Als das SchieĂpulver im Mittelalter aus Fernost nach Europa kam, machte es rasch Karriere im MilitĂ€r. FĂŒr Feuerwaffen wurde Schwarzpulver zum unverzichtbaren ZĂŒndstoff. Die Mischung aus Holzkohle, Schwefel und Salpeter blieb ĂŒber Jahrhunderte im Wesentlichen unverĂ€ndert - eine Erfindung, mit der sich der Mensch die Welt untertan machte. Von Thomas Grasberger
Als das SchieĂpulver im Mittelalter aus Fernost nach Europa kam, machte es rasch Karriere im MilitĂ€r. FĂŒr Feuerwaffen wurde Schwarzpulver zum unverzichtbaren ZĂŒndstoff. Die Mischung aus Holzkohle, Schwefel und Salpeter blieb ĂŒber Jahrhunderte im Wesentlichen unverĂ€ndert - eine Erfindung, mit der sich der Mensch die Welt untertan machte. Von Thomas Grasberger
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Autor dieser Folge: Thomas Grasberger
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Im Interview:
Dr. Benedikt Sepp, Historisches Seminar der LMU MĂŒnchen, Abt. Neuere und Neueste Geschichte
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ErzÀhler
Auf den ersten Blick könnte man die farbenfrohe Miniatur aus dem 14. Jahrhundert fĂŒr ein buntes Bildchen in einem modernen Comic halten. Es fehlt nur die lautmalerische Sprechblase, in der âPeng!â steht. Oder âWumms!â
ErzÀhlerin
âPot de ferâ â âFeuertopfâ heiĂt das mittelalterliche GeschĂŒtz, das auf einer prachtvoll illustrierten, englischen Handschrift des Jahres 1326 verewigt ist. Ein groĂes, ockerfarbenes GefĂ€Ă, das auf einem vierbeinigen Holzgestell liegt. Im Hals der bauchigen Vase steckt ein Klotz, an dem ein langer Pfeil befestigt ist. Dahinter steht ein Mann, der seine HĂ€nde und Arme gepanzert hat. Vorsichtshalber, denn er fĂŒhrt eine brennende Lunte gefĂ€hrlich nah an das ZĂŒndloch heran. Sein PfeilgeschĂŒtz hat er auf ein Burgtor gerichtet. Bereit zum Feuern! â Wumms!
Musikakzent
ErzÀhler
Dieses unwirklich anmutende Bild mit der bauchigen Pfeil-Schleuder-Vase ist freilich kein Comic, sondern eine der Ă€ltesten bekannten Darstellungen einer Feuerwaffe. Seit dem frĂŒhen 14. Jahrhundert waren solche GeschĂŒtze in den Arsenalen europĂ€ischer Herrscher und Potentaten zu finden. Kanonen, die bald nicht nur Pfeile, sondern auch Stein- und Eisen-Kugeln verschieĂen konnten.
ErzÀhlerin
Voraussetzung fĂŒr solche Artillerie-GeschĂŒtze war eine Erfindung, deren Wirkung alles andere als komisch ist: Denn das SchieĂpulver â eine Mischung aus Holzkohle, Salpeter und Schwefel â hat in Verbindung mit Feuer mitunter verheerende Folgen.
Zitator:
âDiese gewaltige, unvergleichliche Erfindung, mag sie nun von den DĂ€monen oder dem Zufall herrĂŒhren, stellt alle anderen Destruktionsmittel in den Schattenâ,
ErzÀhler
schreibt der italienische Ingenieur und Artilleriehauptmann Vannoccio Biringuccio im Jahr 1534 in seinem zehnbĂ€ndigen Werk Pirotechnia ĂŒber das SchieĂpulver.
Zitator:
âWenn es in TĂ€tigkeit tritt, zeigen sich nĂ€mlich die schrecklichsten und fĂŒrchterlichsten Erscheinungen des Himmels, die sehr oft den Menschen so gewaltigen Schaden und Verlust bringen, wie wenn darin wiederkehrende Blitze oder Erdbeben steckten.â
ErzÀhler
Schon im 13. Jahrhundert schrieben europĂ€ische Gelehrte wie Albertus Magnus oder Roger Bacon ĂŒber das geheimnisvolle Schwarzpulver, das seinen Namen der Farbe verdankt. SpĂ€tere Berichte, dass ein Freiburger Franziskanermönch und Alchemist namens Berthold Schwarz im 14. Jahrhundert das Pulver erfunden haben soll, gehören ins Reich der Legende.
ErzÀhlerin
Denn die brisante Mischung gab es schon viel frĂŒher, sagt Benedikt Sepp von der Ludwig-Maximilians-UniversitĂ€t MĂŒnchen. Der promovierte Historiker forscht zur Geschichte von Munition und Waffentechnologie.
ZSP 1 Sepp China 0,17
Das Schwarzpulver, so wie wir es heute kennen, wurde vermutlich in China erfunden, ungefÀhr um das neunte Jahrhundert. Es gibt auch Hinweise oder ErzÀhlungen, die es eher nach Indien verlagern, aber das kann man nicht wirklich sicher festlegen. Und am wahrscheinlichsten ist es, dass es ungefÀhr seit dem neunten Jahrhundert in China verwendet wird.
ErzÀhler
Und das nicht nur, um spektakulĂ€re Feuerwerke zu veranstalten. Bereits Mitte des 11. Jahrhunderts liefert ein chinesisches MilitĂ€rhandbuch Schwarzpulver-Rezepturen fĂŒr die Verwendung in Flammenwerfern, Sprengkugeln und Rauchbomben.
ZSP 2 Sepp Feuerlanzen 0,30
Das Schwarzpulver wurde sicherlich auch militĂ€risch genutzt, aber vermutlich noch nicht gleich als Treibladungspulver. Also das ist natĂŒrlich nochmal ein Unterschied, ob man eine explosive Bombe oder einen Tontopf gefĂŒllt mit Schwarzpulver auf einen Gegner wirft, oder ob man es verbrennt, um eine Art Feuerlanze dem Gegner entgegenzuschleudern oder ob man es als Raketentreibmittel nimmt. All diese Dinge wurden eben gemacht mit Schwarzpulver, bevor man auf die Idee kam, es in ein Rohr zu tun und dann ein Geschoss dazu zu tun und dann dieses Geschoss durch eine kontrollierte Verbrennung dieses Schwarzpulvers aus dem Rohr zu treiben.
ErzÀhler
In China findet sich der erste nachweisbare militĂ€rische Einsatz von SchieĂpulver und Kanonen fĂŒr das Jahr 1232 nach Christus. Auch die Mongolen hatten schon salpeterhaltige BrandsĂ€tze im MarschgepĂ€ck, als sie vergeblich versuchten, die japanischen Inseln zu erobern. Solche Belagerungs- und Handfeuerwaffen aus Fernost kamen dann vermutlich ĂŒber die Araber auch langsam nach Europa.
ErzÀhlerin
Wo im 14. Jahrhundert ein echtes WettrĂŒsten einsetzt. In Italien, England, Frankreich, auch in deutschen Landen â ĂŒberall basteln findige Techniker an den neuen Feuerwaffen. Mitte der 1320er Jahre werden in Dokumenten der Republik Florenz erstmals eiserne Geschosse und Kanonen aus Metall erwĂ€hnt. Und der Einsatz dieser neuen Waffen lĂ€sst auch nicht lange auf sich warten: 1331 bei der Belagerung der norditalienischen Stadt Cividale. Oder 1346 in der Schlacht bei CrĂ©cy im Norden Frankreichs.
ErzÀhler
Besonders wirkungsvoll waren diese ersten Kanonen wohl nicht. Noch in der berĂŒhmten Schlacht von Agincourt 1415 sorgten sie vor allem fĂŒr viel Schall und Rauch auf dem Schlachtfeld. Nur zufĂ€llig wurde mal ein französischer Ritter oder ein englischer BogenschĂŒtze getroffen. Was in besseren Kreisen fĂŒr Empörung sorgte, weil nun jeder dahergelaufene Bauernbursche einen Edelmann vom Pferd schieĂen konnte. Aufhalten lieĂ sich die Entwicklung aber nicht. Denn im Lauf des 14. und 15. Jahrhunderts machte die Artillerie weitere Fortschritte...
ErzÀhlerin
⊠obwohl tonnenschwere BelagerungsgeschĂŒtze schwer zu transportieren und umstĂ€ndlich zu laden waren. Als 1437 ein BĂŒchsenmeister aus Metz an einem Tag â man höre und staune! â drei Schuss abfeuerte und dabei auch noch ins Schwarze traf, verdĂ€chtigten ihn seine eigenen Leute der Magie und schickten ihn auf eine Pilgerfahrt nach Rom.
ErzÀhler
Die Entwicklung effektiver Schusswaffen war halt ein sehr langwieriger Prozess, sagt der Historiker Benedikt Sepp.
ZSP 3 Sepp lange gedauert 0,41
Das Interessante am Schwarzpulver ist, dass es natĂŒrlich auf der OberflĂ€che eine unglaubliche Revolution im Kriegswesen darstellt. Es macht plötzlich bumm, es explodieren Dinge. Man kann sich nur vorstellen, wie das auf die Zeitgenossen gewirkt haben muss. Aber es wĂ€re sozusagen zu einfach anzunehmen, dass das wirklich plötzlich eine Revolution war, nach der alles anders war. Die ersten Feuerwaffen waren natĂŒrlich auch nicht wirklich leicht zu handhaben, man konnte nicht wirklich gut zielen damit und im Zweifelsfall ist man selber damit in die Luft geflogen. Und es war deswegen eine wirklich ĂŒber viele Jahrhunderte dauernde langsame Entwicklung, stetige Verbesserung und Anpassung und Erforschung des Potenzials der Feuerwaffen, bis die dann wirklich einen groĂen Unterschied in der Schlachttechnik gemacht haben.
ErzÀhlerin
Ballistik-Studien erhöhten die Treffgenauigkeit der Kanonen, neue Gusstechniken machten ihre Rohre stabiler. Und auch an der Verbesserung des Pulvers probierten die Kriegs-Handwerker stÀndig herum. Wobei die Grundbestandteile stets gleich blieben: Holzkohle, Schwefel und vor allem Salpeter.
ErzÀhler
Transportierte man so eine Pulvermischung auf Pferdekarren, stand zu befĂŒrchten, dass es sich durch das RĂŒtteln wieder entmischte und unbrauchbar wurde. Auch war es nicht immer einfach. sein Pulver trocken zu halten und in einen engen Pistolenlauf einzustreuen.
ZSP 4 Sepp Körner 0,36
Diese ganze Pulverform war im Grunde ein Ărgernis, das die ganzen Waffen wenig praktikabel machte. Deswegen könnte man sagen, die einzige wirkliche technologische Innovation, die das Schwarzpulver verbessert hat, war im 14.Jahrhundert, dass man auf die Idee kam, man mischt ein bisschen Wasser hinein und tut es dann in eine MĂŒhle und macht dann sozusagen trockene Körner daraus. Und da kann man auch durch die KorngröĂe so ein bisschen steuern, wie schnell das Ganze verbrennt und das dann auf unterschiedliche Waffentypen abstimmen. Das war tatsĂ€chlich dann ein kleiner Sprung, der bessere Waffen erlaubte. Aber seitdem, vom 14.Jahrhundert bis zum 19.Jahrhundert war das im Grunde das gleiche.
ErzÀhler
Die Sprengkraft des SchieĂpulvers machte es nicht nur fĂŒr MilitĂ€rs interessant. Im Tiroler Eisacktal hat man es bereits 1481 im StraĂenbau eingesetzt. Und in den Bergwerken Venetiens wurde in den 1570er Jahren erstmals auch untertage âgeschossenâ. So nennen die Bergleute bis heute ihre gefĂ€hrlichen Sprengungen im Stollen. Die Zerstörungskraft des Pulvers, etwa in schweren Belagerungswaffen, hat auch den Architekten von Festungsanlagen viele schlaflose NĂ€chte bereitet.
ZSP 5 Sepp Festungen 0,23
Man hat natĂŒrlich die Festungen nicht mehr unbedingt auf heranstĂŒrmende Horden mit Leitern abgestimmt, sondern eben darauf, dass die Mauern Kanonenkugeln widerstehen können. Die Mauern wurden also tendenziell niedriger, aber dicker. Und man hat dann, wie etwa in den sternförmigen Festungen, angefangen sie auch vom Grundriss her darauf abzustimmen, dass man ĂŒberall möglichst hinschieĂen kann, möglichst groĂe Bereiche erreichen kann.
ErzÀhler
Das SchieĂpulver revolutionierte auch die KriegfĂŒhrung auf dem Meer. Dank Pulver und Blei konnten Seeschlachten nun auf Distanz ausgetragen werden. Immer gröĂere Schlachtschiffe mit zunehmend schweren GeschĂŒtzen kĂ€mpften oft tagelang gegeneinander. Im Juni 1666 standen sich im Ărmelkanal mehr als 150 Schiffe der englischen und der niederlĂ€ndischen Flotte gegenĂŒber. Vier Tage lang belegten sie sich mit Breitseiten. Einige Schiffe mussten mehr als 1000 Treffer einstecken. Es gab ĂŒber 5000 Tote auf beiden Seiten.
ErzÀhlerin
Dem SchieĂpulver ist auĂerdem eine internationale Regelung zu verdanken, die im 17. Jahrhundert eingefĂŒhrt wurde und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gĂŒltig blieb. Die sogenannte Drei-Meilen-Grenze definierte, was als KĂŒstengewĂ€sser galt, und wie weit ein Staat seine Hoheitsrechte beanspruchen durfte. NĂ€mlich so weit, wie er mit seinen Kanonen vom Land aus aufs Meer schieĂen konnte. Im 17. Jahrhundert waren das etwa drei nautische Meilen, also gut fĂŒnfeinhalb Kilometer.
ErzÀhler
Die Schiffe der europĂ€ischen MĂ€chte segelten damals schon viel weiter ĂŒber die eigenen KĂŒstenlinien hinaus, rund um die Welt, die sie sich aufteilten und untertan machten. Unter anderem mit Hilfe des SchieĂpulvers. Der US-amerikanische Wirtschaftshistoriker Philip T. Hoffman beantwortet die Frage âWie Europa die Welt eroberteâ mit den vielen Kriegen, die die europĂ€ischen MĂ€chte zwischen 1550 und 1750 fĂŒhrten. Diese Kriege waren wie ein permanentes Turnier, in dem Runde fĂŒr Runde um Territorien, Ruhm und Reichtum gefochten wurde. Die Gegner standen in einem dauernden Wettbewerb, der auch zu militĂ€rischen Innovationen fĂŒhrte, vor allem bei den Feuerwaffen.
ErzÀhlerin
Aber ausschlieĂlich mit Pulver und Blei lĂ€sst sich die europĂ€ische Expansion nicht erklĂ€ren, sagt der Historiker Benedikt Sepp. SchlieĂlich kannte man ja auch in China, Vietnam, Indien oder Japan bereits Kanonen und Pistolen.
ZSP 6 Sepp brutal 0,16
Man kann den Kolonialismus sicher nicht mit Schwarzpulver erklÀren und man kann eben nicht sagen, dass Feuerwaffen etwas waren, das nur der Westen oder nur die EuropÀer hatten. Aber sicherlich spielte die Feuerwaffentechnologie eine Rolle bei der enormen BrutalitÀt der europÀischen Expansion oder der westlichen Expansion.
ErzÀhler
Eine BrutalitĂ€t, von der auch Europas Soldaten nicht verschont blieben. Sie mussten erst diszipliniert werden, als im 17. und 18. Jahrhundert stehende Heere in Mode kamen. Kasernen wurden eingerichtet, in denen militĂ€rischer Drill auf der Tagesordnung stand. Denn die KĂ€mpfe in geordneten Linienformationen waren blutig und verlustreich. Kein vernĂŒnftiger Mensch wĂ€re freiwillig stehengeblieben oder gar weitermarschiert, wenn feindliche Musketen und Kanonen auf ihn feuern. Es sei denn, er wurde vorher darauf gedrillt.
ZSP 7 Sepp Drill 0,26
Das ist natĂŒrlich dann aber wirklich eine unmittelbare Folge von eben der Musketentechnologie. Also dadurch, dass die Treffsicherheit nicht so arg groĂ war, oder eigentlich ĂŒberhaupt nicht groĂ war, musste man, um Feuerwaffen sinnvoll einsetzen zu können, natĂŒrlich möglichst im Pulk schieĂen, also alle gleichzeitig in die grobe Richtung schieĂen. Und das musste natĂŒrlich enorm gedrillt werden, weil mit dem ganzen Rauch, dem LĂ€rm, den Sterbenden, dem Schreien der Verwundeten war das natĂŒrlich etwas, was nur ĂŒber MuskelgedĂ€chtnis funktionieren konnte und ĂŒber eisenharte Disziplin.
ErzÀhler
Feuerwaffen wie Arkebusen oder Musketen wurden laufend verbessert. Bis ins 17. Jahrhundert waren sie mit Luntenschlössern ausgestattet, spĂ€ter mit Rad- und Steinschlössern. Wer mit solchen Vorderlader-Waffen schieĂen wollte, musste âetwas auf der Pfanne habenâ, nĂ€mlich Schwarzpulver. Und wer âsein Pulver verschossenâ hatte, musste mit dem Bajonett weiterkĂ€mpfen.
ErzÀhlerin
Das Pulver selbst wurde seit Ende des 17. Jahrhunderts in Patronen gefĂŒllt, die sich dauernd weiterentwickelten, von der einfachen Papierpatrone bis hin zur Erfindung der Einheitspatrone aus Metall, die nur noch in das Gewehr eingefĂŒhrt werden musste. All das, sagt Benedikt Sepp, steigerte die KapazitĂ€ten in der KriegfĂŒhrung,
ZSP 8 Sepp synthetisch 0,28
Dennoch hat es sozusagen immer noch so geknallt wie im Mittelalter. Es gab wahnsinnig viel Rauch und nach einigen SchĂŒssen waren die Waffen auch im Grunde schon verdreckt, also es war noch nicht so ganz optimal. Das, was dann tatsĂ€chlich einen enormen Sprung in der Verbesserung vom SchieĂpulver darstellen wĂŒrde, reihte sich dann ein in so eine, könnte man sagen, Ideologie der Chemiker im 19. Jahrhundert, dass man sozusagen alle Substanzen, die man vor vorher irgendwie aus der Natur genommen und dann gemischt hat oder irgendwie behandelt hat, eigentlich synthetisch selbst herstellen kann.
ErzÀhler
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatten Chemiker an verschiedenen Orten Europas angefangen, in ihren Laboren vollsynthetische Sprengstoffe zu entwickeln: Nitroglycerin, TNT, PikrinsĂ€ure oder Cellulosenitrat, die so genannte SchieĂbaumwolle. Aus der entwickelte der französische Chemiker Paul Vieille 1882 eine nahezu rauchlose Treibladung â das Poudre B. Und sein schwedischer Kollege Alfred Nobel, der zuvor bereits das Dynamit erfunden hatte, lieĂ sich 1887 das rauchschwache Pulver Ballistit patentieren.
ErzÀhlerin
Damit hatte das jahrhundertealte Schwarzpulver ausgedient. Es wird heute nur noch von Feuerwerkern und in historischen SchĂŒtzenvereinen verwendet. Denn das neue, synthetische Pulver fĂŒhrte Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Revolution im MilitĂ€rischen, sagt der Historiker Benedikt Sepp. Weil beim Schuss kaum mehr Rauch aufstieg, konnte man nicht mehr feststellen, wo der SchĂŒtze stand. Und mehr noch: Durch das deutlich krĂ€ftigere Pulver Ă€nderte sich auch die Munition. Die Kugeln wurden kleiner und flogen weiter.
ZSP 9 Sepp flexibler 0,25
Und sie fliegen nicht nur weiter, sie fliegen dadurch, dass sie mehr Energie haben, auch viel flacher. Das heiĂt in der Praxis, dass man sozusagen keinen Bogen schieĂen muss, sondern sein Gewehr relativ genau auf das Ziel ausrichten kann und auch nicht vorher ĂŒberlegen muss: Ist das jetzt 100 Meter weg oder 300 Meter weg? Ich muss mein Visier am Gewehr nicht extra einstellen. Also ich habe plötzlich als einzelner SchĂŒtze eine viel gröĂere Handlungsmacht und vielleicht auch FlexibilitĂ€t in dem, worauf ich dann da schieĂe.
ErzÀhler
Weil die Soldaten fortan viel mehr Munition bei sich hatten und ihre Gewehre seltener reinigen mussten, stieg die Feuerkraft enorm. All das fĂŒhrte zu neuen Kampfformen und MilitĂ€rtaktiken. Weitsichtige Kritiker warnten bereits Ende des 19. Jahrhunderts vor den Folgen.
ZSP 10 Sepp Voraussagen 0,19
Was sich dann im Ersten Weltkrieg natĂŒrlich als sehr zutreffende Voraussage erwiesen hat, war, dass sozusagen die Verteidigung viel effektiver war als der Angriff. Durch die Möglichkeit, dass sich Soldaten in irgendwelchen GrĂ€ben oder SchĂŒtzenlöchern verstecken können und dann halt auf die heranlaufenden Angreifer irgendwie schieĂen können, steigt sozusagen das Risiko des Angriffs in viel höherem MaĂe.
ErzÀhler
Vor allem, wenn im SchĂŒtzengraben gegenĂŒber der Feind mit einem Maschinengewehr lauert, das 500 Schuss pro Minute abfeuern kann. Auch das ein Erbe des neuen rauchlosen Pulvers. Die Auswirkungen zeigten sich bereits 1904/1905 im russisch-japanischen Krieg, wo erstmals beide Seiten mit modernen ArtilleriegeschĂŒtzen und Gewehren ausgerĂŒstet waren. Alle westlichen MĂ€chte schickten MilitĂ€rbeobachter dort hin, aber die SchlĂŒsse, die sie aus dem Gesehenen zogen, erscheinen aus heutiger Sicht absurd, sagt der MĂŒnchner Historiker Sepp. So meinte man etwa im Deutschen Reich, dass durch das rauchlose Pulver und die kleineren Patronen nur noch geringfĂŒgige Wunden entstĂŒnden.
ZSP 11 Sepp Chirurgie 0,41
Es herrschte da teilweise in der Chirurgie wirklich die Vorstellung, dass diese Kugel sozusagen direkt durch einen Menschen durchgeht und dadurch, dass sie so heiĂ ist, auch noch den Wundkanal gleich sterilisiert. Und der Soldat könne dann sozusagen einfach aufstehen und irgendwie 5 Kilometer zum Lazarett gehen und sich dann da verbinden lassen und danach wĂ€re es dann auch wieder gut. ((Im Grunde hat man sozusagen dann auch das ganze Lazarettwesen und das SanitĂ€tswesen anhand dieser Vorstellungen umgebaut. Was sich dann natĂŒrlich als relativ illusorisch herausgestellt hat, weil das natĂŒrlich grausame Wunden geschlagen hat. ((Aber das Interessante ist halt daran, all das hĂ€tte man wissen können vom russisch-japanischen Krieg. Und da dann zum Beispiel deutsche Mediziner einfach gesagt haben, naja, das liegt halt vor allem einfach daran, dass die Japaner keine Hygiene kennen oder die sind einfach konstitutiv nicht so geeignet fĂŒr diesen Krieg.
ErzÀhler
Vorurteile und fatale FehleinschĂ€tzungen.)) Nur die Allerwenigsten hatten eine realistische Vorstellung davon, welche Dimensionen nur ein Jahrzehnt spĂ€ter der Erste Weltkrieg annehmen sollte. FĂŒr die endlosen Materialschlachten waren Unmengen von Munition nötig. Die standen auch zur VerfĂŒgung, dank einer bahnbrechenden Erfindung. Denn Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die deutschen Chemiker Fritz Haber und Carl Bosch die Ammoniak-Synthese entwickelt.
ZSP 12 Sepp Haber Bosch 0,24
Das wird normalerweise immer als eine der gröĂten chemischen Revolutionen gesehen, vor allem weil man aus diesem Ammoniak dann auch DĂŒnger machen kann und damit die Möglichkeit der ErnĂ€hrung groĂer Menschenmengen natĂŒrlich enorm vereinfacht ist. Aber es ermöglicht auch, Salpeter synthetisch herzustellen und in viel gröĂeren Mengen. Deswegen ist das Erbe dieser Ammoniakgewinnung nicht nur der DĂŒnger, sondern auch unter anderem eine viel einfachere Versorgung mit Sprengmitteln.
Musik TNT
ErzÀhlerin
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts nutzten Terroristen solche Sprengstoffe fĂŒr ihre AnschlĂ€ge auf gekrönte HĂ€upter und Politiker. Dynamit, TNT oder Nitroglycerin wurden aber auch von Ingenieuren fĂŒr zivile Zwecke verwendet: Etwa beim Bau von StraĂen, KanĂ€len oder Eisenbahnstrecken. BuchstĂ€blich mit einem Knopfdruck war der Mensch nun in der Lage, Berge zu versetzen und das Antlitz der Erde nachhaltig zu verĂ€ndern.Â
Musikakzent
ErzÀhler
SchieĂpulver ist eine der folgenreichsten und zerstörerischsten Erfindungen der Geschichte. In seinen verschiedenen Ausformungen wird es bis heute eingesetzt. Zum Beispiel in Feuerwaffen, von denen weltweit ĂŒbrigens nur 15 Prozent in den HĂ€nden von MilitĂ€rs liegen, sagt Benedikt Sepp. 85 Prozent aller Feuerwaffen sind demnach in privater Hand. SchĂ€tzungen zufolge gibt es allein in den USA an die 400 Millionen Schusswaffen in zivilem Besitz.
ZSP 13 Sepp bis heute 0,17
Es sterben 700 Menschen tĂ€glich weltweit an Feuerwaffen. Das sind 45 % aller gewaltsamen Tode weltweit. Und natĂŒrlich formen wir auch heute noch die Welt mit Sprengstoffen. Insofern ist das Schwarzpulver und seine Ableger tatsĂ€chlich eine der groĂen Erfindungen, mit der die Menschheit sich die Welt untertan gemacht hat.
ErzÀhlerin
Eine Erfindung, die im Wesentlichen unverĂ€ndert geblieben ist. Ăber viele Jahrhunderte hinweg. Kein Wunder also, dass das SchieĂpulver seine Spuren hinterlassen hat. In unserer Sprache, in der Pop-Musik, in den Krimis und Actionfilmen, die allabendlich ĂŒber unsere Bildschirme laufen. Ăberall wird munter geschossen und gesprengt. Auch im Comic!
ErzÀhler
âPeng! Peng! Wosch!â HeiĂt es da zum Beispiel beim legendĂ€ren Western-Helden Lucky Luke, der wĂ€hrend einer SchieĂerei im Sprengstofflager lakonisch anmerkt: âBesser nicht die Dynamitkiste treffen!â