radioWissen - Bayern 2   /     Ăśberwachung, Spitzel, Zensur - Das "System Metternich"

Description

Nach den Napoleonischen Kriegen prägte Fürst Metternich die Neuordnung Europas. Sein Ziel: Stabilität um jeden Preis. Hinter der Fassade von Frieden und Restauration herrschten Zensur und Unterdrückung. Die Heilige Allianz erstickte lange Zeit jede Revolution. Von Robert Grantner

Subtitle
Duration
00:22:11
Publishing date
2025-02-10 15:10
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/ueberwachung-spitzel-zensur-das-system-metternich/2103167
Contributors
  Robert Grantner
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2103167/c/feed/ueberwachung-spitzel-zensur-das-system-metternich.mp3
audio/mpeg

Shownotes

Nach den Napoleonischen Kriegen prägte Fürst Metternich die Neuordnung Europas. Sein Ziel: Stabilität um jeden Preis. Hinter der Fassade von Frieden und Restauration herrschten Zensur und Unterdrückung. Die Heilige Allianz erstickte lange Zeit jede Revolution. Von Robert Grantner

Credits
Autor dieser Folge: Rober Grantner
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle, Oliver Stokowski, Jerzy May
Technik: Robin Auld
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Dr. Alexandra Bleyer
Prof. Wolfram Siemann

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Literatur:

Siemann, Wolfram: Metternich - Stratege und Visionär. Eine Biografie. Erschienen im C.H.Beck Verlag

Bleyer, Alexandra: Das System Metternich: Die Neuordnung Europas nach Napoleon. Erschienen im primus Verlag

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ZITATOR 1 (Metternich): 

„Die Nachwelt wird mich beurteilen; das einzige Urteil, nach dem ich geize, das Einzige, was mir nicht gleichgültig ist [,] und zugleich das einzige, das ich nie vernehmen werde.“ 

ERZĂ„HLERIN:

So schreibt Clemens Lothar Wenzel Fürst von Metternich im April 1820 in seinen „Denkwürdigkeiten“. Für den Mann, den seine Zeitgenossen als äußerst eitel und auf seinen Ruf bedacht beschreiben, wäre es wohl ein Graus, wüsste er um das Urteil, welches die Nachwelt bis heute über ihn fällt. Steht er doch mit seinem Namen für Überwachung, Unterdrückung der Pressefreiheit und Bespitzelung der eigenen Bevölkerung. Sogar von einem „System Metternich“ ist die Rede, das aufkeimende liberale und nationale Gedanken und revolutionäre Strömungen im Keim ersticken sollte, um die alte monarchische Weltordnung zu erhalten. Die hatte man 1815 auf dem Wiener Kongress mühsam wiederhergestellt. 

ATMO Kartons werden geöffnet

ERZĂ„HLERIN:

Knapp 200 Jahre später betritt Prof. Wolfram Siemann in Prag einen Raum, der bis unter die Decke vollgestopft ist mit mehr als 500 Kartons, die vor ihm noch kein Wissenschaftler je geöffnet hat. Voll mit Zeitschriften, geheimen Liebesbriefen und Originaldokumenten aus dem Wiener Kongress. Es ist das Familienarchiv Metternichs, das sich hier vor dem Historiker auftut. 

O-Ton 01 Prof. Wolfram Siemann:

Also das war fĂĽr mich das Grab des Tutanchamun. Was sehr selten ist bei Historikern des 19. Jahrhunderts, dass man noch an solche Ăśberlieferungen kommt.

ERZĂ„HLERIN:

Wolfram Siemann beginnt den Inhalt der Kartons auszuwerten. 24 schafft er pro Tag, fotografiert und dokumentiert jedes wichtig erscheinende Dokument und sammelt so Hunderte Gigabyte an Daten. 

O-Ton 02 Prof. Wolfram Siemann:

Kein Mensch hat diese Überlieferung bisher angeschaut. Das Ganze hat sieben Jahre gedauert, und da wird eben das Metternichbild auf ein ganz neues Fundament gesetzt. 

MUSIK 2

"Machination" - Album: J'accuse (Bande originale du film) - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'30

ERZĂ„HLERIN:

Wien, 1814/15. Metternich ist auf dem Höhepunkt seiner Macht. Als österreichischer Außenminister leitet er den Wiener Kongress – den Kongress, auf dem nach jahrelangen Kriegen und der Niederlage Napoleons die Landkarte Europas neu geordnet werden sollte. Dabei setzt er auch neue 

Maßstäbe in Sachen Diplomatie. 

Dr. Alexandra Bleyer, österreichische Historikerin: 

O-Ton 03 Dr. Alexandra Bleyer:

Er war sicher ein Vollblutdiplomat, ein großartiger Politiker, der die Fäden zu spinnen verstand, der gut mit anderen Leuten konnte, auf dem diplomatischen Parkett. Aber allen modernen liberalen, demokratischen Ideen nichts abgewinnen konnte. Reformen wollte er nur von oben und da wirklich nur mit Maß und Ziel. Ja keine Mitbestimmung, keine revolutionären Erschütterungen oder Reformen von unten.

Musik 3: 

"Machination" - Album: J'accuse (Bande originale du film) - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'18

ERZĂ„HLERIN:

Metternich will das alte monarchische System wiederherstellen und bewahren. Für ihn ist die alte Ordnung das Fundament für ein friedliches und stabiles Europa. Nie wieder sollte eine Macht so mächtig werden, dass sie gegen ein Bündnis der anderen gewinnen könnte. 

Musik 4

"Demonstration"- Album: Suffragette (Original Motion Picture Soundtrack) - 

Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'45

ERZĂ„HLERIN:

Als größte Bedrohung für die neue alte Ordnung sieht Metternich vor allem eines: Revolutionen. 

ZITATOR 1 (Metternich): 

„Wird die Frage gestellt, ob die Revolution ganz Europa überschwemmen wird, so möchte ich nicht dagegen wetten, aber fest entschlossen bin ich, bis zu meinem letzten Athemzuge gegen dieselbe zu kämpfen.“ 

ERZĂ„HLERIN:

Die Angst vor der Revolution, sie ist tief verwurzelt. Seine Familie stammt aus dem Rheinland, verliert während des Vormarschs der französischen Revolutionstruppen ihre Besitztümer und muss nach Wien fliehen. Dort macht Metternich Karriere: Gesandter in Berlin, Botschafter in Paris, schließlich Außenminister, Staatskanzler und Vorsitzender des Wiener Kongresses.

Musik 5

"Machination" - Album: J'accuse (Bande originale du film) - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'26

ATMO belebte Stadt

Der Wiener Kongress ist ein Mega-Ereignis, bei dem die 230.000-Einwohnerstadt aus allen Nähten platzt: Mehr als 100.000 Menschen aus der ganzen Welt kommen nach Wien. Mit im Gefolge der europäischen Großmächte: hunderte Spione. Und auch Gastgeber Metternich kann auf einen funktionierenden Spitzel-Apparat zurückgreifen, der schon lange vor seiner Zeit eingerichtet worden war. 

O-Ton 04 Dr. Alexandra Bleyer:

Da war natürlich eine Hochblüte der Spionage, weil da ging es ja um etwas. Da wollte man unbedingt wissen, was andere Gesandtschaften so besprachen. Wer sich mit wem traf. Da hatte man sowohl Vertraute höherer Stände, was wirklich Aristokraten die hiesigen Gesellschaft bewegten und dann gegen guter Bezahlung weiter berichteten, was sie so hörten. Oder auch in den Haushalten der Gesandtschaften oder Dienstboten eingeschleust, die wirklich die Mistkübel durchsucht haben, die Papiere, die zerrissenen, wieder zusammengefügt haben, belauscht haben.

ERZĂ„HLERIN:

Abgeschaut hat Metternich sich diese Methoden von seinem ärgsten Widersacher: Napoleon. Als Botschafter in Paris lernt er ihn und seine Politik hautnah kennen. Erkennt die Macht von Wissen, Propaganda und Zensur. 

ZITATOR 1 (Metternich):

„Die öffentliche Meinung ist […] das stärkste Machtmittel, das selbst in den verborgensten Winkel dringt, wo Regierungsanweisungen jeden Einfluss verlieren.“

ERZĂ„HLERIN:

Der Wiener Kongress wird seine diplomatische Glanzstunde. Er taktiert, schmiedet Bündnisse und trägt am Ende entscheidend zum Erfolg des Kongresses bei. Von einem Zeitgenossen wird Metternich als „Kutscher Europas“ bezeichnet, der die Zügel der internationalen Politik fest in der Hand hält. Und er gefällt sich durchaus in dieser Rolle, wie ein privater Briefverkehr zeigt: 

ZITATOR 1 (Metternich):

„Warum muss gerade ich unter so vielen Millionen Menschen der sein, der da denken soll, wo Andere nicht denken, handeln, wo Andere nicht handeln, und schreiben, weil es Andere nicht können.“ 

MUSIK 6

"Machination" - Album: J'accuse (Bande originale du film) - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'38

ERZĂ„HLERIN:

Der Wiener Kongress wird ein Prestigeerfolg und die gefassten Beschlüsse prägen Europa für die nächsten Jahrzehnte nachhaltig. Der Deutsche Bund entsteht und die Heilige Allianz zwischen Russland, Preußen und Österreich schafft ein Kräftegleichgewicht, das den Frieden in Europa sichert. Die Bildung von Ausschüssen und Expertengruppen gilt bis heute als Meilenstein der Diplomatie: die „Wiener Ordnung“ war ein neues politisches System internationaler Verbindungen, die auf ein Gleichgewicht der Großmächte ausgerichtet war. Nie wieder sollte ein neuer Napoleon die anderen Mächte unterwerfen können. 

Doch der Preis ist hoch: Innenpolitisch kommt es zum Stillstand, dringend notwenige Reformen werden nicht angepackt, weil Kaiser Franz von Veränderungen wenig hält.

ZITATOR 2 (Kaiser Franz):

„Ich will keine Neuerungen. Man wende die Gesetze gerecht an.“

ERZĂ„HLERIN:

Das Volk sollte weitestgehend aus der Politik herausgehalten und revolutionäre Tendenzen kleingehalten werden. 

MUSIK 7

"Demonstration"- Album: Suffragette (Original Motion Picture Soundtrack) - 

Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 1'16

ERZĂ„HLERIN:

Doch der Keim, der in der französischen Revolution gesät wurde, er blüht auch im neugegründeten Deutschen Bund weiter auf – ein loser Staatenbund von über 30 Staaten. Geheimbünde entstehen und auch in den neugegründeten Burschenschaften und Turnvereinen organisiert sich das Bildungsbürgertum, das nach Mitbestimmung und einer eigenen Verfassung strebt. 1819 erschüttert ein Attentat den Deutschen Bund. Der Theologiestudent und Burschenschafter Karl Ludwig Sand ersticht den russischen Generalkonsul August von Kotzebue, weil dieser in seinen Schriften gegen liberale und nationale Gedanken wettert und sich zum Teil über deren Anhänger lustig macht.  Nur wenige Monate später kommt es in Würzburg zu massiven antijüdischen Ausschreitungen, die sich in kürzester Zeit auf den gesamten Deutschen Bund und darüber hinaus bis nach Kopenhagen und Danzig ausweiten. In dieser aufgeheizten Atmosphäre treffen sich - auf Metternichs Einladung - Vertreter der zehn größten Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes zu einer Geheimkonferenz in Karlsbad. 

MUSIK 8

"Machination" - Album: J'accuse (Bande originale du film) - Komponist: Alexandre Desplat - Länge: 0'29

ERZĂ„HLERIN:

An deren Ende stehen drastische Repressionsmaßnahmen: Burschenschaften und Turnvereine werden verboten, liberale Professoren werden entlassen und mit Berufsverbot belegt, die Meinungsfreiheit wird eingeschränkt und die Zensur der Presse eingeführt. 

Bei den Beteiligten deutschen Königen und Fürsten rennt Metternich mit diesen Maßnahmen offene Türen ein. Dr. Alexandra Bleyer:

O-Ton 05 Dr. Alexandra Bleyer:

Die waren wirklich in Panik vor neuen Verschwörungen, vor neuen Revolutionen und haben dann ihm auch einen sehr schönen Dankesbrief geschrieben, wie froh sie sind, dass er die Zügel in die Hand nimmt, dass er hier Maßnahmen setzt, hier die Leitung übernimmt und für Ruhe und Ordnung sorgt.

ZITATOR 2 (Brief der FĂĽrsten):

„Als Sie […] das freche, unheilweissagende Geschrei zügelloser Schriftsteller und die Kunde einer Unthat vernahmen, da erkannten Sie mit derselben Klarheit den Grund des Uebels und die Mittel, ihm zu begegnen, und was wir hier vollbracht und ins Leben gerufen haben, ist nun die Verwirklichung dessen, was Sie schon damals gedacht.“

ERZĂ„HLERIN:

Alle schriftlichen Veröffentlichungen, die dünner waren als 20 Bogen, d.h. 320 Seiten, werden nun vorab zensiert. Zudem wird eine Central-Untersuchungs-Commission in Mainz eingerichtet. Die sogenannte „schwarze Kommission“ soll für den Deutschen Bund Studenten und vor allem Professoren an den Universitäten überwachen und revolutionären Umtrieben vorbeugen. Prof. Wolfram Siemann:

O-Ton 06 Wolfram Siemann:

Man könnte das mit modern begriffen als Nachrichtendienst oder Verfassungsschutz ansehen, also regierungsfeindliche Tendenzen zu registrieren und weiterzuverfolgen, im Sinne von in Beobachtung zu halten und dann gegebenenfalls auch zu unterdrücken. Dieses System, das war in der Hand von Metternich. 

O-Ton 07 Dr. Alexandra Bleyer:

Das war jetzt richtig Metternichs Geheimdienst. Dadurch wurde er zum bestinformiertesten Mann damals in Europa, mit Informationen aus anderen Hauptstädten. Ein richtiges Agentennetzwerk mit der Zusammenarbeit mit regionalen Polizeistellen, dann auch die der Überwachung der Verdächtigen diente.

Musik 8:

"Bodies" - Künstler: Martin Phipps & The Chamber Orchestra of London - Komponist: Martin Phipps - Album: The Crown: Season Three (Soundtrack from the Netflix Original Series) - Länge: 0'42

ERZĂ„HLERIN:

Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Zensoren und liberalen Schriftstellern. So veröffentlicht der Revolutionär Gustav Struve einen dicken Band, mit mehr als 320 Seiten, der folglich nicht zensiert wird. Darin abgedruckt allerdings: eine Sammlung seiner kürzeren Flugschriften, die in den Jahren zuvor allesamt zensiert wurden. Alle vormals zensierten Textpassagen lässt er mit roter Tinte drucken. Wirte bespitzeln ihre Gäste, in vermeintlich unpolitische Vereine werden verdeckte Beobachter eingeschleust und selbst der Briefverkehr von Vertrauten Metternichs wird regelmäßig abgefangen und geöffnet. 

O-Ton 08 Dr. Alexandra Bleyer:

Es war da schon die Rede von einem Polizeistaat, allerdings Polizei noch mit Y geschrieben. Und dieser Begriff der Polizey bezog sich vor allem auf innere Verwaltungsaufgaben...

Erzählerin:

Das Spitzelsystem war bemerkenswert – aber nicht ganz so konsequent, wie es Metternich sich vielleicht gewünscht hätte. 

Fortsetzung O-Ton 08

Die Zensur, die war löchrig wie ein Sieb, die war wirklich sehr durchlässig. Es hat doch das mit der Überwachung nicht immer so funktioniert, obwohl es freilich viele Verhaftungen gegeben hat, wenn jemand aufgespürt worden ist, ja im Geheimbund angehörte oder sehr viele literarische Exile haben geben müssen. Aber es war sicher nicht so strikt wie ein Polizeistaat in der heutigen Zeit. 

O-Ton 09 Wolfram Siemann:

Österreich hat erst 1849 eine Gendarmerie bekommen, das heißt, dieser zentrale Zugriff war nicht vorhanden. Und wenn dann von diesem allgemeinen Verwaltungsstaat gesprochen wird und wir heute Gestapo und Stasi assoziieren, da projizieren wir in die Vergangenheit etwas, was es nicht gegeben hat, nämlich ein Maß an staatlicher Integration und Verfolgungsfähigkeit, die gar nicht existent war. Man denke, man lebt in der Zeit der Postkutschen ohne Telegraph, wo es drei Wochen dauerte, teilweise oder manchmal eine Woche, wenn es schnell ging, bis überhaupt eine Nachricht übermittelt wurde, also vom Zarenhof zum Beispiel nach Wien mindestens 14 Tage. 

ERZĂ„HLERIN:

Spätestens auf Grund der Karlsbader Beschlüsse von 1819, in deren Folge die Universitäten überwacht, die Presse zensiert, die Burschenschaften verboten und liberal gesinnte Professoren mit Berufsverbot belegt werden, wird Metternich für seine politischen Gegner zum Feindbild Nummer 1. 

Musik 9

"Minecraft" - Album: Gold (The Original Score Soundtrack) - Komponist: Daniel Pemberton - Länge: 0'25

ERZĂ„HLERIN:

In einem Spottlied machen die Burschenschafter ihrer Wut Luft und bringen ihren Hass zum Ausdruck: 

ZITATOR 2 (Burschenschaftler):

„O Metternich, o Metternich,

du Höllenfürst der Lüge!

Ich wollte, daĂź ein Wetter dich

In Grund und Boden schlĂĽge!

Kanaille du im schlechten Sinn,

du Vaterlandsverräter!

Vor dir muß selbst der Teufel flieh’n,

du Fürst der Rabenväter!”

ERZĂ„HLERIN:

Es sind diese Stimmen, die Metternich schon zu seinen Lebzeiten dämonisieren und dem vorherrschenden politischen System seinen Namen verleihen. Und es sind auch diese Stimmen, die nach der Revolution von 1848 die historische Deutungshoheit erlangen. Während Metternich im Zuge der Revolution Hals über Kopf aus Wien nach England flieht, beginnt sich das Bild des Bösewichts zu verfestigen. Nicht zuletzt, weil auch die einstigen Befürworter seiner Politik ihn nun fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. 

O-Ton 10 Dr. Alexandra Bleyer:

Und es ist ja auch nicht so im Deutschen Bund, dass Metternich da jetzt der große Hexenmeister gewesen wäre und alle nach seiner Pfeife tanzen ließ. Sondern eher rannte er offene Türen ein mit dieser Überwachung, mit der Kontrolle, vor allem der Universitäten. Nur nach der Revolution 1848, als es eben Pressefreiheit gab, als der Rechts- und Verfassungsstaat in Angriff genommen worden ist, da ist es nicht mehr opportun, diese Ideen zu vertreten. Und da war Metternich nach seinem Sturz der bestgeeignete Sündenbock.

O-Ton 11 Wolfram Siemann:

Bisher war die erste Überlieferung, die das Metternich Bild geprägt hat, die der Opposition im Vormärz. Das waren die Demokraten, die Republikaner, die teilweise zensiert, auch verfolgt wurden. Und die haben eine Erklärung gab das war dieses System Metternich, ohne die eigentliche Politik zu kennen.

Also wenn man vom metternischen System spricht, geht man davon aus, das ist die Unterstellung, hier ist jemand, der ist allmächtig. Aber diese Allmacht hat nicht bestanden. Für die Innenpolitik war sein großer Rivale, Graf Kolowrat, zuständig. 

ERZĂ„HLERIN:

Staatsminister Franz Anton von Kolowrat-Liebsteinsky – er wurde zum mächtigen Gegenspieler Metternichs. Heute weiß man: er stellte Metternich innenpolitisch faktisch kalt. 

O-Ton 12 Dr. Alexandra Bleyer:

Der hätte sich sicher nicht zugestanden und auch nicht öffentlich eingestanden, dass er in der Habsburgermonarchie selbst in Wien an Machteinbußen litt. Er hat darüber geklagt, dass er über innenpolitische Vorgänge nicht einmal mehr Informationen bekam. Das war ein richtiger Machtkampf dieser beiden Männer, die er eben auch zum innenpolitischen Stillstand in Österreich führte 

ERZĂ„HLERIN:

Es ist also Metternichs Eitelkeit, die verhinderte, dass davon etwas nach außen hätte dringen können und ihn in ein anderes Licht gerückt hätte. Er gefällt sich besser in der Beschreibung der Allmacht, die ihm seine Gegner andichten und trägt dadurch selbst erheblich dazu bei, dass dieses Narrativ lange Zeit Bestand hat. 

O-Ton 13 Dr. Alexandra Bleyer:

Damit ist das schwierig: System Metternich, das hat sich halt in der Geschichtsschreibung bei den Zeitgenossen so richtig festgesetzt. Das ist ein Begriff. Man kann sich sofort etwas darunter vorstellen, aber es trifft nicht den Kern. Metternich war ein wichtiges Rad im Getriebe, aber für die Habsburgermonarchie müsste man fast mehr von einem System Kaiser-Franz sprechen, denn er war es eigentlich der diesen Kurs vorgegeben hat. 

Erzählerin:

Mehr noch: Selbst wenn Metternich etwas anderes gewollt hätte, hätte er wohl keine Chance gehabt: 

Fortsetzung O-Ton 

Der war ich ja nicht allmächtig. Er war zwar der Haus-, Hof- und Staatskanzler, aber über ihn war Kaiser Franz und der war ja richtig stockkonservativ, reaktionär, engstirnig, pedantisch kontrollsüchtig. Also Metternich hätte gar nicht sehr viel weiter gehen können mit Reformen.

ERZĂ„HLERIN:

Tatsächlich erkennt Metter nich sogar schon 1817 einen Reformstau im Vielvölkerstaat Österreich und unterbreitet dem Kaiser Reformvorschläge.

O-Ton 14 Dr. Alexandra Bleyer:

Und die typische Wiener Antwort darauf war: schau ma mal! Also rein mit dem Plan in die Schublade und auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. 

Musik 10

"Bodies" - Künstler: Martin Phipps & The Chamber Orchestra of London - Komponist: Martin Phipps - Album: The Crown: Season Three (Soundtrack from the Netflix Original Series) - Länge: 0'39

ERZĂ„HLERIN:

War Metternich also kein erzkonservativer Reaktionär, der nur darauf bedacht war, die Menschen auszuspionieren und jeden Wandel zu unterbinden? War er gar ein reformbereiter „Stratege und Visionär“, wie Wolfram Siemann seine Biographie betitelt hat? Er stützt seine These vor allem auf bislang unerforschte Dokumente, privaten Briefverkehr oder auch ein Tagebuch, das Metternich als 18-Jähriger während einer England-Reise verfasst hat und in dem er sich als begeisterter Verehrer der englischen Verfassung zeigt. 

O-Ton 15 Wolfram Siemann:

Da schreibt er in einem Brief an seine Geliebte, dass man sich wünscht, in drei Tagen dieses englische Modell in der Verfassung auch auf Deutschland zu übertragen und in Österreich anzuwenden. Das geht nicht bei einem Staat mit acht oder zehn Nationalitäten, die einander hassen. 

Erzählerin: 

Die Habsburger Monarchie ist im 19. Jahrhundert ein bunter Vielvölker-Staat. Allein 11 Sprachen sind offiziell anerkannt. Für Metternich ist klar: das kann nur in einer Monarchie funktionieren.

Fortsetzung O-Ton 15

Er sah also, dass die staatliche Integration zentrifugal, also zerstörerisch wirkt, weil die Nationalitäten nicht zueinander finden. 

Es ist ihm oft vorgeworfen worden, Volkssouveränität sei für ihn etwas, was er hassen würde. Er kannte das Prinzip der Volkssouveränität und sagt in Amerika kann das funktionieren, aber nicht in Österreich, in der Habsburgermonarchie. Das würde voraussetzen, dass man einen Nationalitäten über alle anderen stellen müsste. Und das ist nicht zu rechtfertigen, auch die deutsche nicht. Deshalb sollen die Nationalitäten nebeneinander existieren und können nicht in ein zentrales Parlament, sondern da soll regionale Partizipation reichen.

ERZĂ„HLERIN:

Metternich selbst lehnt den Begriff „System Metternich“ Zeit seines Lebens ab, spricht lieber von „Grundsätzen“ und einer gottgewollten „Weltordnung“.  

Er ist und bleibt ein Mann des „Ancien Régime“, der alten Ordnung und ein Gegner der Demokratie, weil er am Urteilsvermögen des Volkes zweifelt. Ein Mann, dessen politisches Wirken in eine Zeit des Wandels fällt, zwischen Restauration der absolutistischen Monarchien und der Moderne. 

Für die Nachwelt bleibt Fürst von Metternich eine streitbare historische Figur, deren Wirken bis in die heutige Zeit ausstrahlt. 

Musik 11

"Bodies" - Künstler: Martin Phipps & The Chamber Orchestra of London - Komponist: Martin Phipps - Album: The Crown: Season Three (Soundtrack from the Netflix Original Series) - Länge: 0'43

ZITATOR 1 (Metternich):

„Wenige Menschen haben mich begriffen und wenige begreifen mich noch heute. Mein Name ist mit so vielen ungeheuren Ereignissen verbunden, dass er unter ihrem Geleite auf die Nachwelt übergehen wird. Ich sage dir: in hundert Jahren wird der Geschichtsschreiber mich ganz anders beurteilen als alle die, die heute mit mir zu tun haben.“

ERZĂ„HLERIN:

Und die Historiker? Wie blicken sie heute, gut 200 Jahre nach seiner einflussreichsten Zeit als europäischer Politiker auf Metternich?

O-Ton 16 Alexandra Bleyer

Also verherrlichen würde ich ihn auf keinen Fall. Für mich ist es auch eine ambivalente Persönlichkeit mit sehr vielen Grautönen. 

Stratege war er sicher, strategisches Denken, das hatte er auch, dieses weitblickende Denken, visionär sicher auch in gewisser Hinsicht. Aber wie gesagt, auf der anderen Seite, wenn wir von unseren heutigen Werten ausgehen, von einer Demokratie, vom Rechtsstaat, vom Verfassungsstaat, von Pressefreiheit, von Grundrechten - das sind ganz, ganz wichtige Elemente, die ich auf keinen Fall missen möchte. Für die hat er wenig Verständnis gehabt.

O-Ton 17 Wolfram Siemann

Ich war froh, sieben Jahre einem bornierten Idioten zu widmen, waren nicht die schönsten sieben Jahre meines Lebens, aber wenn sich herausstellt, dass er ein hochintelligenter, reflektierter Mann war, belesen, sogar wissenschaftlich reflektierend, was politische Vorgänge angeht, dann hat sich es doch gelohnt.Â