Beim ersten Nürnberger Prozess gelang, was zunächst unmöglich schien: Dolmetschen fast ohne Zeitverzögerung. Ohne diese Gleichzeitigkeit wäre heute internationale Politik und Globalisierung kaum denkbar. Welche Verantwortung haben Dolmetscher? Und was, wenn KI ihre Aufgabe übernehmen würde? Von Hans Christoph Böhringer
Beim ersten Nürnberger Prozess gelang, was zunächst unmöglich schien: Dolmetschen fast ohne Zeitverzögerung. Ohne diese Gleichzeitigkeit wäre heute internationale Politik und Globalisierung kaum denkbar. Welche Verantwortung haben Dolmetscher? Und was, wenn KI ihre Aufgabe übernehmen würde? Von Hans Christoph Böhringer
Credits
Autor dieser Folge: Hans Christoph Böhringer
Regie: Martin Trauner
Es sprach: Thomas Birnstiel
Technik: Josef Angloher
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Jennifer Kearns, Dolmetscherin bei der UN in Wien
Elke Limberger-Katsumi, Konferenzdolmetscherin Nürnberg
Alexander Waibel, Informatiker am KIT, Dolmetsch-Technologie-Pionier
Martina Behr, Forscherin an der Uni Innsbruck (nur Hintergrund)
Thilo Hatscher, Dolmetscher, Berufsverband AIIC (nur Hintergrund)
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
ZUM PODCAST
Literatur:
Jesús Baigorri Jalón „From Paris to Nuremberg: The Birth of Conference Interpreting“ – erzählt die Geschichte des Konferenzdolmetschens in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Radiowissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Radiowissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER:
An einem Dienstagvormittag in Wien beginnt eine Konferenz der Vereinten Nation. Von den Kabinen der Dolmetscher aus kann man durch eine Glasscheibe beobachten, wie unten die Konferenzteilnehmer in dem holzgetäfelten Saal Platz nehmen.
ATMO 01 Konferenzteilnehmerin spricht.
SPRECHER:
Drückt der Techniker in seiner Kabine auf einen Knopf, wechselt der Sprachkanal.
ATMO 02 Stimme wechselt
SPRECHER:
Alles, was unten gesagt wird, wiederholen oben in den Kabinen die Dolmetscher in den jeweils anderen UN-Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Russisch, Chinesisch.
SPRECHER:
Ohne die schnelle mündliche Übersetzung von einer Sprache in die andere wäre eine Konferenz wie diese nicht möglich. Aber es ist eine Technik, die für Dolmetscher sehr fordernd ist.
ZSP 01 KEARNS:
[00:27:06] Man braucht ein bisschen … diesen Stress. Eben diesen Adrenalinstoß, um weiter zu dolmetschen. [00:27:11][5.0]
ZSP 02 KEARNS:
[00:27:12] Wir meckern zwar drüber, wenn wir gestresst sind und es ist so schnell und es ist so brenzlig, aber eigentlich lieben wir das. [00:27:21][8.6]
MUSIK: „Frontside Backside“ (0:20)
SPRECHER:
Simultandolmetschen ist ein unsichtbares Zahnrad, das die internationale Politik und Wirtschaft am Laufen hält.
Ganz besonders brenzlig ist es, wenn es um Krieg oder Frieden geht, um Schuldspruch oder Freispruch.
MUSIK weg
SPRECHER:
Es ist das Jahr 1934 und der Franzose André Kaminker dolmetscht live eine Rede. So kann das französischsprachige Publikum vor dem Radio unverzüglich hören, was da gesagt wird. Die Rede wird in Nürnberg gehalten. Der Redner: Adolf Hitler. Er spricht beim Parteitag der Nationalsozialisten. Und André Kaminker war damit einer der ersten Menschen, die vor großem Publikum echtes Simultandolmetschen praktiziert haben.
MUSIK: „Detached“ (0:54)
SPRECHER:
Damals hatte sich der Beruf Dolmetscher schon durchgesetzt. Vorbei war längst die Zeit, in der Diplomatie einfach auf Französisch stattfand und die Angelegenheit von europäischen Adligen war. Aber Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts war der Standard noch das Konsekutivdolmetschen: Während einer Rede hörte der Dolmetscher zu, machte Notizen, und verlas anschließend die Übersetzung – so lief es beim Völkerbund, dem Vorläufer der UN. Weil das Konsekutive viel Zeit in Anspruch nahm, gab es in den 1920er Jahren sowohl in der Sowjetunion als auch in der Schweiz Versuche, die Verdolmetschung simultan zu machen. Anfangs setze man dabei auf Stenografen, die während der Rede dem Dolmetscher ihren Mitschrieb zuschieben – dass jemand gleichzeitig zuhören und in einer anderen Sprache sprechen könnte, schien zunächst unmöglich.
MUSIK aus
SPRECHER:
Als André Kaminker 1934 Hitlers Rede dolmetschte, war das Simultane also noch die Ausnahme. Der eigentliche Durchbruch kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Wieder war der Ort Nürnberg.
ZSP 03 ARCHIV NÜRNBERG OPENING - ROBERT JACKSON:
[00:00:07] The privilege of opening the first trial in history for crimes against the peace of the world imposes a grave responsibility. [00:00:22][15.1]
SPRECHER:
So beginnt im Herbst 1945 der Chefankläger Robert Jackson die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher. Auf der Anklagebank sitzen hohe Funktionäre des NS-Regimes, darunter Hermann Göring, der als einer der wichtigsten Komplizen Hitlers gilt.
ZSP 04 ARCHIV NÜRNBERG OPENING - GÖRING:
Ich befinde mich im Sinne der Anklage: nicht schuldig.
SPRECHER:
Die Angeklagten und die Verteidiger sprechen Deutsch. Die Richter, die Ankläger und viele Zeugen sprechen Englisch, Russisch und Französisch.
Beim Völkerbund der Zwanzigerjahre wurde hintereinander ins Englische und ins Französische gedolmetscht, schon dadurch zogen sich die Sitzungen sehr in die Länge. Und laut Berichten waren die Teilnehmenden dadurch oft unaufmerksam oder hatten sogar den Saal verlassen, wenn gerade in einer für sie unverständlichen Sprache gesprochen wurde. Es war also schon im Vorfeld klar, dass man bei den Nürnberger Prozessen anders mit der mehrfachen Sprachbarriere umgehen musste, sonst hätte das ohnehin schon riesige Unterfangen bis zu viermal länger gedauert. So kam es zum Durchbruch des Simultandolmetschens. Es brauchte dafür das richtige System, Kopfhörer, Kabel und Schaltpulte, die die US-amerikanische Firma IBM herstellte. Und dann brauchte es geeignete Dolmetscher, die unter hohem Zeitdruck gleichzeitig zuhören, übersetzen und sprechen konnten.
ZSP 05 Limberger Katsumi:
[00:13:15] Also praktisch alle waren zweisprachig, mindestens zweisprachig. [00:13:20][4.9] [00:13:26] Sie waren im Exil gewesen. Sie sind geflüchtet. [00:13:33][7.2] [00:13:52] Die Geschichten wie ihre Flucht, ihre Vertreibung, ihre Familiengeschichte waren, sind sehr, sehr divers. Sehr, sehr aufregend, meiner Ansicht nach. [00:14:03][11.4]
SPRECHER:
Das ist Elke Limberger-Katsumi. Sie hat seit Ende der Siebzigerjahre als freiberufliche Dolmetscherin gearbeitet, am Standort Nürnberg.
ZSP 06 Limberger Katsumi:
[00:04:36] Und im Rahmen des Aufbaus meiner freiberufliche Karriere - - hab ich auch immer wieder Veranstaltungen zu dolmetschen gehabt, die mit den Prozessen zu tun hatten, mit Jahrestagen, mit Ehrungen usw und so fort und habe immer mehr darüber erfahren. Vor allem habe ich erfahren, dass keiner was über die Dolmetscher wusste. [00:05:01][25.5]
SPRECHER:
Also hatte Limberger-Katsumi beschlossen nachzuforschen: Wer waren die Menschen, die bei den Nürnberger Prozessen gedolmetscht?
MUSIK: „Detached“ – Z8046179 104 (0:42)
ZSP 07 ARCHIV NÜRNBERG DOLMETSCHER – Engl. Dolmetscherin:
[00:00:39] That's right. The Wehrmacht did march in. [00:00:43][3.7]
SPRECHER:
In den Archiven finden sich einzelne Filmaufnahmen mit verrauschtem Ton, darauf sind Dolmetscher und Dolmetscherinnen bei den Nürnberger Prozessen zu sehen. Es sind vermutlich inszenierte Aufnahmen oder Proben, keine Ausschnitte aus den eigentlichen Verhandlungen.
ZSP 08 ARCHIV NÜRNBERG DOLMETSCHER – Franz. Dolmetscher:
[00:02:26] J'ai appris que le Führer avait décidé. [00:02:30][4.6]
ZSP 09 Limberger Katsumi: [00:03:28] Man merkt ganz deutlich, dass diese Leute sprachlich überhaupt kein Problem hatten. [00:03:35][7.5]#
ZSP 10 ARCHIV NÜRNBERG DOLMETSCHER – Russ Dolmetscherin:
[00:03:13] Я стараюсь ставить простые вопросы. Я прошу, чтобы задавали простые ответы. [00:03:21][8.2] (Ich versuche, einfache Fragen zu stellen. Ich bitte um einfache Antworten.)
ZSP 11 Limberger Katsumi: [00:03:44] Aber dieses Gleichzeitige und dieses Ungewohnte und diese natürlich furchtbar umständliche Technik, da mussten sie sich dran gewöhnen. [00:03:54][9.9]
SPRECHER:
Limberger-Katsumi und ihre Kollegen vom Dolmetscherverband A.I.I.C. haben die Biografien einiger Dolmetscher und Dolmetscherinnen recherchiert. Viele haben eine Gemeinsamkeit: Sie waren Opfer des NS-Regimes gewesen. Viele waren jüdisch und hatten vor den Nationalsozialisten fliehen müssen. Einige hatten Haft oder sogar ein Konzentrationslager überlebt.
ZSP 12 ARCHIV NÜRNBERG DOLMETSCHER – Rosoff:
[00:01:26] Mais Keitel nous a raconté plus tard qu'il était passé avec vous … inscrit dans votre journal… [00:01:33][6.9]
SPRECHER:
Eine der Dolmetscherinnen war Genia Rosoff, sie dolmetscht hier ins Französische.
ZSP 13 ARCHIV NÜRNBERG DOLMETSCHER – Rosoff:
[00:01:37] … A la page 133 du livre, le document numéro sept. La même page! [00:01:43][5.7]
SPRECHER:
Genia oder Eugenia Rosoff kam aus Frankreich. Ihre Eltern waren jüdische Immigranten aus Polen und Russland. Mit der Besatzung durch die Deutschen wurde Rosoff und ihrer Familie die französische Staatsbürgerschaft entzogen.
ZSP 14 Limberger Katsumi:
[00:20:24] Sie arbeitete als Englischlehrerin zu dem Zeitpunkt. Dann schloss sie sich der Résistance an und … [00:20:30][6.0]
[00:20:37]... sie wurde auf jeden Fall verpfiffen und von der Gestapo in Paris inhaftiert. [00:20:44][6.2]
SPRECHER:
So kam Genia Rosoff in das Konzentrationslager Ravensbrück. Kurz vor Kriegsende wurde sie durch einen Deal des Roten Kreuzes befreit.
Zu dem Zeitpunkt, als sie von den bevorstehenden Prozessen in Nürnberg hörte, arbeitete sie als Journalistin. Sie meldete sich als Dolmetscherin – und bestand den Aufnahmetest.
ZSP 15 Limberger-Katsumi
[00:23:00] … hat auch den Test bestanden, den übrigens 80 % der Leute, die sich gemeldet haben, nicht bestanden haben. [00:23:11][11.5]
SPRECHER:
Die Dolmetscher mussten eine doppelte Belastung aushalten: Einerseits war das Simultane eine kognitive Anstrengung. Andererseits war das Dolmetschen auch psychisch belastend: Denn als Dolmetscherin muss man die Intention und den Standpunkt des Sprechers wiedergeben, auch wenn man damit vielleicht überhaupt nicht einverstanden ist – oder der Standpunkt einem sogar im Innersten widerstreben. Die Nürnberger Prozesse gegen die NS-Kriegsverbrecher müssen da ein Extremfall gewesen sein.
Aber Genia Rosoff hielt dem Druck stand.
ZSP 16 Limberger Katsumi:
[00:23:11] … Und war nach Bekunden von Kollegen, eine der besten Dolmetscherinnen, also simultan… und unheimlich neutral. Hat auch die schlimmsten Sachen richtig – also so richtig im Sinne von neutral – rübergebracht. [00:23:33][21.7]
MUSIK: „Frontside Backside“ (0:20)
SPRECHER
Genia Rosoff gehörte schließlich zu den ausgewählten Dolmetschern, die nach New York geschickt wurde. Sie sollten dort das Simultandolmetschen einer frisch gegründeten Organisation vorstellen: den Vereinten Nationen.
MUSIK hoch und weg
ATMO 03 TÜREN gehen auf, Schritte durch einen Flur.
SPRECHER:
Zurück zu einem anderen Standort der Vereinten Nationen: Wien. Die Konferenz ist zu Ende. Jennifer Kearns, die wir schon anfangs kurz gehört haben, führt uns weg von den Kabinen und in einen der leeren Säle.
ZSP 17 KEARNS:
[00:23:16] Ich bin irische Staatsbürgerin. Meine Muttersprache ist Englisch und ich dolmetsche aus dem Französisch, Spanisch und Deutsche ins Englische. Bei der UNO natürlich aus Französisch und Spanisch ins Englische. [00:23:31][14.9]
SPRECHER:. Ins Deutsche wird bei der UN in Wien nur selten gedolmetscht, denn Deutsch ist keine der sechs offiziellen UN-Sprachen.
Das Simultandolmetschen ist heutzutage Standard für Konferenzen und vor Gericht. Angehende Dolmetscher lernen dafür zum Beispiel das sogenannte Antizipieren, dabei versucht man vorauszusehen, wo der Sprecher mit einem Satz hinsteuert. Das ist vor allem im Deutschen wichtig, in der „Awful German Language“, wie sie einst der Schriftsteller Mark Twain genannt hatte, weil im Deutschen erst nach vielen Nebensätzen endlich das Verb kommt – wenn man schon wieder längst vergessen hat, wie der Satz anfing....
Eine andere Technik ist das Segmentieren: Man übersetzt längere Sätze in kleinen Sinnabschnitten, Stück für Stück.
ZSP 19 KEARNS:
[00:07:30] ... und üben, üben, üben. Macht Meister, ne? [00:07:34][4.0]
MUSIK: „Frontside Backside“ – Z8031510 103 (0:25)
SPRECHER:
Die Verzögerung zwischen Originalrede und gedolmetschter Rede nennt man “Décalage”, französisch für “Verschiebung”. Eine Décalage von drei bis vier Sekunden beziehungsweise von vier bis fünf Wörtern ist typisch, aber das hängt sehr davon ab, was gerade gedolmetscht wird. Schneller ist nicht immer besser. Denn es gibt keine Zurücktaste.
Und ein kleiner Fehler beim Dolmetschen kann große Konsequenzen haben. Ein Beispiel aus dem Jahr 1956: Da sagte der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow zu versammelten westlichen Diplomaten: “Wir werden euch begraben.” So hatte es zumindest sein Dolmetscher übersetzt. Dieser vermeintliche Ausspruch Chruschtschows wurde in US-Medien als Drohung verstanden und wurde in Forderungen nach Aufrüstung zitiert. Der Kontext der Rede lässt allerdings darauf schließen, dass es Chruschtschow um die langfristige Überlegenheit des Kommunismus ging. Die wahrscheinlich bessere Verdolmetschung wäre also gewesen: “Wir werden euch überdauern.”
Genau die Absicht des Redners widerzugeben, macht das Simultandolmetschen sehr anspruchsvoll. Gibt es einen Trick, wie man mit dem Stress klar kommt? Ein Ritual, bevor das Mikrofon eingeschaltet wird?
ZSP 20 KEARNS:
[00:11:02] Ein Kaffee trinken. (lacht) [00:11:03][0.5]
[00:11:11] Das heißt, ich ... man hat immer noch einen Adrenalinstoß, Natürlich, bevor das losgeht. Das hängt auch davon ab. Was ist das für eine Sitzung? Wer nimmt da teil? Wie findet es statt? Worum geht's? [00:11:25][13.5]
SPRECHER:
An einem Tag dolmetscht Kearns für ein Treffen der internationalen Atomenergiekommission, an einem anderen Tag für eine Konferenz über einen Drogenbericht. Besonders schwierig sind Informationen, die sich nicht aus dem Kontext erschließen, die aber genau übersetzt werden müssen: Fachbegriffe, Zahlen oder Eigennamen. Da hilft Vorbereitung.
Aber auch bei der besten Vorbereitung: Was zählt, ist das gesprochene Wort. Gedolmetscht wird spontan.
ZSP 21 KEARNS: [00:14:34] Witze sind extrem anstrengend, weil sie meistens auf Wortspiel basieren und Wortspiel von einem Sprach ins andere zu übersetzen... im heißen Geschehen der Dinge ist nicht einfach. [00:14:46][12.2]
SPRECHER:
Als Dolmetscherin muss Kearns auch versuchen, die Stimmung zu transportieren.
ZSP 22 KEARNS:
[00:33:32] Also an einen Sitzungen, an die ich mich besonders erinnern kann, war die internationale Gedenktag für Ruanda, die jährlich stattfindet und wo viele persönliche Schilderungen gegeben werden, die extrem berührend sind, extrem traurig [00:33:53][21.2]
[00:27:57] Das liegt zwar schon einiger Zeit her, natürlich, aber zu sehen Familienmitglieder und Überlebende, die von einem Massaker erzählen, dann hat man eben dieser Verantwortung. [00:28:11][13.9]
[00:28:26] Und an dieser speziellen Sitzung vor einigen Monaten hatten wir eine Dame. Sie hat von einem Tag in ihrem Leben erzählt während dieses Massaker. Und hat am Schluss dann ein Gedicht, weil sie war Dichterin, hat ein Gedicht ihre eigene Gedicht vorgelesen. [00:28:49][22.4]
[00:29:00] Man will genau den richtigen Ton treffen. Und weil, wenn ich das nicht richtig vermittle, dann habe ich ihr eine Untat getan. Und dann kommt auch noch ein Gedicht dazu. Also Poetik zu übersetzen simultan. Da habe ich schon gedacht okay, aber jetzt.... Aber es war wirklich schön und das war eine wunderbare Herausforderung. [00:29:21][21.2]
SPRECHER:
Wenn Dolmetscher ihren Job richtig machen, fallen sie meist nicht auf. So kommt es manchmal, dass die Leistung der Dolmetscher nicht unbedingt gewürdigt wird. Dabei sind lange Reden oder ein schnelles Hin und Her sehr fordernd. Und Dolmetscher sind in besonderem Maße davon abhängig, dass die Tonqualität gut ist. Als in der Pandemie immer öfter Konferenzen remote stattfanden, traten die Dolmetscher der EU in einen Streik. Die Tonqualität sei oft zu schlecht, die Hintergrundgeräusche seien belastend, die Arbeitsbedingungen unzumutbar.
MUSIK: „Detached“ – (0:35)
SPRECHER:
Simultandolmetschen ist anstrengend. Deswegen müssen sich die Dolmetscherinnen und Dolmetscher alle halbe Stunde abwechseln. Beispielsweise für eine zweistündige Besprechung in zwei Sprachen braucht man bis zu vier Dolmetscher, wenn, wie bei der UN oder der EU üblich, jeder nur in seine Muttersprache dolmetscht. Das kann sich nicht jeder leisten. Gerade für kleinere Firmen gibt es daher den Anreiz, sich nach Alternativen zu menschlichen Dolmetschern umzusehen.
MUSIK: „Theme from Star Trek“ – (0:35)
SPRECHER:
In der Science-Fiction-Zukunft braucht man keine Dolmetscher mehr. James T. Kirk, der Kapitän des Raumschiffs Enterprise, kann mit jedem Außerirdischen sprechen. Denn Kirk hat einen sogenannten Universalübersetzer, ein kleines Gerät, das automatisch jede Sprache in eine andere übersetzen kann.
Das ist, wie gesagt, Fiktion. Aber der echte Captain Kirk, also der Schauspieler William Shatner, besuchte Ende der Neunziger einen deutschen Forscher. Shatner wollte sich überzeugen, dass es ihn tatsächlich bald gibt: den Universalübersetzer.
ZSP 23 WAIBEL:
[00:05:06] Mit diesem maschinellen Übersetzungsprogramm kann ich ein Video von mir machen, in dem ich in beliebigen Sprachen spreche. [00:05:12][6.7]
ZSP 24 WAIBEL-Klon: (Leicht überlagert)
[00:06:09] With this machine translation program, I can make a video of myself speaking in any language. [00:06:15][5.3]
SPRECHER:
Das ist Alexander Waibel. Beziehungsweise: Das ist die Maschinen-übersetzungen von Alexander Waibel, also ein Klon seiner Stimme.
Waibel erforscht Kommunikationstechnologie am Karlsruher Institut für Technologie, kurz K.I.T. Er ist schon lange mit dem maschinellen Dolmetschen beschäftigt. 1978 hat er damit angefangen, als das noch Science Fiction war.
ZSP 25 WAIBEL:
[00:06:07] Ich war noch ein junger Student und blauäugig und naiv, wusste nicht, wie schwierig die Aufgabe tatsächlich sein würde, weil eben diese Ambiguität oder die Doppeldeutigkeit in allen Ebenen sozusagen vorliegt. [00:06:21][13.4]
SPRECHER:
Die Schwierigkeit ist also, mit der Mehrdeutigkeit des gesprochenen Wortes klarzukommen. Anfang der Neunziger Jahre begannen Waibel und seine Kollegen statistische Methoden zu nutzen. Wenn zum Beispiel in einem Satz das Wort “Deutsche” vor dem Wort “Bank” steht, ist es wahrscheinlich keine Bank zum Draufsetzen. Waibel entwickelte so die erste europäisch-US-amerikanische Dolmetschsoftware.
Als William Shatner im Jahr 1999 Waibel besuchte, konnte diese Software allerdings nur einzelne Sätze nacheinander übersetzen und war auf bestimmte Gesprächsthemen beschränkt, zum Beispiel auf Hotelreservierungen. Es dauerte noch ein paar Jahre für den Prototypen des Universalübersetzers.
ZSP 27 ARCHIV LECTURE TRANSLATOR, WAIBEL:
[00:00:06] Good morning. Thank you very much. It's very nice to have you here. [00:00:19][13.0]
SPRECHER:
Bei einer Pressekonferenz im Jahr 2005 demonstrierte Waibel den Lecture Translator. Es war der weltweit erste automatische Simultandolmetscher.
ZSP 28 ARCHIV LECTURE TRANSLATOR, WAIBEL:
[00:00:22] … Before we begin to show you what's new today … [00:00:33][11.0] (Waibel spricht darunter auf Englisch weiter. Die Übersetzung liegt drüber.)
[00:00:34] … Bevor wir anfangen, Ihnen zu zeigen, heute neu, wie viel, die wir haben, demonstrieren. Ich möchte Ihnen die Technologie, die Vergangenheit Entwicklung auf die Grundlage von denen wir getan haben, diese neue Fortschritte… [00:00:49][15.8]
SPRECHER:
Das Resultat war noch holprig. Aber Waibel und sein Team haben den Lecture Translator seitdem weiterentwickelt. Seit 2012 wird der Lecture Translator am K.I.T. in vielen Vorlesungen eingesetzt, damit internationale Studierende es leichter haben. Einen klaren Vorteil hat die Maschine gegenüber dem Menschen: Die Gleichzeitigkeit von Sprechen und Zuhören macht einen Computer nicht müde. Seit der Erfindung des Lecture-Translators hat sich die Computer-Übersetzung deutlich verbessert – dank Methoden des Maschinellen Lernens, dank wachsender Rechnerleistungen und dank großer Mengen an Trainingsmaterial aus dem Internet. Nun kann die Dolmetschsoftware Kontext besser erfassen.
MUSIK: „Detached“ – (0:40)
ZSP 30 WAIBEL (deutsch): [00:00:00] So kann jeder mit jedem sprechen, auch wenn er die andere Sprache nicht versteht. [00:00:00][0.0]
(überlagert sich mit…)
ZSP 31 WAIBEL-Klon (englisch): [00:00:00] So everyone can talk to everyone, even if they don't understand the other language. [00:00:00][0.0]
ZSP 32 WAIBEL-Klon (japanisch): [00:00:00] そう すれ ば、 たとえ 他 の 人 が その 言語 を 理解 し て い なく て も、 誰 も が 誰 と で も 話せる の です。 [00:00:00][0.0]
SPRECHER
Alexander Waibel sieht die Maschine eher als Ergänzung für den menschlichen Dolmetscher. Er erklärt, dass noch eine Menge Probleme zu lösen seien. Er deutet auf seine Doktoranden und Doktorandinnen, die während der Vorführung des Lecture Translators auf der anderen Seite des Konferenztisches sitzen. Ein jeder arbeitet an einem dieser Probleme: Emotionen übertragen. In einen bestimmten Akzent oder Dialekt dolmetschen.
ZSP 34 WAIBEL:
[00:58:12] Und das sind alles noch so Aufgaben, die aktuell noch nicht funktionieren und wo sicherlich der Mensch das besser einordnen kann als als Maschinen aktuell. [00:58:39][27.3]
MUSIK: „Frontside Backside“ – (1:20)
SPRECHER
Und schließlich gibt es noch das vielleicht ultimative Problem des maschinellen Dolmetschens: echtes Verstehen der Situation.
Eine menschliche Dolmetscherin versteht, warum etwas gesagt wird, warum es einen Gedenktag gibt, und wer da spricht. Von diesem Urteilsvermögen hängt schließlich ab, ob die Dolmetscher und Dolmetscherinnen ihrer Verantwortung gerecht werden können. Vielleicht braucht es die seltenen Momente, in denen sie aus ihrer Unsichtbarkeit ausbrechen, um klar zu machen, warum Menschen diese Aufgabe in besonders brisanten Situationen übernehmen sollten. Zum Beispiel wenn die Dolmetscher im EU-Parlament streiken, weil die Audioqualität zu schlecht ist. Sie wissen, was sie brauchen, um ihren Job gut zu machen.
Eine Maschine weiß das noch lange nicht.