Blut ist nicht gleich Blut, es besteht aus vielen unterschiedlichen Bestandteilen, die alle gleichermaßen für unser Leben und Überleben existentiell sind. Blutprodukte werden dringend gebraucht, für Krebskranke, für Unfallopfer. Deshalb suchen Forschende nach Alternativen aus dem Labor. Von Daniela Remus
Blut ist nicht gleich Blut, es besteht aus vielen unterschiedlichen Bestandteilen, die alle gleichermaßen für unser Leben und Überleben existentiell sind. Blutprodukte werden dringend gebraucht, für Krebskranke, für Unfallopfer. Deshalb suchen Forschende nach Alternativen aus dem Labor. Von Daniela Remus
Credits
Autorin dieser Folge: Daniela Remus
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle, Florian Schwarz
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Prof.em. Gregor Bein, Transfusionsmediziner, Justus-Liebig-Universität Gießen
Dr. Sven Peine, Transfusionsmediziner, Eppendorf, Hamburg
Prof. Torsten Tonn, Transfusionsmediziner, Technische Universität Dresden
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Blut ist zentral für das Leben - und nicht nur für uns, sondern auch für alle anderen Wirbeltiere. Ohne die 5-6 Liter rote Flüssigkeit, die unser Herz regelmäßig durch den Organismus pumpt, ist kein Leben denkbar.
Blut, von manchen als flüssiges Gewebe oder sogar als flüssiges Organ bezeichnet, versorgt alle Zellen des Organismus mit Sauerstoff. Ohne den Blutkreislauf mit Sauerstofftransport einerseits und dem Abtransport von Kohlenstoffdioxid andererseits ist Leben nicht möglich. Deshalb ist Blut ganz besonders kostbar. Und deshalb wird regelmäßig dazu aufgerufen, Blut zu spenden.
SPRECHER
Blutspender retten Leben. Bist du dabei?
Jetzt Blut spenden und Leben retten!
Reserven aufgebraucht. Spende Blut
ATMO 1
SPRECHERIN
An einem Vormittag im Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg, genauer gesagt beim dortigen Blutspendedienst. Im Eingangsbereich des schmucklosen Funktionsbaus warten Menschen, um Blut zu spenden. Zunächst müssen sie sich anmelden, einen Fragebogen ausfüllen und mit einem Arzt oder einer Ärztin über Krankheiten, Allergien, sexuelle Kontakte oder Auslandsaufenthalte sprechen. Denn nur wer gesund ist, darf tatsächlich Blut spenden. Die Sicherheitsstandards sind hoch in Deutschland, weil es in der Vergangenheit mehrere Blutspende-Skandale gab. Damals wurden Krankheitserreger übertragen, Menschen starben. Eine Wiederholung dieses Szenarios soll auf jeden Fall verhindert werden.
ATMO 2 (Warteraum vor Blutentnahme)
SPRECHERIN
Wer diese Prozedur hinter sich gebracht hat, und als Spender und Spenderin infrage kommt, gelangt in einen großen hellen Raum. Dort sitzen diejenigen, die Blut spenden. Um sie herum medizinisches Personal, das erklärt, fragt, Blutproben sortiert oder Probenröhrchen beschriftet. Eine der Blutspenderinnen ist Viktoria, sie hat gerade auf einem der Behandlungssessel Platz genommen:
TAKE 1 (O-Ton Kevin/Viktoria)
K: Heute genügend gegessen und getrunken? So ungefähr eineinhalb Liter? V: Ja, eher mehr glaube ich…K: Und dann geht’s auch gleich schon los…
SPRECHERIN
Die 28jährige sitzt entspannt auf ihrem Sessel, während Sanitäter Kevin die Blutentnahme vorbereitet.
TAKE 2 (O-Ton Kevin/Viktoria)
Dann desinfiziere ich mir jetzt die Hände…Pumpen, ja kräftig die Faust machen, so Achtung, jetzt gibt’s es einen kleinen Pieks…
SPRECHERIN
Und schon fließt das Blut durch einen dünnen, durchsichtigen Schlauch. Erst in mehrere Röhrchen, die gebraucht werden, um das Blut auf Blutgruppe und Krankheitserreger zu untersuchen, und danach in den eigentlichen Blutspende-Beutel. Fünf bis zehn Minuten wird diese Aktion jetzt dauern…
Musik 2
"Transit" - Komponist: Geir Jenssen - Künstler: Biosphere - Album: Insomnia - Länge: 0'19
SPRECHERIN
…am Ende hat Viktoria einen halben Liter Blut gespendet. Danach bekommt die junge Frau eine kleine Aufwandsentschädigung und ein Lunchpaket. Aber das ist für sie nicht der Grund, regelmäßig Blut zu spenden.
TAKE 3 (O-Ton Viktoria)
Weil ich mir denke, es ist eine ganz einfache Art, um etwas Gutes tun zu können. Es tut mir nicht weh, es schadet mir nicht, aber ich weiß, ich kann was Gutes tun.
Musik 3
"Transit" - Komponist: Geir Jenssen - Künstler: Biosphere - Album: Insomnia - Länge: 0'30
SPRECHERIN
So wie Viktoria spenden jedes Jahr in Deutschland rund 3,5 Millionen Menschen Blut. Die meisten davon sind allerdings wesentlich älter als Viktoria. Und das bereitet den Medizinerinnen und Medizinern durchaus Sorge, erklärt der Transfusionsmediziner Prof. Gregor Bein von der Justus-Liebig-Universität in Gießen:
TAKE 4 (O-Ton Bein)
Kurzfristig sind wir gut aufgestellt, es gibt eine gute Kooperation zwischen allen Blutspendediensten, die sich bei lokalen Engpässen untereinander aushelfen. … aber mittel- oder langfristig haben wir ein sehr, sehr großes Problem in der Altersentwicklung unserer Bevölkerung: Die Babyboomer, die Generation über 55, leistet etwa ein Drittel aller Vollblutspenden in Deutschland jährlich, und ist damit allen anderen Altersgruppen weit voraus. Und das wird ein sehr, sehr großes Problem werden, weil diese Altersgruppe älter wird und dann nicht mehr Blut spenden kann und dann im Alter auch häufiger Blut benötigt.
Musik 4
"Transit" - Komponist: Geir Jenssen - Künstler: Biosphere - Album: Insomnia - Länge: 0'32
SPRECHERIN
Denn Blut wird längst nicht nur in den Fällen gebraucht, an die die meisten von uns beim Thema Blutspende vermutlich denken, also beispielsweise an massive Blutverluste durch schwere Unfälle oder große Operationen. Blut wird vor allem deshalb benötigt, um das Therapieangebot der modernen Hochleistungsmedizin aufrecht zu erhalten, erklärt Dr. Sven Peine, der das Institut für Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf in HH leitet:
TAKE 5 (O-TON Peine)
So ist es, dass das meiste Blut verbraucht wird, bei Menschen in den letzten zwei Lebensjahren, bevor sie sterben und grundsätzlich ab der 60. Dekade. Also 60-70 und 70-80, das sind die Dekaden, in denen das meiste Blut verbraucht wird. Was Sinn macht, weil die Erkrankungen, die uns dahinraffen, Krebs oder auch Kardio-Vaskuläre Erkrankungen dann mit großen Herz OPs, die treten eben in diesem Alter auf.
SPRECHERIN
Herzklappen-OPs, Bypass-Operationen oder hochdosierte Chemotherapien bei einzelnen Tumorerkrankungen, das sind Behandlungen, die auch älteren Menschen, jenseits der 60, heute selbstverständlich zur Verfügung stehen. Noch vor drei Jahrzehnten war das anders. Nicht nur weil sich die OP-Techniken seither deutlich verändert haben, sondern auch:
TAKE 6 (O-Ton Peine)
Weil wir denen eben weitere 10 Jahre guter Lebensqualität damit geben können, weil sie eben im Gesamtzustand mit 65 gesünder sind als sie eben vor 30 Jahren gewesen wären, aber das wird dazu führen, dass der Blutverbrauch in den nächsten 20 Jahren weiter ansteigt.
SPRECHERIN
Auch innovative Arzneimittel wie Antikörper-Behandlungen bei chronischen Immunerkrankungen oder Stammzelltransplantationen bei einer Leukämie, sind ohne eine ausreichende Menge an Blut und Blutprodukten nicht möglich. Das muss aber meistens keine Vollblutspende sein, es reicht, die Bestandteile des Blutes, die durch die Therapie geschädigt sind oder die für die Krankheitsheilung notwendig sind, auszutauschen.
Musik 5:
"Descent" - Album: Aerial 3 - Komponist: Tod Dockstader - Länge: 0'40
SPRECHERIN
Denn Blut ist nicht gleich Blut:
TAKE 7 (O-Ton Tonn)
Blut setzt sich zusammen aus einem flüssigen Bestandteil, das ist das Blutplasma…
SPRECHERIN
Erklärt der Transfusionsmediziner Torsten Tonn, Professor an der TU in Dresden. Das flüssige Blutplasma macht über die Hälfte unseres Blutes aus. Es ist, für sich betrachtet, klar und gelblich und besteht zu rund 90% aus Wasser. Der Rest sind Hormone, Mineralstoffe und verschiedene Eiweiße. Diese sind zum Beispiel für die Gerinnung zuständig oder wichtig für die Immunabwehr.
TAKE 8 (O-Ton Tonn)
Daneben gibt es zelluläre Bestandteile…das eine sind die roten Blutkörperchen, die Erythrozyten. Die Erythrozyten sind klein, kernlos und hochflexibel, die können sich ganz schmal machen, die können durch die kleinsten Gefäße und sie können in der Lunge Sauerstoff aufnehmen und in der Peripherie auch wieder abgeben.
MUSIK 6
"Caisson" - Künstler und Komponist: Loscil - Album: Caisson Single - Länge: 1'00
SPRECHERIN
Die roten Blutkörperchen bilden die größte Gruppe aller Blutzellen. In einem Milliliter Blut sind ungefähr 4-5 Milliarden dieser winzigen Zellen enthalten. Sie sind für den Sauerstofftransport im Organismus zuständig. Und das geht so: In der Lunge beladen sie sich mit Sauerstoffmolekülen und bringen diese dahin, wo sie gebraucht werden, beispielsweise zu den arbeitenden Muskeln. Auf dem Rückweg, also von den Muskeln und Extremitäten zurück zur Lunge, entsorgen sie das Abfallprodukt Kohlenstoffdioxid aus den Zellen. Die Erythrozyten bestehen zu 90% aus Hämoglobin. Diese Eiweißverbindung ist extrem eisenhaltig, färbt deshalb die Erythrozyten und unser Blut rot und gibt den roten Blutkörperchen ihren Namen.
MUSIK 7
"JD020" - Komponist und Ausführender: Ryuichi Sakamoto - Album: Derrida - Länge: 1'01
TAKE 9 (O-Ton Tonn)
Die nächste Klasse, das sind die Blutplättchen, die sind nochmal deutlich kleiner als die roten Blutkörperchen, medizinisch nennnt man die Thrombozyten. Und die brauchen wir für die Gerinnung. Das heißt, wenn wir uns schneiden, dann kommt die Blutung in der Regel ja nach wenigen Minuten zum Stehen und das passiert indem dann diese Thrombozyten die kleinen Blutplättchen, sich vergrößern und ausweiten und die werden dann vernetzt mit einem Eiweiß, und die bilden da dann ein Blutgerinsel, ein kleines, und verkleben dann die Schnittstelle und dann kommt es dazu, dass die Blutung gestillt ist.
SPRECHERIN
Die Thrombozyten sind nicht nur kleiner als die roten Blutkörperchen - verglichen mit deren Vorkommen im Milliardenbereich - sie sind auch vergleichsweise selten: In einem Milliliter Blut schwimmen ungefähr 150 bis 400 Millionen.
Musik 8
"Jd027" - Komponist und Ausführender: Ryuichi Sakamoto - Album: Derrida - Länge: 0'47
SPRECHERIN
Neben Blutplasma, Erythrozyten und den Thrombozyten besteht unser Blut darüber hinaus auch noch aus den weißen Blutkörperchen, den sogenannten Leukozyten. Sie sind noch seltener als die Blutplättchen, in einem Milliliter Blut finden sich nur 4-10 Millionen davon. Umgangssprachlich werden sie auch manchmal als Polizei des Körpers bezeichnet, weil zu ihnen verschiedene Abwehrzellen des Immunsystems gehören. Deren Aufgabe ist es, Krankheitserreger oder Tumorzellen aufzuspüren und zu beseitigen. Darum lassen sie sich nicht nur im Blut finden, sondern auch im Gewebe. Unter dem Mikroskop betrachtet sehen sie farblos aus.
SPRECHERIN
Nach der Blutspende wird das Blut in die unterschiedlichen Bestandteile aufgetrennt, wissenschaftlich heißt dieser Prozess Apherese. An dessen Ende stehen drei Blutprodukte, die für unterschiedliche Therapien benötigt und genutzt werden: Aus dem Blutplasma stellen Firmen z.B. Arzneimittel her. So können daraus beispielsweise Immunglobuline gewonnen werden, die das körpereigene Immunsystem bei Autoimmunerkrankungen unterstützen. Aber auch der Plasma-Inhaltsstoff Fibrinogen wird genutzt, um Sehnen und Nervenstränge im neurochirurgischen Bereich miteinander zu verkleben. Und das sind nur zwei Beispiele für die Verwendung von Blutplasma.
TAKE 10 (O-Ton Tonn)
Von den Bestandteilen des Blutes ist es so, dass wir die Erythrozyten die roten Blutkörperchen benötigen - …
SPRECHERIN
Erklärt Torsten Tonn. Und zwar immer dann, wenn ein hoher Blutverlust vorliegt, beispielsweise durch einen Unfall oder eine Operation oder wenn ein Mensch nicht ausreichend viele dieser Zellen bilden kann, beispielsweise bei einer Anämie oder Leukämie.
TAKE 11 (O-Ton Tonn)
Was ebenfalls der Fall ist, wenn dann die Blutbildung gestört ist, dann ist auch die Produktion von den Blutplättchen gestört, es gibt Patienten, die nach einer Hochdosischemotherapie, wie sie z.B. bei Leukämien eingesetzt wird, …für einen gewissen Zeitraum gar keine Blutplättchen und in der Phase…wären sie einem hohen Risiko ausgesetzt, dass da z.B. eine Hirnblutung entsteht und deswegen werden diese Patienten für die Phase, bis sie wieder Thrombozyten produzieren können… mit Thrombozyten aus einer Blutspende transfundiert.
SPRECHERIN
In Deutschland werden zur Zeit pro Jahr rund 500.000 Thrombozyten-Spenden benötigt, zusätzlich zu den 3 Mio Transfusionen mit den roten Blutkörperchen.
TAKE 12 (O-Ton Peine)
Insofern ist dieses, ich spende einen halben Liter Blut und der kommt jemandem zugute, der stimmt schon, aber nicht mehr als Vollblutspende und Vollblutkonserve, sondern als Teilprodukte, …so dass aus dem gespendeten halben Liter Blut drei Teilprodukte entstehen, ein rotes Blutkörperchenkonzentrat, ein Plasmakonzentrat und, im Verbund mit anderen Spenden der gleichen Blutgruppe, auch ein Blutplättchenkonzentrat.
SPRECHERIN
Denn es hat sich gezeigt, dass nur in wenigen Fällen eine Vollblutspende erforderlich ist. In den meisten Fällen reicht es völlig aus, einen Blutbestandteil zu ersetzen. Der Vorteil dieses Verfahrens: Es wird deutlich weniger Blut verbraucht als noch vor einigen Jahren. Und hinzu kommt, dass so die einzelnen Blutbestandteile besser aufbewahrt werden können: Denn rote Blutkörperchen haben eine Lebensdauer von ungefähr 120 Tagen, die Blutplättchen dagegen halten nur rund 5 Tage, während das Blutplasma sogar eingefroren werden kann. Eine Vollblutspende kann also nur wenige Tage genutzt werden, während die aufgetrennten einzelnen Blutbestandteile deutlich effektiver eingesetzt werden können.
Musik 9
"Transit" - Komponist: Geir Jenssen - Künstler: Biosphere - Album: Insomnia - Länge: 0'35
SPRECHERIN
Trotzdem ist und bleibt der Bedarf enorm hoch und es kommt immer wieder zu Engpässen. Einerseits weil grundsätzlich zu wenig Menschen bereit sind, Blut zu spenden. Aber auch deshalb, weil Blut nicht beliebig zwischen Menschen übertragen werden kann. Passen Blutgruppen und weitere Eigenschaften nicht zusammen, stößt der Körper das Spenderblut ab. Und das ist in den meisten Fällen tödlich.
Die Methode der Bluttransfusionen reicht zurück bis ins 16. Jahrhundert. Damals war der Leibarzt von Ludwig XIV. einer der ersten, der ohne jegliches Wissen um Blutgruppensysteme oder andere Eigenschaften des Blutes, Blut von einem auf den anderen Menschen übertrug. Wenig verwunderlich deshalb, dass nicht alle Patienten diese Prozedur, damals noch von Arm zu Arm überlebten.
Erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist bekannt, dass es verschiedene Blutgruppen gibt, in den 1940er Jahren kam dann das Wissen um die Rhesusfaktoren hinzu. Heute kennt die Wissenschaft über 30 Blutgruppensysteme, die bekanntesten sind die AB0(=Null)-Gruppen und das Rhesus-System.
Musik 10
"Contacte" - Künstler und Komponisten: To Rococo Rot - Album: An Anthology of Noise and Electronic Music/ Third A-Chronology - Länge: 0'30
SPRECHERIN
Weil Blut eben nicht mit jedem anderen Blut kompatibel ist, suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seit Jahrzehnten nach einem perfekten Blutersatz. Sie wollen Blut künstlich herstellen. Die Idee dahinter: Ein Blutpräparat zu entwickeln, das neutral ist und für alle Menschen genutzt werden kann, erklärt der Hamburger Transfusionsmediziner Sven Peine:
TAKE 13 (O-Ton Peine)
In den 70er und 80er Jahren ist unglaublich viel Geld in die Entwicklung solcher künstlicher Sauerstoffträger geflossen, vor dem Hintergrund des kalten Krieges, der Erfahrung des II. Weltkriegs, dass man das bestimmt mal irgendwann brauchen würde an der Front…da ist viel an künstlichen Sauerstoffträgern diesseits und jenseits des eiserenen Vorhangs geforscht worden. Letztendlich ohne große Erfolge!
SPRECHERIN
Denn bei der Entwicklung der künstlichen Sauerstoffträger gelang es den Forschenden nicht, ein grundsätzliches Problem zu lösen: Entweder nahmen die künstlichen Sauerstoffträger den Sauerstoff auf, so wie es die roten Blutkörperchen natürlicherweise in der Lunge tun, oder sie gaben den Sauerstoff ab. Beides aber im Wechsel so wie es im Körper passiert, das hat nicht geklappt.
Erst durch die Erfolge der Stammzellforschung erhielt die Forschung an künstlichem Blut einen neuen Schub: 2007 gelang es dem Japaner Shin´ya Jamanaka eine x-beliebige Hautzelle so umzuprogrammieren, dass sie einer embryonalen Stammzelle ähnelte. Genannt werden diese künstlich hergestellten Stammzellen induzierte pluripotente Stammzellen, kurz iPS-Zellen. Diese iPS-Zellen haben die medizinische Forschung seither revolutioniert.
Musik 11
"Contacte" - Künstler und Komponisten: To Rococo Rot - Album: An Anthology of Noise and Electronic Music/ Third A-Chronology - Länge: 0'29
SPRECHERIN
Mit ihrer Hilfe ist es z.B. gelungen, künstliche Zellen und sogar künstliches Gewebe herzustellen. Beispielsweise gelingt es bereits künstliche Herzmuskelzellen, Gehirnzellen, Leber- oder Magenzellen im Labor zu züchten. Um Medikamente zu testen, Organreparaturen durchzuführen oder um Krankheitsursachen auf die Spur zu kommen, die am lebenden Menschen aus ethischen Gründen nicht untersucht werden können.
TAKE 14 (O-Ton Tonn)
Und in unserem Fach der Transfusionsmedizin haben wir natürlich erkannt, wenn wir es schaffen, aus dieser induzierten pluripotenten Stammzelle…, wenn wir daraus eine Blut-Mutterzelle machen könnten, wie sie im Knochenmark sitzt, dann könnte man daraus wieder Erythrozyten generieren.
SPRECHERIN
Das ist der Ansatz, den einige wenige Forschungsgruppen weltweit verfolgen. Auch das Team des Transfusionsmediziners Torsten Tonn von der TU in Dresden möchte Blutstammzellen im Labor nachbauen, aus denen sich dann die roten Blutkörperchen entwickeln.
TAKE 15 (O-Ton Tonn)
Die roten Blutkörperchen zeichnen aus: Eine sehr hohe Flexibilität und dass der Kern nicht mehr vorhanden ist und damit kommen die in die kleinsten Gefäßsysteme hinein und können dann dort Sauerstoff aufnehmen und abgeben. Und das ist sehr schwierig das abzubilden in der Zellkultur außerhalb des Körpers, außerhalb des Knochenmarks, weil das Herausschmeißen des Zellkerns (…) ist sehr komplex und bedarf eigentlich auch der Zusammenarbeit mit anderen Zellen.
SPRECHERIN
Bisher ist es zwar gelungen, die Blut-Stammzellen oder wie Torsten Tonn sie nennt, die Blut-Mutterzellen im Reagenzglas zu züchten. Aber der sich daran anschließende Prozeß, nämlich das Loswerden des Zellkerns, gelingt den Forschenden bisher nicht wirklich überzeugend. Genau das aber wäre die Voraussetzung dafür, dass die Zelle als rotes Blutkörperchen in den Blutkreislauf gelangt und dort maximal geschmeidig und flexibel den Organismus mit Sauerstoff versorgt.
TAKE 16 (O-Ton Tonn)
Das kriegen wir im Moment nicht so hin, das ist letztlich noch die große Hürde, also es klappt, aber auf einem sehr geringen Niveau, also in einem einstelligen Prozentsatz, also 1-2%. Und was sich dann auch noch herausstellt, diese künstlich gezüchteten Erythrozyten haben nicht ganz so die Flexibilität. Die haben eine etwas steifere Zellmembran und sind dann mit dem, was wir aus der Blutspende gewinnen, nicht zu vergleichen.
SPRECHERIN
Denn: Die Menge gezüchteter Erythrozyten passt in einen Fingerhut, mehr geht noch nicht, weder in Dresden noch weltweit. Zum Vergleich: Aus einem halben Liter gespendetem Blut isolieren die Forschenden einen Viertel Liter rote Blutkörperchen. Und der Prozeß, diesen Fingerhut voll künstlicher roter Blutkörperchen zu gewinnen ist nicht nur sehr langwierig und aufwendig, sondern auch extrem kostspielig.
TAKE 17 (O-Ton Tonn)
Trotzdem ist der Ansatz von Stammzellen auszugehen natürlich ganz toll, weil, dann hätten wir ja einen komplexen Erythrozyt. Ist fast nicht zu unterscheiden von dem, was der Körper selber bildet, in den Fällen, wo das klappt. Das heißt, wir müssen da die Effizienz erhöhen und wir müssen, das ist etwas, was wir auch gerade in meiner Arbeitsgruppe machen, wir müssen noch viel mehr lernen, welche Prozesse sind alle beteiligt, an diesem Prozess des Zellkernrausschmeissens, um dann hinterher dieses kernfreie rote Blutkörperchen zu haben.
SPRECHERIN
Einen Zellkern zu besitzen ist die Bedingung dafür, dass sich Zellen teilen und damit vermehren können. Da die Erythrozyten aber einen solchen Kern nicht mehr haben, lassen sie sich auch nicht in einem Nährmedium vermehren. Deshalb setzen Transfusionsmediziner Torsten Tonn und sein Team jetzt darauf, die unmittelbaren Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen herzustellen, die sich erst im Organismus zu naturidentischen, kernlosen Erythrozyten entwickeln. Aber auch diese Forschung kann noch keine spektakulären Erfolge aufweisen. Genauso wenig wie die Grundlagenforschung an Blutplättchen oder die Versuche, gespendetes Blut genetisch so zu verändern, dass es neutral ist und keine Abstoßungsreaktionen hervorruft. Deshalb sei die Blutspende nach wie vor unersetzlich, betont der Gießener Transfusionsmediziner Gregor Bein.
TAKE 18 (O-Ton Bein)
Es ist nach wie vor noch ein sehr weiter Weg. Ich bin davon überzeugt, man müsste sehr viel Geld in die Hand nehmen, um bei jungen Leuten für die Blutspende zu werben. Das ist eine ganz wichtige politische Aufgabe. Ich denke in 5-10 Jahren wird sich die Altersentwicklung unserer Bevölkerung wirklich bemerkbar machen und unsere Blutversorgung gefährden, denn Blut ist, Stand heute, durch nichts zu ersetzen.
Musik 12
"Transit" - Komponist: Geir Jenssen - Künstler: Biosphere - Album: Insomnia - Länge: 1'30
SPRECHERIN
Eine Einschätzung, die die Mehrheit der Transfusionsmediziner teilt. Bis es tatsächlich künstlich hergestellte Blutprodukte geben wird, die das natürliche Blut ersetzen können, werden noch mindestens 10-20 Jahre vergehen, so die übereinstimmende Annahme. Vielleicht wird es sogar nie möglich sein, diese hochkomplexe Zellentwicklung im Labor nachzuahmen. Deshalb brauchen wir ganz dringend ausreichend Blutspenden, sagt der Hamburger Transfusionsmediziner Sven Peine:
TAKE 19 (O-Ton Peine)
Und so ist dieses doch antiquiert anmutende Modell der Blutspende auch perspektivisch für die nächsten 20 Jahre Grundlage für ganz viele, allermodernste und alleraktuellste Medizin. Denn diese verrückten und innovativen Dinge. die wir tun, mit Zelltherapeutika, mit Chemotherapien, mit neuartigen Medikamenten, bringen mit sich, dass auch das Knochenmark in seiner Funktionalität in Mitleidenschaft gezogen wird und ich eben, nicht für immer, aber für eine bestimmte Zeit, Blutplättchen, Blutplasma oder Blutkörperchen ersetzen muss.