radioWissen - Bayern 2   /     Wortfindungsstörungen - Und andere alltägliche Aussetzer

Description

Die Fähigkeit zu sprechen und Botschaften zu artikulieren, zeichnet uns Menschen aus. Doch ab und zu kommt es - bei jedem von uns - zu Fehlern bei der Sprachproduktion. Diese kleinen kognitiven Aussetzer sind normal und meistens harmlos. Von Katrin Kellermann

Subtitle
Duration
00:21:56
Publishing date
2024-12-10 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/wortfindungsstoerungen-und-andere-alltaegliche-aussetzer/2100750
Contributors
  Katrin Kellermann
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2100750/c/feed/wortfindungsstoerungen-und-andere-alltaegliche-aussetzer.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Die Fähigkeit zu sprechen und Botschaften zu artikulieren, zeichnet uns Menschen aus. Doch ab und zu kommt es - bei jedem von uns - zu Fehlern bei der Sprachproduktion. Diese kleinen kognitiven Aussetzer sind normal und meistens harmlos. Von Katrin Kellermann

Credits
Autorin dieser Folge: Katrin Kellermann
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Christian Baumann, Rahel Comtesse
Technik: Heiko Hinrichs, Lorenz Kersten
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview: 
Prof. Dr. Dr. Horst M. Müller, Ag Experimentelle Neurolinguistik, Universität Bielefeld, 
Prof. Dr. Sebastian Markett, Psychologe Humboldt-Universität zu Berlin, Gedächtnistrainerin Gitte Rollenhagen u. Teilnehmer, 
Dr. Nina Jeanette Hofferberth, Buchautorin Sprachproduktion & Lehrerin 

Diese hörenswerten Folgen von Radiowissen könnten Sie auch interessieren:
Stottern - Die Angst vor dem nächsten Hänger               HIER
Gedächtnisforschung - Was hilft gegen Vergesslichkeit?               HIER  

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
ZUM PODCAST

Linktipps:

Fragebogen von Gesprächspartner Prof. Sebastian Markett    HIER

Bundesverband Gedächtnistrainingb e.V. mit einer Liste zertifizierter Gedächtnistrainer  HIER

Assoziationsspiel zur Erforschung des mentalen Lexikons   HIER

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN

Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

01 Zsp Wortfindungsstörungen Gitte Rollenhagen 00:27

„Es geht los (…) Jetzt. Magst du anfangen? Atmo Miau, trampeln.

Ja super, Ihr macht das super, und das ist halt richtig, richtig anstrengend. Das Schwierige ist, dass man eben zwischen Handlung und Worten wechseln muss und dass man halt spricht, was man tut. Weil wir nicht multitaskingfähig sind.“

Musik:  Creative workshop 0‘22

Sprecher 

Gedächtnistrainerin Gitte Rollenhagen leitet einen Kurs an der Münchner Volkshochschule. Sie stellt Rätselfragen, gibt Denkanstöße und erklärt die Aufgaben. Die Teilnehmenden haben Spaß beim Knobeln, Raten, Überlegen, Kombinieren. Sie kommen auf Ideen und haben kreative Einfälle. Und genau darum geht’s: 

02 Zsp Wortfindungsstörungen Gitte Rollenhagen 00:20 

„Kreuzworträtsel bringt nicht so viel, weil, man macht ja immer das Gleiche. Und irgendwann weiß man den Fluss mit den fünf Buchstaben und beim Gedächtnistraining lernen wir eben immer wieder anders zu denken. Um die Ecke zu denken, und wenn ich so nicht weiterkomme, eine andere Lösung zu finden, also viel flexibler einfach zu werden.“ 

Musik: New ideas red 0‘25

Sprecher:  

‚Use it or loose it‘ – dieser Spruch gilt nicht nur für unsere Muskeln, sondern auch für das Gehirn. Denn Verbindungen zwischen Nervenzellen können trainiert oder vernachlässigt werden und dementsprechend gut oder schlecht Signale übertragen. Was man häufig braucht, lässt sich leicht abrufen. Was man dagegen nicht so oft braucht, wird verschüttet. Und dann kann es passieren, dass uns plötzlich ein Wort nicht mehr einfällt: 

03 Zsp Wortfindungsstörungen Gitte Rollenhagen 00:32

„Das werde ich immer gefragt, wie kann ich mir, wenn mir ein Wort nicht einfällt, das herholen? Es gibt keine Patentlösung. Es geht einfach darum, dass ich immer wieder mein Gehirn trainiere, meine Flexibilität im Denken, meine Kreativität, meine Fantasie. Man muss einfach dranbleiben. Und trotzdem: Es ist auch normal, dass uns manchmal was nicht einfällt. Und dann einfach loslassen, das kommt dann.“ 

Musik:  Shy and curious 0‘20

Sprecherin: 

Wenn uns ein Wort auf der Zunge liegt, aber nicht einfallen will, dann bezeichnet das die Wissenschaft als Zungenspitzen- oder Tip of the tongue-Phänomen. Es passiert etwa ein bis zwei Mal pro Woche. Ältere erleben es etwas häufiger als junge Menschen: 

04 Zsp Wortfindungsstörungen Horst Müller 00:26 

„Es geht ja auch nicht um Wörter, die sehr hochfrequent sind, die sehr im Alltag vorkommen. Und nicht um Wörter natürlich, die man im Kindesalter schon erworben hat. Kaum jemand wird über ein Buch reden wollen und dann fällt einem das Wort ‚Buch‘ nicht ein, sondern das sind seltene Wörter, häufig auch Wörter, die man erst später im Leben erlernt hat und Namen natürlich.“ 

Sprecherin: 

… sagt Professor Doktor Doktor Horst Müller. Der Neurobiologe und Linguist leitet die Arbeitsgruppe Experimentelle Neurolinguistik an der Universität Bielefeld und forscht darüber, wie Sprache im Gehirn repräsentiert ist. 

Musik:  Brain puzzle (b) 0‘24

Er betont, dass Sprechen eine kognitive Höchstleistung sei. Denn während wir mühelos reden, laufen im Gehirn mehrere Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen, teilweise parallel, ab. Wir kommen vom Gedanken zum Wort in Sekundenbruchteilen. 

Sprecher: 

Bewusst wird uns das nur selten. Und zwar dann, wenn bei der so genannten Aktivierung, also dem Abruf aus dem Gedächtnis oder dem Zugriff, wie Psycholinguisten sagen, etwas schiefgeht: 

05 Zsp Wortfindungsstörungen Horst Müller 00:17 

„Die Leute haben so viele Informationen über das zu suchende Wort, dass man davon ausgehen muss, dass die Aktivierung schon sehr weit fortgeschritten ist, aber es letzlich nicht zu Ende gebracht werden kann. Das Wort also tatsächlich auf der Spitze der Zunge liegt und nicht herauskommt.“ 

Sprecherin: 

Aber warum können wir es nicht einfach aussprechen? Die Antwort liefert die Art und Weise, wie unser kognitives System funktioniert. 

Unter Kognition versteht man das Denken oder die Informationsverarbeitung im Gehirn im Allgemeinen. Sie umfasst beispielsweise Vorstellungskraft, Kreativität, Gedächtnis und Sprache. 

Musik:  Anticipation 0‘33

Sprecher:

Jede Äußerung beginnt mit einer Idee davon, was wir sagen wollen. Man spricht von einem Konzept. Diese noch vorsprachlichen Einheiten kennt vermutlich jedes Lebewesen. Auch ein Hund weiß, was wegrennen bedeutet. Ein Mensch aber kann diese Konzepte an Wörter knüpfen und als Botschaft artikulieren. 

Sprecherin: 

Schätzungen gehen davon aus, dass die deutsche Gegenwartssprache etwa dreihundert- bis sechshunderttausend Wörter umfasst. Es heißt, ein Durchschnittsprecher kenne etwa vierzigtausend Wörter. Im Laufe des Lebens vergrößert sich unser Wortschatz stetig. Wörter, die wir einmal gelernt haben, sind in unserem Gedächtnis gespeichert und stehen idealerweise jederzeit zum Abruf bereit.

Sprecher:

Man spricht vom so genannten mentalen Lexikon. Unklar ist aber, wie dieses im Detail organisiert und strukturiert ist. Sicher ist: Die Wörter sind nicht isoliert gespeichert, sondern in einem neuronalen Netzwerk miteinander verknüpft. 

06 Zsp Wortfindungsstörungen Sebastian Markett 00:08

„Unser Gehirn, unser Gedächtnis und damit auch letztendlich die 

Repräsentation der Sprache, die wir im Kopf haben, die funktioniert super assoziativ.“

Sprecherin:

… sagt Doktor Sebastian Markett, Professor für Molekulare Psychologie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

 07 Zsp Wortfindungsstörungen Sebastian Markett 00:25

„Also wir kommen wirklich vom Hölzchen aufs Stöckchen. Wenn ich an Apfel denke, denke ich an Birne und damit werden halt automatisch, wenn ich nur an ein bestimmtes Wort denke, eine ganze Reihe von anderen Worten mitaktiviert. Und die wollen dann vielleicht auch gesprochen werden. Und die muss ich dann aktiv draußen halten. Also die blockieren nicht notwendigerweise, sondern die bieten sich einfach mehr an. Es ist wie beim Fußball. Wenn ich mich freilaufe und dabei wild rum gestikuliere, dann ist es wahrscheinlicher, dass ich den Ball zugespielt bekomme. Und das passiert bei uns im Gehirn.“ 

Sprecherin:

Dazu kommt, dass wir für die jeweiligen Konzepte mehrere Wörter zur Verfügung haben: Ein Haustier mit vier Beinen, das bellt, könnten wir als Hund bezeichnen, aber auch als Pudel oder schlicht Tier, möglich sind auch die Wörter Kläffer oder Hündchen, je nachdem, welche Einstellung wir ausdrücken wollen. 

08 Zsp Wortfindungsstörungen Sebastian Markett 00:21

„Für unser Gehirn ist das total anstrengend und schwierig, also allein das richtige Wort auszusuchen und nicht das falsche zu benutzen. Und mein Gehirn muss auswählen, was ist das richtige? Und die anderen auch (…) aktiv fernhalten und das ist eine Sache, wo natürlich etwas schiefgehen kann. Und das sind so diese typischen Fälle, wo ich einfach das falsche Wort verwende, ohne es zu merken.“

Sprecherin: 

Bei zwei- oder mehrsprachigen Personen bieten sich noch viel mehr Einträge im mentalen Lexikon an. Vermutlich ist das auch ein Grund, warum diese Personen häufiger Fehler bei der Wortfindung machen, obwohl die Mehrsprachigkeit grundsätzlich als kognitiver Vorteil gilt.

Musik: Curious tension 0‘19

Sprecher:

Versprecher sind oft unfreiwillig komisch. Vor allem dann, wenn sie in der Öffentlichkeit oder in den Medien passieren: 

09 Zsp Wortfindungsstörungen Versprechercollage 00:16 

„Sie haben den Bundesgesundheitsminister zitiert, Klaus Lauterbach“ SFX Trenner

„Bundesaußenminister Taliban stellt den... tschuldigung“ 

SFX Trenner 

„Das fragen wir um kurz nach acht Kanzleramtschef Helge Schneider“ SFX Trenner

Donald Duck- äh Trump würde eine Wahlniederlage vermutlich nicht akzeptieren, aber was passiert dann?“ 

Sprecherin:

Wie das mentale Lexikon bei verschiedenen Menschen unterschiedlichen Alters strukturiert ist, wie nah oder entfernt die Wörter abgespeichert sind, wollen unter anderem Forschende des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung herausfinden. Sie beteiligen sich an einem über Jahrzehnte angelegten internationalen Projekt, das in 19 verschiedenen Sprachen läuft. 

Musik: Unbiased opinion-Akzent 0‘44

Sprecher: 

Mithilfe eines Internet-Spiels sammeln sie Daten. Es funktioniert folgendermaßen: Ein Begriff wie Glockenspiel, Füller oder Labyrinth wird vorgegeben. Der Spielende schreibt dann die ersten drei Wörter, die ihm in den Sinn kommen, dazu. Die aktuellen Top 3 zu „Labyrinth“ sind „Irrgarten“, „Maisfeld“ und „verirren“. Durch die Analyse der Assoziationen erhofft man sich neue Erkenntnisse über die Struktur des mentalen Lexikons. Damit könnte man dann Anwendungen mit künstlicher Intelligenz verbessern oder Sprach-Lernhilfen entwickeln.  

10 Zsp Wortfindungsstörungen Hofferberth 00:47

„Das tip of the tongue Phänomen - auf Deutsch sagen wir auch Zungenspitzenphänomen-, das beschreibt eine Störung in der Sprachproduktion, bei der momentan das gesuchte Wort nicht verfügbar ist. Normalerweise ist es aber im mentalen Lexikon gespeichert und ist verfügbar. Also das ist wirklich wichtig, dass es jetzt um eine akute Störung geht. Das passiert insbesondere, wenn wir müde sind oder angespannt oder aufgeregt oder auch alkoholisiert. Das ist genauso wie Versprecher, ja, also Wortfindungsstörungen und Versprecher tauchen bei Referaten häufiger auf als jetzt so normal in einem Alltagsgespräch.“  

Sprecherin:

… sagt die Gymnasiallehrerin und Buchautorin Doktor Nina Jeanette Hofferberth, die an der Goethe-Universität Frankfurt über das Zungenspitzenphänomen promoviert hat.

Musik:  Shy and curious 0‘30 

 Wenn diese akute Störung eintritt, dann helfen wir uns meist mit Umschreibungen oder nutzen umgangssprachliche Begriffe wie Dingsbums oder Dings. Bezeichnend ist das Gefühl, das gesuchte Wort eigentlich zu kennen. Dieses Feeling of Knowing erklärt Neurobiologe und Linguist Horst Müller anhand eines Beispiels: 

11 Zsp Wortfindungsstörungen Horst Müller 00:36 

„Wenn sie im Supermarkt an der Kasse stehen und das Warentransportband sehen vor der Kasse, dann liegen doch da diese Teile zwischen den Sachen, und das ist der Warentrennstab. Aber das Wort benutzt kaum jemand. Jeder kennt das Ding, jeder weiß, worüber er reden kann. Jeder hat das Wort auch schon mal gehört. Aber es fällt dann vielleicht nicht ein. Dieses Konzept ist ja vorhanden, man weiß genau, worum es geht. Und man weiß auch zum Beispiel - in der Hälfte der Fälle ist das so – es fängt irgendwie mit einem A an oder es ist zweisilbig, nicht dreisilbig.“ 

Sprecherin: 

Hintergrund ist, dass die Wörter im mentalen Lexikon mit zwei unterschiedlichen Informationen gespeichert sind. Zum einen die semantische Ebene, die Bedeutung, zum anderen die phonologische, der Klang. Beim Hören gelangen wir vom Klang zur Bedeutung und beim Sprechen ist es genau andersrum. 

Sprecher: 

Und je mehr Verbindungen es zwischen diesen beiden Ebenen, zwischen Bedeutung und Klang, gibt, desto leichter finden wir das gesuchte Wort: 

12 Zsp Wortfindungsstörungen Horst Müller 00:50

„Also am einfachsten ist es bei konkreten Wörtern - bei Ball oder Buch. Haptische Informationen sind da angebunden, angekettet. Man hat emotionale Bindung an Bücher, man hat sehr viel Erfahrung damit. Und so gibt es eine, wie man sagt, multimodale Verschaltung. Und wenn jetzt das Wort Buch aktiviert werden soll, dann kommt aus ganz unterschiedlichen Bereichen, kommen Hinweise darauf. Es ist ungefähr so groß, ungefähr so schwer, meistens aus dem und dem Material. Man kann darin blättern und so weiter und so weiter. Und Namen haben diese Einträge nicht. Die referieren ins Leere, gewissermaßen. Insbesondere, wenn es Namen sind von Personen, die man nicht kennt oder von denen man nur ganz vage Vorstellungen hat.“ 

Sprecherin: 

Namen sind also ein Sonderfall. Um sie sich besser merken zu können, sollte man in erster Linie aufmerksam zuhören, wenn sich jemand vorstellt. Bei Unklarheiten am besten gleich nachfragen, den Namen wiederholen, in Gedanken vielleicht mit einer passenden Geschichte zur Person verbinden und dann im Gespräch immer wieder verwenden. So bleibt er im Gedächtnis. 

Musik:  Finding the source 0‘27

Sprecher:

Um leichter auf einen gesuchten Namen oder ein Wort zu kommen, hilft es – sofern man eine Idee vom Anfangsbuchstaben hat - mehrere Silben auszuprobieren. Laut Studien können ähnlich klingende Wörter den Zugriff erleichtern. 

Das Gefühl, kurz vor der Lösung zu sein, aber nicht drauf zu kommen, kann mitunter frustrierend sein, weiß Nina Jeanette Hofferberth: 

13 Zsp Wortfindungsstörungen Nina Jeanette Hofferberth 00:28 

„Häufig schnippen wir dann auch so mit den Fingern und haben einfach die Hoffnung, gleich auf das gesuchte Wort zu kommen. Und ja, manchmal helfen wirklich solche Bewegungen oder auch Gesten, um diesen frustrierenden Zustand wieder aufzulösen. Man hat auch schon Probanden gebeten, also Versuchsteilnehmer, dass sie nicht gestikulieren dürfen beim Sprechen. Und dann kam es eben häufiger zu Wortfindungsstörungen und auch häufiger zu Versprechern.“ 

Sprecherin: 

Krampfhaft nach dem gesuchten Wort oder dem Namen zu grübeln ist keine gute Idee. 

Musik:  Unfolding feelings (a) 0‘34

Aus der Hirnforschung weiß man, dass Loslassen besser hilft. Man sollte an etwas anderes denken oder etwas anderes machen, beispielsweise einen Spaziergang. Denn dann fährt im Hintergrund ein so genanntes assoziatives Netzwerk hoch und arbeitet, ohne dass wir etwas davon mitbekommen. 

Sprecher:

Eine Taktik, die auch die Münchner Senioren, die ihr Gehirn mit Gedächtnistraining fit halten, verfolgen: 

14 Zsp Wortfindungsstörungen UF Gedächtnistraining 00:38

„Ich versuche nicht mehr so genau daran zu denken, weil je mehr ich mich darauf konzentriere, umso weniger fällt mir das ein. Und wenn man dann mal kurz die Gedanken schweifen lässt, dann ach, genau so war das.“ 

„Bei mir kommt es auch immer wieder vor. Aber entweder man schaut, woher kennt man den jetzt, in welchem Kontext? Vielleicht kommt dann der Name, und meistens kommt eher der Vorname als der Familienname. Aber es hängt auch davon ab, welche Geschichte das sich dahinter verbirgt.“ 

„Ich glaub, man wird großzügiger, aber das ist auch eine Altersgeschichte, dass man sagt, okay, das ist im Moment nicht im Kopf. Und dann fällt es mir halt zehn Minuten später ein.“

Musik: Z8034434106 Curious tension 0‘30

Sprecher und Sprecherin abwechselnd: 

Wir erzählen von einem Film und der Name der Schauspielerin fällt uns nicht mehr ein. 

Wir stehen im Keller und wissen nicht mehr, was wir dort wollten. 

Wir stoßen die Kaffeetasse um. 

Wir übersehen ein Verkehrsschild.

Wir suchen unsere Brille und haben sie auf dem Kopf. 

Wir wissen unsere PIN-Nummer plötzlich nicht mehr. 

Fehler, die uns allen im Alltag passieren und zum Glück meistens folgenlos bleiben. 

Sprecherin: 

Diese kognitiven Aussetzer nennt der Psychologe Sebastian Markett Augenblicksversagen oder Schusselfehler. Über einen onlinebasierten Fragebogen haben er und sein Team Persönlichkeitsmerkmale identifiziert, die mit einer erhöhten Neigung zu diesen Fehlern einhergehen. Ein typischer Schussel ist eher ängstlich, eher begeisterungsfähig und eher verträumt: 

15 Zsp Wortfindungsstörungen Sebastian Markett 00:43

„Also Tagträumen hat - zumindest, was so das deutsche Wort angeht, - ja einen relativ negativen Vibe. Also viele Leute sagen: Tagträumer! So ein Hans-guck-in-die-Luft. Aber Tagträumen ist extrem wichtig. Wenn man das Ganze mit einem anderen Begriff Mindfullness nennt, also der englische Begriff dafür aus dem Meditationsbereich, das ist was Positives. Also mit den Gedanken bei sich selbst sein, über sich selber nachdenken, Pläne machen. Das ist ein extrem wichtiger Zustand. Also wir sollten jeden Tag auch gezielt versuchen, in diesen Zustand reinzukommen. Und es gibt Leute, denen fällt das total leicht da reinzukommen. Aber dann gibt es die Schattenseite: Das ist die Kaffeetasse oder das verwechselte Wort oder der vergessene Termin.“

Sprecherin: 

Es gibt also Unterschiede zwischen einzelnen Personen. Auch eine genetische Komponente konnten die Forschenden zeigen. Allerdings ist die Tagesform genauso entscheidend: Sind wir müde, unausgeschlafen oder gestresst, neigen wir alle eher zu kleinen kognitiven Aussetzern. 

Musik: Driven by value 0‘39

Sprecher: 

Psychologe Markett hat auch gute Nachrichten: Laut Studien gewinnen Menschen durch schusseliges – man könnte auch sagen tollpatschiges, verpeiltes oder schrulliges - Verhalten, durchaus Sympathiepunkte. Zweitens entwickeln wir mit zunehmenden Alter Routinen. Wer seinen Schlüssel immer an denselben Platz legt, muss weniger oft danach suchen. Und drittens sind diese kurzen geistigen Stolperer einfach der Preis für unser komplexes Gehirn, das mit den verschiedensten Anforderungen in einer komplizierten Welt klarkommt: 

16 Zsp Wortfindungsstörungen Sebastian Markett 

„Also: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Und das sind die Momente, wo Schusselfehler passieren. Also im Endeffekt können wir danke für unser Gehirn sagen, dass diese Fehler passieren, weil das bedeutet einfach, es funktioniert alles so, wie es funktionieren soll.“ 

Musik:  Good news (c)  0‘13

17 Zsp Wortfindungsstörungen Horst Müller 00:39

„Wenn man ein Wort sucht, um ein Wort ringt, und genau weiß, was man sagen will und nur einem das Wort nicht einfällt, und wenn das höchstens alle zwei Tage passiert, würde ich mir überhaupt keine Sorgen machen. Wenn das häufiger passiert, sagen wir mal drei, vier Mal am Tag, dann ist es schon etwas anders. Und was auch noch hinzukommt, ist, dass man sich im Alter daran gewöhnen muss. Ich denke, schon ab 30, 40 beginnt es, ab 50 ist es merklich. Über 60 ist die Wortfindungsstörung im Sinne des ‚es liegt mir auf der Zunge` dein Freund gewissermaßen.“

Sprecherin: 

… so die Einschätzung von Neurobiologe und Linguist Horst Müller. Wortfindungsstörungen können Anzeichen für ernstzunehmende Krankheiten sein. Vor allem dann, wenn sie plötzlich oder ungewohnt häufig auftreten. Sebastian Markett erklärt, dass dahinter beispielsweise eine psychiatrische Erkrankung wie eine Depression stecken kann.

18 Zsp Wortfindungsstörungen Sebastian Markett 00:47

„Und das andere wären dann neurodegenerative Erkrankungen, also wir reden da in Richtung Demenz, Alzheimer zum Beispiel. Und da ist es tatsächlich so, wenn wir jetzt über die Alzheimersche Erkrankung sprechen, dass Wortfindungsstörungen mit zu den allerallerallerersten Symptomen dazugehören und das quasi, bevor wir überhaupt von einer Demenz klinisch sprechen können. Also, es ist schon ein erster Hinweis dafür. Was ich aber dazu jetzt mit 85.000 Ausrufezeichen versehen sagen muss: Wir können von der einen in die andere Richtung schießen, aber nicht von der anderen in die eine, was ich damit meine, ist: Wenn wir eine Person haben, die später, wo wir wissen, die ist dement geworden, dann können wir zurückgehen in die Vergangenheit und können sehen, okay, das hat man auch schon vorher gemerkt. Da waren Wortfindungsstörungen ganz früh da. Wenn wir allerdings eine Person mit Wortfindungsstörungen haben, dann vorherzusagen, ob die Person dement wird? Ausgeschlossen.“

Musik:  All good (b) 0‘27

Sprecherin: 

Damit das Gehirn möglichst lange gesund und fit bleibt, können wir etwas tun. Die wichtigsten Lebensstil-Faktoren sind hinlänglich bekannt: Ausreichend Schlaf und Bewegung sowie gesunde Ernährung, wobei Beeren und Nüsse besonders gut fürs Gedächtnis sein sollen. Professor Horst Müller empfiehlt viele soziale Kontakte, viel reden sowie Gedächtnistraining. 

Sprecher: 

Kurse, die zum Beispiel Gitte Rollenhagen anbietet. Die Münchnerin ist eine vom Bundesverband für Gedächtnistraining zertifizierte Trainerin. Vor allem soll es den Leuten Spaß machen, so ihr Motto, auf keinen Fall Druck und Angst erzeugen: 

19 Zsp Wortfindungsstörungen Rollenhagen 00:39

„Was ich eben auch festgestellt habe, wir sind alle verkorkst von der Schule. Wir machen dann oft auch so Übungen mit einem Ball, man soll dann mit A - ein Tier mit A, dann das nächste Tier mit B und der Ball geht hin und her. Und die diejenigen, die den Ball haben, haben einen Blackout, also da kommt nichts. Und die anderen, die nicht dran sind, die haben alles. Und das ist so typisch. Und dann machen wir es so, dass wir den Ball einfach werfen, und dann darf halt jeder was sagen, was fällt ihm zum A ein, da kommt viel mehr.“ 

Sprecher: 

Neues lernen lohne sich in jedem Alter, sagt Rollenhagen und rät auch Jüngeren zum Gedächtnistraining. Die junggebliebene Teilnehmerin Iris erkennt bereits eine Wirkung:   

Musik: Creative workshop 0‘22

20 Zsp Wortfindungsstörungen Teilnehmerin Iris 00:20

„Ich habe mich ja angemeldet, weil ich gedacht habe, das ist meine Herausforderung, jetzt, wo ich im Ruhestand, bin, dass man so ein bisschen so sein Gehirn trainiert. Und dann habe ich so viel Spaß daran gefunden, dass ich bis heute noch dabei bin. Das mache ich jetzt schon im zweiten Jahr. Und jetzt kann man auch schwierigere Denkrätsel lösen, weil das Gehirn wirklich flexibler wird. “