STERNENGESCHICHTEN LIVE TOUR 2025! Tickets unter https://sternengeschichten.live Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Asteroid mit der Erde kollidiert? Und warum können wir das nicht immer mit Sicherheit sagen? Mehr über die Mathematik der Kollisionen erfahrt ihr in der neuen Folge der Sternengeschichten. Wer den Podcast finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten)
Sternengeschichten Folge 639: Wie berechnet man die Wahrscheinlichkeit für einen Asteroideneinschlag?
Asteroideneinschläge waren schon oft Thema in den Sternengeschichten. Ich habe davon erzählt, was passiert, wenn ein Asteroid auf der Erde einschlägt, ich habe ausführlich darüber gesprochen, wie man solche Katastrophen verhindern kann und über die Asteroiden selbst natürlich auch. Aber ich habe noch nicht davon erzählt, wie man eigentlich herausfindet, ob ein Asteroid mit der Erde kollidieren wird oder nicht.
Das klingt jetzt eigentlich nicht schwer, oder? Man findet einen Asteroid, bestimmt seine Umlaufbahn und wenn die die Umlaufbahn der Erde kreuzt, dann kracht es irgendwann. Und das ist zwar einerseits richtig, andererseits aber auch nicht, denn sonst wären wir mit dieser Folge jetzt auch schon wieder durch.
Was auf jeden Fall reine Fantasie ist, ist das, was man in vielen Hollywoodfilmen zu Asteroideneinschlägen sehen kann. Da schaut ja meistens irgendwer durch ein Teleskop, sieht einen Asteroid, tippt ein wenig auf dem Computer rum und stellt dann sofort erschrocken fest: Es wird einen Einschlag geben (und meistens ist dann auch sofort klar, wo genau der Asteroid einschlagen wird, nämlich natürlich irgendwo in den USA).
In der Realität läuft das ganz anders. Da wissen wir eigentlich nie mit absoluter Sicherheit, dass ein Asteroid mit der Erde kollidieren wird. Sondern können nur eine bestimmte Kollisionswahrscheinlichkeit angeben. Aber warum eigentlich? So ein Asteroid ist ja kein Auto, dass plötzlich auf einem Ölfleck im Weltall ins Schleudern kommt und in die Erde kracht. Oder sich in der Kurve versteuert und aus der Umlaufbahn getragen wird. Ein Asteroid bewegt sich im wesentlichen aufgrund der Gravitationskräfte die auf ihn wirken und die können wir ja sehr gut und sehr genau berechnen. Wir sollten doch wissen, wo sich der Asteroid bewegt und feststellen können, ob er jetzt mit uns kollidieren wird oder nicht. Wieso können wir das nicht sicher sagen?
Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Natürlich können wir die Gravitationskräfte sehr genau berechnen. Aber eben nicht beliebig genau. Die hängen einerseits von den Positionen und Massen der relevanten Himmelskörpern ab, also vor einmal den Planeten und der Sonne. Aber auch den größeren Asteroiden, den Monden und was da sonst noch so im Sonnensystem rumschwirrt. Und andererseits von der Position und Masse des potenziell gefährlichen Asteroiden selbst. Wir wissen zwar sehr gut, wie schwer die Planeten und die Sonne sind und wo sie sich bewegen; die haben wir ja schon lange genug beobachtet. Das selbe gilt für die Monde und die großen Asteroiden. Aber wir können nicht ALLE Himmelskörper im Sonnensystem in unseren Berechnungen berücksichtigen, das sind einfach zu viele. Und auch wenn der Einfluss zum Beispiel der Asteroiden gering ist, verglichen mit dem der Planeten und der Sonne, ist er doch vorhanden. Das heißt, wir machen in unseren Berechnungen zwangsläufig einen Fehler, wenn wir nicht alle vorhandenen Objekte berücksichtigen, sondern nur ein paar. Viel größer ist aber der Fehler, der in unseren Berechnungen entsteht, weil wir die Position des gefährlichen Asteroiden selbst nicht genau bestimmen können. Jede Beobachtung die wir machen, ist immer fehlerhaft. Oder besser gesagt: Sie ist nicht fehlerhaft, aber sie ist mit Messungenauigkeiten behaftet, weil unsere Teleskope und Messinstrumente nicht perfekt sind und nie perfekt sein können.
Wir wissen also nicht exakt, wie die Bahn des Asteroiden aussieht, wir wissen es nur innerhalb gewisser Grenzen. Und damit sind wir jetzt beim eigentlichen Thema dieser Folge: Der Berechnung der Kollisionswahrscheinlichkeit. Das erste, was uns interessiert, wenn wir die Gefahr eines Asteroideneinschlags einschätzen wollen, ist die sogenannte "Minimum Orbit Intersection Distance" oder kurz MOID. Dazu sieht man sich die Umlaufbahn der Erde an und die Umlaufbahn des Asteroiden. Dann sucht man die Punkte auf den beiden Bahnen, die einander am nächsten liegen und der Abstand zwischen diesen beiden Punkten ist die Minimum Orbit Intersection Distance. Auch hier kann man natürlich kein exaktes Ergebnis finden, weil ja, wie ich gerade erklärt habe, die Umlaufbahn des Asteroiden nur innerhalb gewisser Grenzen bekannt ist. Aber die MOID gibt schon mal gewisse Anhaltspunkte, wie groß die Gefahr ist. Wenn der Abstand zwischen den einander nächstgelegenen Punkten der Umlaufbahnen sehr groß ist, dann muss man sich eher weniger Sorgen machen. Ist er dagegen klein, sollte man genauer hinsehen. Und wenn der Abstand gleich Null ist, die Umlaufbahnen von Erde und Asteroid einander also direkt kreuzen, dann ist die Kollision sicher? Nein! Denn eine Kollision gibt es ja nur dann, wenn der Asteroid und die Erde zur selben Zeit am selben Ort sind. Theoretisch können sie sich auch auf kreuzenden Umlaufbahnen kollisionsfrei bewegen, wenn sie sich dabei nie treffen.
Wir müssen also nicht nur die Umlaufbahn des Asteroiden sehr genau kennen, wir müssen auch noch sehr genau wissen, wo entlang seiner Bahn sich der Asteroid zu jedem bestimmten Zeitpunkt befindet. Und das macht alles sehr kompliziert. Das grundlegende Prinzip ist aber eigentlich sehr simpel. Stellen wir uns so einen potenziell gefährlichen Asteroid vor, wie er da irgendwo im Weltall schwebt. Wir wissen, dass er da ist, wir wissen auch halbwegs genau, wo er ist. Aber wir wissen es eben nicht exakt. Wir können - etwas vereinfacht gesagt - nur sagen, dass er sich innerhalb eines gewissen Bereichs des Weltraums befindet. Wir könnten jetzt mit unserem Wissen über die Gravitationskräfte einfach ausrechnen, wo sich dieser Asteroid in Zukunft befinden wird und natürlich auch berechnen, wo sich die Erde in Zukunft hinbewegen wird. Und dann schauen wir einfach, ob sie zusammenstoßen oder nicht. Und genau das macht man auch. Aber wenn man das so macht, dann werden wir eben kein eindeutiges Ergebnis kriegen, weil wir eben nicht genau wissen, wo der Asteroid ist. Deswegen macht man in der Praxis etwas anderes: Wir füllen den ganzen Raum, in dem der Asteroid sich befinden könnte, mit jeder Menge Kopien des Asteroiden. Sagen wir, 1000 Stück. Und dann berechnen wir für alle 1000 Asteroiden, wohin sie sich in Zukunft bewegen werden und ob sie mit der Erde kollidieren. Wenn alle 1000 an der Erde vorbei fliegen, müssen wir uns keine Sorgen machen. Denn das bedeutet, dass unsere Beobachtungsfehler keine Rolle spielen. Wir wissen zwar nicht, wo genau der Asteroid ist, aber von jeder möglichen Position aus, die er haben kann, wird er die Erde verfehlen: Er wird uns also mit Sicherheit verfehlen. Wenn alle 1000 Asteroiden die Erde treffen, ist die Situation zwar katastrophaler, aber zumindest ebenso klar. Von allen möglichen Positionen aus wird der Asteroid mit uns zusammenstoßen und eine Kollision wird mit Sicherheit stattfinden. In der Realität werden aber ein paar der 1000 Asteroiden mit der Erde kollidieren und ein paar nicht. Wenn jetzt zum Beispiel 250 von den 1000 die Erde treffen, dann bedeutet dass, dass es eine Kollisionwahrscheinlichkeit von 25 Prozent gibt.
Wir können uns die Sache auch noch auf andere Weise vorstellen. Wir wissen nicht, an welchen Punkt sich der Asteroid exakt befindet. Und können daher, ausgehend von diesem Punkt, auch keine exakte Linie zeichnen, die seine Umlaufbahn angibt. Wir kennen nur einen Bereich, in dem sich der Asteroid befinden muss und die Umlaufbahn, die wir zeichnen können, ist keine Linie, sondern eher ein Schlauch, der sich um die Sonne windet. Irgendwo innerhalb dieses Schlauchs wird sich der Asteroid bewegen, wir wissen aber nicht, wo genau. Wenn sich auch die Erde in diesem Schlauch befindet, dann könnte es eine Kollision geben und die Kollisionswahrscheinlichkeit entspricht dem Verhältnis der Querschnittsflächen von Schlauch und Erde. Oder anders gesagt: Ist der Schlauch sehr groß, dann nimmt die Erde darin nur wenig Platz ein und die Wahrscheinlichkeit, dass sie getroffen wird, ist gering. Ist der Schlauch aber sehr dünn und befindet sich die Erde in diesem dünnen Schlauch, dann nimmt sie darin viel Raum ein und die Kollisionswahrscheinlichkeit ist groß.
Am Ende ist das aber alles irgendwie unbefriedigend. Wir wollen ja sicher wissen, ob es eine Kollision gibt oder nicht, damit wir wissen, ob wir vielleicht etwas unternehmen müssen. Eine Kollisionswahrscheinlichkeit ist zwar interessant, aber wir wollen Sicherheit, keine Wahrscheinlichkeit. Der einzige Weg, das zu erreichen, sind mehr Beobachtungen. Vor allem aber Beobachtungen über einen möglichst langen Zeitraum. Je länger wir den Weg des Asteroiden verfolgen und vermessen, desto genauer können wir seine Bahn berechnen und desto dünner wird der Schlauch. Und wenn wir Glück haben, ist der Schlauch irgendwann so dünn, dass die Erde sich außerhalb befindet. Wenn wir Pech haben, wird der Schlauch dünner als die Erde und führt mitten durch sie durch: Dann gibt es eine Kollision.
Wenn man sich diese ganzen Berechnungen klar macht, dann versteht man übrigens auch, warum die Kollisionwahrscheinlichkeit von manchen Asteroiden zuerst immer größer wird, je mehr Daten man hat, bevor sie dann plötzlich auf Null fällt. Zuerst ist die Umlaufbahn noch ungenau und der Schlauch ist groß. Die Erde nimmt nur einen kleinen Raum des Schlauchs ein. Je mehr Daten man sammelt, desto dünner wird der Schlauch. Die Erde aber bleibt ja immer gleich groß und nimmt verhältnismäßig immer mehr Raum im immer dünner werdenden Schlauch ein. Deswegen steigt die Kollisionwahrscheinlichkeit an und erst wenn der Schlauch so dünn wird, dass sich die Erde komplett außerhalb befindet, fällt sie schlagartig auf Null.
Wir haben mittlerweile sehr gute mathematische Methoden entwickelt, um zu berechnen, wie wahrscheinlich es ist, das ein Asteroid mit der Erde kollidiert. Aber wir können nur dann mit Sicherheit Bescheid wissen, wenn wir ausreichend viele Beobachtungsdaten gesammelt haben. Und das kann leider oft dauern. Aber die Unsicherheit hat zumindest ein gutes: Je gefährlicher ein Asteroid aussieht, desto mehr Teleskope werden eingesetzt, um die Gefahr einzuschätzen. Und früher oder später wissen wir dann Bescheid, ob es eine Kollision gibt oder - hoffentlich - nicht gibt.