse im Auge behalten muss.

Musik: Under a dark sky 0‘49

SPRECHERIN

Allerdings brauchte es erst noch eine richtig große Krise, bis sich diese Sichtweise endgültig durchsetzte. 1929 kam es zur Großen Depression, eine sehr schwere Wirtschaftskrise. Sie begann 1929 mit einem Absturz der New Yorker Börse. Viele Banken und Unternehmen bekamen Schwierigkeiten, einige gingen Pleite. Das brachte weitere Banken und Unternehmen in Bedrängnis. Auf diese Weise zog die Krise immer weitere Kreise. Ein beherztes Eingreifen der Zentralbanken, das Anwerfen der Notenpresse, hätte den Teufelskreis vermutlich stoppen können. Allerdings stellten die Zentralbanken damals nur wenig Geld zur Verfügung – aus Angst, dass zu viel Geld den Markt flutet und es zu Inflation kommen würde. Aber so kam es zum Gegenteil: Die Deflation, also die Aufwertung der Währung, verschlimmerte die Lage – die Nachfrage sank, die Preise fielen, die Unternehmen machten weniger Gewinn, Menschen verloren ihren Job, was wiederum zu sinkender Nachfrage führte…. Bis Anfang der 1930er hatten sich in den USA die Löhne halbiert, ein Drittel der Menschen war arbeitslos, viele Menschen hungerten. In Europa sah es nicht viel besser aus. Ein Desaster, das Forschende im Nachgang stark beschäftigte. Viele kamen zu der Überzeugung, dass Zentralbanken die Wirtschaft sehr viel stärker lenken sollten, und zwar nicht nur in Krisenzeiten. Einer, der für solche Vorschläge bekannt wurde, war der Ökonom John Maynard Keynes. Die Idee war, …

20 OT (Herger)

... dass eben die Geldpolitik hier im Dienst der Konjunktur und Preissteuerung eigentlich umfassend eingesetzt werden kann. 

SPRECHERIN

Über die Geldpolitik hat eine Zentralbank großen Einfluss auf die Wirtschaft. Das ist auch der Grund, warum etwa die EZB Schlagzeilen macht, wenn sie die Zinsen hebt oder senkt. Niedrige Zinsen führen oft dazu, dass Banken günstigere Kredite vergeben. Unternehmen investieren dann mehr und Menschen kaufen sich mehr Häuser oder Autos auf Pump. Das stimuliert die Wirtschaft, Löhne und Preise gehen tendenziell nach oben. Aber es geht auch andersrum: Steigen die Preise zu schnell, droht also eine Inflation, hebt die Zentralbank die Zinsen an. Die Menschen kaufen dann weniger auf Kredit, Unternehmen investieren zurückhaltender, die Wirtschaft wird eher gedrosselt. Das ist weniger populär – und führt in einigen Ländern regelmäßig zu Konflikten mit den Regierungen. Deshalb pochen viele darauf, dass Zentralbanken unabhängig sind.

21 OT (Herger)

Der Vorteil der Unabhängigkeit ist, dass man sagt, okay, wir müssen nicht direkt gewählt werden. Wir haben das Mandat, die Preisstabilität zu gewährleisten, und dann können sie das eben noch auch tun. 

Wait and hope Red. Version 0‘50

SPRECHERIN

In Deutschland ist die Unabhängigkeit der Zentralbank ein großes Thema. Das liegt auch an der Rolle der hiesigen Zentralbank in den 1920er und 30er Jahren. In der Weimarer Republik agierte die Zentralbank ganz im Sinne der Regierung. Sie druckte Unsummen an Reichsmark, weil man glaubte, die Reparationen, also die Kriegsschulden, nicht anders begleichen zu können. Das führte schließlich zu einer Hyperinflation, in der das Geld zuletzt so schnell an Wert verlor, dass Brot mehrere Millionen Reichsmark kostete. Erst eine Währungsreform schaffte Abhilfe.

In den 1930er Jahren bauten die Nationalsozialisten die Zentralbank dann in ihrem Sinne um. Ab 1939 unterstand sie sogar direkt Reichskanzler Adolf Hitler. Auf diese Weise konnte er seine Vorhaben quasi selbst finanzieren. So etwas sollte es nie wieder geben.

22 OT (Wullweber)

Es gibt einen sehr guten Grund, weswegen die Bundesbank als neutrale Instanz nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurde, weil die natürlich im Nationalsozialismus sehr stark mit Hitler zusammen agiert hat. Und eine Lehre daraus war zu sagen: Die soll unabhängig sein.

SPRECHERIN

Das wurde denn auch in den Statuten der 1957 gegründeten Deutschen Bundesbank festgeschrieben. Daneben wollten die Regierungen nach dem Zweiten Weltkrieg ein stabiles Währungssystem etablieren. Im US-Städtchen Bretton Woods einigten sie sich auf ein System fester Wechselkurse. 

SPRECHERIN

Insgesamt ein stark reglementiertes System, das bis Anfang der 1970er Jahre gut funktionierte.

24 OT (Wansleben)

Und dann kam es ja in den 70er Jahren zur Inflationskrise einerseits und andererseits zu immer stärkeren Liberalisierungsschüben durch die Globalisierung des Handels und der Kapitalströme, und dann brach im Prinzip diese ganze Architektur der Nachkriegszeit zusammen. 

Musik:  Take off  0‘19

SPRECHERIN

Bretton Woods war Geschichte. Auf die stark steigenden Preise reagierte die Bundesbank, indem sie die Zinsen erhöhte. Das gelang, die Inflation ging zurück, allerdings auf Kosten anderer wirtschaftspolitischer Ziele, meint Leon Wansleben. 

25 OT (Wansleben)

Inflation war damals wahrgenommen als ein Riesenproblem und wurde dann immer stärker in den Vordergrund gestellt. Die Frage von Beschäftigung und die Frage von Wachstum wurde eher hintenangestellt.

SPRECHERIN

Soll man ein paar Prozent Inflation in Kauf nehmen, um die Wirtschaft zu stimulieren und Arbeitsplätze zu schaffen? Denn, wie gesagt, führen niedrigere Zinsen oft dazu, dass mehr investiert wird und die Menschen mehr auf Pump kaufen. Die Nachfrage steigt also, die Unternehmen machen mehr Gewinn – und stellen Leute ein. Allerdings gibt es seit vielen Jahren in der Wissenschaft Streit darüber, ob das wirklich so funktioniert. Der frühere SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt jedenfalls meinte mal:

ZITATOR

Fünf Prozent Inflation sind leichter zu ertragen als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.

Musik:  Secret proofs 0‘42

SPRECHERIN

1998 wurde die Bundesbank dann Teil des Europäischen Systems der Zentralbanken. Wenige Jahre später folgte die große Finanzkrise: Eine Immobilienblase platzte, die Börsen stürzten ab, die Investmentbank Lehman Brothers musste 2008 Insolvenz anmelden. Das hatte zur Folge, dass Banken sich untereinander kein Geld mehr liehen – weil niemand wusste, wer als nächstes Pleite geht. Es fehlte an Liquidität. Die Zentralbanken sprangen ein – die Fehler der Großen Depression wollte man nicht wiederholen. So sah es insbesondere der US-amerikanische Zentralbank-Chef Ben Bernanke. Er ist ein profunder Kenner der Großen Depression – als Wirtschaftsprofessor hatte er sich jahrelang damit beschäftigt. Für ihn war klar: Es muss Geld in das System. Aber wie? Zunächst senkten die Zentralbanken die Zinsen.

26 OT (Wullweber)

Hatte keine Wirkung. Finanzkrise ging weiter. Das zweite Instrument ist dann: Der Lender of Last Resort, dass gesagt wird, okay, wir leihen den Banken Geld und da reden wir schnell von mehreren 100 Milliarden. Das war der zweite Schritt, ist völlig verpufft. Und dann hat man gemerkt, der Krisenherd liegt gar nicht im bekannten Finanzmarktsystem, sondern in diesem sogenannten Schattenbanken-System. 

SPRECHERIN

Schattenbanken heißen so, weil sie – anders als reguläre Banken – kaum reguliert sind. Dazu zählen Investmentbanken amerikanischer Art, aber auch Kreditversicherer und Hedgefonds wie BlackRock.

27 OT (Wullweber)

Und was die Federal Reserve dann gemacht hat, ist zu sagen, sie fangen nun an, das Schattenbank-System zu stabilisieren, indem sie den Akteuren, die hier das Geld brauchen, das Geld zur Verfügung stellen. 

Musik: Incorrectness (reduziert) 0‘27

SPRECHERIN

Die Schattenbanken bekommen von Zentralbanken praktisch unbegrenzt liquide Mittel – so etwas war vorher undenkbar. Wie auch andere Maßnahmen, die während der Finanz- und Eurokrise zum Einsatz kamen: Negativzinsen, Ankauf von Staatsanleihen im großen Stil und so weiter. Eine in geldpolitischer Hinsicht irre Zeit. 

SPRECHERIN

Aber die Zentralbanken machen das nicht ohne Grund. Denn ohne die Unmengen an Liquidität droht das Finanzsystem zusammenzubrechen. Und deswegen wird jede kleine Äußerung, und sei sie noch so beiläufig, von Zentralbankchefs und -chefinnen genauestens verfolgt. Stützen sie das System weiter? Oder gibt es Andeutungen, dass die Gelder zurückgefahren werden?

Deshalb diskutieren Forschende inzwischen darüber, ob das, was Zentralbanken tun, überhaupt legitim ist, ob es noch ihrem Mandat entspricht. Denn wenn für Bankenrettungen solch enorme Mengen Geld nötig sind, bleibt das nicht ohne Nebenwirkungen. 

29 OT (Wansleben)

Was nicht beachtet wird, ist, dass Inflationsbekämpfung oder auch die Rettungsaktionen, die Zentralbanken durchführen für das Bankensystem, immer inhärent mit anderen Aspekten der wirtschaftlichen Entwicklung zusammenhängen. Zum Beispiel Inflationsbekämpfung hat Folgen für Beschäftigung und auch für langfristige Wachstumsaussichten. Finanzmarktstabilisierung hat wiederum Auswirkungen auf die Möglichkeit zukünftiger Krisen usw. 

SPRECHERIN

Leon Wansleben meint deshalb, es sei an der Zeit die Rolle der Zentralbanken zu überdenken. 

30 OT (Wansleben)

Das Problem ist, dass wir keine brauchbaren Konzepte im Moment haben, wie Regierungen mit Zentralbanken kooperieren können. Die Zentralbanken agieren mit engen, oft auch kurzfristigen Zielen, …

SPRECHERIN

Etwa dem Ziel, die Inflation niedrig zu halten.

Forts. 30 OT

… es gibt aber keine kohärenten, holistischen, langfristigen Ziele, an denen sich Regierungen und Zentralbanken gemeinsam orientieren. 

SPRECHERIN

Eine Neuausrichtung der Zentralbankpolitik fordern einige Forschende mit Blick auf die Klimakrise. Denn für die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft werden noch große Summe nötig sein. Joscha Wullweber nennt Beispiele, wie Zentralbanken hier aktiv werden könnten.

31 OT (Wullweber)

Sie könnten sagen, wir geben Banken für grüne Investitionen einen günstigen Refinanzierungssatz. Man könnte auch sagen, Banken, die sehr viel in fossile Industrie investieren, müssen mehr Zinsen zahlen, könnte man auch machen. Zentralbanken könnten sogar auch sagen, in Sachsen oder Nordrhein-Westfalen gab es eine Riesenüberschwemmung, die lokalen Behörden haben Finanzierungsschwierigkeiten. Wir überweisen jetzt einfach mal 1 Milliarde, auch das könnte eine Zentralbank im Zweifelsfall tun.

SPRECHERIN

Nils Herger sieht solche Vorschläge kritisch. Er meint, dass es schwierig sei, wenn Zentralbanken mehreren Zielen verpflichtet sind.  

32 OT (Herger)

Das hat in der Vergangenheit immer zu Problemen geführt, wo man sagt, die Zentralbank sollte ein stabiles Geld haben, aber auch noch den Staat finanzieren, vielleicht Konjunkturpolitik betreiben. Dann bestand immer die Gefahr, dass man sich dann letztlich verzettelt hat und eigentlich keines dieser Ziele richtig verwirklicht hat. 

 Climate change B  0‘34

SPRECHERIN

Was ist die Aufgabe einer Zentralbank? Banknoten ausgeben? Preise stabil halten? Schattenbanken retten? Digitales Geld emittieren? Die Klimatransformation finanzieren? Die Geschichte der Zentralbanken zeigt, dass sich ihre Rolle immer weiter gewandelt hat, vor allem in Krisenzeiten. Es könnte der Moment sein, wo sie sich wieder wandeln.