SingularitĂ€t" klingt aufregend. Und in der Astronomie ist das auch aufregend! Es geht dabei um schwarze Löcher und den Urknall. Ob es SingularitĂ€ten aber wirklich gibt und ob sie auch nackt sein können, erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten. Wer den Podcast finanziell unterstĂŒtzen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten)
Sternengeschichten Folge 624: Was ist eine SingularitÀt?
Das Wort "SingularitĂ€t" klingt irgendwie aufregend. Und ursprĂŒnglich stammt es ja auch vom lateinischen Begriff "singularis", der "einzigartig" bedeutet. Etwas einzigartiges ist immer spannend. Und in der Wissenschaft werden mit "SingularitĂ€t" jede Menge einzigartige, spannende und faszinierende Themen bezeichnet. Ich möchte aber heute nicht ĂŒber die SingularitĂ€t in der Meteorologie reden, womit ungewöhnliche Abweichungen vom ĂŒblichen Wetter bezeichnet werden, auch nicht von geographischen SingularitĂ€ten, also irgendwelchen auffĂ€lligen Bergen, die mitten in der flachen Landschaft stehen oder so. Ich möchte auch ganz explizit nicht ĂŒber die technische SingularitĂ€t sprechen, wo ja irgendwelche Leute mit mehr oder meistens weniger guten Argumenten behaupten, das irgendwann in Zukunft eine unvorstellbar mĂ€chtige KĂŒnstliche Intelligenz die Welt ĂŒbernimmt. Das sind zwar auch alles interessante Themen, aber in diesem Podcast geht es um die Astronomie und das Weltall, also erzĂ€hle ich heute etwas ĂŒber die astronomischen SingularitĂ€ten und die Frage, ob sie auch nackt sein können.
Zuerst mĂŒssen wir aber einmal klĂ€ren, was eine "SingularitĂ€t" in der Astronomie ĂŒberhaupt sein soll. Meistens hört man dieses Wort in Verbindung mit schwarzen Löchern, aber das ist nicht die ganze Geschichte. Ganz allgemein ist eine SingularitĂ€t ein Ort, an dem die Gravitation so stark ist, dass die KrĂŒmmung der Raumzeit divergiert. Da kann man sich aber nicht sonderlich viel vorstellen, also braucht es ein bisschen mehr an ErklĂ€rung. Fangen wir mit ein paar sehr groben Vereinfachungen an und nĂ€hern uns dann StĂŒck fĂŒr StĂŒck der RealitĂ€t. Und der Ort, an dem wir anfangen, ist der Nordpol der Erde. Oder der SĂŒdpol, das ist egal, aber wir mĂŒssen uns fĂŒr einen entscheiden, also nehmen wir den Nordpol. Und wenn wir dort angekommen sind, können wir uns fragen, wie unsere Position ist. "Am Nordpol, was sonst!" gilt nicht als Antwort, wir brauchen die geografische LĂ€nge und die geografische Breite. Letzteres ist einfach: Wir sind bei 90 Grad Nord, denn genau so ist es am Nordpol definiert. Aber auf welcher LĂ€nge sind wir? Also wie weit östlich oder westlich befinden wir uns von der Linie, die man vom Nordpol durch die Sternwarte von Greenwich zum SĂŒdpol ziehen kann (denn diese Linie ist der Nullmeridian der LĂ€ngenmessung)? Die Antwort darauf ist nicht nur schwierig zu finden, es ist unmöglich. Berlin zum Beispiel hat eine geografische LĂ€nge von ein bisschen ĂŒber 13 Grad Ost. Das bedeutet, die Linie, die ich vom Nordpol durch Berlin zum SĂŒdpol ziehen kann, liegt 13 Grad östlich des Nullmeridians. Aber auch diese Linie startet eben am Nordpol. ALLE LĂ€ngengrade der Erde verlaufen durch den Nordpol und den SĂŒdpol und diese beiden Punkten haben schlicht keine geografische LĂ€nge. Es ist unmöglich, einen LĂ€ngengrad des Nordpols anzugeben, weil alle LĂ€ngengrade der Erde dort durchlaufen. Der Nordpol ist in dieser Hinsicht eine SingularitĂ€t, aber es nicht die Art von SingularitĂ€t, die in der Astronomie eine Rolle spielt. Der Nordpol ist eine sogenannte KoordinatensingularitĂ€t, sie ist quasi nicht "echt". Und tatsĂ€chlich wĂŒrden wir auch nichts besonders bemerken, wenn wir am Nordpol stehen - auĂer dass es sehr kalt ist. Aber dort hört die Erde nicht zu existieren auf; es ist ein Punkt wie jeder andere auf der ErdoberflĂ€che. Die Probleme mit dem LĂ€ngengrad können wir verschwinden lassen, wenn wir einfach andere Koordinaten als die geografische LĂ€nge und Breite verwenden. In der Astronomie haben wir es aber mit einer intrinsischen SingularitĂ€t zu tun, die man nicht zum Verschwinden bringen kann. Dort IST tatsĂ€chlich irgendwas im Raum, dass einzigartig ist; es handelt sich um reale, physikalische Eigenschaften.
Genauer gesagt: Es handelt sich vor allem um eine ganz bestimmte physikalische Eigenschaft, nĂ€mlich die KrĂŒmmung der Raumzeit. Wir wissen ja seit Albert Einsteins allgemeiner RelativitĂ€tstheorie, dass der Raum nicht nur auf besondere Weise mit der Zeit zusammenhĂ€ngt, sondern auch gekrĂŒmmt ist und dass es die Anwesenheit von Masse ist, die dafĂŒr sorgt, dass sich die Raumzeit krĂŒmmt. Objekte, genau so wie Lichtstrahlen, folgen bei ihrer Bewegung dieser KrĂŒmmung und wenn da jetzt zum Beispiel ein Stern ist, wie die Sonne, der mit seiner Masse den Raum krĂŒmmt und ein Planet wie die Erde sich in der NĂ€he des Sterns bewegt, dann sorgt die RaumkrĂŒmmung dafĂŒr, dass der Planet um den Stern herum lĂ€uft. Das sieht so aus wie eine Kraft, nĂ€mlich die Gravitationskraft, die der Stern auf die Erde ausĂŒbt, in Wahrheit ist es aber ein Resultat der KrĂŒmmung des Raums. Soweit ist das alles weder neu, noch hat es etwas mit der SingularitĂ€t zu tun. Interessant wird es, wenn - wie ich vorhin gesagt habe - die KrĂŒmmung der Raumzeit divergiert. Und "divergieren" beziehungsweise "Divergenz" ist ein Begriff aus der Mathematik, der so viel heiĂt wie "hat keine Grenze".
Was das in unserem Fall bedeutet kann man mit einem nicht ganz so mathematisch exaktem Beispiel erklĂ€ren. Wenn wir uns anschauen, wie ein Stern entsteht, dann passiert das, in dem eine groĂe Wolke aus kosmischen Gas und Staub in sich zusammenfĂ€llt. Die Wolke wird also immer dichter und dichter und dichter - aber hier gibt es irgendwann eine Grenze. Dann nĂ€mlich, wenn die Temperatur in der Wolke hoch genug ist, dass Kernfusion einsetzen kann. Die Fusion erzeugt Strahlung, die dringt nach auĂen, drĂŒckt dabei - vereinfacht gesagt - gegen das kollabierende Gas und hĂ€lt den Zusammenfall auf. Die Dichte erreicht einen von der Temperatur abhĂ€ngigen Maximalwert und wird nicht gröĂer. Dadurch kann auch die KrĂŒmmung der Raumzeit, die der Stern verursacht nicht beliebig groĂ werden. Wenn wir uns jetzt aber vorstellen, dass es keinen Mechanismus wie die Kernfusion gibt, der den Kollaps der Wolke aufhĂ€lt und die Materie tatsĂ€chlich immer dichter und dichter und dichter wird: Was dann? Dann gibt es keine Grenze, die Dichte der Wolke wird irgendwann in einem Punkt unendlich groĂ und damit auch die KrĂŒmmung der Raumzeit. Das ist gemeint, wenn man sagt, dass die "KrĂŒmmung der Raumzeit" divergiert. Und der Ort, an dem so eine unendliche KrĂŒmmung auftritt, ist eine SingularitĂ€t. Die aber, wenn man es mathematisch wieder ein bisschen exakter betrachtet, gar kein "Ort" im eigentlich Sinn ist. Denn auch die Metrik der Raumzeit divergiert dort. Ăber Metriken habe ich ja in Folge 617 schon gesprochen. Das ist, simpel gesagt, die Art und Weise, wie wir AbstĂ€nde definieren beziehungsweise die Form des Raums selbst beschreiben. Wenn aber die Metrik selbst in einer SingularitĂ€t divergiert und nicht definiert ist, dann kann man die SingularitĂ€t auch nicht als Teil der Raumzeit betrachten. Es ist ein bisschen so wie vorhin beim Nordpol und der nicht definierten geografischen LĂ€nge. Nur dass man dieses Problem bei einer SingularitĂ€t eben nicht einfach mit ein paar mathematischen Tricks verschwinden lassen kann. Im Gegensatz zum Nordpol ist eine SingularitĂ€t tatsĂ€chlich ein Ort, der auĂergewöhnlich und anders als die anderen Orte im Raum ist.
So weit, so gut. Aber jetzt kann man natĂŒrlich fragen, ob das auch wirklich relevant ist. Man kann ja leicht sagen: Die Dichte wird immer gröĂer und gröĂer und gröĂer und die KrĂŒmmung der Raumzeit divergiert. Aber nur weil man das sagen und mathematisch formulieren kann, folgt daraus ja nicht, dass es so etwas auch in echt geben muss. Und tatsĂ€chlich hat man in der Astronomie die SingularitĂ€t lange Zeit auch nur als mathematische KuriositĂ€t betrachtet, die in der RealitĂ€t keine Rolle spielt. Bis dann in den 1960er Jahren die britischen Physiker Roger Penrose und Stephen Hawking kamen. Sie entwickelten das sogenannte "SingularitĂ€ten-Theorem". Ohne jetzt auf die durchaus komplizierten Details einzugehen, haben sie gezeigt, dass man nicht einfach so tun kann, als hĂ€tte man es nur mit einer mathematischen Besonderheit ohne Auswirkung auf die RealitĂ€t zu tun. Wenn man die GĂŒltigkeit von ein paar sehr einfachen und fundamentalen Bedingungen voraussetzt, zum Beispiel dass Energie immer erhalten sein muss oder dass man nicht gleichzeitig in der Gegenwart und seiner eigenen Zukunft existieren kann, dann folgt die Existenz von SingularitĂ€ten direkt aus der Natur der Gravitation. Oder anders gesagt: Wenn wir davon ausgehen, dass die Gravitation so funktioniert wie Albert Einstein das mit seiner allgemeinen RelativitĂ€tstheorie beschrieben hat und wenn das bedeutet, dass die Gravitationskraft eine immer anziehende Kraft ist, dann kann das SingularitĂ€ten-Theorem beweisen, dass damit auch die Existenz einer SingularitĂ€t folgen muss. Sie ist keine mathematische AbsurditĂ€t sondern quasi fix in die Natur der Gravitation eingebaut. Unter bestimmten Bedingungen kann die KrĂŒmmung der Raumzeit nicht anders, als eine SingularitĂ€t zu formen.
Eine dieser Situationen ist der Kollaps eines groĂen Sternes, wie ich ja schon öfter hier im Podcast erklĂ€rt habe. Wenn der Stern ausreichend viel Masse hat, gibt es nichts, was verhindern kann, dass er immer weiter in sich zusammenfĂ€llt. Und das bedeutet, dass dort die KrĂŒmmung der Raumzeit divergiert: Es bildet sich eine SingularitĂ€t. Das ist aber nicht die einzige SingularitĂ€t, es gibt auch eine "AnfangssingularitĂ€t", nĂ€mlich den Urknall. Auch unser Modell des gesamten Universums startet aus dem Zustand einer SingularitĂ€t heraus, die sich ebenso wenig vermeiden lĂ€sst, wie die SingularitĂ€t beim Kollaps eines groĂen Sterns.
Ein Problem bleibt aber noch: Es kann keine SingularitĂ€t geben. Im realen Universum kann nicht wirklich ein Punkt existieren, an dem die Massendichte unendlich groĂ ist. Oder die KrĂŒmmung der Raumzeit unendlich groĂ ist. Zum Zeitpunkt des Urknalls kann die Temperatur nicht unendlich groĂ gewesen sein. Und so weiter: Unendlichkeiten dieser Art können in der RealitĂ€t nicht existieren. Lassen wir die Sache mit dem Urknall jetzt mal beiseite und bleiben beim schwarzen Loch. Wir wissen, dass es diese Objekte gibt, das haben wir mittlerweile ohne Zweifel nachgewiesen. Wir wisse aber NICHT, ob da irgendwo wirklich eine SingularitĂ€t ist. Denn wenn sich ein schwarzes Loch bildet, kommt irgendwann der Punkt, an dem die Dichte und die KrĂŒmmung der Raumzeit so groĂ wird, dass Lichtstrahlen nicht mehr aus ihrer Umgebung entkommen können - und auch sonst nichts. Es bildet sich ein Ereignishorizont um den kollabierenden Stern. Und nur diesen Ereignishorizont können wir von auĂen beobachten. Da von dahinter kein Licht entkommen kann, sehen wir auch nicht, was dort passiert. Das was dahinter passiert kann den Rest des Universums auch nicht beeinflussen, denn nichts - kein Licht, keine Materie, keine Kraft, gar nichts - kann von innerhalb des Ereignishorizontes nach auĂen dringen. Es ist fast so, als wĂŒsste das Universum, dass wir ein Problem mit SingularitĂ€ten haben und verhindert durch die Existenz eines Ereignishorizontes, dass wir irgendwas davon mitbekommen und nicht einmal wissen, ob da jetzt wirklich eine SingularitĂ€t ist, oder nicht. Und tatsĂ€chlich hat Roger Penrose - der u.a fĂŒr seine Arbeit am SingularitĂ€tentheorem den Physik-Nobelpreis bekommen hat - diese Idee unter dem Begriff "Kosmische Zensur" bekannt gemacht.
Wir könnten uns jetzt also damit abfinden, dass die Frage nach den SingularitĂ€ten durch die Naturgesetze quasi zensiert wird und wir uns die Arbeit sparen können, darĂŒber nachzudenken. Aber natĂŒrlich haben wir darĂŒber nachgedacht, insbesondere ĂŒber die Frage, ob es auch "nackte SingularitĂ€ten" geben kann. Damit ist eine SingularitĂ€t gemeint, bei deren Entstehung sich KEIN Ereignishorizont ausbildet. Das klingt erstmal unmöglich, aber man hat schon in den 1970er Jahren zeigen können, dass es das nicht unbedingt ist. Hat man zum Beispiel einen unendlich langen Zylinder, der nicht rotiert und wĂŒrde DER in sich zusammenfallen, dann wĂŒrde man eine SingularitĂ€t bekommen, aber keinen Ereignishorizont. Ok, es gibt keine unendlich langen Zylinder im Universum. Aber man kann auch zeigen, dass manche schwarze Löcher ihren Ereignishorizont verlieren oder gar nicht erst bekommen, zum Beispiel wenn sie sehr, sehr schnell rotieren. Warum das so ist, ist ohne viel Mathematik nicht so einfach zu erklĂ€ren. Es kommt unter anderem darauf an, ob so ein Kollaps in alle drei Raumrichtungen gleichzeitig erfolgt oder ob die Materie in bestimmten Richtungen nicht oder langsamer kollabiert.
Wenn es tatsĂ€chlich nackte SingularitĂ€ten gibt, wĂ€re das natĂŒrlich super. Denn dann könnten wir - zumindest theoretisch - einfach nachschauen, was da denn jetzt wirklich los ist, wenn die Raumzeit sich scheinbar ohne Grenze immer weiter krĂŒmmt und krĂŒmmt. Und ich habe jetzt deswegen "scheinbar" gesagt, weil es am Ende ja sehr wahrscheinlich doch so sein muss, dass wir da irgendwas ĂŒbersehen haben. Es ist offensichtlich, dass wir zwar sehr gut verstanden haben, wie die Gravitation funktioniert, aber wir sie noch ein bisschen besser verstehen mĂŒssen. Wenn es um SingularitĂ€ten geht, also um PhĂ€nomene, bei denen ja nicht nur bestimmte Parameter unendlich groĂ werden, sondern andere - wie die Ausdehnung - unendlich klein, dann braucht man auch die Quantenmechanik. Wir haben es aber immer noch nicht geschafft, die Beschreibung des Allerkleinsten mit der Beschreibung der Gravitation vernĂŒnftig zusammen zu bringen. Beide Theorien widersprechen einander in genau den Bereichen, die wir verstehen mĂŒssten, wenn wir verstehen wollen, wie das mit den SingularitĂ€ten wirklich ist. Erst wenn wir eine echte Quantentheorie der Gravitation haben, werden wir auch wissen, ob es wirklich SingularitĂ€ten im Universum gibt - und ob sie dabei nackt oder angezogen sind.