radioWissen - Bayern 2   /     Die Underground Railroad - Wie ein geheimes Netzwerk Sklaven befreite

Description

Über einen Zeitraum von knapp 400 Jahren hĂ€lt sich in den USA das System der Sklaverei. Von Beginn an streben versklavte Menschen nach einem Leben in Freiheit und WĂŒrde. Ein geheimes Netzwerk hilft ihnen dabei, die Fesseln der Sklaverei abzustreifen: die Underground Railroad. Von Susanne Hofmann

Subtitle
Duration
00:22:59
Publishing date
2025-02-13 03:30
Link
https://www.br.de/mediathek/podcast/radiowissen/die-underground-railroad-wie-ein-geheimes-netzwerk-sklaven-befreite/2103264
Contributors
  Susanne Hofmann
author  
Enclosures
https://media.neuland.br.de/file/2103264/c/feed/die-underground-railroad-wie-ein-geheimes-netzwerk-sklaven-befreite.mp3
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Shownotes

Über einen Zeitraum von knapp 400 Jahren hĂ€lt sich in den USA das System der Sklaverei. Von Beginn an streben versklavte Menschen nach einem Leben in Freiheit und WĂŒrde. Ein geheimes Netzwerk hilft ihnen dabei, die Fesseln der Sklaverei abzustreifen: die Underground Railroad. Von Susanne Hofmann

Credits
Autorin dieser Folge: Susanne Hofmann
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Christian Baumann, Caroline Ebner, Benhamin Stedler
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Iska Schreglmann

Im Interview:
Prof. Michael Hochgeschwender, Professor fĂŒr Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie an der Ludwig-Maximilians-UniversitĂ€t MĂŒnchen
Dr. Heike Raphael-Hernandez, American Studies, UniversitĂ€t WĂŒrzburg

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Hintergrundinformationen aus der Aufzeichnung von William Still
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Das vollstÀndige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

ERZÄHLER

Einer der ehemals reichsten MĂ€nner der Vereinigten Staaten von Amerika steckte Mitte des 19. Jahrhunderts in der Klemme: Durch seinen extravaganten Lebensstil, riskante GeschĂ€fte, aber auch aufgrund seiner Spielsucht hatte Pierce Mease Butler sein betrĂ€chtliches Erbe verjubelt – immerhin rund 20 Millionen US-Dollar nach heutiger Rechnung. Ihm stand das Wasser bis zum Hals, und 1859 sah er sich zu einem drastischen Schritt genötigt: Er musste nicht nur das Familienanwesen verkaufen, sondern auch einen Großteil seines sogenannten „beweglichen Eigentums“: 

ERZÄHLERIN

Gemeint waren 460 Sklaven, die seine riesigen Tabak-, Reis- und Baumwollplantagen in Georgia bewirtschafteten. Sie sollten unter den Hammer kommen, bei einer der grĂ¶ĂŸten Sklaven-Auktionen, die es je auf US-amerikanischem Boden gab. Schon Wochen vorher ließ Butler in Annoncen dafĂŒr werben, in denen – das hier als Vorwarnung – rassistische Begriffe verwendet wurden. Wir geben solche Bezeichnungen in dieser Sendung aus dokumentarischen GrĂŒnden so wieder. Im Februar 1859 erschien in der Zeitung The Savannah Republican folgender, hier ĂŒbersetzter, Text:

ZITATOR: 

Zu verkaufen: Eine Gruppe von 460 Negern, die an den Anbau von Reis und Nahrungsmitteln gewöhnt sind. Darunter eine Anzahl guter Mechaniker und Hausbediensteter. Werden am 2. und 3. MÀrz in Savannah verkauft. Verkaufsbedingungen: ein Drittel Barzahlung. Menschen, die diese Neger begutachten wollen, finden diese an der Pferderennbahn. 

ERZÄHLER

Bereits Tage vor dem Großereignis waren die Hotels in Savannah ausgebucht, in den Bars gab es nur noch ein Thema, und die Interessenten pilgerten in Scharen zu den PferdestĂ€llen am Rande der Rennbahn. Dort waren die versklavten Menschen notdĂŒrftig untergebracht und konnten vorab von ihren kĂŒnftigen EigentĂŒmern schon einmal inspiziert werden. Ein Reporter der New York Tribune war extra aus dem Norden angereist, um die Auktion zu beobachten. 

ZITATOR

Die Neger wurden mit so wenig RĂŒcksicht untersucht, als ob es sich um Vieh handelte. Die KĂ€ufer zogen ihre MĂŒnder auf, um ihre ZĂ€hne zu sehen, kniffen ihre Gliedmaßen, um festzustellen, wie muskulĂ€r sie waren, ließen sie hin- und hergehen, um Anzeichen von Lahmheit zu erkennen, zwangen sie dazu, sich zu bĂŒcken und zu strecken, um sicherzugehen, dass sie keine versteckten Wunden hatten.

ERZÄHLERIN

FĂŒr den verarmten Sklavenhalter Pierce Mease Butler lohnte sich die Auktion. Der Verkauf der Sklavinnen und Sklaven brachte ihm mehr als zehn Millionen Dollar ein. Damit konnte er seinen Bankrott abwenden und sich wieder einem sorglosen Leben hingeben. FĂŒr die versklavten Menschen jedoch war die Versteigerung in Savannah ein traumatisches Erlebnis, das unter dem Begriff „The Weeping Time“ Eingang ins kollektive afroamerikanische GedĂ€chtnis fand. 

Musik 2: Look down, Lord – 43 sek

ERZÄHLER

The Weeping Time – frei ĂŒbersetzt in etwa „Zeit der TrĂ€nen“: Familien wurden zerrissen, Ehepartner kamen zu verschiedenen neuen Besitzern, Kinder wurden von ihren Eltern getrennt, die einstige Schicksalsgemeinschaft verstreut ĂŒber alle SĂŒdstaaten – eine erschĂŒtternde Erfahrung, die nicht nur die Sklaven des MillionĂ€rs Butler machen mussten, sondern Hunderttausende anderer schwarzer Menschen in den USA. In den 100 Jahren zwischen 1760 und 1860 wurden um die 1,2 Millionen Sklaven auf dem US-amerikanischen Markt verkauft. 

MUSIK aus

ERZÄHLERIN

Verkörpert wurde dieses Grauen durch den slave auction block - das Sklaven-Versteigerungspodest: Darauf mussten sich die versklavten Menschen bei einer Verkaufsaktion stellen, damit die Bieter sie besser mustern konnten. Auf den Plantagen drohten viele Sklavenhalter ihren Sklaven mit ihrer Versteigerung, um sie einzuschĂŒchtern und zur Arbeit anzutreiben. Doch mit ihren Drohungen bewirkten sie bisweilen auch das Gegenteil.

ZITATOR

Das Versteigerungspodest förderte indirekt die Bereitschaft, ihre Flucht anzutreten. Die Schrecken dieses Podests und die herzzerreißenden Trennungen, die man hier den UnterdrĂŒckten aufzwang, lassen sich nicht beschreiben.

Musik 3: Genesis – 1:14 Min

ERZÄHLER

So heißt es in der Dokumentation „The Underground Railroad – A record“ aus dem Jahre 1872 – einer Sammlung Hunderter Zeugnisse ehemaliger Sklaven, die ihren Weg in die Freiheit schildern. Kommentiert und herausgegeben hat sie William Still, ein prominenter afro-amerikanischer Gegner der Sklaverei und BĂŒrgerrechtler. Er selbst wurde als Kind versklavter Eltern in Philadelphia im Norden der USA geboren und verschrieb sein Leben der Befreiung von Sklaven. Er soll mindestens 650 Afroamerikanern auf ihrer Flucht aus den SĂŒdstaaten geholfen haben. Ihre Briefe und Aufzeichnungen hat er gesammelt, seine eigenen EindrĂŒcke von den Begegnungen mit den FlĂŒchtigen festgehalten. 

MUSIK aus

ERZÄHLERIN

William Still gilt als der Vater der sogenannten Underground Railroad. Diese Underground Railroad verlief weder unterirdisch, noch handelte es sich dabei um eine Eisenbahn. Vielmehr war sie ein informelles Netzwerk, das dabei half, versklavte Afroamerikaner aus den SĂŒdstaaten in die Freiheit zu schleusen – in die Staaten nördlich des Ohio-Rivers oder bis hinauf nach Kanada. Über geheime Routen, SchutzhĂ€user, mit der UnterstĂŒtzung von Fluchthelfern und verschlĂŒsselter Kommunikation gelang es, ĂŒber rund ein Jahrhundert schĂ€tzungsweise 100.000 von ihnen zu befreien, so der Amerikanist, Professor Michael Hochgeschwender von der Ludwig-Maximilians-UniversitĂ€t:

1. ZUSPIELUNG Hochgeschwender

Das begann in den 1780er Jahren, als Nordstaaten die Sklaverei abgeschafft haben. Dadurch wird es ja ĂŒberhaupt erst interessant, solange die Sklaverei auch im Norden – vor allen Dingen Pennsylvania, New York, Massachusetts, legal war – solange war es von keinem Interesse, in den Norden zu fliehen.

ERZÄHLER

Ein halbes Jahrhundert spĂ€ter, mit Anbruch des Eisenbahnzeitalters, etablierte sich fĂŒr das geheime Fluchtwegenetz der Begriff Underground Railroad. Die flĂŒchtigen Sklaven waren fĂŒr ihre EigentĂŒmer wie vom Erdboden verschluckt. Um die AktivtĂ€ten der Underground Railroad zu beschreiben, wurden Eisenbahn-Metaphern verwendet, sagt der Amerikanist Michael Hochgeschwender:

  2. ZUSPIELUNG Hochgeschwender 5.01

Also da gab es den Stationmaster, das waren Personen, bei denen die Schwarzen untergekommen sind, also die FlĂŒchtlinge. Es gab den Executer, das war derjenige, der- oder diejenige, es gab auch viele Frauen darunter, die die Sklaven dann von Ort zu Ort brachten und ĂŒber die Grenze geschmuggelt hatten. Es gab die Schwarzen als Passengers, und es gab die Trains, das war die eigentliche Route, und Terminal war der Ort, wo man dann ankommen sollte, zwischendrin die Stations, die von den Stationmaster kontrolliert worden sind. Es war ein ziemlich breites Netzwerk, man kennt heute um etwas ĂŒber 3.000 Menschen, die mindestens daran beteiligt waren, mit einem ganz starken Anteil von QuĂ€kern.

ERZÄHLERIN

Die religiöse QuĂ€ker-Bewegung betrachtete die Sklaverei als SĂŒnde. FĂŒr diese GlĂ€ubigen waren alle Menschen, gleich welcher Hautfarbe und Herkunft, Geschöpfe Gottes. Und so setzten sie sich schon frĂŒh fĂŒr die Befreiung der versklavten Menschen ein. Sie waren im Norden der USA auch die Hauptgeldgeber fĂŒr die Underground Railroad. Mit ihrer Hilfe wurde fĂŒr die Verpflegung der FlĂŒchtlinge, fĂŒr ihre Kleidung, ihren Transport und fĂŒr UnterkĂŒnfte bezahlt. Unterschlupf fanden die entflohenen Sklaven auch bei Privatleuten oder in Kirchen oder Schulen. Manchmal blieben sie nur einen Tag und ruhten sich aus, um ihre Flucht dann in der nĂ€chsten Nacht fortzusetzen. Manchmal zwangen sie die UmstĂ€nde auch dazu, viele Wochen in einem sogenannten Safe-House auszuharren. 

Musik 4: Slightly
 – 36 Sek

ERZÄHLER

Die FlĂŒchtigen waren meist ohne einen Penny in der Tasche unterwegs, schlugen sich durch die Wildnis, versteckten sich im Wald, in Scheunen oder als blinde Passagiere auf GĂŒterwaggons. Es gibt Berichte ĂŒber Sklaven, die sich in einer Kiste als Frachtgut verschicken ließen. In jedem Fall riskierten versklavte Menschen mit der Flucht ihr Leben. Schließlich galt ihr unerlaubtes Entfernen von ihren weißen Herren als Diebstahl. Diejenigen, die erwischt und wieder zurĂŒckgebracht wurden, wurden hart bestraft, sagt Dr. Heike Raphael-Hernandez, Amerikanistin an der UniversitĂ€t WĂŒrzburg. Sie forscht zur Geschichte der Sklaverei in den USA.

3. ZUSPIELUNG Raphael-Hernandez 10.04 

„FĂŒr diese sklavenhaltende Gesellschaft war es so wichtig, dass, wenn ein Sklave oder eine Sklavin weggerannt ist, zu zeigen: Wir bekommen den zurĂŒck, und der wird richtig heftig bestraft, da gab‘s auch diese Slave-Codes, in der Karibik waren die wirklich ganz schlimm, also wenn einer einmal wegrennt, wird ihm ein Bein abgehackt, wenn er das zweite Mal wegrennt, wird ihm zwei Beine abgehackt, um den anderen zu zeigen: Ihr dĂŒrft nicht wegrennen, wir werden ganz brutal mit euch umgehen, wenn ihr das macht“

ERZÄHLERIN

In den sogenannten Slave Codes oder Sklavengesetzen regelten die Kolonialisten im SĂŒden den Umgang mit den Menschen afrikanischer Herkunft. Man verwehrte ihnen sĂ€mtliche Rechte, die fĂŒr weiße Menschen selbstverstĂ€ndlich waren: das Recht, sich frei zu bewegen, GeschĂ€fte abzuschließen oder einen selbstgewĂ€hlten Partner zu heiraten, das Recht auf Eigentum, ja selbst das Recht auf Selbstverteidigung. Jede Übertretung des engen Regelkorsetts war mit harten Strafen bewehrt. Schwarze galten damals schließlich nicht als Personen, sondern als Sache. Schutz genossen sie lediglich als Eigentum weißer Menschen. Wer ihnen zur Flucht verhalf, vergriff sich demnach am Besitz anderer. Und so drohten auch den Fluchthelfern drakonische Strafen. 

ATMOS Dschungel, Fluss, Paddelboot

ERZÄHLER

Menschen wie Seth Concklin beispielsweise, der 1851 eine Mutter mit ihren drei Kindern aus Alabama nach Cincinnati in Ohio retten will. Ihr Ehemann und Vater ist schon freigekommen, jetzt will Concklin die Familie nachholen. Sieben Tage und NĂ€chte rudert er seine vier SchĂŒtzlinge in einem einfachen Kahn flussabwĂ€rts gen Norden. 

ZITATOR

Zu ihrer Sicherheit versuchte er seine Fracht zu verbergen, indem er sie sich flach auf den Boden des Bootes legen ließ und unter Decken versteckte. 

ERZÄHLERIN

Doch alle Vorsichtsmaßnahmen helfen nicht, drei Staaten weiter nördlich, in Indiana, entdeckt man die FlĂŒchtigen. Die Familie wird zurĂŒck zu ihrem EigentĂŒmer gebracht, und ĂŒber ihren Fluchthelfer Concklin ist bald in der Zeitung zu lesen:

ZITATOR

Den weißen Mann, der im Zusammenhang mit der Gefangennahme der Familie verhaftet wurde, fand man ertrunken im Fluss, an HĂ€nden und FĂŒĂŸen gefesselt, sein SchĂ€del war gebrochen. Und es besteht kein Zweifel, er wurde auch gefesselt am Flussufer begraben.

ERZÄHLER

Sein Schicksal teilten damals viele Fluchthelfer. In den SĂŒdstaaten setzte man auf Abschreckung – je mehr Menschen sich in den freien Nordstaaten der Abolitionisten-Bewegung anschlossen, also fĂŒr Abschaffung der Sklaverei kĂ€mpften, desto rigider hielt man im SĂŒden dagegen. Gesetze stellten AufstĂ€nde und Fluchtversuche unter harte Strafen, weiße Milizen sorgten fĂŒr deren Durchsetzung. Der Amerikanist Michael Hochgeschwender:

4. ZUSPIELUNG Hochgeschwender 

Das Mindeste war die Vernichtung der ökonomischen Existenz derjenigen, die da erwischt wurden, wenn sie als Aktivisten unterwegs waren, aber das konnte auch sehr viel brutaler werden, also die SĂŒdstaatengesellschaft war sehr gewaltorientiert, insofern ließ man sich besser nicht erwischen.

Musik 5: Betrayal – 1:04 Min

ERZÄHLERIN

1850 trat der Fugitive Slave Act in Kraft, ein Bundesgesetz, das die Nordstaaten dazu verpflichtete, entflohene Sklaven festzunehmen und wieder zurĂŒck zu ihren EigentĂŒmern in den SĂŒden zu schicken. Seit dieser Zeit mussten sich entflohene Sklaven bis hinauf nach Kanada durchschlagen, um wirklich in Sicherheit zu sein. Das Gesetz trug zur wachsenden Spannung zwischen dem Norden und dem SĂŒden bei, die dann 1861 in den BĂŒrgerkrieg mĂŒndete

ZITATOR

300 Dollar Belohnung. Mein mĂ€nnlicher Sklave Tom Matthews, wohnhaft in Bladensburg, Maryland, rannte fort. Er ist circa 25 Jahre alt, ungefĂ€hr 1,75 groß, dunkle Hautfarbe, buschiges Haar, breites Gesicht, hohe Wangenknochen, breite Schultern, aufrechte Haltung. Wer ihn mir zurĂŒckbringt oder im GefĂ€ngnis festsetzt, erhĂ€lt die obengenannte Belohnung. 

ERZÄHLER

Auf entflohene Afroamerikaner wurden Kopfgelder ausgesetzt. Davon zeugen Tausende Zeitungsannoncen mit Vermisstenanzeigen. Es entwickelte sich ein eigener GeschĂ€ftszweig: SklavenjĂ€ger, die davon ihren Lebensunterhalt bestritten, entlaufene Sklaven aufzuspĂŒren und entweder ins GefĂ€ngnis oder zurĂŒck zu ihren Herren in den SĂŒden zu bringen. FĂŒr sogenannte „Passagiere“ wie Helfer der Underground Railroad hieß das: Sie mussten alle nur erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. So gab es keine zentrale Leitung, niemanden, der das ganze Netzwerk ĂŒberblickte und alle Akteure kannte. Vielmehr operierten einzelne Zellen weitgehend unabhĂ€ngig voneinander. Michael Hochgeschwender:

5. ZUSPIELUNG Hochgeschwender 22:27

So ein bisschen so wie SchlĂ€ferzellen beim Geheimdienst oder Terrorzellen. Also eine kleine Gruppe untereinander kannte sich, damit man möglichst wenig verraten konnte, und das war ein Netzwerk, das sich ja immer ausdehnte. Also einer aus dieser Zelle knĂŒpfte dann Kontakt mit einer anderen Zelle und stellte fest: Ah, da sind auch Leute. Und wenn ich jetzt Stationmaster bin, schicke ich meine Sklaven, entflohenen Sklaven, meine Passengers, schicke ich dann zum nĂ€chsten Stationmaster, der ist wiederum in einer Zelle, die Kontakt hat zu weiter im Norden gelegenen Zellen. 

Musik 6: Genesis – siehe vorn – 55 Sek

ERZÄHLERIN

SĂŒdstaatler versuchten immer wieder, das Netzwerk zu infiltrieren, es bestand also stĂ€ndig die Gefahr, dass ein Mitglied einer Zelle fĂŒr die Sklavenhalter arbeitete. Doch dank der Zellenstruktur wurde selbst in diesen FĂ€llen nie die ganze Railroad gefĂ€hrdet, sondern jeweils nur eine Zelle. Dann musste man sich eine andere Zelle suchen, ĂŒber die man dann die Passagiere nach Norden transportieren konnte. Es galt der Grundsatz: Die linke Hand durfte nicht wissen, was die rechte tat. Aus Vorsicht kannten die Helfer oft nicht einmal die Namen der FlĂŒchtenden. In Briefen bediente man sich einer verschlĂŒsselten Sprache, um sich ĂŒber die Logistik und organisatorische Dinge auszutauschen. Schließlich musste man immer damit rechnen, ausgespĂ€ht zu werden. 

ZITATOR

Wahrscheinlich sind Sie etwas beunruhigt, weil die Waren aus Harrisburg am Montagabend nicht sicher hier angekommen sind. Da hier derzeit Aufregung um Waren ihrer Art herrscht, haben wir es fĂŒr klĂŒger erachtet, sie bei uns zu behalten, bis wir Nachricht von Ihnen hatten. Es handelt sich um zwei kleine und zwei große Pakete. 

ERZÄHLER

Zwei kleine und zwei große Pakete – also zwei Kinder und zwei Erwachsene. 

MUSIK 7: My Lord Sunshine – 40 Sek

ERZÄHLERIN

Im SĂŒden der USA galten Sklaven als bedeutender Wirtschaftsfaktor – die erste HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts kann man als Hochzeit der Sklaverei bezeichnen. Baumwolle wurde zum Exportschlager der SĂŒdstaaten, denn mit der Industrialisierung wuchs in Europa die Nachfrage. Um damit Schritt halten und zugleich erschwingliche Preise anbieten zu können, hielt man die kostenlosen ArbeitskrĂ€fte auf den Baumwollplantagen fĂŒr unverzichtbar. Plantagenbesitzer sahen die Sklaven als ihr Kapital an, das es zu schĂŒtzen galt. 

6. ZUSPIELUNG Hochgeschwender 17.20 

Und wenn eine Plantage von der Flucht Vieler betroffen war, war das ökonomisch schon ein ziemlicher Schaden. Deswegen im SĂŒden, da gab es diese Streifen-Miliz, die durch die Gegend gezogen ist und nach geflohenen Sklaven vor allem auf dieser Underground-Railroad gesucht hat 
 und gerade wenn ganze Familien verschwanden mit Kindern, dann konnte man ziemlich sicher sein: Die sind mit der Underground Railroad unterwegs. Und dann wurde wohl auch KopfgeldjĂ€ger dort auch angesetzt.

Musik 8: Genesis – siehe vorn – 50 Sek

ERZÄHLER

Es war also höchste Vorsicht geboten. Und nach den Beobachtungen des Vaters der Underground Railroad, William Still, war eine Flucht auch nicht jedermanns Sache:

ZITATOR

Es muss kaum erwĂ€hnt werden, dass die Passagiere der Underground Railroad in der Regel körperlich wie intellektuell dem Durchschnitt der Sklaven ĂŒberlegen waren. Sie waren wild entschlossen, Freiheit zu erlangen, selbst um den Preis ihres Lebens. 

ATMO Grillen

ERZÄHLERIN

Bevorzugt versuchten Sklaven, nachts zu entwischen, im Schutze der Dunkelheit. Dann wurde ihr Fehlen erst am nĂ€chsten Tag bemerkt und sie hatten einen Vorsprung von einigen Stunden, bevor sich die EigentĂŒmer an ihre Fersen heften oder ihre Hunde auf sie ansetzen konnten. Um diese abzuschĂŒtteln, versuchten manche Sklaven ihre FĂ€hrten zu verwischen, indem sie ihre Schuhe mit Terpentin benetzten oder einen Weg durch die SĂŒmpfe nahmen. 

ERZÄHLER

Die Fliehenden orientierten sich am Polarstern, der ihnen den Weg nach Norden wies. Die Mehrzahl der Sklaven konnte weder lesen noch schreiben. Denn in vielen SĂŒdstaaten war es verboten, ihnen Lesen und Schreiben beizubringen. Ohne Hilfe von Weißen oder freien Schwarzen im Norden waren ihre Erfolgsaussichten auf der Flucht gering. FĂŒr die Amerikanistin Heike Raphael-Hernandez von der UniversitĂ€t WĂŒrzburg verdankt die Underground Railroad ihren Erfolg der Zusammenarbeit von schwarzen und weißen AnhĂ€ngern der Sklavenbefreiung:

7. ZUSPIELUNG Hernandez 4.44 

Die Underground Railroad wurde sehr lange als Initiative von weißen kirchlichen Gruppen gesehen. Also die QuĂ€ker sind ja sehr, sehr wichtig, 
 Heute sagen wir eigentlich, wenn wir zurĂŒckblicken auf die Geschichte: Das war ein gemeinsames Handeln. Also die QuĂ€ker haben nicht einfach die Underground Railroad erfunden, das ist ein gemeinsames Handeln 
 Und dieses System ist ja ein faszinierendes System. Dass das funktioniert hat, hat ganz, ganz stark was auch mit freien African-Americans, versklavten Africans zu tun, die wussten, wo geht das hier lang, wo kann man dort was wissen? 
 6:36 im Großen und Ganzen ist, dass die Rolle der African-Americans eine sehr fĂŒhrende war.

ERZÄHLERIN

Die Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten mit der lange gehegten Legende vom White Savior oder Weißen Retter aufgerĂ€umt. Also der Vorstellung, die befreiten Sklaven hĂ€tten ihre Freiheit vor allem gutherzigen weißen Helfern zu verdanken. Unter den schwarzen Fluchthelfern sind unzĂ€hlige Namenlose und solche, die lĂ€ngst in Vergessenheit geraten sind. 

ATMO „Negro-Spirituals (Frau) –  47 Sek

ERZÄHLER

An andere erinnert man sich, weil sie besonders Heldenhaftes geleistet haben – allen voran Harriet Tubman. Sie war selbst eine Sklavin, der Mitte des 19. Jahrhunderts die Flucht gelang. Danach ging sie noch rund ein Dutzend Mal wieder zurĂŒck in den SĂŒden und nahm jedes Mal eine Gruppe sogenannter „Passagiere“ mit.Auf die Weise verhalf sie insgesamt 70 Menschen in die Freiheit. Unterwegs pflegte die tiefglĂ€ubige Tubman Spirituals zu singen. Drohte Gefahr, warnte sie ihre Mitreisenden, indem sie den Text der Lieder entsprechend abwandelte. Man nannte sie Moses – nach dem biblischen Moses, der sein Volk aus der Ă€gyptischen Gefangenschaft fĂŒhrte. 

ZITATORIN

Ich war acht Jahre lang Conductor der Underground Railroad, und ich kann sagen, was die meisten Conductor nicht von sich behaupten können: Mein Zug ist nie entgleist und ich habe nie einen Passagier verloren.

ERZÄHLERIN

WĂ€hrend des Amerikanischen BĂŒrgerkrieges verliert sich die Spur der Underground Railroad. Viele Sklaven nutzen die Wirren des Krieges, um wegzulaufen, andere schließen sich den Unionstruppen aus dem Norden an. Mit dem Ende des BĂŒrgerkrieges 1867 wird die Sklaverei in ganz Amerika aufgehoben. Damit ist jedoch die Leidensgeschichte der Afroamerikaner noch lange nicht beendet. Die Schwarzen sind nun zwar offiziell frei und bekommen ein StĂŒck Land zur Pacht, das sie bewirtschaften dĂŒrfen – das sogenannte Sharecropping. Michael Hochgeschwender.

8. ZUSPIELUNG Hochgeschwender 30.00

Aber sie bleiben auf der Plantage, wo sie immer schon waren, und arbeiten fĂŒr ihren Herrn, und im Sharecropping System bekamen sie dann zwar Lohn ausgezahlt, mussten aber das Geld in KauflĂ€den, die der EigentĂŒmer der Plantage eingerichtet hatte, ausgeben, wo man natĂŒrlich alles zu ĂŒberhöhten Preisen bekommen hat - weswegen sie dann immer verschuldet waren, das war die ganze Idee dahinter. Aber es gibt natĂŒrlich von Norden Versuche von den radikalen Republikanern
 dann ĂŒber den Homestead-Act Schwarze in den Westen zu bringen, wo sie dann ihr eigenes Land bekommen sollten. Das hat nie so richtig funktioniert, weil es auch permanent sabotiert worden ist. Und die Idee dahinter war auch durchaus rassistisch. Man wollte sie nĂ€mlich loswerden. Also viele Abolitionisten waren mindestens so rassistisch wie die Sklavenhalter. Sie waren einfach nur moralisch gegen die Sklaverei, aber hielten nichts von Schwarzen. Das vergisst man immer, wenn man ĂŒber Abolitionisten redet. 

Musik 9: Eden (Harlem) –  55 Sek + ATMO Zug 

+ ATMO Spiritual – G0031980 101 – 42 Sek

ERZÄHLER

Von Gleichberechtigung ist noch viele Jahrzehnte nach dem BĂŒrgerkrieg keine Spur. Man setzt auf Rassentrennung und rohe Gewalt, um Schwarze weiterhin zu unterdrĂŒcken und aus Gesellschaft und Politik auszuschließen. Weiße organisieren sich in paramilitĂ€rischen Gruppen und im rassistischen Ku Klux Klan, terrorisieren die schwarze Bevölkerung und lynchen Tausende schwarzer MĂ€nner. Ab 1910 kommt es deshalb zur sogenannten Great Migration – rund sechs Millionen Afroamerikaner ziehen gen Norden und Westen, weil sie das Leben im SĂŒden nicht lĂ€nger ertragen. Viele von ihnen nehmen die Eisenbahn. Doch diesmal ist es nicht die Underground Railroad, sondern die richtige Eisenbahn – mit gesondertem Abteil fĂŒr Schwarze.Â