Mit ihnen lĂ€sst sich gutes Geld verdienen - oder gar die Evolutionsgeschichte neu schreiben: gefĂ€lschte Fossilien. Von billigen Fakes bis zu kunstfertigen Manipulationen fĂŒhren sie selbst Museen und Wissenschaftler immer wieder hinters Licht. Wer die FĂ€lscher sind, was sie antreibt - und wie man sie doch entlarvt. Von Marisa Gierlinger
Mit ihnen lĂ€sst sich gutes Geld verdienen - oder gar die Evolutionsgeschichte neu schreiben: gefĂ€lschte Fossilien. Von billigen Fakes bis zu kunstfertigen Manipulationen fĂŒhren sie selbst Museen und Wissenschaftler immer wieder hinters Licht. Wer die FĂ€lscher sind, was sie antreibt - und wie man sie doch entlarvt. Von Marisa Gierlinger
Credits
Autorin dieser Folge: Marisa Gierlinger
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Julia Fischer
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Yvonne Maier
Im Interview:
Prof. Dr. Eberhard "Dino" Frey, PalÀontologe
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Literatur:
Corbacho, Joan /C. Sendino, "Fossil fakes and their recognition", Deposits Magazine 30 (2012): 35-40
Feder, Kenneth L., Frauds, myths, and mysteries: science and pseudoscience in archaeology, Mountain View, California: Mayfield Publishing Company, 1990
Hancock, Peter, Hoax Springs Eternal, Cambridge University Press, 2015
Pickrell, John, Flying dinosaurs: how fearsome reptiles became birds, Columbia University Press, 2014
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SPRECHER
Am 18. Dezember 1912 treten im Vorlesungssaal der Londoner Geological Society zwei Herren ans Rednerpult. Der eine: Arthur Smith Woodward, Konservator der geologischen Abteilung des britischen Museums. Der andere: Charles Dawson, Rechtsanwalt und Amateur-ArchĂ€ologe. Was sie der versammelten Menge prĂ€sentieren, ist nicht weniger als eine Sensation. Es sind die versteinerten Fragmente eines SchĂ€dels und ein Unterkiefer. FrĂŒhmenschliche Ăberreste, ausgegraben in einem Flussbett bei Piltdown in der Grafschaft Sussex. Eine halbe Million Jahre könnte der Piltdown Man alt sein, wie Tierknochen aus derselben Kiesgrube nahelegen. Nicht nur sein Alter macht ihn spektakulĂ€r. Auch fĂŒr die Evolutionsgeschichte ist die Entdeckung unerhört. Ein Mensch mit affenĂ€hnlichem Gebiss und einer fortschrittlich entwickelten SchĂ€delkapsel. Ein Fund von epochaler Bedeutung, wie die Zeitungen in jenen Tagen schreiben. Der erste EnglĂ€nder. Der wahre Urmensch.
SPRECHERIN
Der Piltdown Man â er wird tatsĂ€chlich in die Wissenschaftsgeschichte eingehen. Doch nicht als Meilenstein der menschlichen Evolution. Sondern als spektakulĂ€rer Betrug. Als kunstvoll fabrizierte FĂ€lschung, die sogar Spezialisten ĂŒber Jahre tĂ€uschen konnte. Es ist der bis heute berĂŒhmteste Fall eines gefĂ€lschten Fossils. Doch bei weitem nicht der Einzige.
O-TON 01 EBERHARD FREY
Wie fang ich da am besten an? Es gibt verschiedene Kategorien von FĂ€lschungen.Â
SPRECHERIN
Sagt der PalĂ€ontologe Eberhard Frey, genannt: Dino. Er war viele Jahre Leiter der geologischen Abteilung im Karlsruher Museum fĂŒr Naturkunde. Dabei ist auch ihm schon einiges untergekommen.Â
O-TON 02 EBERHARD FREY
Es gibt FĂ€lschungen, die sind plump und die sieht man sofort. Und es gibt FĂ€lschungen, die sind sehr tricky gemacht. Das sind FĂ€lschungen, wo Kunststoffe eine groĂe Rolle spielen. AbgĂŒsse von anderen Fossilien, die dann in nicht vollstĂ€ndige Fossilien so eingebaut werden, dass man es nicht merkt. (âŠ) Und es gibt Fossilien, die sind zusammengesetzt aus verschiedenen Tieren der gleichen Art. (âŠ) Und dann gibtâs witzige Fossilien, die sind zusammengesetzt aus verschiedenen Tieren.Â
Musik:Â Green planet red. 0â33
SPRECHERIN
Wenn Organismen wie Lebewesen oder Pflanzen absterben, werden sie normalerweise zersetzt. DafĂŒr muss allerdings Sauerstoff im Spiel sein. In seltenen FĂ€llen werden sterbliche Ăberreste komplett von ihrer Umgebung eingeschlossen, zum Beispiel in Sediment. Es beginnt die sogenannte Fossilisation: In einem langwierigen chemischen Prozess wird die organische Substanz dann nach und nach in mineralische umgewandelt. Sprich: in Gestein.Â
Auf diese Weise bleiben sie der Nachwelt erhalten: als versteinerte Ăberreste oder deren Abdruck in Sediment. Sind diese mehr als 10.000 Jahre alt, spricht man von einem Fossil. Dinosaurierknochen, Ammoniten, die FuĂspuren frĂŒher Menschen. Sie schreiben die Geschichte unserer Herkunft, lange bevor es menschliche Aufzeichnungen gab. Das macht Fossilien wertvoll, fĂŒr Museen wie Privatsammler. Und sie damit auch fĂŒr FĂ€lscher interessant.
Musik:Â Crossing the Wujiang river 0â31
Vor allem in China floriert der Fossilienmarkt. Obwohl die Gesetze langsam strenger werden, ist der Handel im Vergleich zu Europa wenig reguliert. Seit jeher verfĂŒgt das Land ĂŒber bedeutsame geologische FundstĂ€tten. Vor allem die Provinz Liaoning ist unter PalĂ€ontologen fĂŒr ihren Fossilreichtum bekannt. Die Gegend ist von Ackerland geprĂ€gt. Tausende Farmer nutzen die Grabungen als Zusatzverdienst. Manche werden von Wissenschaftlern als billige ArbeitskrĂ€fte rekrutiert, andere machen sich selbst auf die Suche - was sie finden, verkaufen sie an HĂ€ndler. Das ist zwar illegal, aber lukrativ: In gutem Zustand kann ein Fossil fĂŒr zig tausend Euro ĂŒber den Tresen gehen. Grund genug, im Zweifel nachzuhelfen.Â
O-TON 03 EBERHARD FREYÂ
Und da kommen aus China viele Fossilien, die Vogel Ă€hnlich aussehen. Da ist der Kopf geschnitzt, also gefrĂ€st in den Stein. Die WirbelsĂ€ule besteht aus einer Fisch-WirbelsĂ€ule, die âRippenâ in AnfĂŒhrungszeichen sind die DornfortsĂ€tze und die SchwanzfortsĂ€tze von der SchwanzwirbelsĂ€ule von einem Fisch . Und dann werden irgendwelche Knöchlein eingebaut als Beine und FlĂŒgel, und es wird dann fĂŒr eine fĂŒnfstellige Summe angeboten.Â
SPRECHERIN
Oft durchlaufen solche StĂŒcke eine ganze Kette von ZwischenhĂ€ndlern. Wer den Fund wie manipuliert hat, lĂ€sst sich im Nachhinein schwer ausforschen.
Darum genieĂt Liaoning trotz seiner geologischen Schatzkammern heute unter PalĂ€ontologen einen zweifelhaften Ruf. Das liegt vor allem an einem Fall: dem des ArchĂ€o-Raptor. Einem Bindeglied zwischen Dinosaurier und Vogel, das man glaubte, in der Provinz gefunden zu haben â eine Sensation. Zweifel an dem Fund gab es von Anfang an. Dennoch veröffentlichte ihn der National Geographic in seiner Novemberausgabe 1999. In Wahrheit handelte es sich um eine Manipulation, ein Mischwesen aus dem Rumpf eines primitiven Vogels, dem Schwanz eines gefiederten Dinosauriers. Und den Beinen von einem Wesen, das bis heute nicht identifiziert werden konnte. Ein Schaden fĂŒr die chinesische Wissenschaft, aber auch eine Blamage fĂŒr den National Geographic. Auch dem Fachmagazin Nature war die Story angeboten worden â man hatte abgelehnt.
Musik Microments 0â31
SPRECHERIN
Der ArchĂ€oraptor ist ein besonders drastischer FĂ€lschungsfall. Doch nicht immer handelt es sich um eine mutwillige TĂ€uschung. Laien setzen gefundene Teile oft unbeabsichtigt falsch zusammen. Manchmal ist der ursprĂŒngliche Fundort, in der Fachsprache: der Kontext, nicht mehr nachvollziehbar, auch das stellt Forscher vor ein Problem.
O-TON 04 EBERHARD FREYÂ
Wenn dieses StĂŒck keinen Fundort hat, dann wĂ€re ich schon von vornherein vorsichtig. Weil dann ein wesentlicher Aspekt dieses Fossils einfach fehlt.
Musik:Â Unbiased opinion 0â50
SPRECHERIN
Der Fundort verrĂ€t nĂ€mlich nicht nur, wo genau ein Fossil herkommt â sondern auch, wie alt es ist. DafĂŒr gibt es zwar auch andere Methoden: zum Beispiel die Analyse radioaktiver Isotope im Gestein, die nach einer bestimmten Zeit zerfallen. Das funktioniert aber je nach Isotop nur bis zu einem gewissen Alter. FĂŒr die Datierung wird dann der geologische Fundort herangezogen: die jeweiligen Gesteins- und Sedimentschichten, die sich einem bestimmten Erdzeitalter zuordnen lassen. Und: die sogenannten âLeitfossilienâ innerhalb einer Schicht. Das sind zum Beispiel wirbellose Tiere wie Ammoniten, die zu einer bestimmten Zeit vorkamen.
O-TON 05 EBERHARD FREY
Das heiĂt, man hat nicht nur ein Fossil, sondern man hat einen Befund um dieses Fossil herum. Und je vollstĂ€ndiger der ist, desto wertvoller ist dieser Fund fĂŒr die Wissenschaft.
SPRECHERIN
Wertvoll sind Fossilien vor allem fĂŒr die PalĂ€ontologie. Die Wissenschaft als solche gibt es seit dem frĂŒhen 19. Jahrhundert. Sie widmet sich den Lebensformen frĂŒherer Erdzeitalter, von den Dinosauriern bis zu den Menschen. Fossilien stehen dabei im Zentrum.Â
Musik:Â Mystic tendency (a) 0â18
SPRECHERIN
Auf versteinerte Ăberreste stieĂen Menschen schon frĂŒher â und interpretierten sie je nach damaligem Wissen und GlaubenssĂ€tzen. So prĂ€gten oder bestĂ€tigten Funde auch die jeweiligen Mythologien.
O-TON 07 EBERHARD FREYÂ
Dann denkt man die Donnertiere in Nord Nordamerika, wo die Indigenen dann geglaubt haben, wenn die ĂŒber den Himmel galoppieren, na dann donnertâs halt. Die kannten aber diese riesengroĂen Knochen, die sie keinem heutigen Tier zuordnen konnten. (âŠ)Es gibt diverse solche Dinge, die aus der Mythologie kommen. Und in China waren die groĂen Knochen von Drachen (âŠ) Das waren Fantasiewesen, die aber mythologisch von groĂer Bedeutung waren. Das war der ursprĂŒngliche Wert von Fossilien, der Beweis fĂŒr Drachen. Der Beweis fĂŒr Riesen.Â
SPRECHERIN
Eine Belegfunktion, die sich spĂ€ter auch andere zunutze machten.Â
Musik:Â Historic secrets 1â08
Am texanischen Paluxy River entdeckte man im Jahr 1908 FuĂspuren von Dinosauriern â und daneben eine Reihe anderer, lĂ€nglicher Spuren. Menschliche FuĂspuren, wenn es nach Kreationisten ging. Die christliche Schöpfungslehre stand im Lichte neuerer Erkenntnisse unter Druck. SpĂ€ter stellte sich heraus, dass ein Teil der Spuren bewusst gefĂ€lscht und menschenĂ€hnlich prĂ€pariert wurde.Â
SPRECHER
Mit einer Art religiösen Ăberzeugung geht man im 19. und frĂŒhen 20. Jahrhundert auch an die junge Wissenschaft der Evolutionslehre. Ihre Bibel: Charles Darwins âĂber die Entstehung der Artenâ. Darwins Theorie löst unter PalĂ€ontologen eine regelrechte GoldgrĂ€berstimmung aus. Es ist die Suche nach dem Missing Link, dem Bindeglied zwischen Affe und Mensch. Zwar hatte es schon aufsehenerregende frĂŒhmenschliche Funde gegeben â doch manchen Zeitgenossen waren diese unbequem. Sie zeichneten das Bild eines aufrechtgehenden Tieres: menschenĂ€hnlich, aber mit deutlich kleinerem Gehirnvolumen. Unerhört: Denn der wahre Urmensch, so die Annahme, mĂŒsse doch genau andersherum aussehen. Der Gedanke, das ĂŒberlegene Gehirn sei in der Entwicklung nicht vorausgegangen â unvorstellbar. Auf der ganzen Welt sucht man nun nach einem Hominiden mit affenartigem Körper und dem SchĂ€del eines modernen Menschen. Und in England findet man ihn: Den Piltdown Man.
O-TON 08 EBERHARD FREY
Piltdown ist bis heute interessant, weil das eben auch so eine politisch motivierte FĂ€lschung war. (..) in England war das damals so die Ăberzeugung, dass die Menschheit aus England kam. Also musste irgendwas her.
SPRECHERIN
Doch der Piltdown Man von 1912 stellte die Wissenschaft auch vor ein Problem. Er widersprach der Herkunftslinie aller anderen frĂŒhmenschlichen Funde. Es gab Zweifel unter Fachleuten. Gab es einen konkreten FĂ€lschungsverdacht â dann wagte wohl niemand, ihn laut zu Ă€uĂern.Â
O-TON 09 EBERHARD FREY
Ich gehe davon aus, dass ich nicht betrogen werde. Das ist ja eigentlich so, wie Menschen erst mal denken sollten. Was vielen dann das Genick bricht am Ende. Aber mit den damalig vorhandenen anatomischen Kenntnissen hÀtte man das rauskriegen können.
SPRECHERIN
So der PalÀontologe Eberhard Frey. Heute hat man ganz andere technische Möglichkeiten. Und aus Erfahrung genug Grund zur Skepsis. Vieles, sagt Eberhard Frey, könne schon bei genauerem Hinsehen und einem Mindestmaà an anatomischen Kenntnissen entlarvt werden. Oder mit ein paar einfachen Tricks.
O-TON 10 EBERHARD FREY
Es gibt da ganz einfache Methoden, das ad hoc zu entschlĂŒsseln, wenn sie zu offensichtlich sind. Manchmal reicht es, Wenn ich dagegen klopfe und das macht tock tock tock, dann ist das Plastik, tock tock tock. Und nicht ping, ping ping, wenn es Stein ist. (âŠ) Man kann natĂŒrlich auch, wenn die coloriert sind, an der verdĂ€chtigen Stelle mal vorsichtig kratzen ob dann ein gelbliches oder weiĂliches Pulver rauskommt, was nicht Knochen ist.Â
Musik:Â No effort 0â41
SPRECHERIN
Oft reichen aber auch weniger invasive Methoden. Schon mit einer Lupe lassen sich in Kunstharz eingeschlossene LuftblĂ€schen erkennen. Unter dem Mikroskop werden auch feine Werkzeugspuren sichtbar. Wurden Fossilien kĂŒnstlich ergĂ€nzt oder aus unterschiedlichen Spezies zusammengesetzt, zeigt sich das unter UV-Licht: die einzelnen Teile reflektieren das Licht unterschiedlich stark. Per Röntgen oder im CT werden hingegen Unterschiede in der Dichte und Struktur sichtbar.
SPRECHERIN
Erst Anfang 2024 konnte ein weiterer FĂ€lschungsfall aufgedeckt werden.Â
Musik:Â Mystic tendency (a) 0â44
Der 280 Millionen Jahre alte âTridentinosaurus antiquusâ, ein echsenartiges Reptil aus den italienischen Alpen. Oder kurz: Das Alpenfossil. Sein Körper ist auf einer Steinplatte eingebettet, nur die Hinterbeine ragen reliefartig hervor. Bemerkenswert ist nicht nur das Alter. Um den Körper zeichnet sich dunkel gut erhaltenes Weichteilgewebe ab. Ein einzigartiges Merkmal â das Wissenschaftler mittlerweile entzauberten. Ihre Untersuchungen zeigten, dass es sich bei dem âGewebeâ um Farbe handelte.Â
Ein Beispiel, das einmal mehr die Frage aufwirft: Wie viele FĂ€lschungen schlummern womöglich noch in Museen? Sollte man mit den heutigen Möglichkeiten nicht noch viel mehr Ă€ltere StĂŒcke ĂŒberprĂŒfen?
O-TON 12 EBERHARD FREY
Es gibt Sammlungen, die enthalten mehr als eine Million StĂŒcke. Und so intensiv kann sich kein Kurator mit jedem StĂŒck beschĂ€ftigen. (âŠ)Aber wenn man ganz besonders schöne Fossilien hat, dann rentiert sich da schon mal ein genauerer Blick drauf.Â
SPRECHERIN
Umso mehr, wenn es einen berechtigten Anfangsverdacht gibt. Zweifel, wie sie der Piltdown Man aufgeworfen hatte.Â
Musik: Resourceful criminals 0â32
SPRECHER
1949, knapp 40 Jahre nach seinem Fund, nimmt ein Wissenschaftler den Piltdown Man nĂ€her unter die Lupe. Kenneth Oakleys Analyse zeigt: Die Piltdown-Knochen sind maximal 50.000 Jahre alt. Weitere Untersuchungen im Jahr 1953 bestĂ€tigen schlieĂlich: SchĂ€del und Kiefer stammen aus völlig unterschiedlichen Zeitaltern, und damit nicht von ein- und demselben Lebewesen. SpĂ€testens jetzt steht fest: der Piltdown Man ist ein Hoax.
Im Jahr 2016 gibt es noch einmal eine wissenschaftliche Betrachtung. Sie fördert das ganze AusmaĂ des Schwindels zutage. Die SchĂ€delfragmente stammten von einem modernen Menschen, nur wenige hundert Jahre alt. Und der affenartige Kiefer? Der gehörte tatsĂ€chlich einem weiblichen Orang Utang. Alle Knochen und ZĂ€hne wurden gezielt chemisch verfĂ€rbt. Unterm Mikroskop werden auĂerdem Feilspuren an den BackenzĂ€hnen sichtbar. Auch die anderen in Piltdown gefundene Fossilien waren offenbar manipuliert und bewusst dort platziert. Der FĂ€lscher wusste, was er tat.
Musik: Wait and see 0â29
SPRECHERIN
Doch wer konnte es gewesen sein? Das Wissen, wie ein Fossil auszusehen hat. Der Zugriff auf andere StĂŒcke. Der nötige Vertrauensvorschuss. Das alles spricht fĂŒr einen TĂ€ter aus dem engeren wissenschaftlichen Umfeld. Das liefert auch ein mögliches Motiv: Ruhm und Anerkennung fĂŒr eine bedeutende Entdeckung. In Verdacht gerieten ĂŒber die Jahre eine ganze Reihe an Akteuren.Â
Der naheliegende TĂ€ter bleibt Charles Dawson selbst. Ein damals angesehener Hobby-ArchĂ€ologe und Sammler, der schon mehrere Funde an die Geological Society gespendet hatte. Er war als einziger bei allen verdĂ€chtigen Funden anwesend. Er hatte das Motiv, die Mittel â und die kriminelle Energie. In puncto BetrĂŒgereien war Dawson rĂŒckblickend kein unbeschriebenes Blatt. Ob er Komplizen hatte, wird sich wohl nie klĂ€ren lassen. Sicher ist: Nach seinem Tod werden nie wieder FĂ€lschungen in der Grube in Piltdown auftauchen.
FĂŒr Eberhard Frey sind solche FĂ€lle kein Grund, Sammlern zu misstrauen oder die Ausgrabungen Wissenschaftlern allein zu ĂŒberlassen.Â
O-TON 13 EBERHARD FREYÂ
Da muss man sich heute deutlich mehr rechtfertigen, weil Privatsammler im Prinzip fast schon bei vielen etablierten Zeitschriften in der Ecke der RaubgrĂ€ber sind, aber ohne Privatsammler und ohne UnterstĂŒtzung aus dem Privatsammler-Bereich. Welches Institut kann sich eine Grabung erlauben, die ein halbes Jahr geht?
SPRECHERIN
Wichtig sei, keine zusĂ€tzlichen finanziellen Anreize fĂŒr bestimmte StĂŒcke zu setzen. So werden Amateur-Sammler zwar fĂŒr ihre Arbeit bezahlt:
O-TON 14 EBERHARD FREYÂ
Aber ich wĂŒrde niemals ein Fossil aus seiner Grabung bezahlen. Niemals. Immer nur Arbeitsaufwendungen, Benzingeld.Â
SPRECHERIN
Kleinere âReparaturenâ sind grundsĂ€tzlich zulĂ€ssig und in Museen gĂ€ngige Praxis. Wichtig ist, dass alle Eingriffe beim Verkauf angegeben werden.Â
SPRECHERIN
Diese GrundsĂ€tze gelten nicht fĂŒr alle Einrichtungen, vor allem auĂerhalb Europas. Und schon gar nicht fĂŒr private Sammler, deren Sammlungen manchmal doch ĂŒber Umwege an Museen gelangen. Es gibt GrĂŒnde, nicht genau hinzuschauen â fĂŒr Museen wie fĂŒr Wissenschaftler, die es auf das besondere StĂŒck abgesehen haben, oder auf die schnelle Veröffentlichung. Wo leichtglĂ€ubige Abnehmer sind, gibt es auch weiterhin FĂ€lscher. Was sie antreibt? Das sei in den meisten FĂ€llen recht simpel zu beantworten, meint Eberhard Frey.
O-TON 16 EBERHARD FREYÂ
Die machen das um Geld zu verdienen. Ja, ganz einfach. Oder um berĂŒhmt zu werden. (âŠ)Â
Musik:Â Creative criminal red 0â38
SPRECHERIN
Geld. Ruhm. Anerkennung. Die Motive erscheinen naheliegend. Oft fĂŒhren sie auf die Spur der TĂ€ter. Cui bono â wer profitiert? In vielen FĂ€llen geht man von den Findern selbst aus, oder ZwischenhĂ€ndlern, die daran verdienen. Aber die Geschichte zeigt: Es gibt auch andere Motive. Bestimmte Ideologien, Mythologien, nationale oder religiöse Narrative. Und nicht zuletzt die Lust am TĂ€uschen selbst â und sich tĂ€uschen zu lassen. Solche Geschichten faszinieren. Das findet auch Eberhard Frey. Eine gefĂ€llt ihm ganz besonders.
O-TON 17 EBERHARD FREY
Das war erst mal 1725. Der Johann Beringer, der war Naturforscher und Medizinprofessor. (âŠ) Dem sind aus der NĂ€he von WĂŒrzburg solche Figuren Steine gebracht worden.Â
SPRECHERIN
Es sind drei Jugendliche, die ihm die sonderbaren Steine vorlegen. MainfrĂ€nkischer Muschelkalk, versehen mit fremdartigen Schriftzeichen. Aber auch mit groben Reliefs offenbar versteinerter Tiere und Pflanzen. Beringer beauftragt die Jugendlichen, weiterzugraben. Im Lauf von sechs Monaten werden sie ihm an die 2000 Steine ĂŒberbringen.
O-TON 18 EBERHARD FREY
18. Jahrhundert, da erwachte die PalĂ€ontologie grad, und da hat man ĂŒberhaupt keine Kriterien dafĂŒr gehabt. (âŠ)Da waren zum Teil Tiere dabei, die es ĂŒberhaupt nicht gibt. Die waren völlige Fantasie.
Musik:Â Serious path (reduziert) 0â42
SPRECHERIN
FĂŒr den Naturforscher ist es der groĂe Coup. Minutiös katalogisiert er die Steine, hĂ€lt sie in detaillierten Kupferstichen fest. Ein Jahr spĂ€ter will er seine Lithographiae Wirceburgensis herausbringen, die WĂŒrzburger Lithographie. Schon vor der Veröffentlichung des Bildbands werden FĂ€lschungsgerĂŒchte laut. Jahre spĂ€ter steht fest: Die Steine sind allesamt fabriziert. âWĂŒrzburger LĂŒgensteineâ werden sie seither genannt. Schnitzarbeiten und Gravuren, hergestellt in mĂŒhevoller Handarbeit. Vermutlich beauftragt, um Beringer bloĂzustellen. Nur gelang das nicht.Â
O-TON 19 EBERHARD FREY
Er hat seine Professur nicht verloren, man hat ihn nicht lĂ€cherlich gemacht. (âŠ). Die HintergrĂŒnde sind bis heute noch nicht klar. Aber eins ist klar. Ein Original von den Dingern, das können sie nicht bezahlen. Jetzt sind diese FĂ€lschungen historisch von Bedeutung, weil sie einen Abschnitt der PalĂ€ontologie dokumentieren, an den heute niemand mehr denkt, der aber geschichtlich wichtig ist. Und so können dann FĂ€lschungen wieder zum Wert kommen, der ganz ĂŒberraschend ein historischer Wert ist.
SPRECHERIN
Ein eigener Wert. Von FossilfĂ€lschungen lernen wir vielleicht nichts ĂŒber die Urwesen vor unserer Zeit. Aber ĂŒber uns Menschen. Das macht FĂ€lle wie die LĂŒgensteine, den Piltdown Man oder den ArchĂ€oraptor fĂŒr Laien bekannter und oft spannender als die meisten âechtenâ Fossilien. Trotzdem schaden sie der Forschung, der IntegritĂ€t und GlaubwĂŒrdigkeit von wissenschaftlichen Einrichtungen. Das ebnet den Weg fĂŒr Verschwörungstheorien und âalternative Faktenâ. Es erzeugt Skepsis, die seriösen Sammlern und HĂ€ndlern schadet und Wissenschaftlern einen hohen Arbeitsaufwand verschafft. FĂ€lschungen aufzudecken kann auf den ersten Blick wehtun. Auf lange Sicht kann es helfen.
Musik:Â Evolving time (b)0â28
O-TON 20 EBERHARD FREY
NatĂŒrlich lernt man was draus. Wenn wir jetzt schon in die FrĂŒhzeit von der PalĂ€ontologie gehen mit Beringer. Da hat man natĂŒrlich schnell rausbekommen, was eine Schnitzerei ist und was keine Schnitzerei ist. Das heiĂt, jede FĂ€lschungsmethode, die aufgedeckt wird, schĂ€rft den Blick fĂŒr Ă€hnliche FĂ€lschungen. Und es gibt heute keine FĂ€lschungsmethode, die so sicher ist, dass man es nicht entdecken kann.Â
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