radioWissen - Bayern 2   /     Keine erfundenen Inseln mehr - Kartographie neu gedacht

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Nur 39 Jahre alt ist Tobias Mayer geworden. Kein hohes Alter, selbst im Deutschland des 18. Jahrhunderts nicht. Doch in diesem kurzen Leben erneuerte er nicht nur die Erstellung von Landkarten mit aufklärerischen Gedanken; er löste auch das Längengradproblem der Seefahrer und war ein gefeierter Astronom. Von Philip Artelt

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Duration
00:23:15
Publishing date
2024-11-11 03:30
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/keine-erfundenen-inseln-mehr-kartographie-neu-gedacht/2099634
Contributors
  Philip Artelt
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Shownotes

Nur 39 Jahre alt ist Tobias Mayer geworden. Kein hohes Alter, selbst im Deutschland des 18. Jahrhunderts nicht. Doch in diesem kurzen Leben erneuerte er nicht nur die Erstellung von Landkarten mit aufklärerischen Gedanken; er löste auch das Längengradproblem der Seefahrer und war ein gefeierter Astronom. Von Philip Artelt

Credits
Autor dieser Folge: Philip Artelt
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Susanne Schroeder, Friedrich Schloffer, Peter Weiß
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Yvonne Maier

Im Interview:
Armin Hüttermann, Geograph, Tobias-Mayer-Verein
Markus Heinz, stellvertretender Leiter der Kartenabteilung, Staatsbibliothek zu Berlin

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Die Politik der Landkarten - Über Macht und Größenverhältnisse  HIER ENTDECKEN

Linktipps:

Das Tobias-Mayer-Museum in Marbach am Neckar  HIER

Tobias Mayers Mathematischer Atlas   HIER

Tobias Mayers Mappa Critica von Deutschland   HIER

Tobias Mayers Karte Ostasiens   HIER

Tobias Mayers Asienkarte   HIER

Tobias Mayers Mondkarte   HIER

Homanns Karte des Schlaraffenlandes   HIER

Literatur:

Thomas Knubben, „Tobias Mayer: oder die Vermessung der Erde, des Meeres und des Himmels“: Lebendig erzählte Lebensgeschichte und Porträt seiner Zeit

Michael Diefenbacher (Hrsg.), „‚auserlesene und allerneueste Landkarten‘: Der Verlag Homann in Nürnberg 1702-1848“: Die Geschichte des Homann-Verlages, des Fembohauses und der Kartographie in der Zeit der Aufklärung


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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN

Am 20. Februar 1762 stirbt Tobias Mayer. Der große Astronom und Kartograph – heute kennt ihn kaum einer mehr. Er ist nur 39 Jahre alt geworden – der Typhus hat ihn in kürzester Zeit dahingerafft. Aber was er in diesen 39 Lebensjahren geleistet hat: unglaublich.

ZITATOR 2

(altmodische Sprechweise, historisches Zitat)

Es wäre zu weitläufig, aufzuzählen, welche Bereicherungen die Wissenschaften durch sein Genie erfahren haben…

ZSP 01 T1 Glasze

Er ist 39 Jahre alt geworden. Was das für eine Biographie ist, ist absolut unglaublich. Was würde er machen, wenn er in der heutigen Zeit leben würde?

ZSP 02 T2 Hüttermann

Was hätte der noch alles machen können? Was wäre da noch alles gekommen? Mit 39 Jahren! Ich bin doppelt so alt.

ZITATOR 2 (historisches Zitat)

… man könnte die Lebensjahre des Mannes nach seinen Entdeckungen zählen.

ATMO A1 Atmo Marbach

SPRECHERIN

Los geht die Geschichte um Tobias Mayer in Marbach. Die meisten kommen heute in diese Stadt aber nicht für ihn, sondern für Schiller. Schiller, der große Dichter, der hier in dem Fachwerkstädtchen am Neckar geboren wurde. Schiller, der schon am Bahnhof die Besucher begrüßt: Eine rote Säule am Treppenaufgang ziert der Schriftzug: „Schillerstadt“ – der Titel, mit dem sich Marbach seit 2022 offiziell schmückt.

Aber es gibt noch eine zweite Säule. Eine blaue. Und auf der findet sich der Name: Tobias Mayer.

ZSP 03 T3 Hüttermann

Schiller ist natürlich die überragende Person dann geworden, hat alles an die Wand gedrängt, unter anderem eben auch den Mayer, der im Jahrhundert davor durchaus noch bekannt war.

SPRECHERIN

Armin Hüttermann macht sich weniger aus Schiller. Der Geographieprofessor im Ruhestand war lange Vorsitzender des Tobias-Mayer-Vereins, einer Art Fanclub für den Ausnahmewissenschaftler. Für Armin Hüttermann ist Schiller vor allem dafür gut, dass er Besucher in die Stadt bringt – die dann auch das Tobias-Mayer-Museum entdecken: ein supermoderner, heller Quader inmitten der historischen Altstadt. Daneben: ein kleineres Fachwerkhaus.

ZSP 04 T4 Hüttermann

Der alte Bau von 1711, das ist das Geburtshaus von Tobias Mayer. ((Da ist er in der oberen Etage geboren…))

SPRECHERIN

Tobias Mayer wächst in einfachsten Verhältnissen auf. Sein Vater ist Wagner und Brunnenbauer; keine ganz schlechte Arbeit, aber reich wird die Familie davon nicht. Als der kleine Tobias ein Jahr alt ist, ziehen die Mayers um ins nahegelegene Esslingen, wo der Vater das Amt des Brunnenmeisters antritt. Der Vater reist viel für seine Arbeit, und wenn er dann mal zu Hause ist, schaut ihm der kleine Tobias über die Schulter. Am liebsten, wenn der Vater seine technischen Zeichnungen ins Reine bringt.

Zitator 1 (Mayer):

Mein Vater, der diesen außerordentlichen (sic) Lust zu Malen bei mir bald wahrnahm, unterdrückte denselben keineswegs, sondern suchte ihn vielmehr noch anzufeuern.

Ich malete Häuser, Hunde, Hirsche, Pferde. Meine Mutter wurde von mir um Tinte, Feder und Papier mehr geplaget als um Brot.

ZSP 05 T5 Hüttermann

In seiner Autobiographie schreibt er ja davon, dass er so gerne gemalt hat. Und da hat er mit fünf Jahren die Heilige Katharina abgemalt – und das ist unglaublich, dass ein fünfjähriges Kind sowas malen kann. Das muss man gesehen haben.

[[Zitator 1

Verschiedene Bekannten meines Vaters bekamen meine endlich mittelmäßig gerathene Abzeichnung dieses Bildes zu Gesichte. Man hielt es für etwas außerordentliches – man machte die Sache vielleicht größer, als sie in der Tat war, und lobte mich mehr, als ich verdiente.]]

SPRECHERIN

Die Eltern fördern das Kind, so gut sie können – mit ihren begrenzten Mitteln. Aber das heile Familienleben hat bald ein Ende. Tobias Mayers Eltern sterben jung, und Tobias kommt ins Waisenhaus.

Sich hängen lassen? Das fällt dem Jungen gar nicht ein. Noch im Waisenhaus nimmt er seine Zeichenübungen wieder auf, illustriert das gemeinsame Essen der Kinder – es gibt Kalbfleisch und Wein – und beschriftet seine Werke mit einer erklärenden Legende. Da ist er gerade mal acht Jahre alt.

Der junge Tobias Mayer schafft es auch geschickt, sich mit wohlmeinenden Förderern zu umgeben. Den Bürgermeister von Esslingen unterhält er mit seiner Zeichnerei, und mit dem Schuhmacher Kandler tauscht er sich aus über die hohe Mathematik. Der Schuhmacher, heißt es, habe das Geld gehabt, Bücher zu kaufen, aber keine Zeit, sie zu lesen – und Tobias Mayer hatte kein Geld, aber viel Zeit, Kandlers Mathematikbücher durchzuarbeiten.

ZSP 06 T6 Hüttermann

Er hat immer sich nach der Decke gestreckt. Er war wirklich begabt, aber auch sehr ehrgeizig. Der muss ein phänomenales Gedächtnis gehabt haben. [[Da gibt es eine Episode aus seiner Schulzeit, dass die Kinder vom einen Tag auf den nächsten jeweils einen Vers aus dem Katechismus auswendig lernen sollten. Und am nächsten Tag muss jeder seinen Vers aufsagen. Und dann kommt der Tobias an die Reihe und fragt, darf er weitermachen. Der hat vom einen Tag auf den nächsten den gesamten Katechismus auswendig gelernt.]] Also er hatte diese Fähigkeiten, er wusste es aber auch, und er war dann auch ehrgeizig genug, daraus etwas zu machen.

SPRECHERIN

1739, Tobias ist gerade 16 Jahre alt, zeichnet er den ersten Stadtplan seiner Heimatstadt Esslingen. Aber nicht nur das, er muss die Stadt dafür auch selbst vermessen haben. Sein Schrittmaß überträgt er auf Papier, und das Ergebnis ist so exakt, dass die Karte 50-mal gedruckt wird. Tobias Mayer erhält von der Stadtverwaltung dafür zwei Silbermünzen – von da an ist seine Karriere als Kartograph besiegelt.

Das Kartenzeichnen lässt ihn nicht mehr los, auch nicht, als er mit 22 Jahren ein Buch über die Theorie der Mathematik verfasst: Das ganze Wissen seiner Zeit ist darin niedergeschrieben, von Geometrie über Astronomie – bis eben zur Kartographie.

ZSP 07 T7 Hüttermann

Das ist ja eine Anleitung zum Kartenzeichnen, und die ist durch und durch kritisch. Also da ist dieser Abschnitt hier, der ist phantastisch. Ich lese mal kurz vor, was hier steht:

(Hüttermanns Stimme blendet im folgenden Text in Stimme von Zitator 1 über)

ZITATOR 1

Es wird zwar denjenigen, die ihre Karten nur von anderen zu kopieren in Gebrauch haben, etwas wunderlich vorkommen […]

Und dass derjenige, der so eine richtige und taugliche Landkarte verfertigen will, noch weit mehrere Wissenschaft nötig habe, davon dergleichen Landkartenstümpler ihr Lebtag nichts gehöret und gesehen haben.

ZSP 08 T8 Hüttermann

Das ist dieser Ansatz: nicht einfach was kopieren. Sondern man braucht die Wissenschaft dazu. [[Und was auch interessant ist: Das war alles ein Satz. Ein Paragraph, nur ein Satz. Macht ja heute auch keiner mehr. (lacht)]]

Musik, Zäsur (Ortswechsel)

SPRECHERIN

Ein paar Jahre früher, Anfang des 18. Jahrhunderts: Die Reichsstadt Nürnberg hat ihre besten Zeiten schon hinter sich. Nürnberg, das durch den Handel groß geworden ist, durch die reichen Patrizier, ein Verkehrsknotenpunkt, eine Stadt der Wissenschaft und der Erfindungen – der 30-jährige Krieg hat aber Spuren hinterlassen: Durch Zerstörung und Bevölkerungsverlust hat Nürnberg an Bedeutung verloren, der Fernhandel ist stark zurückgegangen. 

Zu dieser Zeit siedelt sich ein Mann in der fränkischen Metropole an, der für Tobias Mayers Leben noch sehr wichtig werden wird. Trotz der wirtschaftlichen Lage ist Nürnberg nämlich immer noch ein Zentrum des Kupferstichs – und damit auch der Kartographie. Und so ist es für den Kupferstecher und Kartographen Johann Baptist Homann eigentlich keine Frage, dass er hier seinen Landkartenverlag eröffnet – zumal er als Protestant anderswo im Großteils katholischen Bayern nicht gern gesehen ist.

ZSP 09 T9 Heinz

Homann ist letztendlich ein Selfmade-Man, der als Glaubensflüchtling nach Nürnberg gekommen ist und dann 1702 den Verlag gegründet hat.

SPRECHERIN

Sagt der Geschichtswissenschaftler Markus Heinz, der intensiv über den Homann-Verlag geforscht hat.

ZSP 10 T10 Heinz

Und offensichtlich hat er so viel geschäftsmännisches Verständnis mitgebracht, dass er zunächst ausschließlich abgekupfert hat.

SPRECHERIN

Abkupfern – das Wort stammt von den Kupferplatten, mit denen die Landkarten zu dieser Zeit gedruckt werden. Und Abkupfern heißt: Johann Homann kopiert die Karten anderer Verleger.

Was heute als dreiste Fälschung erscheint, ist im 18. Jahrhundert völlig normal: Nicht jeder kann Karten aufwendig neu gestalten – und viele Kartenverlage gehen pleite. Johann Homann dagegen schafft es, sich mit den günstigen Kopien niederländischer und französischer Karten ein ansehnliches Geschäft aufzubauen. Das verdiente Geld erlaubt es ihm schon bald, eigene, qualitativ hochwertige Landkarten zu erstellen. Hochwertig, aber trotzdem erschwinglich – als Atlanten und Wandschmuck für das gebildete Bürgertum – damit will er sich von anderen „Abkupferern“ abheben.

Atmo A2 Atmo Hausführung

SPRECHERIN

Nach Johann Homanns Tod – und dem Tod seines Sohnes – erben die Familien Ebersberger und Franz den Landkartenverlag. Sie kaufen ein neues Verlagshaus, das heutige Fembohaus, in dem sich das Stadtmuseum befindet. 

…weiter Atmo Hausführung

SPRECHERIN

Der Museologe Ludwig Sichelstiel führt durch das Fembohaus. In dem edlen vierstöckigen Kaufmannshaus mit Sonnenuhr an der Fassaderichten richten die neuen Eigentümer Franz und Ebersberger den Verlag ein: Druckerei, Zimmer für die Kupferstecher…

ZSP 11 T11 Sichelstiel

…und hier in diesem Vestibül des Hauses baute man einen Verkaufsraum ein. Und ganz interessant ist es, wenn man hier an die Decke schaut, dann sieht man noch diesen Stuck, der aus dem Verkaufsgewölbe vorhanden ist. (evtl. ausfaden)

SPRECHERIN

Ein kleiner Raum im heutigen Stadtmuseum ist noch dem Verlag gewidmet.

ZSP 12 T12 Sichelstiel

Eine Karte, die mich besonders beeindruckt, die ist allerdings hier nicht zu sehen, die zeigt nämlich das Schlaraffenland. Da ist zum Beispiel irgendein Rotweinsee, irgendwie sowas in der Art, also Dinge, die man sich erträumt hat…

Atmo A3 Atmo Türen Stabi Berlin

SPRECHERIN

Ein Original dieser Karte findet man in Berlin bei Homann-Spezialist Markus Heinz. Der stellvertretende Leiter der Kartenabteilung in der Staatsbibliothek zu Berlin führt ins Archiv: Hinter einer Schleuse aus massiven Stahltüren lagern Kartenschätze aus allen Jahrhunderten.

Atmo A3 weiter

SPRECHERIN

Markus Heinz zieht ein großes Stück Papier aus einem der Regale. Da ist sie, die Karte, die das „Ludermeer“ zeigt, oder „Bibonia Regnum“ – das Reich der Trinker.

ZSP 13 T13 Heinz

Also es ist glaube ich kein Beispiel für das, was man häufig als Phantasie auf den Karten bezeichnet, weil es ja eine absichtliche Phantasie ist. Das Eigentliche, was man in der Zeit bis um 1700 gemacht hat, dass man möglichst alles, was man wusste, in den Karten einzeichnet. Da sind gesicherte Quellen drin und da sind Meldungen, die einer, der dort vielleicht in der Nähe war, von jemandem gehört hat, der’s von jemandem gehört hat.

SPRECHERIN

Über die Jahre sind so ganz seltsame Karten entstanden. Markus Heinz zeigt eine weitere Karte, eine von Ostasien. Die Küste Sibiriens: nicht spitz auslaufend, wie wir sie heute kennen. Nein, hier ist die Küste rund wie ein Gesäß.

ZSP 14 T14 Heinz

Da war um 1706 noch niemand. Und da gibt es halt Informationen zum Teil von russischen Pelzhändlern, die bis da in den Osten vorgestoßen waren, aber natürlich keine Karten gezeichnet haben – es waren Pelzhändler. Japan ist einigermaßen, allerdings ohne Nordinsel, und für die Nordinsel gibt es dann eine Terra Jedso. Das ist ziemlich groß, ist viel größer als die japanische Nordinsel ist. Aber es gibt eben sozusagen Quellen, dass da hinten, da kommt noch was. Dass die da so konkret eingezeichnet sind, noch mit Inseln und zum Teil mit Orten drauf oder konkreten Bergen und Flüssen, obwohl niemand da war, dass er dadurch entsteht, dieser Eindruck ist wäre reine Fantasie.

SPRECHERIN

Nilquellen in der Antarktis, Elefanten in Sibirien, Kalifornien als Insel; und Seen, die es nicht gibt. Die damaligen Karten sind überfüllt mit derartigen Informationen – und mit so manchem Blödsinn.

Wollte doch schon Verlagsgründer Homann die Qualität der Karten erhöhen, so will es sein Nachfolger auf die Spitze treiben.

Evtl. Musik

Zitator 2

Dieser machte es in den öffentlichen Blättern bekannt, welche großen Verbesserungen er damit vorzunehmen gedenke, und lud zugleich unter guten Bedingungen geschickte Kartenzeichner ein, nach Nürnberg zu kommen.

SPRECHERIN

Einer dieser Zeichner ist… der junge Tobias Mayer.

SPRECHERIN

Vor allem in Frankreich hat sich die Kartographie in den Jahren zuvor schon weiterentwickelt. Die Kartographen der Königlichen Akademie der Wissenschaften packen nicht mehr alles in aufs Papier, sondern möglichst nur noch richtige Informationen. Genaue Vermessung. Weglassen wird zur Tugend; die Karten enthalten viel mehr weiße Flecken.

Tobias Mayer soll diese moderne Kartographie in Deutschland – bei Homanns Erben – etablieren – eine Aufgabe wie geschaffen für ihn!

Atmo A4 Museumsatmo

SPRECHERIN

Das Ergebnis sieht man heute in Marbach, im Tobias-Mayer-Museum. Im Erdgeschoss zeigt Armin Hüttermann eine Mayer-Karte von Südostasien. Auf den ersten Blick eine normale Karte dieser Zeit… aber die Details! Die Insel „Ouro“ (sprich: Uro) ist gleich dreimal auf der Karte. Und Mayer hat jede von ihnen beschriftet mit einer Quellenangabe: Hier haben die Engländer die Insel verortet, hier die Niederländer. Und: „Positionis et existentiae incertae“ – ob sie wirklich existiert, sei gar nicht sicher.

ZSP 15 T15 Hüttermann

Was an der Karte faszinierend ist: Jetzt kommt der große kritische Geist. Und er will es nicht als „Kartenstümpler“ abkupfern, sondern nach dem neuesten Stand der Wissenschaft will er es darstellen.

Da ist zum Beispiel hier die Insel Neuguinea. Die hört einfach auf! Mayer weiß natürlich auch, dass das nicht geht. Man kann nicht einfach irgendwelche Linien aufhören lassen auf einer Karte. Er weiß aber nicht, wie’s weitergeht und bevor er da irgendwas Falsches hinzeichnet, lässt er es mal offen.

[[Auch Mayers Karten enthalten zum Beispiel die mysteriöse „Terra Jedso“, die sich bei ihm als Japans Nordinsel Hokkaido entpuppt. Allerdings mit genauer Küstenlinie und im Inland schlicht weiß, ohne die phantasievollen Flüsse und Berge, die noch auf der alten Karte zu finden sind.]]

Tobias Mayers genialstes Werk aber ist eine Karte, die die Kritik schon im Namen trägt: Die Mappa Critica, eine schmucklose Deutschlandkarte, in der alle größeren Städte dreimal eingezeichnet sind. Einmal da, wo die Franzosen sie verorten; einmal aus einer alten Homann-Karte… und einmal da, wo die Orte nach Mayers Berechnungen wirklich sein müssten.

ZSP 16 T16 Glasze 

Diese kritische Karte ist einfach dafür faszinierend, da kenne ich nichts Vergleichbares…

SPRECHERIN

Georg Glasze (Sprich Glástse,), Professor für Politische Geographie in Erlangen.

ZSP 17 T17 Glasze

…wo er einfach unterschiedliche Karten übereinandergelegt hat. Und das führt dann halt dazu, dass Nürnberg tatsächlich dreimal auftaucht. Das sind sicherlich… die beiden… (fummelt auf der Karte rum) 40, 50 Kilometer auseinander.

Musik (leicht dramatisch, spannungserzeugend)

ZSP 18 T18 Glasze

Also vielleicht erstmal zu der kritischen Kartographie, wie sie so Mitte des 20. Jahrhunderts… eigentlich ist es so eine Debatte, die kommt so in den 70er, 80er-Jahren auf, die sich im Prinzip wendet gegen den absoluten Wahrheitsanspruch, der mit der modernen Kartographie einhergeht. Die Kartographie nach Mayer entwickelt sich zu so einer fast schon Ingenieurswissenschaft. Immer perfektere Vermessung… und was dieser Kartographie ein bisschen aus dem Blick rückt, dass Karten nie ein einfaches Abbild der Erde sein können.

SPRECHERIN

Grenzen sind nicht immer festgelegte Linien. Sie sind umstritten, unbekannt, und sie stellen kritische Kartographen heute vor wichtige Fragen: Wo zieht man die Grenze zwischen der Ukraine und Russland? Wo die zwischen Israel und Palästina? Wie werden Gotteshäuser auf einer Karte dargestellt – mit einem Kreuz? Oder mit einem Halbmond? Warum liegt auf der Weltkarte ausgerechnet Europa in der Mitte? Und: Was wird vielleicht auch weggelassen – vereinfacht, damit die Karte übersichtlich bleibt?

ZSP 19 T19 Glasze

Auch, wie ich Orte benenne, ob ich Königsberg oder Kaliningrad zu dieser Stadt sage, sind immer historische, politische Prozesse. Darauf weist diese Kritische Kartographie im späten 20., frühen 21. Jahrhundert hin.

Das ist jetzt natürlich nicht der Kritikbegriff, denn Mayer verwendet, aber er ist sozusagen einer, der auch schon diese Idee, es gibt eine absolute Wahrheit, die ich einfach darstellen kann, infragestellt. Und so zeigt, wir sind in vielem sehr unwissend.

Musik wieder einfaden, kurze „Gedankenpause“

ZSP 19 T19 weiter

Der Unterschied zu der kritischen Kartographie, wie wir sie jetzt kritisieren, ist, er bereitet in gewisser Weise diese Idee einer Kartographie als exakte, vermessende, objektive Wissenschaft vor.

Dramatische, spannende Musik nochmal hoch, dann unter A5 ausfaden

Atmo A5 Holztreppen

SPRECHERIN

Ganz oben im ehemaligen Verlagshaus in Nürnberg, über der vierten Dachbodenetage, da, wo die Dachschräge spitz zusammenläuft, öffnen sich zwei kleine Holzklappen und geben den Blick auf den Himmel frei. Ein Rundumblick, den Tobias Mayer geliebt haben muss. Von hier aus beobachtet er in klaren Nächten den Mond und die Sterne; die ihn noch ein letztes Mal zu einer Meisterleistung inspirieren.

ZSP 20 T20 Hüttermann

Das ist 1748, da gibt es eine Mondfinsternis. Und da haben die das alles vorausberechnet und haben eine Tafel zu der Mondfinsternis gemacht. Und in der Mitte wird ein Mond dargestellt. Da hat der Mayer den da hin gezeichnet. Und da muss er wohl ganz unzufrieden damit gewesen sein, denn man weiß ganz genau: Von dem Zeitpunkt an fängt er an, eine eigene Mondkarte zu zeichnen.

SPRECHERIN

Tobias Mayers Mondkarte wird die genaueste, die es zu dieser Zeit gibt. Über ein halbes Jahrhundert wird sie die beste Mondkarte bleiben. Was für eine Leistung! Aber für den Pragmatiker Tobias Mayer ist sie Mittel zum Zweck.

ZSP 21 T21 Hüttermann

Es ist auch das, was den Mayer berühmt gemacht hat, diese erste exakt vermessene Mondkarte. Das Zweite ist natürlich das, wofür er die Karte gebraucht hat: nämlich die Längengradbestimmung.

SPRECHERIN

Tobias Mayers Kritische Karte hat es schon gezeigt: Während Astronomen und Seefahrer der Breitengrad, also, wie weit nördlich oder südlich des Äquators sie sich befinden, über den Sonnenstand recht einfach bestimmen können, liegen sie beim der Frage nach West und Ost, also beim Längengrad, oft dutzende oder hunderte Kilometer falsch. Damit gibt sich Tobias Mayer nicht zufrieden: Er beobachtet den nächtlichen Tanz der Sterne um den Mond, notiert alles in Tabellen und berechnet daraus den Längengrad. Das haben schon andere vor ihm gemacht, aber wieder einmal ist seine Methode viel genauer.

Tobias Mayer übrigens hat inzwischen Nürnberg verlassen. Er wird Professor in Göttingen. Eine seiner letzten Karten dokumentiert die Kutschfahrt mit seiner Frau Maria Victoria von Nürnberg nach Norden. Dem Homann-Verlag bleibt er freundschaftlich verbunden.

Die Probleme der Berechnungen des Längengrades beschäftigen die Seefahrt weltweit: In England hat das Parlament einen großen Geldpreis für die genaue Bestimmung des Längengrads ausgelobt – damit britische Kapitäne auf hoher See ihre Position bestimmen können – Tobias Mayer wäre ein Kandidat für den Preis, aber den interessieren einfach nur genaue Messungen. Erst der berühmte Schweizer Mathematiker Leonhard Euler überredet ihn, seine Monddistanztabellen nach London zu schicken.

Zitator 2

Könnten Euer Hochedelgeboren nur noch eine Methode beyfügen, um zur See den Ort des Monds durch seine Distanz von Fixsternen so genau bestimmen zu können, so könnten Dieselben des Praemii von 20000 Pfund Sterling versichert seyn.

SPRECHERIN

Tobias Mayer wird ein Teil des Preises zugesprochen – 3000 Pfund – aber erst Jahre später, nach seinem Tod. Den größeren Teil bekommt der britische Uhrmacher John Harrison, der den Längengrad mit einer besonders genauen, schiffstauglichen Uhr bestimmt – einem Chronometer.

Für Seefahrer ist John Harrisons Uhr einfacher als Tobias Mayers komplizierte Tabellen und das Hantieren mit dem Sextanten auf dem schaukelnden Schiff. Aber wenn die Uhr mal ausfällt, greifen die Seeleute doch wieder auf „den Mayer“ zurück.

ZSP 22 T22 Hüttermann

James Cook ist ja durch die Südsee gefahren. Der schreibt in seinen Berichten, dass er froh ist, dass er diesen Chronometer hat, aber er wäre genauso froh, dass er diese Sache mit dem Sextanten und den Mondtafeln hätte. Und wenn Sie an den Captain Bligh bei der Meuterei auf der Bounty denken, der wird ja ausgesetzt. Und was hat er dabei? Nicht die Uhr, sondern den Sextanten. Also die Mayer’sche Methode. (lacht)

Friedhofsglocken, diesmal ohne Musik, bleiben unter Sprecher, Sprecher wie am Anfang (oder sogar exakte Kopie des Anfangs)

Am 20. Februar 1762 stirbt Tobias Mayer. Der große Astronom und Kartograph – heute kennt ihn kaum einer mehr. Er ist nur 39 Jahre alt geworden – der Typhus hat ihn in kürzester Zeit dahingerafft.

Nicht alles hat er erreicht. Seine Vision, die Vision seiner Kollegen bei Homann, die kartographische Wissenschaft nach dem Vorbild der Franzosen in einer staatlichen Akademie zu bündeln, hat im zersplitterten Deutschen Reich keine Chance.

Der Homann-Verlag wird nicht mehr an die früheren Erfolge anknüpfen. Aber die Karten aus der Zeit von Tobias Mayer werden weit über seinen Tod hinaus verkauft – sie sollen noch Jahrzehnte unter den besten bleiben.

Musik einfaden

ZSP 23 T23 Heinz

Ich tu mir schwer zu sagen, der Homännische Verlag oder Tobias Mayer waren das Größte in Europa. Das stimmt nicht. Sie waren ganz vorne dran, und das ist eigentlich schon sensationell!

ZSP 24 T24 Glasze

Wahrscheinlich würden Kolleginnen und Kollegen aus der Kartographie werden jetzt den Kopf schütteln, aber in gewisser Weise ist so eine Form von Kritik der Kartographie im 19., 20. Jahrhundert ein stückweit verlorengegangen.

ZSP 25 T25 Hüttermann

Aus einfachsten Verhältnissen ((als Autodidakt)) sich hochgearbeitet in höchste Höhen! Den hätte ich gerne mal kennengelernt. Das ist schon… die Schwaben sagen „ein Käpsele“. (lacht)

Musik raus, Kunstpause

Was er in nur 39 Lebensjahren geleistet hat: unglaublich.