radioWissen - Bayern 2   /     Wie wird man hundert? - Das Geheimnis des langen Lebens

Description

"Blaue Zonen" beschreiben Regionen, in denen die Menschen ĂŒberdurchschnittlich alt werden. Dazu gehören u.a. die griechische Insel Ikaria und die japanische Insel Okinawa. Einige Erfolgsrezepte: Familie, Bewegung, ErnĂ€hrung, soziales Engagement. Welche weiteren Tipps haben die HundertjĂ€hrigen? Von Bernd-Uwe Gutknecht

Subtitle
Duration
00:24:47
Publishing date
2024-12-16 09:20
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/wie-wird-man-hundert-das-geheimnis-des-langen-lebens/2101000
Contributors
  Bernd-Uwe Gutknecht
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2101000/c/feed/wie-wird-man-hundert-das-geheimnis-des-langen-lebens.mp3
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Shownotes

"Blaue Zonen" beschreiben Regionen, in denen die Menschen ĂŒberdurchschnittlich alt werden. Dazu gehören u.a. die griechische Insel Ikaria und die japanische Insel Okinawa. Einige Erfolgsrezepte: Familie, Bewegung, ErnĂ€hrung, soziales Engagement. Welche weiteren Tipps haben die HundertjĂ€hrigen? Von Bernd-Uwe Gutknecht

Credits
Autor dieser Folge: Bernd-Uwe Gutknecht
Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Caroline Ebner, Jerzy May, Peter Veit, Andreas Dirscherl, Christian Schuler, Jenny GĂŒzel, Gabi Hinterstoißer
Technik: Stefan Oberle
Redaktion: Iska Schreglmann


Interviews:

Prof. Dr. Peter Tessarz, Alterswissenschaftler, Radboud-UniversitÀt, Nijmegen, Niederlande
Dr. Laura Richardson, Professorin fĂŒr Bewegungswissenschaften an der University of Michigan, USA 
Älteren Menschen auf Ikaría

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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

Lea Ypi - Frei
Hörbuch. 
Die kleine Lea ist fest ĂŒberzeugt davon, frei zu sein. So haben ihre Eltern ihr das erklĂ€rt. Doch es ist 1990, und auch in Albanien, dem letzten sozialistischen Land in Europa, Ă€ndert sich alles. Können die Menschen endlich leben, wie sie wollen? VerblĂŒffend und erhellend erzĂ€hlt Lea Ypi ihre eigene Geschichte, in der "frei" und "wahr" fĂŒr fast jeden etwas anderes bedeuten. Es liest Katja BĂŒrkle.  HIER

Literatur: Peter Attia: „Outlive – wir wir lĂ€nger und besser leben können, als wir denken.“ Verlag Ullstein. Ein Mammutwerk von 600 Seiten, das die Wissenschaft der Langlebigkeit fachkundig, aber gut verstĂ€ndlich erklĂ€rt. Alles Wichtige ĂŒber die Faktoren ErnĂ€hrung, Bewegung, Schlaf, Geselligkeit, Zufriedenheit, Gene. Volker Limmroth: „Der Longevity-Kompass“. Verlag Ullstein. RatschlĂ€ge, wie wir die physische, kognitive und emotionale Gesundheit fördern können. Ein eher praktisches Buch mit konkreten Mitmach-Tipps.  Slaven Stekovic: „Jung bleiben, alt werden“. Carl Ueberreuter Verlag. Dieses Fachbuch blickt vor allem auf die genetischen ZusammenhĂ€nge und inwiefern wir mit einem Lebensstil ĂŒberhaupt unsere Gesundheit beeinflussen können. 

Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ErzÀhlerin:

Ein Kafenio (Betonung auf e), wie es viele auf IkarĂ­a (Betonung auf zweitem i) gibt. Die griechische Insel liegt in der Nördlichen ÄgĂ€is. Egal, wie klein die Dörfer sind, egal ob an der KĂŒste oder in den Bergen, CafĂ© und Kirche sind nicht wegzudenken. An runden Tischen sitzen vor allem Ă€ltere MĂ€nner, spielen Karten...

ATMO 02 Karten

ErzÀhlerin:

...im Hintergrund lÀuft rund um die Uhr der Fernseher...

ATMO 03 TV

ErzÀhlerin:

Manchmal organisiert der Wirt Stamatis Foudouli (sprich: Fuduli) auch kleine Musik-Konzerte: 

O 01 Musik OV Sprecher 1:

„Es ist sehr wichtig, dass die Einwohner der Dörfer hier PlĂ€tze haben, an denen sie zusammenkommen können, wo sie immer Bekannte antreffen. Es ist noch immer sehr ĂŒblich auf IkarĂ­a, sich daheim zu besuchen. Aber es ist auch wichtig, dass an einem Ort wie diesem Lokal praktisch immer jemand da ist, den man kennt, mit dem man sich unterhalten kann, auch ĂŒber Probleme und Sorgen. Wenn wir Live-Musik haben, ist es natĂŒrlich voll, denn wir Griechen lieben unsere Musik!“

ATMO 04 greek coffee

ErzÀhlerin:

Zwischendurch setzt der Wirt fĂŒr seine GĂ€ste griechischen Kaffee auf, den kleinen starken mit Kaffeesatz, EllinikĂł. So wie seit Jahrhunderten. 

Am runden Tisch, wo etwa zehn grau-und weißhaarige MĂ€nner sitzen, wird diskutiert. Über Gott und die Welt und was sonst noch wichtig ist. Sie nennen sich „Das kleine Parlament“:

ATMO 01 Café

O 04 Winter OV Sprecher 1:

„Vor allem in den kĂŒhlen Monaten verbringen wir den halben Tag hier. Viele von uns sind 80 oder 90 Jahre alt! Mit 65 bin ich der JĂŒngste. Wir debattieren ĂŒber die politische Lage, ĂŒber die finanzielle Situation, und wir reden auch oft ĂŒber unsere Frauen! Die sind daheim und sprechen eher ĂŒber praktische Dinge: was sie gerade im Garten ernten, wie es ihnen gesundheitlich geht und so.“

ATMO 05 frappe

ErzÀhlerin:

Jetzt mixt der Wirt einen Frappé mit Milch. Den starken Ellinikó vertrÀgt er nicht mehr, sagt dieser 83-JÀhrige:

O 06 Paradies OV Sprecher 2:

„Ich habe mein ganzes Leben als Bauer gearbeitet. Auch heute noch stehe ich frĂŒh auf, kĂŒmmere mich als Erstes um meine Ziegen. Am Vormittag komme ich runter in dieses CafĂ©. Jeden Tag, immer zur selben Zeit. Es ist wichtig, gewisse Routinen im Leben zu haben. Hier einen Kaffee zu trinken, aufs Meer zu schauen und alte Freunde zu sehen, macht mich einfach glĂŒcklich. Und natĂŒrlich meine fĂŒnf Kinder und bisher neun Enkelkinder! Wenn ich auf mein Leben hier zurĂŒckblicke, kann ich nur sagen: ich lebe im Paradies!“

MUSIK Perfect rotation  0.48 Min.

ErzÀhlerin:

Solche Orte, an denen Seniorinnen und Senioren auffallend gesund sind und alt werden, gibt es in verschiedenen Regionen der Erde. Der belgische Forscher Michel Poulain kreierte im Jahr 2000 den Begriff „Blue zones“, also „Blaue Zonen“, dafĂŒr. Der amerikanische Wissenschafts-Journalist Dan Buettner schrieb 2003 ein Sachbuch darĂŒber. Seitdem untersucht auch die Gerontologie, also die Alterswissenschaft, was es mit der Langlebigkeit in den „Blauen Zonen“ auf sich hat. 

O 07 blau:

„Blaue Zonen sind ein paar Gegenden, die sehr lokal begrenzt sind und wo die Menschen ĂŒberdurchschnittlich alt werden. Und die Frage ist, inwieweit diese blauen Zonen tatsĂ€chlich so existieren oder ob es ein statistisches Problem ist, weil hĂ€ufig liegen die tatsĂ€chlich in Gegenden, die ökonomisch nicht gut gestellt sind, also hĂ€ufig sehr arm, wo vielleicht Geburtenregister nicht so toll gefĂŒhrt sind, wie man es kennt. So dass da zumindest statistisch und epidemiologisch durchaus viele Fragezeichen zu sehen sind, ob es die wirklich so gibt.“

ErzÀhlerin:

Professor Peter Tessarz ist Human-Biologe und Alterswissenschaftler, lehrt und forscht an der Radboud (sprich: Radbaud) UniversitÀt im niederlÀndischen Nijmegen (sprich: Neimechen). Er sieht die Lokalisierung blauer Zonen eher kritisch, erkennt aber Àhnliche Verhaltensweisen der Bewohner dort. Vor allem die gesellschaftliche Teilhabe der Menschen bis ins hohe Alter, wie eben auf der griechischen Insel Ikaría:

O 08 Ika:

„Das liegt natĂŒrlich wahrscheinlich auch zum großen Teil daran, dass es dort noch eine intakte soziale Struktur gibt.“ 

MUSIK Chassapiko romance  0.54 Min.

O 08 Ika:

„Die Menschen ernĂ€hren sich gesund, bis ins hohe Alter bewegen die sich, weil es einfach Teil der Kultur dort ist, die arbeiten noch viel tatsĂ€chlich draußen an frischer Luft und all das trĂ€gt dazu bei, dass diese Menschen durchaus alt werden.“

ErzÀhlerin:

Erhebungen einer UniversitĂ€t in Athen haben schon im Jahr 2009 ergeben, dass es auf IkarĂ­a relativ gesehen die meisten ĂŒber 90-JĂ€hrigen weltweit gab, jeder dritte Einheimische wurde mindestens 90. Es gab zudem ĂŒberdurchschnittlich viele HundertjĂ€hrige. Die Rate von Herz-Kreislauf-Erkrankungen war im internationalen Vergleich um 50 Prozent niedriger. Und 95 Prozent der ĂŒber 90-JĂ€hrigen wohnten im eigenen Haus und versorgten sich selbst. So wie Nikos Fakaris (Betonung auf zweitem a), 93 Jahre alt und: aktiv! 

O 09 Tanz OV Sprecher 3:

„Ich gehe jeden Tag ins CafĂ© und treffe dort meine Freunde. Und ich bekomme auch viel Besuch daheim. Mit meiner Frau gehe ich bei jeder Gelegenheit zum Tanzen, Walzer mögen wir am liebsten!“

ErzÀhlerin:

Nikos Fakaris` Frau ist 73. Ihre zwei Söhne leben in Athen. Auf die Frage nach seinem Lebenselixier sagt er:

O 10 glĂŒcklich OV Sprecher 3:

„Ich bin glĂŒcklich mit meinem Leben, auch wenn ich immer fĂŒr Zwei gearbeitet habe. Als Bauunternehmer habe ich vielen Menschen Freude bereitet, weil ich ihnen ein schönes Haus gebaut habe. Außerdem habe ich eine wunderbare Familie. DafĂŒr danke ich Gott!“

ErzÀhlerin:

Beim Treppensteigen benutzt er einen Stock, ansonsten ist der 93-JĂ€hrige sehr fit, sieht mit seinem vollen Haar und wenigen Falten auch viel jĂŒnger aus. Sein Lebenswandel ĂŒberrascht allerdings: so hat Nikos Fakaris sein ganzes Leben Tabak konsumiert:

O 12 Tsi OV Sprecher 3:

„Ich rauche jetzt nur noch zehn Zigaretten am Tag, weil mir der Doktor das empfohlen hat. Aber ich schneide sie in zwei HĂ€lften, so kann ich mir weiterhin 20 Mal am Tag eine anzĂŒnden. Nach dem Aufstehen trinke ich als erstes einen Tsipouro-Schnaps (sprich: Tsipuro, Betonung auf i), dann Kaffee zum FrĂŒhstĂŒck. Ansonsten essen wir vor allem Salat und GemĂŒse aus unserem Garten, ab und zu Ziegenfleisch. Na ja, und Rot-Wein trinke ich regelmĂ€ĂŸig, so vier bis fĂŒnf GlĂ€ser am Tag.“

MUSIK Kriti Sirtaki  1.00 Min.

ErzÀhlerin:

Wie geht das? RegelmĂ€ĂŸig Nikotin und Alkohol nicht gerade in kleinen Mengen? Wahrscheinlich hat Nikos Fakaris gute Gene. 

O 13 genetisch:

„Dann gibt es Studien, die sagen, dass die genetische Veranlagung tatsĂ€chlich so zwischen 25 und 30 Prozent liegt, der Rest ist Lebensstil. Wie beweglich ist man auch im Alltag, lĂ€uft man die Treppen, sitzt man viel, isst man gesund usw. Und das hat einen deutlich grĂ¶ĂŸeren Anteil gegenĂŒber der genetischen Veranlagung.“

ErzÀhlerin:

FĂŒr Nikos Fakaris hat das gesund Altern auch damit zu tun, von der Jugend nicht ausgeschlossen zu werden. Auf IkarĂ­a unternehmen die verschiedenen Generationen viel zusammen, ob im Familien-Betrieb, auf Familienfeiern oder einfach innerhalb der Dorf-Gemeinschaft:

O 14 positiv OV Sprecher 3:

„Wir Alten und die Jungen hier sind sehr offen fĂŒreinander, hören uns zu! Und wenn ein Junger herumjammert, dann sag ich ihm: meckere nicht ĂŒber die schlechten Dinge, sondern freu dich ĂŒber die guten!“

ErzÀhlerin:

Dann nippt er an seinem selbstgekelterten Rotwein, nickt seiner Frau zu und gibt den griechischen Philosophen:

O 15 Wind OV Sprecher 3:

„Auf Ikaria gibtÂŽs keinen Stress! Wir sagen immer: der starke Wind, der hier das ganze Jahr weht, der blĂ€st all unsere Sorgen davon!“

ErzÀhlerin:

Und da treffen sich die Lebensweisheit des alten Mannes und die evidenzbasierte Forschung des Alterswissenschaftlers Peter Tessarz:

O 16 Optimist:

„Das sind auch soziale Bindungen, wie wohl fĂŒhle ich mich, bin ich ein Optimist, habe ich viel Familie und Freunde um mich herum, gehtÂŽs mir vielleicht auch finanziell gut und als letzter Punkt die Bildung: je höher ich gebildet bin, eine desto höhere Chance habe ich, lĂ€nger zu leben. All diese Punkte zusammen machen es aus.“

ATMO 06 Meer / MUSIK Hellenistic mystery  0.53 min.

ErzÀhlerin:

Bisher wurden fĂŒnf „Blaue Zonen“ der Langlebigkeit identifiziert: eines haben alle gemeinsam: sie liegen direkt am oder in der NĂ€he des Meeres: die japanische Insel Okinawa, eine Region auf Sardinien, eine Halbinsel in Costa Rica, eine Ortschaft bei Los Angeles und eben IkarĂ­a. 

ATMO 07 Kies

ErzÀhlerin:

An diesen Orten geben sich Alterswissenschaftler, ErnĂ€hrungs-Expertinnen, Genforscher, Anti Aging-JĂŒnger und interessierte Touristinnen und Touristen die Klinke in die Hand:

O 17 Kuwait OV Sprecher 4:

„Wir sind aus Kuwait vom Arabischen Golf. Wir haben in Sozialen Medien einige Filme und Berichte ĂŒber die Blauen Zonen gefunden. Eine davon ist IkarĂ­a. Da haben wir beschlossen, es einfach auszuprobieren 

OV-Sprecher 5

Daheim versuchen wir auch, einen gesunden Lebensstil zu fĂŒhren, aber im Alltag mit dem ganzen Stress ist das nicht leicht! 

ATMO 06 Meer

ErzÀhlerin:

Ahmed und Hamed aus Kuwait sind gerade aus dem Meer gestiegen. In der Therma-Bucht sprudelt aus dem Meeresboden heißes Wasser herauf: 

018 hot spring OV Sprecher 4 

“Es ist echt erstaunlich, das Wasser aus der Quelle ist richtig heiß und dann vermischt es sich mit dem kalten Wasser des Meeres. Diese Mischung macht ein ganz spezielles GefĂŒhl 

OV-Sprecher 5

Und man riecht die Mineralien, eine tolle Erfahrung! 

ErzÀhlerin:

Das eisen-und radonhaltige Quellwasser wird in Therma auch fĂŒr Heilkuren-und bĂ€der verwendet. Einheimische nutzen die heißen Quellen schon lange bei Rheumabeschwerden, Hautkrankheiten oder Atembeschwerden. Seit um die Blauen Zonen ein regelrechter Wissenschafts-Hype entbrannt ist, gehört die Heilquelle auch zum Pflichtprogramm internationaler Forscher. Dr. Laura Richardson ist Professorin fĂŒr Bewegungswissenschaften an der University of Michigan und mit einer Studien-Gruppe auf Visite in IkarĂ­a. Davor waren sie zur Recherche in der „Blauen Zone“ Sardiniens:

O 19 isolation OV Sprecherin 1:

“Was wir an beiden Orten festgestellt haben: beide Regionen sind relativ isoliert von der Außenwelt, vor allem frĂŒher war das so. Gleichzeitig bilden sie innerhalb dieser isolierten Orte aber starke Gemeinschaften, in der Familie, in der Nachbarschaft, den Dorfgemeinden. Und ich glaube, diesen Faktor haben wir lange vernachlĂ€ssigt: es gibt wohl kein Geheimmittel fĂŒr ein langes Leben, sondern es sind die zwischenmenschlichen Beziehungen!“

ErzÀhlerin:

Was die amerikanische Wissenschaftlerin ĂŒberrascht: im Gegensatz zu den USA spielt sportliches Training auf IkarĂ­a so gut wie keine Rolle: 

O 20 activities OV Sprecherin 1:

„Die alten Menschen hier machen keinen Sport, es ist schlicht ihr traditioneller Lebensstil, weil sie ihre Arbeit in hĂŒgeligem, oft steilem GelĂ€nde ausfĂŒhren. Die Bauern etwa bewegen sich stĂ€ndig bergauf- und ab, wie ein tĂ€gliches Training. Und das ist natĂŒrlich eine ganz andere Bewegungsart, als wenn wir ins Fitnessstudio gehen.“

MUSIK Kriti Sirtaki  0.59 Min.

ErzÀhler:

TatsĂ€chlich erzĂ€hlen die meisten alten Menschen auf IkarĂ­a, dass sie auch mit 80 oder 90 noch ihren Weinberg oder Olivenhain bearbeiten, mit ihrem Fischerboot rausfahren oder ihren Kindern und Enkeln in deren LĂ€den helfen. Zum Radfahren oder Joggen ist die Insel sowieso zu bergig, SportstĂ€tten gibt es sehr wenige. Trotzdem nimmt Laura Richardson Anregungen fĂŒr die Langlebigkeit mit nach Hause:

O 21 clock OV Sprecherin 1:

“Wir können die Uhr nicht aufhalten, aber was wir tun können, ist, unseren Körper anzupassen. Zum Beispiel die respiratorische Fitness, die kann man auch mit 60 oder 70 noch aufbauen. Aber man kann auch im Alter noch viel mehr VitalitĂ€t erlangen. Auch wenn man ĂŒbergewichtig ist und die Knie weh tun, kann man sich bewegen, gesund ernĂ€hren, sich mit netten Leuten umgeben. Und diese mehrdimensionalen Maßnahmen helfen uns, gesĂŒnder zu leben.“

ErzÀhlerin:

TatsĂ€chlich hat die Deutsche Gesellschaft fĂŒr Geriatrie veröffentlicht,

dass sich der Wechsel zu einem gesunden Lebenswandel auch im Alter noch lohnen kann: wer etwa mit 60 Jahren seine ErnĂ€hrung auf die sogenannte Mittelmeerkost umstellt, kann acht Lebensjahre gewinnen. Mit 60 das Rauchen aufzugeben, kann vier weitere Jahre bringen. Und körperliche BetĂ€tigung kann dafĂŒr sorgen, dass man nicht nur Ă€lter, sondern auch robuster alt wird. Alterswissenschaftler Tessarz:

O 22 super:

„Und das sollte dann im besten Fall dazu fĂŒhren, dass die Spanne, in der wir krank sind und leiden, besonders kurz ist. Das sieht man zum Beispiel bei den Supercentenarians, die deutlich ĂŒber 100 werden, dass die ganz lang ganz fit sind und dann nur im letzten Teil, nur wenige Wochen oder Monate, erkranken und leiden und dann sterben. Und im Endeffekt ist das auch der Ansatz, den wir versuchen, auf die grĂ¶ĂŸere 

Bevölkerung auszudehnen.“

ErzÀhlerin:

Damit zÀhlt Peter Tessarz zu den sogenannten Healthspanners, die ganz anders als die Immortalists, also die Unsterblichkeits-VisionÀre, denken und forschen:

O 23 healthspanner:

„Die Immortalists arbeiten darauf hin, dass wir vielleicht sogar ewig leben und dort gibt es auch so Ideen, dass man sich einfrieren lĂ€sst bis zu einem Zeitpunkt, wo man vielleicht lĂ€nger leben kann. Und die Healthspanners, bei denen ist es eher so, dass wir eher daran arbeiten, die Spanne zu steigern, in denen wir gesund sind.“

MUSIK Perfect rotation 1.07 Min,

ErzÀhlerin:

Bei den Empfehlungen fĂŒr einen gesunden Lebensstil sind sich die meisten Experten einig: regelmĂ€ĂŸige körperliche BetĂ€tigung, gesellschaftliche Teilnahme, bewusste ErnĂ€hrung, ausreichend Schlaf, möglichst wenig Stress. Die hĂ€ufigsten Todesursachen sind die Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, Stoffwechselstörungen wie Diabetes 2, Krebs sowie neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Demenz. Forschungen legen nahe, dass die Ursachen fĂŒr die meisten dieser Erkrankungen schon Jahre vor dem Auftreten entstehen, zum Teil bereits in der Kindheit. Auch genbedingte bzw. vererbte Krankheiten sind bei Alterswissenschaftlern wie Peter Tessarz besonders im Fokus. Hauptverantwortlich fĂŒr die Verschlechterung des Gesundheitszustands im Alter sind die sogenannten seneszenten Zellen. Unsere DNA, die unsere individuelle Erbinformation enthĂ€lt, liegt in einer kettenartigen Form vor:

O 24 telo:

„Das Problem ist, dass wir am Ende dieser Kette ein StĂŒck DNA haben, das bei jeder Zellteilung kĂŒrzer wird. Dann gibt es da eine kritische Grenze, dass sie sich nicht mehr teilen können. Und wenn sich Zellen nicht mehr teilen können, dann können sie sich in sogenannte seneszente Zellen verwandeln, und was wir wissen, dass sich diese seneszenten Zellen im Alter anreichern.“

ErzÀhlerin:

Diese schĂ€dlichen Zellen werden vom Immunsystem bekĂ€mpft. Wird dieses Abwehrsystem ĂŒberfordert, können sich chronische EntzĂŒndungen im Gewebe bilden, die letztlich zum Tod fĂŒhren können.

O 25 tötet:

„Es gibt mittlerweile ein paar klinische Studien auch am Menschen, da mĂŒssen wir noch warten, ob was rauskommt. In Tierversuchen kann man sehen, dass - wenn man seneszente Zellen tötet – es einen sehr positiven Einfluss auf die Lebensspanne hat.“

ErzÀhlerin:

Was eine signifikante VerlĂ€ngerung der menschlichen Lebenszeit fĂŒr unsere Gesellschaften und fĂŒr die Ressourcen der Erde bedeuten wĂŒrde, ist letztlich auch eine politische sowie philosophische Frage. 

ATMO 07 Fest 1

ErzÀhlerin:

ZunĂ€chst bleibt uns nur, die Feste zu feiern, wie sie fallen! Und das tun die Menschen auf der griechischen Insel IkarĂ­a zur GenĂŒge. Im Bergdorf OxĂ© (Betonung auf e) findet gerade ein Panigiri (sprich: Pannigiri) statt. Ein Panigiri ist eigentlich ein Fest fĂŒr den Heiligen der Gemeindekirche - oder Kapelle. Aber auch wer nicht glĂ€ubig ist, ist herzlich willkommen. Ein Panigiri dient einem guten Zweck: Gemeindemitglieder kochen fĂŒr viele Menschen, der Erlös kommt BedĂŒrftigen zugute oder wird zur Renovierung von kirchlichen Einrichtungen verwendet. Vor allem ist ein Panigiri aber ein gern gesehener Anlass zum Feiern: 

O 26 Pani 2 OV Sprecher 6:

„Zum einen trifft sich die Gemeinde regelmĂ€ĂŸig, um sich auszutauschen, wichtige Sachen zu besprechen. Andererseits sammeln wir Geld, zum Beispiel um das Dach unserer Kirche zu reparieren. Vom Staat kriegen wir dafĂŒr nichts.

ErzÀhlerin:

Eleftherios Elefteriou (sprich: Ellefterios Ellefteriu, Betonung jeweils auf drittem e) ist 87. Seine Frau Archontula (sprich: Archontula, Betonung auf o) ist 78. Angesprochen auf die Langlebigkeit auf IkarĂ­a sagt sie.

O 27 Pani 1e OV Sprecherin 2:

„FrĂŒher haben alle auf der Insel so gelebt wie wir Alten heute. Ganz einfach, sehr billig, sehr natĂŒrlich. Zum Beispiel unser Tee: ich kaufe nie Tee, sondern sammle KrĂ€uter: Salbei, Minze, Thymian, Lorbeer, und damit brĂŒhen wir Tee auf.“

O 28 Pani 1b OV Sprecher 6:

“Jeden Tag bin ich bei meinen Ziegen. Melke sie, schau nach, ob sie gesund sind. Wir mĂŒssen nicht ĂŒberlegen, was wir essen, das nimmt uns der Garten ab. Viel GemĂŒse, ab und zu etwas Ziegenfleisch. Ich persönlich trinke keinen Wein und rauche auch nicht. Ich bin also ganz brav!“

O 29 Pani 1a OV Sprecherin 2:

„Wir reden gar nicht ĂŒber gesundes Essen, fĂŒr uns ist das ganz normal. Wir essen halt das, was unser Garten gerade hergibt. Das ist kein Hexenwerk!“ 

ErzÀhlerin:

Aber zuviel SĂŒĂŸes isst du! Sagt die 78-JĂ€hrige zu ihrem 87-JĂ€hrigen Mann. - Ja, weil du zu gute Sachen bĂ€ckst, antwortet er charmant.

O 30 Pani 1d

(ohne OV stehen lassen)

ATMO 08 Fest 2

ErzÀhlerin:

Auf dem Tisch des 86-JĂ€hrigen George (sprich: Chorche) Poulos (sprich Pulos), seiner 75-JĂ€hrigen Frau Toula (sprich: Tula) und einiger Freunde stehen Baklava, ZiegenkĂ€se, Honig, Wein, Brot, Oliven, mit FetakĂ€se gefĂŒllte Teigtaschen, alles aus eigenem Anbau bzw. selbst gebacken. 

O 31 Stress OV Sprecherin 3:

„Ein gutes Leben, das bedeutet fĂŒr uns hier: nicht zu viel vom Leben erwarten, denn das verursacht Stress! 

ErzÀhlerin:

Einer der weißhaarigen MĂ€nner verabschiedet sich, er muss heim Ziegen melken! „So ein Stress“! Antwortet ein anderer: „Was soll ich da sagen? Ich habe Stress, denn ich habe 12 Ziegen!“ 

ATMO 11 Lachen

ErzÀhlerin:

Humor gehört ganz sicher auch zu den Eigenschaften, die die Alten von Ikaría so gesund alt werden lassen. 

ATMO 12 Fest 3

ErzÀhlerin:

Auf dem Panigiri ist auch Voula Glarou (sprich: Wula Glaru, Betonung jeweils auf u): sie ist geboren auf der Insel, ging nach der Schule nach Athen, entschied sich dort aber gegen eine Karriere als Kinesiologin und kam nach einigen Jahren zurĂŒck. Sie kennt beide Welten: die moderne eilige der Großstadt und die ruhige beschauliche des Eilands. Und sie hat etwas Interessantes bezĂŒglich der Besuche bei den HundertjĂ€hrigen beobachtet:

O 33 bad eye OV Sprecherin 4:

“Es ist einige Male passiert, dass alte Leute, kurz nachdem sie von Reportern ĂŒber das Thema langes Leben interviewt worden waren, plötzlich gestorben sind! Deshalb weigern sich manche jetzt, mit Reportern zu sprechen. Es ist ein Aberglaube, klar, aber so sind sie halt. Viele glauben ja auch an den „bösen Blick“!

MUSIK Hellenistic mystery  0.54 Min.

O 34 work OV Sprecherin 4:

„Auf manche Besucher wirkt die Insel touristen-unfreundlich. Wie die Menschen auf Ikaria wirklich ticken, lernt man nur, wenn man sich auf uns einlĂ€sst, Zeit mit uns verbringt, mit uns spricht. Eine gute Idee ist es, mit uns zu arbeiten. Denn unser Alltag besteht vor allem aus Arbeit, wobei wir beim Arbeiten viel lachen, singen, wir nehmen uns auf den Arm. Wir arbeiten und haben gleichzeitig Spaß zusammen!“

ErzÀhlerin:

Vielleicht ist das das Elixier fĂŒrs lange Leben. Eigentlich eine gute Erkenntnis, meint der Alterswissenschaftler Peter Tessarz, denn somit haben wir es grĂ¶ĂŸtenteils selbst in der Hand, was wir aus unserer Lebenszeit machen: eigentlich ist die Blaue Zone eine Einstellung und eine Charakterfrage:

 O 35 Pille:

„Und leider gibt es tatsĂ€chlich noch nicht die magische Pille, die das alles ĂŒbernimmt, so dass wir weiterhin einfach unser Leben leben und das herauszögern. Auf der anderen Seite ist es natĂŒrlich sehr positiv, weil wir alle etwas dafĂŒr tun können.“