Was machen drei Deutsche? - Einen Verein grĂĽnden. Aber ist das Vereinswesen wirklich eine typisch deutsche Leidenschaft? Es gab noch nie so viele Vereine wie heute. Und: die Mitgliederzahlen sinken. Wie passt das zusammen? Von Birgit Magiera
Was machen drei Deutsche? - Einen Verein grĂĽnden. Aber ist das Vereinswesen wirklich eine typisch deutsche Leidenschaft? Es gab noch nie so viele Vereine wie heute. Und: die Mitgliederzahlen sinken. Wie passt das zusammen? Von Birgit Magiera
Credits
Autorin dieser Folge: Birgit Magiera
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Thomas Birnstiel, Susanne Schroeder
Technik: Anton Wunder
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Prof. Bettina Hollstein, Geschäftsführerin Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt, Habilitation zu „Ehrenamt“
Dr. Arnd Kluge, Historiker, Vereinsforscher, Leiter Stadtarchiv Hof, Universität Regensburg
Marie Stadler, stellvertr. Abteilungsleitung DCA beim ESV Laim, Cheerleading-TrainerinÂ
Nicole Wagner, Kulturunternehmerin „Volx-Gesang“ gemeinn. GmbH
Julia Daum, 1. Vorstandsvorsitzende „Freunde des Bertolt-Brecht-Gymnasiums e.V.“
Helmut Pfundstein, 1. Vorstand beim „Männergesangverein Germania Aubing“
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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Noch mehr Interesse an Geschichte? Dann empfehlen wir:
ALLES GESCHICHTE - HISTORY VON RADIOWISSEN
Literatur:
Deutsche Vereinsgeschichte, Arnd Kluge, Franz Steiner Verlag, 2024
Ehrenamt verstehen, Bettina Hollstein, Campus Verlag, 2015Â
WeiterfĂĽhrende Links:
Dynamic Cheer Athletics        HIER
Männergesangverein Germania Aubing        HIER
Volxgesang              HIER
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
1 OT Pfundstein
Also, ich bin mit 17 Jahren zum Chor gekommen. Mein Vater war schon Sänger in diesem Gesangverein. Mein Großvater mütterlicherseits war dort Sänger, und mein Vater und meine Mutter haben sich bei der Gelegenheit kennengelernt und haben geheiratet. Also ich bin so zu sagen ein Kind des Gesangvereins.
SPRECHER
…Des Männergesangvereins – (also) ohne „s“ - Germania Aubing. Seit vielen Jahrzehnten ist Helmut Pfundstein erster Vorstand in dem Traditions-Männerchor, gegründet 1894. Für ihn war der Eintritt in den Gesangverein damals ein wichtiger Schritt ins eigene Erwachsenenleben:
2 OT Pfundstein
Mein GroĂźvater hat nach dem Krieg, als ich einigermaĂźen erwachsen war, gesagt: Bursch, ich ging eigentlich noch in die Oberrealschule, war 17 Jahre alt, Geh amal mit, wir brauchen junge Sänger, geh mit, schaus dir an, ob es dir SpaĂź macht. Und es war ein Abend in der Woche, den man ausgehen konnte. Wir damals, wir Jugendlichen konnten nicht jeden Tag ausgehen. Es war also schon ein Privileg, und der Gesangverein war ein StĂĽck Freiheit. Â
SPRECHER
Freiheit und eine gesellschaftliche Größe im Ort: der Gesangverein gab nicht nur – wie heute auch noch - Konzerte, er richtete auch Bälle aus, war bei allen wichtigen Anlässen präsent:
3 OT Pfundstein
Also der Gesangverein war im Stadtteil eine Hausnummer, und man ging dort gerne hin. Man hat sich getroffen. Es war immer eine groĂźe gesellige Komponente dabei, etwas, das man woanders so nicht gefunden hat.Â
Musik 1: Und was sagen die Freunde? 45 Sek
SPRECHER
Erzählt Helmut Pfundstein ĂĽber seine Zeit im Chor in den 1950er und 60er Jahren. Der Verein als ein kultureller und sozialer Mittelpunkt, in den man durch die Familie ganz automatisch reinwächst – das gibt es heute immer seltener. Von Seiten der Ă„lteren kommt dann schon mal der Vorwurf, die JĂĽngeren hätten keine Lust mehr, sich zu engagieren.Â
Das stimmt so pauschal nicht, sagt Bettina Hollstein, Professorin am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Sie forscht zu freiwilliger Arbeit und Gemeinsinn. Die Anzahl der Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, nimmt sogar zu, sagt sie. Die Bereitschaft, in irgendeiner Form etwas fĂĽr die Gesellschaft zu tun, sei gestiegen. Aber:Â
  4 OT HollsteinÂ
(Aber) die Dauer des Engagements, also wieviel man sich in einer Woche zum Beispiel engagiert, die geht zurĂĽck, weil die Zeiträume, die man zur VerfĂĽgung hat, fĂĽr ihr Engagement nicht mehr so fest planbar sind. Wenn Sie viel mehr Bereitschaftszeiten haben, immer wieder zwischendrin arbeiten mĂĽssen. Dann haben sie nicht mehr so verlässliche Zeiten, an denen Sie sagen können ja, donnerstags, nachmittags mache ich immer das Bambini-Training.Â
Musik 2 - Schnelle Schritte 1:21 Min
SPRECHER
Erklärt die Forscherin. Arbeits- und Lebenswelten haben sich verändert, Menschen wechseln öfter die Firma, den Wohnort, ihre kompletten Lebensumstände, als noch vor einer Generation. Dadurch wird es fĂĽr viele schwieriger, sich langfristig und kontinuierlich festzulegen. Leichter zu stemmen sind einzelne, zeitlich begrenzte Projekte.Â
Ob Vereine Zulauf haben oder nicht, hängt noch von einem anderen Umstand ab. Und der liegt auf der Hand: in einigen ländlichen Regionen, kleinen Orten, leben schlicht insgesamt weniger Menschen als frĂĽher. Dort werden reine Männerchöre oft zu gemischten Chören. FuĂźballmannschaften benachbarter Vereine schlieĂźen sich zu Spielgemeinschaften zusammen, um noch genug Spieler und Trainer auf den Platz zu bringen. Woanders treten mehr Menschen in Sport-Vereine ein: In der Summe hatte z.B der bayerische Landes-Sportverband als Dachverband im Herbst 2024 so viele Mitglieder wie noch nie, mehr als vor der Corona-Pandemie. Gerade in GroĂźstädten und Ballungszentren werden nach wie vor mehr Vereine oder Abteilungen neu gegrĂĽndet als aufgelöst.Â
ATMO Turnhalle Cheertraining Â
SPRECHER
Marie Stadler steht in einem neu gebauten Turnhallen-Komplex des ESV, des Eisenbahnsportvereins in MĂĽnchen-Laim. Die Studentin trainiert hier an mehreren Abenden in der Woche Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. AuĂźerdem ist sie selbst Teil eines Teams. Nachwuchs haben sie mehr als genug, sagt sie. Â
5 OT Stadler
Wir haben dieses Jahr zum ersten Mal von unserer jĂĽngsten Altersklasse zwei Teams, weil wir so nen Andrang hatten. Und das ĂĽberlegen wir eben auch, mit der Jugend zu machen und uns quasi noch breiter aufzustellen.Â
SPRECHER
Wettkampf-Cheerleading heiĂźt Maries Sportart, die in Deutschland noch relativ jung ist: eine Mischung aus Turnen, Akrobatik und Tanzelementen. Die Dynamic Cheer Athletics, - so nennt sich die Abteilung innerhalb des Vereins - nehmen erfolgreich an Meisterschaften teil, in allen Altersklassen.
Und die Abteilung wächst: das heiĂźt dann natĂĽrlich auch, man braucht mehr Trainer und Trainerinnen.Â
6 OT Stadler
Wir ziehen unsere Trainerinnen mit 14, 15, 16 ran. Die sind dann voll mit eingespannt, werden immer wieder in größere Aufgaben ran geführt. Und so war es ja auch bei mir. Und dann brennt man auch immer mehr dafür.
SPRECHER
Ins Vereinsleben und in den Sport investiert Marie Stadler einen großen Teil ihrer Freizeit. Ihr Freund unterstützt sie, fährt auf Meisterschaften mit, um vor Ort die Teams mit zu betreuen. Wenn’s dann drauf ankommt – der Moment, wenn das Team auf der Matte steht und die Musik losgeht – immer wieder großartig, schwärmt die Trainerin:
ATMO Cheer Musik
7 OT Stadler
Als Trainer, sitzt man bei uns in der Sportart vor der Matte und kann gar nicht mehr eingreifen. Und die Mädels sind zweieinhalb Minuten auf sich selber gestellt, und man hofft einfach, dass man alles in den letzten sechs Monaten, so gut es geht, beigebracht hat. Und dann im Moment, wenn der letzte Ton der Musik kommt und alles vorbei ist, dann fällt so dieser Druck ab. Und man sieht die Mädchen sich so krass freuen. Und das schwappt so auf einen über. Stimme oben
Musik 3: Und was sagen die Freunde? – siehe vorn – 39 Sek
SPRECHER
Diese Momente sind es, die der Studentin ein besonderes GlĂĽcksgefĂĽhl geben. Sie gibt ihr Können gerne weiter und genieĂźt die gemeinsame Freude, wenn etwas lang GeĂĽbtes endlich klappt. Aber: ein Ziel oder Ergebnis zu erreichen, der gewonnene Pokal, das erfolgreiche Chor-Konzert, das ist nur ein Grund von mehreren, wenn sich jemand freiwillig einbringt, sagt die Sozialwissenschaftlerin Bettina Hollstein. Die häufigste, eher schwammige Antwort lautet: „Das macht einfach SpaĂź!“Â
8 OT HollsteinÂ
Dass man im Tun selbst erlebt: Da spĂĽre ich mich. Ja.Â
Im Engagement erfahren die Menschen Resonanz. Erlebnisse also. Und das verändert die Menschen auch. Ja, das sind also ganz wesentliche Elemente, die im Tun passieren.
SPRECHER
Selbstwirksamkeit, Zugehörigkeit, Sinnhaftigkeit, Anerkennung… all das erfährt, wer freiwillig tätig ist. Und – das ist Bettina Hollstein wichtig zu betonen – es gibt einen Unterschied zum Spenden: Â
Wer Geld spendet, oder auch eine Petition im Netz anklickt, fĂĽhlt sich zwar auch gut, so die Forscherin, dabei delegiert man aber das Tun und erfährt nicht dieselbe Freude wie Menschen, die ihre Energie und die eigene Lebenszeit aufwenden.Â
Musik 4: Meine Doktorarbeit 36 Sek
Fast 29 Millionen Menschen engagieren sich hierzulande freiwillig, das sind fast 40% aller Jugendlichen und Erwachsenen. Deutlich mehr als noch vor 20 Jahren. Das zeugt von einem starken Gemeinsinn, auch wenn oft anderes behauptet wird. Es stimmt nachweislich nicht, dass jeder nur noch an sich selbst denkt. Und überhaupt – sind wir Deutschen nicht die weltweit führenden Vereins-Meier? Immer gewesen?
 ZITATORIN
„Treffen sich drei Deutsche – was machen die?Â
GrĂĽnden einen Verein“! Â
Musik aus
SPRECHER
In manchen Bereichen stimmt das Klischee, wenn man in die Geschichte des Vereinswesens schaut:Â
Gerade die GrĂĽndungswelle der Männergesangvereine im 19. Jahrhundert – ein zunächst deutsches Phänomen, das erfolgreich in alle Welt exportiert wurde. Genauso wie die Turnvereine. Oder auch: die sozialistischen Arbeitervereine. Auch hier wurden die ersten im deutschsprachigen Raum gegrĂĽndet, ebenfalls im 19. Jahrhundert, erklärt Arnd Kluge. Er ist Historiker, Stadtarchivar im oberfränkischen Hof und er hat die deutsche Vereinsgeschichte erforscht. Haben also tatsächlich wir das Vereinswesen erfunden?Â
9 OT Kluge
Nein, das stimmt so nicht. Viel häufiger ist der Fall, dass in Deutschland Vereinsideen vom Ausland übernommen worden sind, also in der frühen Neuzeit. Zum Beispiel hat man sich an italienischen Gelehrten-organisationen, den sogenannten Akademien, orientiert. Dann wurden Freimaurerlogen gegründet, die stammen aus England und Schottland, Fußballvereine ebenfalls nach britischem Vorbild oder in etwas jüngerer Zeit dann die Serviceclubs, also Rotary, Lions und ähnliche Clubs nach US-amerikanischem Vorbild.
ATMO Fussballtraining
SPRECHER
Die erfolgreichen FuĂźball-Vereine sind es auch, die heute die mit Abstand meisten Mitglieder hierzulande haben. Mehr als 28 Millionen Menschen waren im Jahr 2024 Mitglied in einem Sportverein. Mehr als eine Million allein die fĂĽnf erfolgreichsten FuĂźball-Bundesliga-Clubs. Aber auch in anderen Sportarten gibt’s annährend solche Dimensionen: einzelne Sektionen des Deutschen Alpenvereins zum Beispiel haben weit ĂĽber 100tausend Mitglieder. Und die Frage drängt sich auf: Ab welcher Größe und Aktivität erscheint ein Verein eher als Dienstleistungs-Unternehmen?Â
So wie der allgemeine deutsche Automobilclub ADAC – der gilt vielen eher als eine Art Pannenversicherung, ist aber der mit Abstand größte Verein - mit vielen Millionen Mitgliedern, Tendenz weiter steigend.Â
Auch der TĂśV läuft unter dem juristischen Label Verein, obwohl seine Aufgaben eher an eine staatliche Behörde erinnern. Was ein Verein ist und was er leisten soll, hat sich immer wieder verändert, erklärt der Historiker.Â
10 OT KlugeÂ
Zum Beispiel BĂĽndnisse von Aufständischen zählten im Mittelalter und in der frĂĽhen Neuzeit zum Vereins Wesen. Heute wĂĽrde man das eher organisierte Kriminalität nennen. Bis ins neunzehnte Jahrhundert waren wirtschaftliche Vereine sehr weit verbreitet, zum Beispiel Aktiengesellschaften oder Genossenschaften. Und das jĂĽngste Beispiel sind politische Parteien. Eigentlich sind das Vereine, aber fĂĽr sie gibt es ein Spezialrecht, eben das Parteiengesetz, sodass man sie heute so nicht mehr als Vereine ansehen wĂĽrde.Â
ATMO SchĂĽtzenverein
SPRECHER
Und welche heutigen Vereine waren - umgekehrt – frĂĽher keine?Â
Die rund 14tausend SchĂĽtzenvereine in Deutschland. SportschĂĽtzen sind sehr stolz auf ihre sehr lange Tradition. In vielen Regionen gelten sie als die ältesten Vereine ĂĽberhaupt, gegrĂĽndet im frĂĽhen Mittelalter, lange vor allen anderen. Vereinsforscher Arnd Kluge sieht die SchĂĽtzenvereine allerdings anders:Â
11 OT Kluge Â
Denn das, was man da im Mittelalter findet, waren noch keine Vereine, sondern das waren Veranstaltungen der Gemeinden oder der Städte. Man musste ja seine Stadt von der Stadtmauer aus verteidigen können oder möglicherweise auch mal auf einen Kriegszug ziehen zugunsten der Stadt. Und um das tun zu können, mussten die BĂĽrger der Städte mit den Waffen ĂĽben. Und die Menschen gingen dort auch häufig nicht freiwillig hin, sondern sie waren verpflichtet, so und so viel Schießübungen im Jahr abzuhalten.Â
Musik 5: Schnelle Schritte – siehe vorn – 26 Sek
SPRECHER
SchĂĽtzenvereine nach heutigem Verständnis haben sich laut Arnd Kluge erst vor 400 Jahren oder noch später herausgebildet. Damals hat neue Kriegstechnik die bewaffneten BĂĽrgerwehren auf der Stadtmauer nach und nach ĂĽberflĂĽssig gemacht. Man fing an, sich aus reiner Geselligkeit zu treffen. Die SchieĂźveranstaltungen waren keine Wehr-Pflicht-Ăśbung mehr, sondern wurden sportlicher Zeitvertreib und Wettbewerb.Â
Mehr als 600tausend eingetragene Vereine gibt es in Deutschland.
Von denen werden jedes Jahr mehrere tausend aus dem Register gelöscht, lösen sich auf.Â
Gleichzeitig werden ungefähr genauso viele neu gegrĂĽndete Vereine ins Vereinsregister eingetragen.Â
12 OT KlugeÂ
Es gibt seit den 1990er-Jahren eine Tendenz hin zu ganz vielen Fördervereinen und Fördervereine sind ja eigentlich reine Geldsammelstellen. Da wird für irgendeinen guten Zweck, zum Beispiel für eine Schule oder für ein Museum Geld gesammelt. Das Vereinsleben ist minimal. Und da ist natürlich die Bindung der Mitglieder an den Verein nicht sehr groß in dieser Vereinsart.
Musik 6: Und was sagen die Freunde? – siehe vorn – 22 Sek
SPRECHER
Julia Daum ist Vorstandsvorsitzende im Förderverein einer Schule.Â
Geld sammeln und verwalten, das klingt vor allem nach trockener Buchhaltung. Und doch, sagt sie, ist da schon viel Verbundenheit:
13 OT Daum
Wir an unserer Schule sprechen immer von der Schulfamilie. Und das ist ja wie eine Familie, man hilft sich gegenseitig. Mal braucht einer ein bisschen mehr Zuwendung, mal ein anderer, und genauso findet es bei uns statt.
SPRECHER
Denn der Förderverein finanziert nicht nur Theaterbesuche, workshops oder Preise für den Mathematik-Wettbewerb, er unterstützt auch einzelne Schülerinnen und Schüler, wenn nötig. So stehts in der Satzung:
14 OT Daum
…dass der Förderverein auch dann dafĂĽr da sein soll, wenn ein Kind zum Beispiel an einer Studienfahrt nicht teilnehmen könnte, weil die Eltern finanziell nicht so gut gestellt sind. Und das sollte der Förderverein auch tragen.Â
SPRECHER
Und damit allen eine Teilhabe am ganzen Schulprogramm ermöglichen. In ihrem sozialen und kulturellen Engagement kommen private Fördervereine oft in den Dunstkreis dessen, was eigentlich Aufgaben der öffentlichen Hand wären: sehr deutlich wird das bei den Tafeln, die kostenlos oder gegen einen sehr kleinen Geldbetrag Lebensmittel an bedĂĽrftige Menschen ausgeben. Der deutschlandweite Verein die Tafel – gegrĂĽndet Mitte der 1990er Jahre - ist eines der bekanntesten Beispiele fĂĽr die vielen vergleichsweise jungen Verbände und Interessengruppen, die gesellschaftspolitische Ziele verfolgen. Auch in der Umwelt- und Klimabewegung, oder im Bildungsbereich.Â
Die vielen Neugründungen der vergangenen Jahrzehnte zeigen: die Vereinslandschaft in Deutschland ist lebendig, aber die Formen des Engagements und der Geselligkeit ändern sich. Während zum Beispiel traditionelle Chöre vor allem in kleineren Orten Nachwuchs suchen, boomen sogenannte Kneipenchöre und Mitsing-Konzerte in den großen Städten:
ATMO Singabend (dĂĽse im Sauseschritt)
SPRECHER
Mitsing-Konzerte: Sie nennen sich Rudelsingen, Go-sing-choir (engl. Aussprache) oder Volxgesang – mit „x“: Menschen zahlen Eintritt und singen fĂĽr einen Abend gemeinsam, dann geht man wieder auseinander.Â
Manchmal wird anspruchsvoll mehrstimmig und mit Noten ein Lied einstudiert, manchmal wird auch einfach losgesungen, nach dem Motto:Â
Es gibt kein zu laut. Es gibt kein zu falsch!Â
15 OT Wagner
Wenn dann ĂĽber 350 Leute singen, was, 400. Das ist natĂĽrlich wahnsinnig wunderbar und unheimlich berĂĽhrend fĂĽr mich, weil ich zu den Menschen gehöre, die in ihre Kindheit und Schulzeit nicht singen durften. Weil ich wahnsinnig falsch singe. Und das ist das Tolle, das spielt bei uns hier ĂĽberhaupt keine Rolle. Der Einzelne kann so schlecht singen, wie er will. Die Gruppe klingt immer toll, und das ist das, warum ich das gemacht habe. Und das ist die ganze Organisation und hin und her und rum kalkulieren,Â
das ist das alles wert.
ATMO Kanon…
SPRECHER
Nicole Wagner steckt viel Zeit in die Singabende. Reich wird sie damit nicht, es ist mehr Leidenschaft als Geschäftsmodell. Ihre GmbH „Volxgesang“ ist gemeinnĂĽtzig. Denn zusammen mit ihren Musikern organisiert Nicole Wagner auch MitsingKonzerte in Seniorenheimen, die sind kostenlos.Â
Für den Gesangsabend in der Kneipe zahlen die Leute Eintritt. Dazu mindestens ein, zwei Getränke… man gibt schon Geld aus. Und anders als in regelmäßigen Chorproben steht man neben wildfremden Menschen. Trotzdem sind die Volxgesang Termine meist schnell ausverkauft.
16 OT Wagner
Also ich glaube, das ist einfach so, weil es keinen Druck gibt wie in einem Chor. Man muss die Töne nicht treffen können. Und dieses Laute, das ist einfach wahnsinnig befreiend. Ja, das ist einfach dieses laute Singen und atmen. Also singen macht glĂĽcklich. Gemeinsam singen macht ĂĽberglĂĽcklich.Â
SPRECHER
Das sieht Chor-Vorstand Helmut Pfundstein genauso. Auch wenn im Männergesangverein der Anspruch an das klangliche Ergebnis schon ein anderer ist. Und während es beim Kneipensingen eng wird, hätten die Männer von der Germania Aubing schon noch Platz fĂĽr ein paar mehr Sänger.Â
Knapp 30 Männer kommen jede Woche zur Probe in den Pfarrsaal. Der jĂĽngste ist Mitte 30, der Ă„lteste ĂĽber 90. Hellmuth Pfundstein ist zuversichtlich, dass sein Chor auch noch ein 150jähriges Jubiläum erlebt. Was ihn im Chor glĂĽcklich macht? NatĂĽrlich die Musik! So wie es auch Kneipensängerin Nicole beschrieben hat. Aber dann kommt noch die Idee dazu, gemeinsam etwas erreichen zu wollen.Â
Und: der Stolz, das dann vor Publikum präsentieren zu können.Â
ATMO Chorprobe
18 OT PfundsteinÂ
Wenn wir ein reines Konzert haben, wie das Frühjahrskonzert, dann zieht der Chor von hinten in den Saal ein, die dann vorn Platz, um dann zu singen. Da beim Reingehen, da sitzen Leute im Publikum, die winken dem Einzelnen zu, und da ist die Kommunikation auch mit dem Publikum da. Und das freut auch den einzelnen Sänger natürlich. Dass er irgendwo gekannt und respektiert wird in der Gesellschaft.
Und wenn sie dann nach Wochen noch die Resonanz bekommen: „mai des war fei scheeee - wann machts denn wieder was? Wir wollen wieder gerne hingehen.“ Also das gibt ein gutes Gefühl.
ATMO Männerchor
SPRECHER
Die Vereinslandschaft in Deutschland verändert sich und auch die Formen beim freiwilligen Engagement – was gleichbleibt, ist der Wunsch, sich selbst zu organisieren und gemeinsam Ideen und Vorstellungen in die Gesellschaft einzubringen, betont die Soziologin Betina Hollstein:Â
19 OT HollsteinÂ
Das, was wir als notwendig betrachten, zum Beispiel, dass es eine Krankenversicherung gibt oder so etwas. Das sind Dinge, die muss der Sozialstaat leisten und Dinge, von denen wir sagen. „Aber so wünschen wir unsere Gesellschaft“, das ist alles Teil des Engagements in Vereinen, Organisationen und so weiter.
Musik 6: Maybe this time 2:09 Min
SPRECHER
Ob ganz klassisch in der Freiwilligen Feuerwehr und im Burschenverein, oder im Umweltschutz, in der Nachbarschaftshilfe: Vereinsarbeit stärkt gesellschaftlichen Zusammenhalt. Untersuchungen zeigen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen gemeinnütziger Arbeit und Zustimmung zu demokratischen Grundwerten. Sich im Verein zu organisieren ist aber auch ganz direkt demokratiefördernd, von Mensch zu Mensch. Man übt, „sich gegenseitig auszuhalten“, so die Wissenschaftlerin.
20 OT HollsteinÂ
Also wir müssen dann auch auf den Rücksicht nehmen, den wir vielleicht nicht so gut leiden können. Aber der ist halt auch mit im Chor, und den brauchen wir auch. Und deswegen lernen wir da auch miteinander umzugehen. Und das ist noch mal was anderes als nur die eigene Selbstvergewisserung. Ich stehe jetzt für dieses oder jenes, sondern wir stehen hier gemeinsam für bestimmte Dinge, die uns in unserer Gesellschaft wichtig sind.
SPRECHER
Dieses „miteinander wirksam sein“, das ist fĂĽr Marie Stadler, die Cheerleading-Trainerin in der Turnhalle genauso spĂĽrbar, wie fĂĽr Julia Daum vom Förderverein, wenn sie in der Schulaula steht.Â
21 OT Daum
Man merkt das auch, wenn wir ein Schulfest haben und wir unser Popcorn ausgeben und die Zuckerwatte. Und dann abends wenn wir alle zusammenräumen und auch die Lehrer und die Schulleitung und wir uns angucken und sagen Mensch war ein toller Tag, und das macht Spaß. Es macht Spaß, weil man sowohl im Team ein tolles Team hat, aber auch die Schule einem schon Rückmeldungen gibt und sagt, hey, es ist schön, dass es euch gibt. Es ist toll, dass ihr mitarbeitet. Und das tut gut.
22 Stadler
Es sind schon auch im Training die kleinen Momente, wenn es immer nicht geklappt hat. Und dann geht es plötzlich. Ich glaube, das, was man dann bei den Mädchen, in den Gesichtern für Freude und Fortschritt sieht, dass das schon viel in einem auslöst.