radioWissen - Bayern 2   /     Die KrĂ€he – Galgenvogel, NestrĂ€uber, Intelligenzbestie

Description

KrĂ€hen sind vielen Menschen unheimlich. Sie ernĂ€hren sich (auch) von Aas, und sie heben Nester aus - SympathietrĂ€ger sehen anders aus. Andererseits gehören Rabenvögel zu den klĂŒgsten Tieren, die wir kennen. Sie können strategisch denken, kooperieren und haben ein GedĂ€chtnis, wie wir es sonst eher Elefanten zuschreiben. Von Christian Schuler

Subtitle
Duration
00:22:58
Publishing date
2025-01-10 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/die-kraehe-galgenvogel-nestraeuber-intelligenzbestie/2101794
Contributors
  Christian Schuler
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2101794/c/feed/die-kraehe-galgenvogel-nestraeuber-intelligenzbestie.mp3
audio/mpeg

Shownotes

KrĂ€hen sind vielen Menschen unheimlich. Sie ernĂ€hren sich (auch) von Aas, und sie heben Nester aus - SympathietrĂ€ger sehen anders aus. Andererseits gehören Rabenvögel zu den klĂŒgsten Tieren, die wir kennen. Sie können strategisch denken, kooperieren und haben ein GedĂ€chtnis, wie wir es sonst eher Elefanten zuschreiben. Von Christian Schuler

Credits
Autor dieser Folge: Christian Schuler
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Friedrich Schloffer
Technik: Moritz Herrmann
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Cord Riechelmann, Biologe und Autor


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Literatur:

Cord Riechelmann. KrÀhen. Ein PortrÀt. Reihe: Naturkunden, hg. von Judith Schalansky, Berlin (Matthes & Seitz) 2021 (8. Auflage). 

Josef H. Reichholf: Rabenschwarze Intelligenz. Was wir von KrĂ€hen lernen können. MĂŒnchen (Langen MĂŒller) 2022. 

Wolfgang Epple: Rabenvögel, Karlsruhe (G. Braun Verlag) 1997. 

Wir freuen uns ĂŒber Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ErzÀhler

Der Schulhof einer kalifornischen Kleinstadt. SchwĂ€rme von KrĂ€hen – und mit ihnen Möwen und Spatzen - sammeln sich auf den KlettergerĂŒsten. Als die Schule aus ist, gehen sie zum Angriff ĂŒber und fallen ĂŒber die Kinder und ihre Lehrerinnen her. 

MUSIK: „We were right“  (0:40)

ErzÀhler 

Eine in Erinnerung bleibende Szene aus dem Hitchcock-Film „Die Vögel“ aus dem Jahr 1963. Alfred Hitchcock erklĂ€rte in einem Interview, er sei zu dem Film inspiriert worden durch Zeitungsartikel ĂŒber Raben, die LĂ€mmer angegriffen haben sollen, und durch Berichte, wonach sie Tierkadavern und Menschenleichen die Augen aushacken. Hitchcocks Film, so raffiniert und kunstvoll er ist, fĂŒgt sich nahtlos ein in die westliche Kulturgeschichte, in der Rabenvögel seit Jahrhunderten dĂ€monisiert und mit Tod und Verderben assoziiert werden. 

Zitator Reichholf (S.241)

ZĂ€h hĂ€lt sich das Überkommene, sehr zĂ€h ... 

ErzÀhler 

Schreibt der Biologe Josef H. Reichholf, 

Zitator

... die Rabenvögel tragen das Stigma der Todesvögel. Alfred Hitchcock konnte darauf ohne BegrĂŒndung zurĂŒckgreifen. Die Angst stieg ganz von selbst auf ... Verfemt sind sie alle, die schwarz gefiederten Flieger ... Und wenn die KrĂ€henschwĂ€rme in der DĂŒsternis des spĂ€ten Herbstes ... quorrend die Baumgruppe am Stadtrand umkreisen, auf der sie nĂ€chtigen wollen, bedarf es keines weiteren Anstoßes, das unbestimmte Grauen zu empfinden.  

ab ungefÀhr 0:40: Franz Schubert: Die KrÀhe (Klavierbegleitung evt. schon vorher unter den Text legen, dann eine Strophe singen lassen und ausblenden)

MUSIK: „Die KrĂ€he“ (1:15)

ErzÀhler

Franz Schuberts Lied „Die KrĂ€he“ aus dem Jahr 1827. Das Tier folgt dem liebeskranken, zu Tode betrĂŒbten Mann durch die winterliche Landschaft.  „KrĂ€he, wunderliches Tier, / Willst mich nicht verlassen? / Meinst wohl bald als Beute hier / Meinen Leib zu fassen?“ Der Vogel wird hier auf doppelte Weise mit dem Tod verknĂŒpft: symbolisch als Schatten des Todes und ganz konkret als Aasfresser, der nur darauf wartet, sich endlich ĂŒber den menschlichen Leichnam hermachen zu können. 

ErzÀhler 

Lieder, Filme, Gedichte spiegeln MentalitĂ€ten wider. Die KrĂ€he ist schwarz, sie frisst Aas und stĂ¶ĂŸt krĂ€chzende Töne aus: ein Todesvogel par excellance. Ein Gedicht von Eugen Roth fast so ziemlich alle Vorurteile zusammen, die Menschen noch bis in unsere Zeit gegenĂŒber Rabenvögeln Ă€ußern: 

MUSIK: „Holcane attack“ (0:41)

Zitator

„Die Edelraben oder Kolk- / warn einst bekannt im deutschen Volk, / als man noch unter jedem Galgen / sie um die Leichen sah sich balgen. / Sie werden zahm zwar, lernen sprechen, / groß bleibt ihr Hang doch zum Verbrechen. / Der Rabe, schwarz an Leib und Seele, / sinnt stĂ€ndig, wo, wie, was er stehle. / Er plĂŒndert jedes Vogelnest, / holt, was nicht niet- und nagelfest. / Der Rabe ‚Grab, Grab, Grab!‘ nur schreit; / er ist auch immer schwarz gekleidt.“

0:45 (promrtheus)

ErzÀhler

Dass Rabenvögel heute immer noch als SchĂ€dlinge verfolgt und – trotz EU-Schutzstatus - als sogenanntes „Raubzeug“ bejagt werden, hat oft konkrete handfeste GrĂŒnde. Sie machen LĂ€rm und Dreck, sie schĂ€digen zum Teil die Landwirtschaft, sie picken Silikon aus Fensterfugen, sie attackieren junge Feldhasen, rauben die Eier von kleineren Singvögeln, und – tatsĂ€chlich! – gelegentlich, wenn sie ihre eigene Brut gefĂ€hrdet sehen, greifen sie sogar Menschen an. Aber reicht das, sie ganz zum Abschuss freizugeben, wie JagdverbĂ€nde es fordern? Wirken da die alten Mythen und Vorurteile nach? Und messen wir, wenn es um die Beurteilung von Tieren geht, vielleicht mit zweierlei Maß, wie der Biologe Josef H. Reichholf meint? 

Zitator (Reichholf 247)

Nachbars Katze kann auch beißen und kratzen, wenn sie in bester Absicht auf den Arm genommen wird, sie dies aber nicht will. Das weiß und akzeptiert man. Als ‚gefĂ€hrlich‘ werden Katzen deswegen nicht eingestuft.“ 

MUSIK everst: 0:41

ErzÀhler

Mensch und KrĂ€he: ein zwiespĂ€ltiges VerhĂ€ltnis. In der Mongolei gelten KrĂ€hen als BeschĂŒtzer der Liebenden, sie kommen in indigenen Schöpfungsmythen vor, und bei den Germanen galten zwei von ihnen, Hugin und Munin, als Boten des obersten Gottes Odin. Im christlichen Europa dagegen hat man sie zu Pest- und Galgenvögeln erklĂ€rt. Und im Mittelalter konnte eine Frau, die KrĂ€hen zu nahe kam oder gar mit ihnen Umgang pflegte, der Hexerei verdĂ€chtigt werden. In unserer Zeit wandelt sich das Image der KrĂ€hen allmĂ€hlich, auch durch die Forschung. 

01 Zsp Die KrÀhe Siering ab ca 13:30

KrÀhen sind teilweise sehr nah an uns, an unserer Kultur auch dran. Teilweise sind sie sehr scheu, wenn sie nÀmlich verfolgt werden und das merken. Die KrÀhen, sind sie so intelligent, dass sie sogar Menschengesichter unterscheiden können, 

ErzÀhler 

sagt Manfred Siering, Vorsitzender der Ornithologischen Gesellschaft in Bayern. 

02 Zsp Die KrÀhe Siering 14:30

Die Gruppe der Rabenvögel unter den weltweit elfeinhalbtausend Vogelarten, die es gibt auf dem Erdball, da sind die 142 Rabenvogelarten sicher, gehören zu den intelligentesten ... lernfÀhig, merkfÀhig und sozial, auch lebenslang verheiratet mit dem Partner, also das gehört alles mit zu hohen Intelligenzleistungen. 

MUSIK: „Fun is over“ (0:24)

ErzÀhler

Franz Schuberts Lied handelt von einer KrÀhe, Eugen Roths Gedicht von Raben. Die Bezeichnungen sind auch regional verschieden und etwas verwirrend. Was ist denn nun der richtige Name, Raben oder KrÀhen? 

03 Zsp Die KrÀhe Cord Riechelmann, 0:20

Sie sind im Grunde sind Synonyme ... Und wenn in einer Region alle KrÀhen Raben sind, ist das genauso richtig, wie wenn in einer anderen Region alle Raben KrÀhen sind ... 

ErzÀhler

So der Berliner Biologe und Autor Cord Riechelmann. Der Oberbegriff lautet „Rabenvögel“. Zu ihnen zĂ€hlt man die bei uns am weitesten verbreitete RabenkrĂ€he ebenso wie die grauschnĂ€beligen SaatkrĂ€hen, die vor allem im Herbst in großen SchwĂ€rmen aus Osteuropa kommen, um in Mitteleuropa zu ĂŒberwintern. Zu den Rabenvögeln gehören aber auch Elstern und EichelhĂ€her, TannenhĂ€her und die deutlich kleinere Alpendohle, deren FlugkĂŒnste man auf Berggipfeln bestaunen kann. Der grĂ¶ĂŸte Rabenvogel ist der Kolkrabe, der in Mitteleuropa Mitte des 20. Jahrhunderts schon so gut wie ausgerottet war. Mittlerweile haben sich die BestĂ€nde wieder etwas erholt. Der Kolkrabe kann eine FlĂŒgelspannweite von fast 1,50 Metern erreichen, er ist damit so groß wie ein MĂ€usebussard – und der grĂ¶ĂŸte Singvogel der Welt. TatsĂ€chlich werden alle Rabenvögel zu den Singvögeln gerechnet, einfach deshalb weil sie einen Syrinx zur Lauterzeugung besitzen, also einen Stimmkopf mit Membranen, die in Schwingung versetzt werden können. 

04 Zsp Die KrÀhe Riechelmann, 21:30

Das ist keine willkĂŒrliche Einteilung. Das ist eine, die etwas mit der Anatomie der Vögel, mit der Evolution der Vögel zu tun hat, KrĂ€hen sind hochentwickelte Singvögel.

05 Zsp Die KrÀhe Riechelmann, 6:30

Und sie können auch meistens, aber nur in so ein paar Situationen ganz eng nebeneinander, können Sie auch sehr leise, sehr melodische Töne von sich geben.

ErzÀhler

Dass Rabenvögel zu den Singvögeln gehören, ist auch der Grund dafĂŒr, dass sie seit 1994 – sehr zum Entsetzen der JĂ€ger - unter die europĂ€ische Singvogelverordnung fallen und daher als geschĂŒtzt gelten. Allerdings haben die einzelnen LĂ€nder - bei uns die BundeslĂ€nder - weitgehend freie Hand, diese Verordnung anzuwenden und auszulegen. Und so kommt es dazu, dass Rabenvögel etwa in Brandenburg von Anfang Oktober bis Ende Dezember bejagt werden dĂŒrfen, also drei Monate, in Bayern sieben Monate, von Mitte August bis Mitte MĂ€rz. Auf der jĂ€gerfreundlichen Internetseite kraehenjagd.eu heißt es dazu: 

Zitator

„Es sind jagdbare Arten und somit ist ein Abschuss rechtens! Das Ziel der KrĂ€henjagd ist nicht die Ausrottung der Rabenvögel. Mit der Bejagung der schlauen Singvögel beabsichtigt man die Reduktion der Überpopulation auf ein ertrĂ€gliches Maß.“

ErzÀhler

Nur, was ist ein ertrĂ€gliches Maß? DarĂŒber streiten Biologen und VogelschĂŒtzer mit Bauern und JĂ€gern seit Jahrzehnten. TatsĂ€chlich scheint der Bestand der Rabenvögel weitgehend unabhĂ€ngig von Schutzmaßnahmen und Abschussgenehmigungen in den vergangenen Jahren relativ konstant geblieben zu sein. Keine KrĂ€henart ist aktuell vom Aussterben bedroht, und KrĂ€henplagen gibt es offenbar nur punktuell und kurzzeitig, meist mit ĂŒberwinternden SaatkrĂ€hen. 

FĂŒr eine Regulierung der BestĂ€nde sorgen zum Teil die Sozialstrukturen der KrĂ€hen selbst. Denn jedes Brutpaar etwa der Raben- und NebelkrĂ€hen ist umgeben von SchwĂ€rmen an NichtbrĂŒtern, Junggesellen also, die nicht nur die Nester von Artgenossen plĂŒndern, sondern nur darauf warten, die Stelle einer anderen BrutkrĂ€he einzunehmen. Jedes Nest und jede Brut ist dadurch dauerndem Stress ausgesetzt. Die grĂ¶ĂŸten Feinde der brĂŒtenden KrĂ€hen sind also – noch vor FĂŒchsen und Habichten – die nichtbrĂŒtenden Artgenossen. 

Biologen wie Cord Riechelmann bezweifeln daher den Sinn, die Jagd auf Rabenvögel zu erlauben, um BestÀnde zu regulieren. 

06 Zsp Die KrÀhe Riechelmann, ca 28

Und was es natĂŒrlich gibt, es gibt Probleme mit KrĂ€hen, also besonders mit SaatkrĂ€hen, wenn sie in großen Kolonien, zum Beispiel auf Friedhöfen, Friedhöfe sind friedliche Gebiete, die werden gern von Tieren angenommen, weil da wird normalerweise nicht geschossen und gejagt, und wenn sie da in der NĂ€he brĂŒten, und so eine Kolonie, meinetwegen, sagen wir 100 bis 150 Paare, die machen natĂŒrlich Dreck. Also den Zusammenhang von Vögeln und Dreck gibt es ĂŒberall auf der Welt ... Ich will damit nicht sagen, dass es keine Konflikte gibt. Die gibt es natĂŒrlich. Aber der Grund fĂŒr das Abschießen sind nicht diese Art von Konflikten ... sondern es sind die, dass man ihnen etwas unterstellt, dass keine jungen Hasen mehr hochkommen und so etwas. Dass es keine jungen Hasen gibt, liegt an der industrialisierten Landwirtschaft und nicht an den KrĂ€hen ... Die wissenschaftlichen Fakten sagen, dass KrĂ€hen da besonders hĂ€ufig sind, wo auch die anderen Singvögel besonders hĂ€ufig sind, das ist der einzig nachweisbare wissenschaftliche Zusammenhang. 

MUSIK: „A modell of universe“  (1:22)

ErzÀhler

Was Forscher ebenso wie Laien an KrÀhen fasziniert, ist zum einen ihr Sozialverhalten, zum anderen ihre besondere Intelligenz. Und sie können, wenn sie Menschen vertrauen, sehr zutraulich werden. Ein Mann erzÀhlte im Bayern2-TagesgesprÀch eine Geschichte aus seiner Kindheit in den 1960-er Jahren. Da hat sich eine KrÀhe sozusagen selbst gezÀhmt und wurde zum Freund eines ganzen Dorfes. 

07 Zsp Die KrÀhe Peter Fabian (TagesgesprÀch vom 8.2.24), ab 6:20

Ich komme ursprĂŒnglich aus dem unterfrĂ€nkischen Dorf Gochsheim, bin dort aufgewachsen, und an den Lebensmittelladen kam eines Tages eine KrĂ€he, und die hat sich dem Besitzer so angenĂ€hert, dass sie ihn nie mehr verlassen hat. Und das war dann im Dorf der Jacob. Und im FrĂ€nkischen sagt man zu KrĂ€hen Kracken und der Krack hat uns Kinder, wenn wir zum Einkaufen geschickt wurden, bis nach Hause begleitet. Er ist mit uns mitgeflogen. ... Der Jakob war bei uns im Dorf eine feste GrĂ¶ĂŸe und war ĂŒberall beliebt, und wir haben es genossen, einen gefiederten Spielkameraden zu haben, der uns wirklich auf Schritt und Tritt manchmal gefolgt ist. Der ist mit uns zum Fußballplatz geflogen, hat sich auf die Planken gesetzt und hat gewartet, bis wir nach Hause gefahren sind mit den FahrrĂ€dern. Und dann ist er wieder mit nach Hause geflogen und ist mit an seinen Lebensmittelladen.  

ErzÀhler

KrĂ€hen können sich also an Menschen, denen sie vertrauen, sehr eng anschließen. TatsĂ€chlich ist die Geschichte zwischen KrĂ€he und Mensch eine der gegenseitigen EinfĂŒhlung. Das hat von menschlicher Seite der Verhaltensforscher Konrad Lorenz gezeigt, der mit GĂ€nsen und Dohlen zusammenlebte, mit ihnen sprach, mit ihnen zum Baden ging, sich sogar von ihnen anbalzen ließ - und den selbst seine Kollegen um sein EinfĂŒhlungsvermögen beneideten. Umgekehrt wissen auch die KrĂ€hen bei Menschen genau, woran sie sind und mit wem sie es zu tun haben. Davon ist der Ornithologe Manfred Siering ĂŒberzeugt: 

08 Zsp Die KrÀhe Siering ca 13:30

Passanten, die harmlos sind, die ignorieren sie eigentlich. Sie blicken sie sehr wohl an. Das merkt man nicht, wenn so ein kleines Vogelauge sich auf einen Menschen fokussiert. Und wenn da ein Passant, vielleicht ein JÀger, der vorher geschossen hat, sich verkleidet und vorbeilÀuft, erkennen Sie den am Gesicht, machen einen einzigen Alarmruf, und die ganze KrÀhengesellschaft geht auf Abstand oder auf hohe BÀume. 

((Das wissen wir ganz genau aus verschiedenen Bejagungsversuchen.)) Oder wenn Falkner, die mit ihrem WĂŒstenbussard zum Beispiel auf KrĂ€henjagd gehen oder so, wenn die aus dem Auto steigen, auch wenn sie ein anderes Auto benĂŒtzen, sobald er aussteigt, wird er erkannt und Alarmrufe und alle KrĂ€hen verschwinden hinterm Horizont.

ErzÀhler

Auch der Biologe Cord Riechelmann weiß um diese genaue Beobachtungsgabe der KrĂ€hen und sieht darin eine entscheidende Technik, um zu ĂŒberleben, allerdings noch in einer anderen Hinsicht. KrĂ€hen können nĂ€mlich nicht nur Freunde und Feinde unterscheiden, sie wittern förmlich das Aas, das sie fressen werden, noch bevor es entsteht.  

09 Zsp Die KrÀhe Riechelmann 13:15

Sie haben ein ganz feines Unterscheidungsvermögen in Bezug auf Bewegung. Und das haben Sie auch in Bezug auf Hirsche im Winter zum Beispiel ... KrĂ€hen erkennen sehr gut und sehr schnell, ob jemand krank ist, also sich ein bisschen langsamer bewegt oder sich irgendetwas verstaucht hat und fangen dann auch an, das Tier zu beobachten, was aber natĂŒrlich auch was damit zu tun hat, dass sie Aasfresser sind ... ((KrĂ€hen sind keine Raubvögel. Also KrĂ€hen haben weder GreiffĂŒĂŸe noch einen starken scharfen Schnabel ...)) Und als Aasfresser, ja, warten sie halt, bis jemand irgendwo stirbt. 

ErzÀhler

Mit einem verendeten Tier, das unverletzt ist, können KrÀhen erst einmal wenig anfangen. Sie sind auf Arbeitsteilung und Kooperation angewiesen, zum Beispiel mit Kojoten oder Wölfen. 

10 Zsp Die KrÀhe Riechelmann Forts.

((Dieses Beobachten, dieses feine Erkennen, ob jetzt einen Hirsch, besonders im Winter, ob der jetzt schwĂ€cher ist als ein anderer, hat aber fĂŒr die KrĂ€hen selbst, besonders fĂŒr Kolkraben in Nordamerika, zu beachtenswerten Symbiosen gefĂŒhrt)) Weil die KrĂ€hen nicht in der Lage sind, wenn ein Hirsch gestorben ist, das Fell aufzuhacken oder so. Sie können nur, daher auch dieser schreckliche Name ‚Galgenvogel‘, sie können nur an die Weichteile ran. Also sie können nur die Augen aushacken, können an den After und an den Mund und so, die Ohren ... Und deshalb gibt es so etwas wie eine Symbiose, besonders im Winter, in nordamerikanischen WĂ€ldern mit Wölfen. Und diese Symbiose sieht so aus, dass die Kolkraben oder die KrĂ€hen den Wölfen zeigen, wo ein Tier verendet ist oder wo ein kranker Hirsch sich bewegt, und die Wölfe dafĂŒr den KrĂ€hen sozusagen das Fell aufreißen und das Fleisch oder die Knochen bereiten.

MUSIK: „Collateral“  (1:00)

ErzÀhler 

KrĂ€hen wissen also sehr genau um die FĂ€higkeiten anderer und wie sie diese fĂŒr sich nutzen können. Und natĂŒrlich wissen sie auch um ihre eigenen FĂ€higkeiten. Auf der zu Frankreich gehörenden Inselgruppe Neukaledonien im SĂŒdpazifik gibt es eine Art, die man bei der Herstellung von Werkzeugen beobachten kann. Die NeukaledoniakrĂ€he bricht kleine Zweige von StrĂ€uchern, bevorzugt solche, die am Ende krumm auslaufen, also einen Haken bilden. Damit angelt sich die KrĂ€he Larven, die unter der Rinde von BĂ€umen sitzen. Und wĂ€hrend sie die Larven verzehrt, hĂ€lt sie ihr Werkzeug mit den Klauen fest. 

BerĂŒhmt geworden sind die KrĂ€hen von Tokio, deren Nester jahrelang von der Stadtverwaltung mit Hilfe von FeuerwehrschlĂ€uchen aus den BĂ€umen gespritzt wurden. Nach einiger Zeit begannen die KrĂ€hen, ihre Nester aus durchlĂ€ssigen DrahtkleiderbĂŒgeln zu bauen, denen der Wasserstrahl nicht mehr viel anhaben konnte. 

KrÀhen sind offenbar lernfÀhig. Aber wie lernen sie? Durch Imitation? Der Biologe Cord Riechelmann vermutet, dass mehr dahinter steckt, gerade mit Blick auf die KrÀhen von Tokio. 

11 Zsp Die KrÀhe Riechelmann 17:10

Und berĂŒhmt geworden sind diese KrĂ€hen außerdem, weil sie die ersten waren, die sich auf eine Ampel gesetzt habe und NĂŒsse, die sie selber nicht knacken konnten, vor Autos geworfen haben und dann gewartet haben, bis die Autos drĂŒber gefahren sind, dann eben die NĂŒsse gegessen haben. Und da hat man am Anfang vermutet ja, das hat eine mal angefangen und die anderen machen das nach. Dann trat das aber etwas spĂ€ter in Kanada auf, und mittlerweile ist es so, dass sie wahrscheinlich auch hierzulande und gerade auch in Bayern keinen Menschen mehr mit einem Nussbaum finden, der nicht KrĂ€hen kennt, die NĂŒsse stehlen, und nicht auch KrĂ€hen schon mal gesehen hat, wie sie sie vor ein Auto werfen. Also, das ist mittlerweile eine verbreitete Technik, die schon durch die geografischen Unterschiede eben nicht durch Imitation entstanden ist, sondern durch Kombinatorik. 

ErzÀhler

Das wĂŒrde bedeuten, dass KrĂ€hen Vorkommnisse in ihrer Umwelt beobachten, verstehen und zueinander in Verbindung setzen: in diesem Fall NĂŒsse – Ampeln – Autos - Fressen. Dieses kombinatorische „Denken“, wenn man es so bezeichnen will, trat in verschiedenen StĂ€dten der Welt auf, und zwar, so Riechelmann, unabhĂ€ngig voneinander und immer zirka 20 Jahre nach der Besiedlung durch die KrĂ€hen. Und da kaum eine KrĂ€he 20 Jahre alt wird, könne es sich nicht um reines Imitationslernen handeln. 

Zu den faszinierendsten Verhaltensformen von KrĂ€hen gehört auch ihr Spieltrieb. Auch er ist vielfach dokumentiert: KrĂ€hen, die sich einen Spaß daraus machen, Strafzettel zu klauen, die an den Windschutzscheiben von Autos festgeklemmt sind. KrĂ€hen, die in FußgĂ€ngerzonen „GrĂŒĂŸ Gott!“ rufen. KrĂ€hen, die mit Steinen werfen, rein zum Spaß, und damit in Gebirgen kleine Lawinen auslösen können. Oder KrĂ€hen, die halbe Stunden lang ein abschĂŒssiges Blechdach hinunterrutschen, wieder und immer wieder ... 

Eine besondere FĂ€higkeit hat man an EichelhĂ€hern bemerkt, diesen taubengroßen und verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig farbenfrohen Rabenvögeln, die man wegen ihrer Warnrufe auch „Polizisten des Waldes“ nennt. Aber der EichelhĂ€her ist nicht nur ein aufmerksamer Polizist, sondern auch ein liebevoller Ehepartner. Angeblich können MĂ€nnchen die aktuellen Futtervorlieben ihrer Partnerin erkennen. 

12 Zsp Die KrÀhe Riechelmann ca 9:00

Und dieses Ergebnis hat damals tatsĂ€chlich ĂŒber die Wissenschaft hinaus sehr viel Aufsehen erregt ... weil da erstens so etwas wie, ja so ein prospektiver Blick möglich war, der irgendwie auch darauf hindeutet, dass die ins Innere gucken können oder zumindest an Ă€ußeren Erscheinung absehen können, was der Frau, der EichelhĂ€herfrau, gefĂ€llt. Und das war schon eine kleine Sensation. 

ErzÀhler

EichelhĂ€her verfĂŒgen zudem ĂŒber ein herausragendes GedĂ€chtnis, das selbst das des Menschen weit ĂŒbertrifft. 

13 Zsp Die KrÀhe Riechelmann (Forts.)

Also dass die im Herbst, wenn sie die Samen, die Eicheln wie der EichelhÀher oder auch andere Samen, verstecken, sich tatsÀchlich bis zu 6000 Verstecke merken können und dann auch noch wissen, welcher Samen an welcher Stelle lag, um die vor dem Auskeimen auszugraben. Und das sind schon so GedÀchtnisleistungen, also man kann sich ja selber versuchen vorzustellen, sich mal 34 zu merken. Also das sind schon GedÀchtnisleistungen, die sprengen den Rahmen des bisher Vorstellbaren. 

ErzÀhler

Menschen und KrĂ€hen verbindet eine gemeinsame, manchmal ambivalente Geschichte. Die Vorfahren beider verließen vor Millionen von Jahren die UrwĂ€lder Afrikas, um sich in den Buschsavannen und Grassteppen neue LebensrĂ€ume zu erobern. Und wo immer Menschen sich niederließen, Tiere jagten oder schlachteten, wurden sie von KrĂ€hen beobachtet. Und heute, in Zeiten industrialisierter Landwirtschaft und weltweiter VerstĂ€dterung, haben sich auch die KrĂ€hen angepasst und sind zu Stadtvögeln geworden.

Viele KrĂ€hen suchen die NĂ€he des Menschen. Sie beobachten uns und wissen uns ziemlich genau einzuschĂ€tzen. Und gelegentlich – wer weiß – amĂŒsieren sie sich vielleicht ĂŒber uns und unsere Anstrengungen, sie zu vertreiben, so wie in Christian Morgensterns Gedicht von der Vogelscheuche: 

MUSIK: „Beyond desolation“   (0:37)

Zitator

Die Raben rufen: "Krah, krah, krah! / Wer steht denn da, wer steht denn da? / Wir fĂŒrchten uns nicht, wir fĂŒrchten uns nicht / vor dir mit deinem Brillengesicht. / Wir wissen ja ganz genau, / du bist nicht Mann, du bist nicht Frau. / Du kannst ja nicht zwei Schritte gehn / und bleibst bei Wind und Wetter stehn. / Du bist ja nur ein bloßer Stock, / mit Stiefeln, Hosen, Hut und Rock. / Krah, krah, krah!"