radioWissen - Bayern 2   /     Kuscheltiere - Mehr als nur niedliches Spielzeug

Description

Kuscheltiere gefallen nicht nur Kindern. Aber Erwachsene verheimlichen ihre (alte) Liebe oft. Denn Stoffmäuse oder Plüschbären erzählen von der menschlichen Sehnsucht nach Trost und Geborgenheit. Auch wenn es Projektionen und Fantasien sind, die den tierähnlichen Objekten Leben einhauchen: Der Zauber wirkt tatsächlich! Von Justina Schreiber

Subtitle
Duration
00:22:23
Publishing date
2025-02-06 03:00
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/kuscheltiere-mehr-als-nur-niedliches-spielzeug/2102952
Contributors
  Justina Schreiber
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2102952/c/feed/kuscheltiere-mehr-als-nur-niedliches-spielzeug.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Kuscheltiere gefallen nicht nur Kindern. Aber Erwachsene verheimlichen ihre (alte) Liebe oft. Denn Stoffmäuse oder Plüschbären erzählen von der menschlichen Sehnsucht nach Trost und Geborgenheit. Auch wenn es Projektionen und Fantasien sind, die den tierähnlichen Objekten Leben einhauchen: Der Zauber wirkt tatsächlich! Von Justina Schreiber

Credits
Autorin dieser Folge: Justina Schreiber
Regie: Christiane Klenz
Es sprach: Xenia Tiling
Technik: Roland Böhm
Redaktion: Susanne Poelchau

Im Interview:
Manuela Scheininger, Stofftierhändlerin
Ursula Frischkorn, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin und Psychoanalytikerin
Prof. Dr. Maurice Saß, Kunsthistoriker
Smila, Kind (mit Mama)

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

SPRECHERIN:

Mit der Geburt eines Kindes geht es meist los. Die ersten Kuscheltiere kommen ins Haus. Und weitere folgen. Zu Geburtstagen, zu Weihnachten, zum Kindergarteneintritt, nach einem Zoobesuch oder einfach mal zwischendurch, weil die kleine Stoffente so niedlich ausschaut, kriegt der Nachwuchs Plüschtiere geschenkt, bis sich das Kind vielleicht selbst welche kauft. Das Angebot ist riesig, und die Versuchung dementsprechend groß. 

ATMO Ladenglocke

O-TON 01: (Manuela Scheininger)

„Es gibt auf jeden Fall sämtliche Hunderassen. Es gibt Fantasietiere, es gibt auch ganz viele Fische, Rochen, Tintenfische, also wirklich alles, was so im Meer kreucht und fleucht. Seekühe, Haie, Karpfen also wirklich quer durch. Es gibt verschiedene Hühner in Originalgröße. Es gibt ein Huhn mit Ei, wo man die Kinder zeigen kann, wo die Eier herkommen. Und da gibt es auch einen Gockel dazu und ein weißes Huhn. Kann man so eine ganze Hühnerfarm kann man da machen.“

SPRECHERIN:

Die Stofftierhändlerin Manuela Scheininger stellt ihr Sortiment vor:

O-TON 02: (Manuela Scheininger)

„Mei, dann gibt es Mammut, Füchse, Nashorn, Nilpferd, außergewöhnliche Papageien. Es gibt Schwäne mit Babys auf dem Rücken, alle möglichen Schweinearten vom Pinselohrschwein über das normale Hausschwein, Einhörner, Kamele, Esel. Wirklich alles, was man sich vorstellen kann.“

MUSIK 2 (Elvis Presley: (Let Me Be Your) Teddy Bear 0‘08)

MUSIK 3 (Coconami: Cruising & Stepping 0‘19)

SPRECHERIN:

Für jeden Geschmack, für jeden Geldbeutel bieten Stofftierläden, Spielwarenabteilungen, Onlineshops, Tankstellen, Schreibwarengeschäfte, Drogerieketten oder Kioske heutzutage Kuscheltiere feil. In den Kinderzimmern macht sich der Überfluss bemerkbar, sagt die Kinder- und Jugendtherapeutin Ursula Frischkorn.

O-TON 03: (Ursula Frischkorn)

„Kinder haben heutzutage meistens in Familien in Deutschland nicht nur ein Kuscheltier, sondern sie werden mit einem großen Überangebot von Kuscheltieren, die ja von Erwachsenen ausgesucht werden meistens, überhäuft. Und manche Kinder wählen dann tatsächlich ein Lieblingskuscheltier.“

MUSIK 4 (fastmusic – Instrumental 2 0‘48)

SPRECHERIN:

So wie die 10-jährige Smilla. Sie bekam zur Geburt von ihren Paten ein weißes Stoffschaf geschenkt. Smillas Vater gab ihm einen Namen.

O-TON 04: (Smilla)

„Der hatte ihn irgendwann einfach Poppy genannt. Und seitdem heißt der Poppy.“ 

SPRECHERIN:

Poppy ist für Smilla der „primus inter pares“, der erste unter Gleichen. Nach Poppy trudelten bei ihr bisher nämlich noch 55 weitere Kuscheltiere ein. 

O-TON 05: (Smilla)

„Poppy ist einfach der Besonderste. Also der Poppy ist einfach immer da. Und wenn ich traurig bin, tröstet er mich und hilft mir auch beim Einschlafen und bei den Hausaufgaben auch. Bei mir hat er schon eine Sonderrolle, die anderen liegen halt dahinten auf meinem Bett in einem Haufen. Und der Poppy ist immer vorne bei mir.“

MUSIK 5 (Rosemary Clooney – Me And My Teddy Bear 0‘13)

MUSIK 6 (Romain Lateltin: La plénitude acte 1 0‘31)

SPRECHERIN:

Manche Kinder können ohne ihr Lieblingskuscheltier nicht einschlafen. Andere müssen es überallhin mitnehmen. Wehe, wenn der Stoff-Dino und das Plüsch-Einhorn dann unauffindbar sind oder zu Hause vergessen wurden! Warum der eine eine Maus und die andere ein Zebra zum Favoriten erwählt oder warum der Markenteddy zu Gunsten eines grellfarbigen Stoffmonstertiers links liegen gelassen wird, lässt sich nicht verallgemeinern, sagt die Psychoanalytikerin Ursula Frischkorn. Wo die Liebe eben hinfällt.

O-TON 06: (Ursula Frischkorn)

„Kinder suchen sich, weil das Leben sich als Kind oft auch gefährlich und bedrohlich anfühlen kann, Begleiter und Puppen und Tiere, die ihr eigenes Selbst bestärken und Sicherheit geben.“ 

SPRECHERIN:

So kann auch ein Plastikfigürchen große Bedeutung erlangen oder ein Haarreif oder eine tolle Leggings. Je früher die Wahl stattfindet, umso stärker ist die Fixierung auf das geliebte Ding. Schon sechs Monate alte Babys sind in der Lage, Gefühle zu projizieren, also nach außen zu übertragen, eben etwa auf das Stofftier, das ihm Vater oder Mutter ins Ärmchen drücken, wenn sie kurz mal das Zimmer verlassen.

O-TON 07: (Ursula Frischkorn)

„In bestimmten Phasen der Entwicklung, wo Kinder merken, dass ihre Mütter nicht immer zur Verfügung sind und ihre Väter und ihre engsten Bindungspersonen ab und zu ihnen nicht zur Verfügung stehen, da sind dann Kuscheltiere oder eine Puppe oder manchmal auch ein Schmusetuch so ein immer verfügbares Ersatzobjekt, was man mit sich herumtragen kann, wie man am liebsten die Mama oder den Papa mit sich herumtragen würde.“

SPRECHERIN:

Der amerikanische Kinder-Therapeut Donald Winnicott führte Mitte des 20. Jahrhunderts den Begriff des Übergangsobjektes ein. Denn das Kind verschafft sich ein Stück Unabhängigkeit, indem es sich mit Hilfe eines Kuscheltiers selbst gibt, was es braucht. Ein imaginäres, kein reales Subjekt spendet ihm Nähe, Trost, Geborgenheit. Ohne das Vertrauen, dass Mama, Papa oder die Babysitterin wiederkommen, kann die Überbrückung allerdings nicht funktionieren. Wer keine verlässliche Bindung kennt, wer keine positiven Beziehungserfahrungen gemacht hat, weiß nicht, wie Liebe geht. Das Kuscheltier bleibt dann nichts als ein lebloses Ding von vielen.

O-TON 08: (Frischkorn)

„Im besten Sinne wird es ein Alter Ego, ein Teil meines Selbst, gehört zu mir. Ich kann über es verfügen, es begleitet mich durch die Nacht und durch den Tag. Und für viele Kinder ist es dann auch sehr tragisch, wenn so ein Objekt dann verloren geht, zum Beispiel, also das ist dann wie als würde ein Teil von einem selbst verloren gehen.“

MUSIK 7 (fastmusic – Instrumental 2 0‘52)

O-TON 09: (Ursula Frischkorn)

„Also, ein Kuscheltier im engeren Sinne wird heiß geliebt. Von daher ist es vielleicht auch manchmal problematisch, wenn man 20 hat, weil, dann kann man eigentlich kaum eines lieben.“

SPRECHERIN:

Smilla zum Beispiel hat eines Tages wirklich die Krise bekommen, als ein weiteres, süßes Kuscheltier in ihren kleinen Privat-Zoo integrieren werden wollte.

O-TON 10: (Smilla)

„Da habe ich dann auch einmal abends tatsächlich geweint, weil ich halt ein neues Kuscheltier hatte, die Delphi, einen Delphin. Und dann dachte ich, dass ich die Delphi dann mehr lieb mag als den Poppy.“

SPRECHERIN:

Heute kann Smilla die emotionalen Herausforderungen gut managen, die ihr mit jedem neuen Kuscheltier begegnen. Poppy beziehungsweise ihre Mutter, die Poppy und der oder anderen Stoff-Kameradin manchmal die Stimme leiht, hat sie dabei wohl unterstützt.

O-TON 11: (Smilla - Poppy)

„Und jetzt bin ich da sehr stabil eigentlich, als der Jackie dann kam, ich dann gleich so, der gehört jetzt dazu. Und der Poppy und die anderen, die haben den auch ganz schnell aufgenommen einfach, stimmt es, Poppy? - Ja, stimmt klar. - Und ja, jetzt gehört der Jackie einfach auch dazu.“

MUSIK 8 (Randy Newman: You’ve Got A Friend In Me (Instr.) 0‘55)

SPRECHERIN:

Der Name sagt es: Kuschel-Tiere sollen eigentlich Tiere abbilden. Aber schon der Urvater aller Kuscheltiere, der erste Teddybär, erinnerte nur noch von fern an sein wildes, gefährliches Vorbild. 

ATMO Teddy blökt

SPRECHERIN:

Der aufrechtstehende, gut 50 Zentimeter große, Holzwolle gestopfte Stofftier-Pionier betritt im Jahr 1903 die Bühne der Spielzeugwelt. 

Endlich ein robustes, lustiges Ding zum Liebhaben auch für Jungen! Die Puppen mit ihren Porzellanköpfen sind ja im Grunde zu nichts zu gebrauchen. So ein Plüsch-Tier drängt einem auch nicht gleich die traditionelle Mutter-Rolle auf. Es muss nicht unbedingt gekleidet, gekämmt und schlafen gelegt werden. 

O-TON 12: (Ursula Frischkorn)

„Das schreit nicht nach ständiger Versorgung, weil die Ähnlichkeit mit menschlicher Figur nicht so unmittelbar gegeben ist.“

MUSIK 9 (Randy Newman: „Staff Meeting Everybody!“ 0‘34)

SPRECHERIN:

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts eröffneten in den Großstädten die ersten Zoos. Das Vieh wurde nun vermehrt in Schlachthäusern verarbeitet, um den Fleischbedarf für die rasant wachsende Bevölkerung zu sichern. Ließ sich im Umgang mit Plüschbären und anderen Stofftieren etwa die wachsende Entfremdung von der natürlichen Umwelt kompensieren? Auf jeden Fall muss man im Kuscheltier eine typische Erfindung des Industriezeitalters sehen, sagt der Kunsthistoriker Maurice Saß: 

O-TON 13: (Maurice Saß)

„Eine kommerzielle Erfindung auch, die dann sehr schnell Fuß gefasst hat, sich sehr schnell popularisiert hat.“

MUSIK 10 (Randy Newman: Woody/bo peep 0‘35)

SPRECHERIN:

Es sind hybride Wesen. Denn menschliche Vorlieben formen das Aussehen und den Charakter der Kuscheltiere. Ob sie nun mit Mohair-Pelz oder Acryl-Plüsch überzogen sind: Das flauschige Fell der kleinen Mäuse, Katzen, Hasen und Giraffen lädt uns zum Anfassen, Streicheln, kurz zum Kuscheln ein. Dazu die psychologischen Schlüsselreize des sogenannten Kindchenschemas: ihre runden Köpfe, die oft anrührend großen Augen und lächelnde Mündchen, die zu wispern scheinen: Kauf mich! Nimm mich mit!

MUSIK 8 (Randy Newman: You’ve Got A Friend In Me 0‘11)

ATMO Teddy blökt

SPRECHERIN:

Kuscheltiere sind abstrahierte Tiere. Ein aufgerissenes Maul mit angedeuteten Zähnen, dazu ein grüner langgestreckter Leib, fertig ist das Krokodil. Schon die frühen Höhlenmalereien zeigen Tiere in symbolisierter Form. Wir wissen nicht, was sie den Menschen damals bedeutet haben. Aber Tier-Darstellungen aller Zeiten belegen, dass Kühe, Hasen, Hunde und so weiter schon immer auch vermenschlicht, also anthropomorphisiert wurden, erklärt der Kunsthistoriker Maurice Saß. 

O-TON 14: (Maurice Saß)

„Das ist so das typische Wort, mit dem man auch Comics oder Kuscheltiere bedenken würde, die ja nicht darauf abzielen, möglichst realistisch zu sein, sondern Tiere anthropomorphisieren, den Menschen anverwandeln, um ihm auch zugänglicher zu sein.“

MUSIK 12 (Joe York Ensemble: Bella Notte 0‘54)

SPRECHERIN:

Kinder sind heute von vermenschlichten Tieren und auch Pflanzen in allen denkbaren Formen umgeben. Nicht nur die Walt-Disney-Studios leisten hier ganze Arbeit. Zeichentrickfiguren und animalische Kinderbuchhelden werden als Stofftiere vermarktet. Und umgekehrt und kreuz und quer. Da gibt es als Hörspiel, Bilderbuch und Kuscheltier einen Elefanten namens Benjamin Blümchen, der alle Menschen-Sprachen und Tierlaute versteht. Oder eine Paw Patrol, eine Hunde-Truppe, die mit Tennisball-Kanonen, Gabelstaplern und Verbandszeug umgehen kann. Lässt sich so ein respektvoller Blick auf die Tierwelt vermitteln? Sorgt Anthropomorphisierung nicht für eine weitere Entfremdung von der Natur? 

O-TON 15: (Maurice Saß)

„Anthropomorphisierung ist natürlich tatsächlich auch eine der Techniken, durch die Menschen sich Tiere als Mittel ihrer eigenen Selbstbespiegelung zurichten. Durch Anthropomorphisierung wird aber auch es möglich, überhaupt eine Verbindung zu dem, was einem fremd ist, herzustellen.“

MUSIK 13 ( Romain Lateltin: Le grand départ 0‘33)

SPRECHERIN:

Dieses Brüllen und Fauchen in der Nacht, ein Paar glühende Augen und huch, eine Spinne! Das Geheimnisvolle und Bedrohliche der Tiere, das, was uns ängstigt, wird unter Kontrolle gebracht, wenn der Mensch das Tier zum Spiegel seiner Selbst macht - in Kunstwerken, Industrieprodukten und Metaphern. Übrigens: was meinen wir eigentlich, wenn wir uns äffisch, hündisch oder löwenhaft benehmen? Die Tiere erklären sich uns nicht, sie sehen uns auch nicht seelenvoll an. Doch wie gesagt: wir Menschen können offenbar nicht anders, sagt die Psychoanalytikerin Ursula Frischkorn:

O-TON 16: (Ursula Frischkorn)

„Wir projizieren in Lebewesen alle möglichen Sehnsüchte, Ängste, Gefühle, Selbst-Anteile, Beziehungsaspekte und so weiter.“

SPRECHERIN:

Und die Tiere scheinen zu antworten. Das Zauberwort heißt Animation. Mit der Schöpferkraft der Fantasie lassen sich an sich stumme Wesen wie auch Smillas Stoffschaf Poppy zum Leben erwecken. Smillas Mutter setzt ihn bewusst nicht zu erzieherischen Zwecken ein.

O-TON 17: (Smillas Mama – Poppy)

„Wenn ich dann nämlich den Poppy spiele, dann wechselt automatisch die Rolle und der Poppy muss nicht erzieherisch korrekt antworten. Der Poppy darf antworten wie ein kleines freches widerständiges Schaf antworten würde. Und das hilft, habe ich manchmal den Eindruck, der Smilla mehr als wenn ich irgend so einen Eltern-Text ablasse, und das macht er aber selbst, also ich sag immer, nur die Hälfte von dem, was der Poppy sagt, kommt von mir. Die andere Hälfte kommt irgendwo aus dem Universum dann in dem Moment dazu, so dass er tatsächlich schon mindestens zur Hälfte lebendig ist. - Ich bin nicht nur zur Hälfte lebendig, ich bin ganz lebendig.“

MUSIK 14 (Dota: Monster & Drachen 0’45)

O-TON 18: (Ursula Frischkorn)

„Unser Leben wäre ja auch ein Stück weit ärmer, wenn es nicht diese ganzen Wesen gäbe. Das gehört einfach zum Menschsein dazu. Und der Übergang auch zu Kunstobjekten ist sicherlich fließend. In der Pop-Art tauchen auch viele dieser Wesen auf.“

O-TON 19: (Manuela Scheininger)

„Es macht auf jeden Fall das Leben bunter und schöner und vielleicht sind auch manche Leute einfach einsam und kaufen sich deswegen ein Stofftier, wo sie einfach gernhaben können.“

SPRECHERIN:

In Manuela Scheiningers Stofftierladen kaufen nur 20 Prozent der Kundschaft für Kinder ein. Die Mehrzahl der Menschen, die hier Kraken, Affen, Schildkröten, aber auch kuscheltierartiges Obst, lächelndes Gemüse und andere kleine Plüschdeko-Artikel erwerben, sind Sammlerinnen, die zu Hause ein ganzes Zimmer voller Kuschelobjekte besitzen. 

O-TON 20: (Manuela Scheininger) 

„Aber es gibt auch Männer. Bloß, die geben es einfach nicht zu. Aber es gibt auch genügend Frauen, wo es nicht unbedingt so an die Öffentlichkeit hängen, weil es ihnen einfach ein bisschen peinlich ist. Es haben halt nicht alle Verständnis dafür. Wenn man selber sammelt, dann sieht man das anders. Aber wenn jemand mit solche Sachen gar nix zum Tun hat, der findet das oft total blöd.“

SPRECHERIN:

Kuscheltiere gelten als Kinder-, oder schlimmer noch, als „Weiber“-Kram. Die Unterdrückung und Abwertung des Gefühlslebens, die im patriarchalen System Methode hat, trifft auch die Kuscheltiere. Zärtlich sein, Streicheleinheiten geben oder nehmen, widerspricht dem Klischee harter Männlichkeit. Selbst wenn unsere Gesellschaft heute weniger starre Geschlechterrollen vermittelt und moderne Männer sogar Tränen zeigen dürfen: Kuscheltieren haftet von Haus aus etwas Regressives, Infantiles an. Spielzeug eben. Die Scheu erwachsener Menschen, sich zu ihren eigenen Stofftieren, insbesondere dem innig geliebten Bären aus Kindertagen, zu bekennen, hat deshalb nachvollziehbare Gründe, sagt die Psychologin Ursula Frischkorn. 

O-TON 21: (Ursula Frischkorn)

„Weil sie sehr tief innerlich besetzt sind, wie wir Psychologen sagen, also ganz viele Kindheitsgefühle verkörpert im wahrsten Sinne des Wortes dieser Teddybär. Also gibt es auch Menschen, die diesen Teddybären dann ein bisschen beschämt verstecken oder auch nicht so selbstbewusst ihn noch mitten aufs Bett setzen. Jedenfalls nicht, wenn dann der Liebhaber auch zu Besuch käme oder so, ja, weil es eben sehr verbunden ist auch mit dem eigenen Kindheits-Ich.“ 

MUSIK 15 (Lisa Bassenge: Tier 0’35)

O-TON 22: (Smilla + Mama)

„Ich habe schon viele Mädchen, aber der Poppy und sein anderer Kumpel Jacky, die sind beide Jungs. - Alle anderen sind bei der Smilla explizit Damen, sie hat ganz viele Kuscheltiere, wo explizit klar ist, das ist eine sie. - Zum Beispiel mein Delfin und mein anderer Delfin, das sind Delphi, das auch eine Frau, und Niki, auch ein Mädchen. - Oder Kara, das Pferd. Oder Olivia und wie heißt diese Erdbeere? – Ella. - Ella und die Schlange ist, glaube ich, auch ein Mädchen. – Ja.“

SPRECHERIN:

Smillas Kuscheltier-Kosmos bereichert das Familienleben. Trotzdem meidet Smillas Mutter mittlerweile Spielwarenabteilungen und andere Plüschtier-Hotspots, wenn sie mit ihrer Tochter unterwegs ist. Bei aller Liebe zu Poppy, Smillas erstem Kuscheltier und all den 55 anderen: „Nein“ zu sagen, fällt eben echt schwer, wenn dich ein verwuschelter Affe oder eine flauschige Banane treuherzig anschauen. O, mein Gott, wie süß! Für die kapitalistische Ausbeutung menschlicher Gefühle ist das Kuscheltier der wohl niedlichste Beleg. Wie gut, dass die Stoffmaus- und Plüsch-Hundchen-Phase in der Pubertät ihr Ende findet, zumindest offiziell als Entwicklungsstufe definiert.

O-TON 23: (Ursula Frischkorn)

„Im Kindergarten ist es ja noch üblich, dass man einen Kuscheltier-Tag hat. Oder ich habe jetzt über Patientinnen auch mitbekommen, dass es manchmal in der Grundschule Klassen-Kuscheltiere gibt. Und es ist eine besondere Ehre ist, wenn man das Kuscheltier der Klasse übers Wochenende mit in die eigene Familie nehmen darf. Aber es ist immer schwierig, weil die Entwicklungsphasen sich verschieben. Aber irgendwann mit neun, zehn, elf ist dann das Handy das neue Kuscheltier.“

MUSIK 16 ( Das Paradies: fritzi ganz verfranzt 0’43)

SPRECHERIN:

Aus psychoanalytischer Sicht gilt heute das Handy als das libidinös besetzte, also mit Affekten und Bindungswünschen belegte Objekt Nummer 1. Kaum jemand kann sich der Sogkraft dieses harten, eckigen, stromfressenden Gegenstandes erwehren. Trotzdem (oder gerade deshalb?) müssen die Kuscheltiere im digitalen Zeitalter nicht wirklich klein beigeben. Wer seine Sinne schärft, sieht sie an vielen Rucksäcken und Rückspiegeln baumeln. Sie bieten sich offenbar als Talisman für Reisende an. Schüler und Studierende nehmen sie zu Prüfungen mit. Vielleicht tritt hier ja wieder die magische Funktion in Erscheinung, die die Tiere einst für die Menschen hatten? Tatsächlich gibt es zwischen Kultobjekt und Kuscheltier einige Parallelen, sagt der Kunsthistoriker Maurice Saß. 

O-TON 24: (Maurice Saß)

„Auch Kuscheltieren werden übernatürliche Kräfte zugeschrieben. Kuscheltiere werden potenziell animiert, also für lebendig gehalten, Kuscheltiere werden besonders verehrt, gewertschätzt, besonders aufbewahrt. Gleichzeitig handelt sich es um leblose Objekte und die Personen, die damit umgehen, zumindest sobald sie reden können, wissen auch schon Auskunft darüber zu geben, dass die Tiere, also Kuscheltiere, nicht lebendig sind. Also da gibt es viel, was es an Analogie zu auch anderen Kultobjekten geben würde. Das, was vielleicht aber den größten Unterschied macht, ist, dass Kuscheltiere natürlich eigentlich immer nur Kuscheltiere für ein einzelnes Kind sind. Wohingegen ein religiöser Kult oder auch wenn wir jetzt im Bereich des Populären wären, also im Bereich Sport, würden wir immer von einer Gemeinschaft ausgehen, die einen bestimmten Kult pflegt und dadurch bestimmte Objekte mit kultischem Wert auflädt.“

SPRECHERIN:

So wie es heute inflationär mit Maskottchen versucht wird, die große Sportveranstaltungen begleiten. Werbewirksam treten sie jetzt oft auch als menschengroße Kuscheltiere auf, die sich umarmen lassen und in die Kameras Winkewinke machen. 

MUSIK 17 ( fastmusic: Instrumental 3 0’32)

SPRECHERIN:

Das Klima erwärmt sich, unser CO2-Ausstoss ist zu hoch, die natürliche Artenvielfalt schwindet. Doch der weltweite Siegeszug der Kuscheltiere, angeheizt durch Unmengen Billig-Plüschware aus Fernost, wirkt ungebremst. Täglich kommen neue Wesen hinzu. Aber wohin mit den alten? Es gibt da mittlerweile nämlich ein großes Entsorgungsproblem, sagt die Stofftierhändlerin Manuela Scheininger.

O-TON 25: (Manuela Scheininger)

„Es gibt viele Kunden, die zu mir reinkommen, die wahnsinnig viele Stofftiere noch von den Kindern dahoam haben. Und die sagen dann: wollen Sie es haben? Sie wissen nicht, was damit machen sollen, und sie können es nicht wegschmeißen. Sie bringen es einfach nicht übers Herz, aber ich kann jetzt auch keine gebrauchten Stofftiere im Laden verkaufen, das will ja keiner für seine Kinder haben. Es ist schwierig, also man hat echt ein schlechtes Gewissen, wenn man es wegschmeißt.“

MUSIK 18 (The Beach Boys: God Only Knows – Stereo Backing Track 1’20)

SPRECHERIN:

Menschen gehen fort, Verhältnisse ändern sich. Die Stofftiere bleiben. Sie widersetzen sich der Vergänglichkeit, dem Wegwerfzwang und der profanen Flüchtigkeit unserer Zeit. Auch wenn ihr Fell eines Tages fahl und abgenutzt aussieht, ihre Botschaft hat nach wie vor Bestand: Love, love, love is all you need. Denn das Leben ist eben leider kein Ponyhof, es fühlt sich oft genug viel zu rau und hart und kalt an. Wo findet man noch Trost und Halt?

O-TON 26: (Ursula Frischkorn)

„Das, was Menschen einfach am glücklichsten macht, ist in Beziehung sein. Wir sind bindungsbedürftige und bindungshungrige, liebeshungrige Wesen. Und uns allen geht es oft so, dass unser Liebesbedürfnis nicht voll umfänglich in der Realität immer erfüllt wird. Und dann tut es halt gut zu projizieren und sich vorzustellen: aber das Universum oder die Götter oder die Kuscheltiere verstehen mich schon.“