radioWissen - Bayern 2   /     Die unsichtbare Brille - Wie GlaubenssĂ€tze unser Leben lenken

Description

Jeder Mensch trĂ€gt tiefe Überzeugungen ĂŒber sich selbst, seine Mitmenschen und die Welt in sich. Diese GlaubenssĂ€tze sind die Brille, durch die jeder dann seine eigene RealitĂ€t sieht. Wie kommen die GlaubenssĂ€tze in uns? Kann man negative GlaubenssĂ€tze löschen und welche Auswirkungen haben sie auf unsere Beziehungen? Von Victoria Marciniak

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Duration
00:24:12
Publishing date
2024-11-13 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/die-unsichtbare-brille-wie-glaubenssaetze-unser-leben-lenken/2099701
Contributors
  Victoria Marciniak
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2099701/c/feed/die-unsichtbare-brille-wie-glaubenssaetze-unser-leben-lenken.mp3
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Shownotes

Jeder Mensch trĂ€gt tiefe Überzeugungen ĂŒber sich selbst, seine Mitmenschen und die Welt in sich. Diese GlaubenssĂ€tze sind die Brille, durch die jeder dann seine eigene RealitĂ€t sieht. Wie kommen die GlaubenssĂ€tze in uns? Kann man negative GlaubenssĂ€tze löschen und welche Auswirkungen haben sie auf unsere Beziehungen? Von Victoria Marciniak

Credits
Autorin dieser Folge: Victoria Marciniak
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Andreas Neumann, Marlen  Reichert
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Joschiko-Emily Eckstein, arbeitet im Bereich HR
Franca Cerutti, Psychotherapeutin; 
Dr. Raquel Peel, Soziologin

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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Sprecher

Ein zerknĂŒlltes gelbes Post-it aus ihrer Schulzeit. Es liegt sicher versteckt in einem Schuhkarton in ihrem Zimmer. An den kleinen Zettel wird Emily noch sehr oft denken. Auch heute. An einem gemĂŒtlichen Abend im Dezember. Weihnachtszeit. Und die Psychologie-Studentin Emily sitzt in der WG-KĂŒche ihrer drei besten Freundinnen und trinkt eine heiße Tasse Tee. Sie philosophieren ĂŒber Gott und die Welt; und irgendwann unterhĂ€lt Emily sie alle mit Anekdoten aus den unterschiedlichsten TheaterstĂŒcken, in denen sie mitgespielt oder die sie angeschaut hat. Ihre Freundinnen weinen vor Lachen.

O-Ton 01 Emily (00`06)

Das ist einfach so ein richtiger Moment von „Hey, hier bin ich angekommen.“ Ein 10 von 10 Abend.

Sprecher

Eine 10/10, also volle Punktzahl fĂŒr den scheinbar perfekten Abend. Zumindest – bis Emily sich von ihren Freundinnen verabschiedet. An der HaustĂŒr sagen sie sich noch, wie schön der gemeinsame Abend gewesen ist und dass sie sich ganz bald wiedersehen mĂŒssen. Sie umarmen sich, Emily dreht sich um, dann fĂ€llt die TĂŒr hinter ihr ins Schloss (Atmo: TĂŒr geht zu):

O-Ton 02 Emily (00`55)

Und dann ist es wirklich so mit einem Mal, dass auf einmal mir mein Kopf so ein Querpass schießt und dann sagt „Moment mal, aber war es wirklich so geil, wie du dachtest? Oder war es vielleicht nur fĂŒr dich geil, weil du wieder die ganze Zeit geredet hast? Und ist dieses: Hmm, hast bestimmt allen erzĂ€hlt, dass du total viel Theater gespielt hast. Meinste die hat das interessiert?“ Und dann versuche ich noch zu sagen „Nee, aber es wird ja auch ganz oft nachgefragt und die haben ja total viel gelacht, als ich auch diese Story erzĂ€hlt hab.“ Und dann kommt sofort dieses „Hmm, nennt sich Höflichkeit, nennt sich Sozialkompetenz, was andere Leute haben.“ Und es ist ganz krass, weil mit jedem Schritt, den ich gehe und den ich mich halt weiter aus dieser Situation entferne, verliere ich dann irgendwie den Zugang zu dieser Situation. Und dass ich dann wirklich auf diesem Weg nach Hause auf einmal anfangen musste zu weinen, weil ich das GefĂŒhl hatte „Hey, ich bin ein Riesenarschloch.“ 

Atmo (Schritte und Wind)

Musik:  Train journey 0‘22

Sprecher

Vier Kilometer – So weit lĂ€uft Emily von der WG ihrer Freundinnen zu sich nach Hause. Sie muss den Kopf frei kriegen. Aber ihr Kopf spielt immer und immer wieder Szenen ab, wie sie ihre Freundinnen unterbricht, wie sie zu laut lacht, wie sie zu viel Aufmerksamkeit fordert. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und noch auf dem Weg nach Hause schreibt sie weinend ihren Freundinnen Text-Nachrichten, in denen sie sich entschuldigt (erst SFX Handytastatur-Tippen und dann Nachrichten-Pling vor jedem „Sorry“): Sorry, dass ich so viel ĂŒbers Theater geredet habe. Sorry, dass ich zu laut war. Sorry, dass ich dich unterbrochen habe. Sorry, dass wir so lange ĂŒber meine Geschichte geredet haben. Sorry... Pling, Pling, Pling

*bisschen lÀngere Pause*

O-Ton 03 Franca Cerutti (00‘16)

GlaubenssÀtze haben hÀufig so eine konditionale Struktur, die uns sehr stark nahelegen, wie wir sein sollen oder wie wir uns verhalten sollen.   Wenn ich immer lieb bin oder immer höflich bin, dann werde ich geliebt.

Sprecher

Franca Cerutti ist Psychotherapeutin und Psychologie-Podcasterin. 

Eines ihrer Lieblingsthemen: GlaubenssĂ€tze, also feste Überzeugungen, die jeder Mensch in sich trĂ€gt. Aber eigentlich, sagt sie, sind es eher ganze Glaubenssysteme. 

O-Ton 04 Franca Cerutti (00`27)

Also ein Glaubenssatz, der mich selber betrifft, könnte ja zum Beispiel lauten: „Ich muss fleißig sein und leistungsstark, um Anerkennung zu bekommen.“ Und der ist aber vielleicht verknĂŒpft mit einem Glaubenssatz, der dann eher so die gesamte Gesellschaft betrifft. Der lautet dann so was wie „Ohne Fleiß kein Preis“. Und das ist wiederum geknĂŒpft an so eine gesamtgesellschaftliche Erwartung.

Musik:  Mansplaning 1‘00

Sprecher

Also: GlaubenssÀtze stehen nicht isoliert da. Sie hÀngen oft eng mit anderen GlaubenssÀtzen zusammen. Und dieses Glaubenssystem bestimmt die Art und Weise, wie man sich selbst, Beziehungen und das Umfeld bewertet und einsortiert.

O-Ton 05 Emily (00`18)

Der Glaubenssatz von mir, der sich eigentlich in allen anderen GlaubenssÀtzen von mir auch widerspiegelt, ist: Ich bin zu viel. Also dieses ich bin too much. Ich bin zu viel. Ich brauche zu viel Aufmerksamkeit oder ich fordere zu viel Aufmerksamkeit. Ich glaube, das ist eigentlich das, was es ganz, ganz gut zusammenfasst.

Sprecher

Nicht nur Emily – Alle Menschen weltweit haben GlaubenssĂ€tze bzw. Glaubenssysteme in sich. Sowohl gute wie „Ich bin genug“, „Die Welt ist ein schöner Ort“ oder „Ich kann anderen vertrauen“. Aber eben auch negative GlaubenssĂ€tze. Und die haben alle – auch die ganz großen Stars.

O-Ton 06 Franca Cerutti (00`45)

Ich habe irgendwann mal gelesen, dass das Topmodel Kate Moss, die ja nun wirklich, wie gesagt ein weltbekanntes Topmodel war und mit ihrem sehr guten, ĂŒberdurchschnittlichen Aussehen Geld verdient hat. Das war ihr Beruf. Dass sie dennoch tiefe GlaubenssĂ€tze hatte, sie sei unattraktiv und sie hĂ€tte ein hĂ€ssliches Gesicht. Und ich finde, das zeigt noch mal sehr stark, wie unglaublich krass auch eigentlich das reale Leben und der Glaubenssatz auseinander gehen können. 

Sprecher

Eine Frau, die glaubt, dass sie zu laut sei und eine andere, die glaubt, dass sie nicht schön genug sei. Typische GlaubenssÀtze von Frauen, sagt Psychotherapeutin Franca Cerutti. Sie erkennt in ihrer Praxis durchaus Unterschiede in den GlaubenssÀtzen von MÀnnern und Frauen.

O-Ton 07 Franca Cerutti (00`25)

Keine Evidenz, nur mein Eindruck. Aber bei MÀnnern habe ich hÀufiger leistungsbezogene GlaubenssÀtze. Da geht es dann hÀufig um nicht gut genug sein im Leistungssinn. Und bei Frauen geht es hÀufig um Beziehungen und AttraktivitÀt. Als Mensch, als Partnerin. Oder wie gut bin ich als Mutter oder so. Schon sehr rollenspezifisch manchmal noch. 

Musik:  Genetics 0‘30

Sprecher

Negative GlaubenssĂ€tze können sich in banalen Alltagssituationen bemerkbar machen, wie: Am freien Tag unwichtige Aufgaben erledigen, anstatt zu entspannen, weil man das GefĂŒhl hat, immer was leisten zu mĂŒssen. Oder sie zeigen sich nach einem Treffen mit guten Freundinnen. Aber woher kommt das GefĂŒhl von Emily - selbst bei guten Freundinnen-, zu viel, zu laut, zu nervig zu sein?...

Pause-Atmo (Spannungsaufbau)


 Wie entstehen GlaubenssÀtze?

O-Ton 08 France Cerutti (00‘46)

Ich stelle mir das so vor, dass wenn wir groß werden in unserer Kernfamilie, aber natĂŒrlich auch in der Schule, im Umfeld, dass all das in uns immer so Informationen hinein trĂ€ufelt. Ich denke da manchmal eine Tropfsteinhöhle, wo so nach und nach eben etwas hineintropft. Und wenn an einer Stelle immer wieder etwas rein getrĂ€ufelt wird, dann bildet das irgendwann verhĂ€rtete Strukturen. Und damit meine ich ĂŒbertragen jetzt auf die Psychologie, dass wenn ich immer wieder bestimmte Informationen darĂŒber erhalte, wie ich bin oder sein soll, oder wie die Welt da draußen ist oder sein soll, dann verhĂ€rtet das auch in mir und bildet so was wie Stalaktiten und Stalagmiten.

Musik:  What is it (reduced) 0‘37

Sprecher

Und diese Tropfen können aus den verschiedensten Richtungen kommen, zum Beispiel: immer wiederkehrende Kleinigkeiten im Alltag; implizierte Erfahrungen, wie die Beziehung der Eltern zu beobachten; sehr eindrĂŒckliche einmalige Ereignisse, wie zum Beispiel ein Trauma; vor allem aber entstehen GlaubenssĂ€tze in der Kindheit: Oft sind es auch unbedachte SĂ€tze von Mama oder Papa, die an den Kinderohren hĂ€ngenbleiben. So wie bei Emily. 

O-Ton 09 Emily (00`45)

Und eine Situation, das weiß ich noch sehr, sehr genau. Da saß ich am Essenstisch und ich glaube, ich war sieben oder acht. Und ich habe sehr viel geredet. Und dann hat mein Vater irgendwann gesagt „Ja, aber was wolltest du denn jetzt eigentlich sagen?“ Und dann hab ich das halt noch mal gesagt und noch mal blumiger. Und mein Vater stand da: „Was wolltest du sagen? Was hast du? Was hast du jetzt gerade zum GesprĂ€ch beigetragen?“ Und natĂŒrlich hatte ich nichts beigetragen. Also im Endeffekt war das halt so eine erzieherische Maßnahme, wo mein Vater mir sagen wollte: okay, gut, hey, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Bei mir ist es so stark im GedĂ€chtnis geblieben, weil ich hab mich so geschĂ€mt, weil ich halt so das GefĂŒhl habe, ich wurde so vorgefĂŒhrt. 

Sprecher

Dieser Tropfen auf Emilys Glaubenssatz-Stalagmit ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. Aber dem Tropfen gehen viele kleinere Tropfen voraus: dass Emily sprechen konnte, bevor sie laufen konnte; dass ihre Eltern wahnsinnig stolz darauf waren und dass die kleine Emily bei jeder Party ihrer Eltern eine große Attraktion war; dass es okay war, die Erwachsenen zu unterbrechen, weil alle so beeindruckt davon waren, wie gut sie fĂŒr ihr Alter sprechen kann. Bis sie Ă€lter wurde und die Erwachsenen nicht mehr beeindruckt, sondern genervt waren, wenn sie unterbrochen wurden.

O-Ton 10 Emily (00`25)

Und ich weiß noch, ich habe das als Kind nicht verstanden, warum in manchen Situationen wars toll und dann war ich witzig und in wieder anderen Situationen war es dann total nervig und nee, und jetzt geh mal spielen und hör mal auf damit.

Das hat bei mir dann ganz, ganz hĂ€ufig dazu gefĂŒhrt, dass ich einfach super, super große AngstzustĂ€nde dann nach so sozialen Großveranstaltungen hatte, weil ich halt nie wusste, okay, ist das eine, wo ich reden darf oder eine, wo ich nicht reden darf. 

Sprecher

Eine Studie um Vincent Felitti aus dem Jahr 1998 hat gezeigt: Wer sich eher an negative Momente aus der Kindheit erinnert, kĂ€mpft auch im Erwachsenenalter mit Problemen. Umgekehrt gilt: positive Erinnerungen machen das Leben leichter. ABER: Entwicklungsforscher von der University of Minnesota haben vor ein paar Jahren eine neue Studie vorgelegt. Die zeigt, dass sich erwachsene Kinder oft verzerrt an die Eltern-Kind-Beziehung erinnern. Und dabei scheint die aktuelle Beziehung einen großen Einfluss zu haben. Heißt also: Je besser man sich mit den Eltern in der Gegenwart versteht, desto positiver sind auch die Erinnerungen an die Vergangenheit. 

O-Ton 11 Franca Cerutti (00`45)

Unterm Strich glaube ich inzwischen, dass man als Eltern im Grunde vieles auch unbeabsichtigt, vielleicht in AnfĂŒhrungsstrichen falsch macht, obwohl man in bester Absicht gehandelt hat. Ich glaube, dass manchmal Dinge, die man unbedacht sagt, das Kind in einem verletzlichen Zeitfenster ganz ungut erwischen können. Ich glaube aber auch, dass das Gegenteil stimmt, dass, wenn wir im Großen und Ganzen gut mit unseren Kindern sind, wir auch sehr viele gute GlaubenssĂ€tze mitgeben können. 

Musik:  Futuristic workflow 0‘30

Sprecher


 Übrigens ist es auch normal, sich nicht an so konkrete Situationen erinnern zu können, wie Emily das tut. Das ist auch gar nicht nötig, um die eigenen GlaubenssĂ€tze zu finden. Wer seine eigenen GlaubenssĂ€tze erforschen will, muss eigentlich nur eine Sache tun, nĂ€mlich: Sich selbst beim Denken beobachten.

O-Ton 12 Franca Cerutti (00’35)

Wann immer man sich beim Denken beobachtet, sich fragen: Stimmt das wirklich, was ich gerade denke? Oder könnte auch das Gegenteil der Fall sein? Oder wĂŒrde das jeder so sehen? Ist das jetzt vielleicht ein Glaubenssatz von mir oder ist das so was wie eine absolute Wahrheit? Und hĂ€ufig genug kommen wir dahinter, dass das natĂŒrlich eine erworbene Überzeugung ist und nicht etwa ein Naturgesetz. 

*** Denkpause***

Sprecher

Das Gehirn liebt es, recht zu behalten – also tut es alles dafĂŒr, um nur das zu sehen, was unsere GlaubenssĂ€tze auch bestĂ€tigt. In der Kognitionspsychologie nennt man das: „Confirmation bias“.

O-Ton 13 Franca Cerutti (00`45)

Wenn ich von mir selber glaube, ich bin ungeschickt oder ich bin dumm oder so was, dann werde ich mich an 1.000 Situationen erinnern, die genau das scheinbar bewiesen haben. Und ich werde auch besonders aufmerksam sein fĂŒr Situationen, die genau zu dieser Überzeugung passen. Und dadurch werde ich genau diese negative Überzeugung ĂŒber mich selbst immer weiter festigen. Das es aber gleichzeitig wahrscheinlich 1.000 Gegenbeweise gibt, in denen ich sehr clever war oder ĂŒberhaupt nicht ungeschickt. Genau diese Situation, die nicht zu meinem Glaubenssatz passen, die verarbeite ich nicht in der gleichen Tiefe. An die erinnere ich mich auch weniger und sie scheinen nicht die gleiche Macht ĂŒber mich zu haben. 

Musik:  Mansplaning 0‘23

Sprecher

Negative GlaubenssĂ€tze können nicht nur fĂŒr einen selbst, sondern auch fĂŒr Freundschaften und die Partnerschaft problematisch sein. NĂ€mlich dann, wenn der Mensch mit den negativen GlaubenssĂ€tzen anfĂ€ngt, sich selbst und seine Beziehung unbewusst zu sabotieren.

O-Ton 15 Franca Cerutti (00‘43)

Also wenn zum Beispiel jemand sehr negative Beziehungsschemata hat, also sprich großes Misstrauen in Beziehungen und vielleicht einen Glaubenssatz, der lautet: Immer, wenn ich jemanden liebe, werde ich sowieso verlassen. Das hat vielleicht biografische GrĂŒnde, warum das jemand glaubt. Dann kann es passieren, dass aufgrund des großen Misstrauens und aufgrund der großen Angst, diese Beziehung jetzt zu verlieren, man ein Ă€ngstliches, misstrauisches Verhalten der Partnerperson gegenĂŒber zeigt, was dann tragischerweise die Beziehung eigentlich sabotiert und was eigentlich genau dazu beitrĂ€gt, was man ja insgeheim fĂŒrchtet, nĂ€mlich dass man verlassen werden wird.

Sprecher

Negative GlaubenssĂ€tze sind also eine sich selbst erfĂŒllende Prophezeiung – und sabotieren auch heimlich Partnerschaften. Mit Beziehungssabotage kennt sie sich aus: 

O-Ton 16 Raquel Peel (00‘02)

Thank you so much for having me
 (ausfaden/nicht ĂŒbersetzen)

Sprecher

Dr. Raquel Peel. Sie lehrt Psychologie an der „University of Notre Dame“ in Australien und beschĂ€ftigt sich seit ĂŒber zehn Jahren mit Paarbeziehungen. Sie weiß, was eigentlich hinter der Beziehungssabotage steckt: 

O-Ton 17 Raquel Peel (00`43) / 

VO-Weiblich:

Die treibende Kraft dafĂŒr ist höchstwahrscheinlich: Angst. In meinen Untersuchungen haben die Menschen immer wieder davon gesprochen, dass sie Angst davor haben, in einer Beziehung verletzt zu werden. Sie haben Angst vor Ablehnung, vor Verpflichtungen. Oft ist es auch so, dass so eine Angst in einer Beziehung dazu fĂŒhrt, dass wir Schutzstrategien entwickeln, um uns selbst und unsere GefĂŒhle zu schĂŒtzen. 

Sprecher

Schutzstrategien, um nicht verletzt zu werden, können ganz unterschiedlich aussehen. Zum Beispiel, sich nicht ganz auf den Partner oder die Partnerin einlassen – und sich einen „Plan B“ warmhalten. 

Musik:  Ssecret proofs 0‘36

Raquel Peel weiß, wovon sie spricht, wenn es um GlaubenssĂ€tze und Beziehungssabotage geht: Sie wurde nach ihrer Geburt von ihren Eltern in einem öffentlichen Krankenhaus zurĂŒckgelassen – als FrĂŒhgeburt und ziemlich krank. Die Krankenschwester, die sich um sie kĂŒmmerte, hat sie schließlich zusammen mit ihrem Mann adoptiert. Peel sagt zwar, sie habe eine sehr liebevolle Familie. Trotzdem trage sie negative GlaubenssĂ€tze in sich.

O-Ton 18 Raquel Peel (00`36) / 

VO-Weiblich:

Ich glaube, dass der Umgang mit Beziehungssabotage eine lebenslange Aufgabe ist. Bei mir gibt es ein Muster in meinem Verhalten, das ich wegen meinem Glaubenssystem habe. Ich fĂŒhle mich in meinen Beziehungen nicht gut genug und habe oft das GefĂŒhl, dass ich die Liebe nicht verdiene. Manchmal, wenn ich richtig glĂŒcklich bin, ĂŒberkommt mich gleichzeitig eine Angst, dass mir das alles wieder genommen wird. 

Sprecher

Die Schutzstrategien sollen Menschen helfen, nicht so leicht verletzt werden zu können; Sie sollen den Erwachsenen helfen, sich nicht wieder wie hilflose Kinder zu fĂŒhlen. Und den Schutzstrategien liegen wiederum GlaubenssĂ€tze aus der Kindheit zugrunde. Doch wie kann man mit negativen GlaubenssĂ€tzen und der daraus entstehenden Beziehungssabotage am besten umgehen?


O-Ton 19 Raquel Peel (00`39) / 

VO-Weiblich:

Zuallererst mĂŒssen wir erkennen, dass wir uns selbst und die Beziehung sabotieren und unsere GlaubenssĂ€tze die Ursache sind. Unsere negativen GlaubenssĂ€tze sind der Grund, warum die Beziehung nicht funktioniert. Nur zusammen mit dem Partner, der Partnerin können wir die Angst ĂŒberwinden, können wir in unseren Ängsten gesehen und gehört werden und verletzlich sein. Es braucht also Kommunikation, es braucht Zusammenarbeit.

Sprecher

Es ist also wichtig herauszufinden, was eigentlich die Schutzstrategie ist und welcher Glaubenssatz der Strategie zu Grunde liegt, damit man die Beziehungssabotage auch bewusst beenden kann. Sich dem Partner, der Partnerin so zu öffnen, birgt aber eine Gefahr 


Musik:  Disturbing factors 0‘26

Sprecher


 nĂ€mlich wirklich verletzt werden zu können.

***MusikzÀsur***

Sprecher

GlaubenssĂ€tze wollen sich selbst bestĂ€tigen – dafĂŒr sabotieren Menschen teilweise sogar sich selbst und ihre eigenen Beziehungen. Und den Grund dafĂŒr können Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler sogar im Gehirn nachweisen:

O-Ton 20 Franca Cerutti (00`33) 

Das liegt daran und das ist echt ein bisschen tragisch, dass unser Gehirn mit einer winzigen DopaminausschĂŒttung reagiert, wenn es recht hat. Das heißt, selbst wenn negativste Vorannahmen bestĂ€tigt werden, macht unser Gehirn ein ganz kleines „Chaka!“ und sagt: Ich hatte recht. Und das erhĂ€lt es sozusagen auch noch ein bisschen mit aufrecht und macht es manchmal noch schwieriger, Gegenbeweise gegen so negative innere Überzeugungen zu suchen. Denn das ist viel, viel mĂŒhsamer. 

Sprecher

Laut einer Studie der Havard-UniversitĂ€t hören wir bis zu unserem 18. Lebensjahr ĂŒber 180.000 negative Suggestionen; oder um im Bild der Tropfsteinhöhle zu bleiben: Über 180.000 Tropfen schmutzigen Wassers, die zu festen Stalagmiten und Stalaktiten in uns werden können. 

Keine erfreulichen Aussichten. Aber kann man negative GlaubenssÀtze auch wieder loswerden?

O-Ton 21 Franca Cerutti (00`37)

Also manchmal lese ich das so in Zeitschriftenartikeln oder so, dass man GlaubenssĂ€tze löschen kann. Und das stimmt halt faktisch einfach nicht. Denn tief verinnerlichte Überzeugungen, die sind ja rein hirnphysiologisch betrachtet ĂŒbersetzbar als Nervenverbindungen, die nun mal existieren. Und die lassen sich ĂŒberhaupt nicht löschen. Es geht darum, dass man neue Strukturen schafft, die mindestens genauso fest werden und neue Verbindungen eingehen. Und dass es eben die positive Konkurrenz gibt; löschen geht im Gehirn so gut wie gar nicht. 

Musik:  What is it (reduced) 0‘43

Sprecher

Oder um im Bild der Tropfsteinhöhle zu bleiben: man kann die verhĂ€rteten Stalagmiten und Stalaktiten nicht einfach zerschlagen. Man muss sich selbst neue Tropfsteine wachsen lassen; Und dafĂŒr muss man auch nicht unbedingt in Therapie gehen

Sich beim Denken beobachten, so die negativen GlaubenssĂ€tze identifizieren und bewusst mit positiven Gedanken gegensteuern. Klingt eigentlich einfach. Also „Ich kann alles schaffen“ statt „Ich kann das nicht“!?

O-Ton 23 Franca Cerutti (00‘30)

Ich erlebe es in der Praxis auch hĂ€ufig, dass Menschen sich Affirmationen raussuchen und die sagen, die sich dann lĂ€chelnd vor dem Spiegel oder schreiben die in ihr Dankbarkeitstagebuch. Und empfinden das aber als unglaubwĂŒrdig, weil eben vielleicht ein entgegenstehender Glaubenssatz genau das Gegenteil behauptet, so dass sich die Affirmation affig anhört. Und deshalb arbeite ich ganz gerne mit den sogenannten ‚Iffirmationen‘.

Sprecher

Iffirmationen: eine Mischung aus Affirmationen, also positiven lebensbejahenden SĂ€tzen und dem englischen Wort „If“, was so viel wie „wenn“ bedeutet. Diese Iffirmationen können dann so klingen:

O-Ton 24 Franca Cerutti (00‘25)

Und was ist, wenn das doch gut genug war? Und was ist, wenn ich genau das geliefert habe, was erwartet war? Und was ist, wenn das vollkommen ausreichend war? So, also es muss nicht ein „Ich bin die Beste“ dagegengehalten werden, sondern so sobald man merkt „Oh, das war nicht gut.“ „Und was ist, wenn das doch gut war?“ „Oh, da habe ich jetzt wieder zu viel gequatscht.“ „Und was ist, wenn ich unterhaltsam war und nicht zu viel gequatscht hab?“

Sprecher

In ihrer Praxis macht Franca Cerutti ganz unterschiedliche Erfahrungen damit, wie lange es dauert, bis die Iffirmation zum Automatismus wird. Aber unterm Strich, sagt sie, klappe es immer. Und auch Emily hat ihre eigene Taktik gefunden, um mit ihrem Glaubenssatz „Ich bin zu viel“ umzugehen. FrĂŒher hat sie lange WhatsApp-Nachrichten an ihre Freundinnen geschickt und sich entschuldigt:

O-Ton 25 Emily (00`31)

Ich habe angefangen eher nachzufragen. Also dass ich dann so bin. „Hey, ich hatte voll den schönen Abend! Habe ich dich genervt? War es irgendwie schlimm oder so?“ Und ich habe angefangen, den Leuten zu glauben, wenn sie sagen: „Es war voll okay, Ich hatte auch voll den 

schönen Abend.“ 

Musik:  Finding the answer 0‘38

Sprecher

GlaubenssĂ€tze sind so unterschiedlich wie das Leben der Menschen. Und wir alle haben sie: gute und schlechte. Manche haben hartnĂ€ckigere negative Glaubenssysteme in sich, anderen fĂ€llt es leichter, sie durch positive GlaubenssĂ€tze zu ersetzen. Und Emily – sie ist ihren Eltern dankbar, dass sie keine rĂŒcksichtslose GesprĂ€chspartnerin geworden ist, die andere stĂ€ndig unterbricht. Sie kann ihrem negativen Glaubenssatz auch was Positives abgewinnen. 

O-Ton 26 Emily (00`45)

Vielleicht steckt auch was Gutes darin. Ich weiß noch, wir haben uns damals im Deutsch LK haben wir uns irgendwann so Zettel auf den RĂŒcken geklebt mit irgendwie Sachen, die wir cool aneinander fanden oder so und es war alles anonym und ich weiß noch, mir hat jemand einen Zettel auf den RĂŒcken geklebt. Den habe ich bis zum heutigen Tage. Mir hat jemand da reingeschrieben: Ähm, du, du bist ein sehr witziger Mensch. Ähm, und es hat jemand geschrieben 

Musik: Everyone sleeps 0‘45

Du redest sehr viel und ich weiß noch, ich wollte den Zettel zerknĂŒllen und wegschmeißen, aber die Person hat geschrieben ‚Du redest sehr viel, aber du passt auch immer auf, dass alle anderen zu Wort kommen‘. Und diesen Zettel hab ich und ich hab gedacht: Ganz ehrlich: Das ist doch das Beste, was mir passieren kann!