Seit der Wikingerzeit ist Stockfisch, getrockneter Kabeljau, ein wichtiges Handelsprodukt. Von den Küsten des Nordens bis zu den Märkten Südeuropas und Amerikas prägte er Wirtschaft, Kultur und Küche vieler Länder. Von Andreas Pehl
Seit der Wikingerzeit ist Stockfisch, getrockneter Kabeljau, ein wichtiges Handelsprodukt. Von den Küsten des Nordens bis zu den Märkten Südeuropas und Amerikas prägte er Wirtschaft, Kultur und Küche vieler Länder. Von Andreas Pehl
Credits
Autor dieser Folge: Andreas Pehl
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Julia Fischer
Technik: Adele Meßmer
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Klaus Adelt (Stockfischhändler, Selbitz)
Sören Affeldt (Kommunikationsleiter Europäisches Hansemuseum, Lübeck)
Bart Holterman (Wissenschaftlicher Mitarbeiter FGHO, Lübeck)
Hans Christian Küchelmann (Archäozoologe, Bremen)
Bjørg Helen Nøstvold (Stockfischproduzentin, Torsvåg/ Vannøya)
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Linktipps:
Europäisches Hansemusem Lübeck HIER
Forschungsprojekt über Stockfischhandel des Deutschen Schifffahrtmuseum - Leibniz-Institut für maritime Geschichte HIER
Genussregion Franken: Stockfisch in Bayern HIER ENTDECKEN
Blog "Fish and Ships" HIER ENTDECKEN
Literatur:
Küchelmann, Hans Christian (2023): „Men schall ock berger, yslander, und hidlander vysch, elcken under synen namen unde vor syne werde, vorkopen“. Zur hansischen Versorgung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Städte mit Stockfisch. in: Benecke, Norbert (Hrsg.): Leben in der mittelalterlichen Stadt. Neue archäobiologische Forschungen, Archäometrische Studien 2, 111-158, Berlin (https://www.knochenarbeit.de/berger-yslander-und-hidlander-vysch/) – wissenschaftlicher Artikel zum Stockfischhandel
Magra, Christopher P.: The Fisherman's Cause: Atlantic Commerce and Maritime Dimensions of the American Revolution, 2009. Hintergründe zur Amerikanischen Revolutuion und der Fischindustrie.
Kochbücher aus Bayern mit Stockfischrezepten: "Buoch von guoter Spise" Würzburg (ca. 1350), "Kochbuch des Meister Eberhards" Landshut (1404-1450) "Kochbuch des Meister Hannsen" Amberg (1460), „Kuchenmeisterey" Passau (1487), "Kochbuch der Sabina Welserin" Augsburg (1553) Kochbuch des Balthasar Staindl Augsburg (1569).
Prilloff, Ralf-Jürgen (2022): Frühneuzeitliche Tierreste von der Herreninsel im Chiemsee. Einblicke zur Tierhaltung, -nutzung und Ernährung in einem Chorherrenstift. in: Dannheimer, Hermann (ed.): Kloster und Stift Herrenchiemsee – Archäologie und Geschichte (um 620–1803). Band 2: Historische und Naturwissenschaftliche Beiträge, Abhandlung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Neue Folge 148, 291-325, München
Mark Kurlansky: Kabeljau. Der Fisch, der die Welt veränderte. Claassen Verlag, 1999. – Schwerpunkt auf Klippfisch und Bedeutung des Kabeljaus für Amerika.
Holterman, Bart: The Fish Lands. German Trade with Iceland, Shetland and the Faroe Islands in the late 15th and 16th Century. De Gruyter Oldenbourg, 2020. https://doi.org/10.1515/9783110655575 - Stockfischhandel zwischen Deutschland und Island/ Shetland und den Faröern
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
01 Zsp. Stockfisch ATMO 200
Zugansage: „Nächster Halt Selbitz. Ausstieg in Fahrtrichtung links“
ERZÄHLERIN
Selbitz in Oberfranken. Ganz im Norden Bayerns.
02 Zsp. Stockfisch ATMO 200
Aussteigen, Schritte am Bahnsteig, Begrüßung
ERZÄHLERIN
Die Heimat von Klaus Adelt. Hier beginnt die Reise zu einer fast vergessenen geschichtsträchtigen Delikatesse: dem Stockfisch.
03 Zsp. Stockfisch O-TON Adelt 736a
Ich persönlich nehme eine starke Astschere. Wenn ich das geschäftlich machen würde, müsste ich so eine große Schere nehmen, wie es die Orthopäden beim Operieren von der Hüfte nehmen.
ERZÄHLERIN
Auf der Küchenzeile liegt etwas, das aussieht wie eine überdimensionale Trockenpflaume in Fischform. Nicht ganz Fischform, der Kopf fehlt. Es ist ein getrockneter Kabeljau, von Klaus Adelt aus Norwegen nach Franken importiert.
04 Zsp. Stockfisch ATMO aus 737
Flossen abschneiden
05 Zsp. Stockfisch O-TON Adelt 736b
Der Fisch wird meistens in drei Teile geteilt und kommt dann mindestens acht Tage ins Wasser. Im Wasser nimmt er noch mal das Doppelte an Gewicht an und muss dann irgendwann mal von seiner Haut befreit werden.
06 Zsp. Stockfisch ATMO aus 738
Haut vom Fisch ziehen
ERZÄHLERIN
Mit einer Zange beginnt Klaus Adelt, die Haut vom Fisch zu ziehen. Darunter: das helle, trockene Fleisch.
07 Zsp. Stockfisch O-TON Adelt 712a
Stockfisch hat es gegeben um Karfreitag. Mit all den Dingen, die dem Stockfischessen vorausgehen, sprich der Geruch im Haus, wo er gelagert war. Das Einwässern und all die Geschichten.
08 Zsp. Stockfisch ATMO aus 738
Haut vom Fisch ziehen
09 Zsp. Stockfisch O-TON Adelt 717
In jedem Haushalt wird der Stockfisch etwas anders zubereitet. Grundbestandteil ist immer der getrocknete Kabeljau, der Stockfisch, Speck, Zwiebeln, und dann kommt es auf die Brühe an, auf die Sauce: Weiße Brühe mit Milch, Eierbrühe. Jede Familie schwört auf ihr Rezept: Unser Rezept ist das beste. Und so hat es die Oma und die Uroma gemacht und so sollen es die Enkel auch mal machen.
10 Zsp. Stockfisch ATMO aus 739
Wasser in einen Eimer
11 Zsp. Stockfisch O-TON Adelt 720
Ludwigstadt, Teile von Kronach. Und dann geht es rüber in den Münchberger Raum. Der Hofer Raum vollständig. Das sind die typischen Stockfischgebiete.
ERZÄHLERIN
Ein Eimer Wasser, ein Löffelchen Natron über den Fisch, damit er beim Kochen schön weiß bleibt, viel Fischaroma im Keller von Klaus Adelt.
12 Zsp. Stockfisch ATMO aus 739
Fisch herrichten
13 Zsp. Stockfisch O-TON Adelt 711
Durch das, dass die Eltern das Lebensmittelgeschäft hatten und der Stockfisch in der Osterzeit eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat, er wurde damals in Ballen angeliefert, mit Draht fest verbunden, in Jute eingenäht und war für unsere Leute der ideale Fisch für die Fastenzeit. Und als wir das Geschäft aufgegeben haben, haben wir keinen Stockfisch mehr verkauft. Es gab auch eine Zeit lang, in der der Stockfisch etwas in Vergessenheit geraten ist.
Musik: Time traveller red 0‘42
ERZÄHLERIN
Mitte der 1990er Jahre hat Klaus Adelt dann die alten Traditionen wieder aufleben lassen und eine Karriere als nebenamtlicher Stockfischhändler begonnen. Er trat in die Fußstapfen vieler Kaufleute, an deren Ware sich in Bayern heute kaum mehr jemand erinnert.
Um im Frankenwald oder im Fichtelgebirge auf den Tellern zu landen, hatte der Fisch eine lange Reise hinter sich. Eine der wichtigsten Etappen auf seiner Route von Nord nach Süd war die Hanse, ein Bund von Städten rund um die Nord- und Ostsee, der im 13. bis 17. Jahrhundert seine Blütezeit erlebte.
14 Zsp. Stockfisch O-TON Adelt 715
Es gab die Handelswege über die Hansestädte. Von dort aus ging dann der Fisch weiter über die Handelsrouten nach Mitteldeutschland, nach Franken. Hansestädte, über Magdeburg, Leipzig und die Händler hierher, die dann auch nach Nürnberg geliefert haben.
15 Zsp. Stockfisch ATMO 200
Zugansage: „Nächster Halt Lübeck“
ERZÄHLERIN
Die Reise auf den Spuren des Stockfischs geht gut 500 Kilometer nach Norden. Lübeck, eine der führenden Hansestädte, spielte eine Schlüsselrolle beim Stockfischhandel.
16 Zsp. Stockfisch ATMO 854
Museumsführung
17 Zsp. Stockfisch O-TON Affeldt 855
Hanse – der Wortursprung ist nur „Schar“: eine Gruppe von Leuten, die unterwegs sind. Das kommt aus dem Althochdeutschen. Und ursprünglich ist es so, dass die Hansen von niederdeutschen Kaufleuten sich in Europa umtun und Handel treiben, Privilegien aushandeln, Sonderrechte mit Grafen vereinbaren, um ihren Handel voranzubringen.
ERZÄHLERIN
Sören Affeldt ist Kommunikationsleiter im Europäischen Hansemuseum in Lübeck. Für Händler aus Oberdeutschland, also Süddeutschland war es fast unmöglich, ohne die Hanse an deren privilegierte Handelsgüter zu kommen, etwa an den Stockfisch.
18 Zsp. Stockfisch O-TON Affeldt 852
Handelsverbindungen gibt es natürlich zu den oberdeutschen Städten. Da handelt man, aber die werden nie Hanseprivilegien nutzen können an anderen Orten. Bei Hanse ist es so, dass wir Kaufleute haben, die haben Freundschaften, Verwandte. Und die tauschen Informationen aus: wo kann ich was gut einkaufen oder teuer verkaufen.
19 Zsp. Stockfisch O-TON Holterman 864
Das Spätmittelalter, die frühe Neuzeit ist eine Zeit, wo eine gewisse Urbanisierung in Europa sich durchsetzt. Die Städte werden im Laufe des Hochmittelalters gegründet und die wachsen. Es gibt eine größere Bevölkerung, die sich selbst nicht mehr ernähren kann. Da müssen Produkte gehandelt werden, um sie zu ernähren. Und dann gibt es nur ein paar Produkte, die infrage kommen, die man so lange haltbar machen kann, dass man sie über Tage oder Wochen oder Monate transportieren kann, ohne dass sie schlecht werden.
ERZÄHLERIN
Bart Holterman ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums am Lübecker Hansemuseum.
Musik: Needle and twine 0‘35
ERZÄHLERIN
In Küstenstädten wie dem norwegischen Bergen entwickelte sich eine blühende Wirtschaft rund um den Kabeljau. Fischer, Hafenarbeiter, Schiffsbesatzungen und Kaufleute verdienten ihren Lebensunterhalt mit dem Stockfischhandel. Der Wohlstand, der dadurch erwirtschaftet wurde, floss in den Bau von Kirchen, Schulen und öffentlichen Gebäuden, was das Stadtbild vieler Handelszentren bis heute prägt.
Doch was ist dieser Stockfisch denn eigentlich?
21 Zsp. Stockfisch O-TON Holterman 860
Der Stockfisch ist getrockneter Fisch, meistens Kabeljau, der rein luftgetrocknet ist. Das geht eigentlich nur im hohen Norden, in Polargebieten. Und da reden wir über Nordnorwegen aber auch Island. Da sind die Lofoten ein sehr berühmtes Gebiet, wo das produziert wurde, aber auch in anderen Regionen.
22 Zsp. Stockfisch ATMO 200
auf der Fähre Bugwelle
ERZÄHLERIN
Die Reise geht weiter nach Norden. Viel weiter. In den Küstenregionen Nordnorwegens lebten unzählige Menschen von der Kabeljaufischerei und der Stockfischproduktion. Auf den Lofoten trafen sich in der Kabeljausaison im Winter viele tausend Fischer aus ganz Norwegen.
Die heute bei Touristen so beliebten Rorbuer, Holzhäuser, die auf Stelzen ins Meer hinausgebaut sind, boten den saisonal tätigen Fischern aus ganz Norwegen ein Dach über dem Kopf.
23 Zsp. Stockfisch ATMO 200
auf der Fähre mit Ansage auf Norwegisch
ERZÄHLERIN
Rund 2.500 Kilometer nördlich von Lübeck liegt die Insel Vannøya. Schneebedeckte Berge ragen steil aus dem grauen Meer. Die tiefstehende Wintersonne färbt den Himmel rosa.
24 Zsp. Stockfisch ATMO 200
Fähre legt an
ERZÄHLERIN
Ein paar sturmgewöhnte Holzhäuser, ein Leuchtturm auf rundgewaschenen, schwarzen Felsen, baumlose, tiefverschneite Landschaft, ein Kai mit kleinen Fischerbooten.
25 Zsp. Stockfisch ATMO 200
Schiffsbeladung und Produktion
26 Zsp. Stockfisch O-TON Nøstvold 902
Musik: Tradition 0‘30
ERZÄHLERIN
Im Fischerdorf Torsvåg entlädt ein kleines Boot seinen Fang in der Fischverarbeitung von Norfra. Bjørg Helen Nøstvold ist Firmenchefin.
Der Kabeljau werde an Bord der Boote geschlachtet und müsse sofort ausbluten, das sei sehr wichtig für die Qualität und die Haltbarkeit. Rund 120 selbstständige Fischer liefern hier ihren Fang ab.
27 Zsp. Stockfisch O-TON Nøstvold 903
OV weiblich
Die haben bessere Qualität als die großen Schiffe. Weniger Fang ist leichter zu hantieren und sie können auf die Qualität achten. Die meisten Fischer wohnen hier auf der Insel, sie fahren nicht weit raus, maximal zwei Stunden zu den Fischgründen. Dadurch bringen sie täglich frischen Fisch, der liegt nicht ewig an Bord.
28 Zsp. Stockfisch ATMO 200
Meeresrauschen am Strand
ERZÄHLERIN
Hier im Norden Norwegens spielt die natürliche Wanderung des Kabeljaus den Fischern gewissermaßen in die Netze, erzählt Bjørg Helen Nøstvold.
29 Zsp. Stockfisch O-TON Nøstvold 912
OV weiblich
Ganz vereinfacht: Der Kabeljau schlüpft auf den Lofoten. Dann schwimmt er mit der Meeresströmung nach Norden, Richtung Russland, wo er aufwächst. Wenn er größer wird, schwimmt er in die Barentssee, und wenn er dann geschlechtsreif wird, geht seine Reise zurück auf die Vesterålen und die Lofoten. Auf diesem Weg kommt er zuerst hier bei uns vorbei.
ERZÄHLERIN
An Land wird der Fisch komplett verarbeitet. Aus der Leber wird Fischöl hergestellt, aus den Rogen Kaviarersatz. Kinder schneiden die Zungen heraus, die hier im Norden als saisonale Spezialität gebraten auf den Tellern landen. Die Schwimmblase ist in Asien eine Delikatesse, der getrocknete Kopf gilt in Nigeria als Spezialität. Aus den Därmen wird Dünger hergestellt.
30 Zsp. Stockfisch O-TON Nøstvold 906
OV weiblich
Den Fisch selber können wir entweder frisch verschicken oder wir können ihn salzen, dann wird es Klippfisk, Klippfisch, der als Bacalao vor allem nach Portugal geliefert wird, oder wir hängen ihn auf, dann wird es Stockfisch, der geht vor allem nach Italien und Kroatien.
31 Zsp. Stockfisch ATMO 200
Trockengestelle
ERZÄHLERIN
Hinter dem Fabrikgebäude steht eine fast endlose Reihe von Holzgestellen. Ein bisschen erinnert das Ganze an ein überdimensionales Klettergerüst.
32 Zsp. Stockfisch O-TON Nøstvold 937
OV weiblich
Hier sind unsere Gestelle zum Trocknen der Fische. Oben drüber haben die ein Netz, damit die Vögel die Fische nicht fressen. Möwen sind nicht so klug, aber Krähen finden schnell raus, wie man Fisch stehlen kann.
Musik: Cold spell (b) 0‘53
ERZÄHLERIN
Die geköpften und ausgenommenen, ansonsten aber unbehandelten Fische werden zwei und zwei am Schwanz zusammengebunden und über die Holzstangen gehängt. Vielleicht hat der Stockfisch von diesen Trockenstangen seinen Namen. Eng an eng baumeln die Fische im arktischen Wind. Die Temperaturen rund um den Gefrierpunkt trocknen den Fisch langsam aus. Schnee beeinträchtigt in diesem Prozess nicht, nur zu starker Frost zerstört das Fleisch. Doch den gibt es hier am Meer so gut wie nie. Insekten sind hier im hohen Norden im Winter kein Thema, nur zu hohe Feuchtigkeit und Regen sind eine Gefahr für den künftigen Stockfisch: dann könnten sich Stockflecken bilden oder der Fisch faulen.
33 Zsp. Stockfisch O-TON Nøstvold 943
OV weiblich
Wir hängen ihn raus und dann klopfen wir auf Holz, dass es nicht zu warm und nicht zu kalt ist und es nicht zu viel regnet. Und dann warten wir drei Monate und holen ihn wieder rein. Dann sehen wir, wie das Ergebnis ist.
ERZÄHLERIN
Nach rund drei Monaten wird geprüft, ob der Fisch trocken genug ist. Das übernehmen erfahrene Mitarbeiter wie Ola.
34 Zsp. Stockfisch ATMO 200
Klopfprobe
35 Zsp. Stockfisch O-TON Ola 945
Erklärung auf norwegisch
ERZÄHLERIN
Ola nimmt zwei Fische, die genau so aussehen wie die in Selbitz, in der Küche von Klaus Adelt, und klopft sie gegeneinander – gut getrockneter Stockfisch müsse klingen, wie wenn man zwei Holzstücke gegeneinanderschlägt, zwei Stöcke.
34 Zsp. Stockfisch ATMO 200
Klopfprobe
ERZÄHLERIN
Aus rund 1.200 Kilo fangfrischem Fisch sind nach dem Ausnehmen und Trocknen rund 300 Kilo Stockfisch geworden. Die Qualitätskontrolle steht an: ist das getrocknete Fleisch weiß und fest, frei von Stockflecken oder Moosansatz?
36 Zsp. Stockfisch ATMO 200
Trockenfisch umräumen, knackt, schön!
37 Zsp. Stockfisch O-TON Nøstvold 951
OV weiblich
Dann wird nach Gewicht sortiert, nach Länge und Qualität.
ERZÄHLERIN
Und dann macht sich der Stockfisch auf die Reise.
38 Zsp. Stockfisch ATMO 200
auf der Fähre, Bugklappe schließt
Musik: Time traveller red 0‘20
ERZÄHLERIN
Zurück nach Deutschland. Rund 3.000 Kilometer hat der Stockfisch auf dem Rücken, bevor er in Franken ankommt, heute im Kühlanhänger von Klaus Adelt – früher per Schiff über Bergen und die Hansestädte. Bart Holtermann vom Europäischen Hansemuseum in Lübeck:
39 Zsp. Stockfisch O-TON Holterman 880
Sobald der Fisch getrocknet ist, wird er vor den norwegischen Kaufleuten von Nordnorwegen nach Bergen gebracht. Da waren die Hanse-Kaufleute sehr dominant. Die hatten dort ihr Kontor, ihre Niederlassung. Und die Hanseaten haben es dann gekauft und dann weiter auf die britischen Inseln, aber auch auf den Kontinent exportiert.
ERZÄHLERIN
Von den Hansestädten im Norden Deutschlands und der Niederlande aus führte der Weg des Stockfischs über Flüsse oder über Land in den Süden.
40 Zsp. Stockfisch O-TON Holterman 872
In den Süden, das geht sehr weit, dass dieser Stockfisch weiter transportiert wird. Es gibt einige Quellen, die sogar explizit sagen, dass Stockfisch typisch etwas für Schwaben ist oder für Süddeutsche.
41 Zsp. Stockfisch O-TON Küchelmann 806
Stockfisch hat eine sehr standardisierte Herstellungsgamemethode. Und an den Produktionsorten findet man deswegen andere Dinge als an den Orten, wo er verhandelt und konsumiert wurde. Konkret werden bei der Produktion die Köpfe abgetrennt. Die findet man in Skandinavien.
ERZÄHLERIN
Hans Christian Küchelmann aus Bremen ist Archäozoologe. Er beschäftigt sich mit der Beziehung von Menschen und Tieren über die verschiedenen Kulturen und Zeiten. Neben schriftlichen oder bildlichen Quellen untersucht er archäologische Funde von tierischen Überresten.
42 Zsp. Stockfisch O-TON Küchelmann 807
Ein Hinweis auf Stockfisch ist tatsächlich, wenn man relativ große Kabeljauknochen hat und eine Ungleichverteilung der Skelettelemente. Also wenn man zum Beispiel überhaupt keine Kopfelemente hat und nur Knochen von großen Individuen. Es gibt Fundstellen an der Nordseeküste, wo man sowohl frischen Kabeljau als auch Stockfisch hat. Der frische Kabeljau zeichnet sich dadurch aus, dass er meistens kleiner ist. Wenn die groß werden, wandern sie in den Norden ab. Da findet man dann auch die Kopfelemente von kleineren Individuen. Und um das abzusichern, kann man biomolekulare Methoden anwenden wie DNA-Analysen. Mit denen kann man nachweisen, aus was für einer Population der Kabeljau stammte.
ERZÄHLERIN
Mit solchen Methoden können Archäozoologen untersuchen, wann die Erfolgsgeschichte des Stockfischs begann.
43 Zsp. Stockfisch O-TON Küchelmann 809
Seit ungefähr 2.000 Jahren – also um Christi Geburt findet man in Nordnorwegen Veränderungen in der Nahrungszusammensetzung der Menschen. Man kann sehen, dass da eine Standardisierung der Fischverarbeitung stattfindet und dass es mehr wird. D.h., es sieht so aus, als ob so circa in der Eisenzeit damals in Norwegen die ersten Anfänge dieser Methode der Stockfischherstellung beginnen.
Musik: Mystic tendency (b) 0‘17
ERZÄHLERIN
Zunächst wird der Stockfisch regional gehandelt. In der Wikingerzeit dient er den Seefahrern als gut haltbares Nahrungsmittel auf ihren langen Reisen in Richtung Island, Grönland und Vinland/ Amerika.
44 Zsp. Stockfisch O-TON Küchelmann 815
Island ist von Norwegen aus im Wesentlichen besiedelt worden. Und die norwegischen Siedler haben diese Methode mitgenommen nach Island. Die Westfjorde, die für Landwirtschaft nicht so gut geeignet sind, waren mit die am ersten besiedelten Orte. Und die Vermutung ist, dass sie gezielt ausgesucht wurden als Siedlungsplätze, weil dort auch Kabeljaupopulationen sind, die sich leicht befischen lassen. Und dann wurde auch in Island Stockfisch hergestellt.
ERZÄHLERIN
Die Nachfrage nach Stockfisch wuchs und damit auch die Professionalisierung der Produktion.
45 Zsp. Stockfisch O-TON Küchelmann 813
Ab dem Hochmittelalter, elftes, zwölftes Jahrhundert, lässt sich eine Standardisierung der Produktion feststellen und ein Handel in den Süden. Am Anfang waren auch die Engländer und schottische Händler sehr involviert, die sind dann relativ bald durch die Hanse verdrängt worden und haben nur noch eine untergeordnete Rolle eingenommen.
ERZÄHLERIN
Salz um Fisch haltbar zu machen war zu teuer. Nur wenige Orte konnten überhaupt lebensmitteltaugliches Salz liefern. Daher war die reine Trocknung die bevorzugte und billigste Methode für Kabeljau. Immer weiter in den Süden ging der Siegeszug des Stockfisches, wie archäologische Funde zeigen.
Und so landet der Stockfisch schließlich auch in Süddeutschland.
47 Zsp. Stockfisch O-TON Küchelmann 823
Es gibt mehrere Funde aus Österreich, Salzburg, zum Beispiel, da gibt es die Residenz, ein Gasthaus, da hat der Kollege Pucher Kabeljaufunde gemacht. In Mauerbach im Kloster gibt es Funde und auch historische Inventarlisten, wo Stockfisch vorkommt. Und Süddeutschland ist das neueste Fundmaterial aus Herrenchiemsee, auch ein Kloster.
ERZÄHLERIN
Stockfisch also auch auf Herrenchiemsee, nicht nur Saibling, Renke, Hecht?
48 Zsp. Stockfisch O-TON Küchelmann 828
Süßwasserfisch war damals eine relativ teure Ressource im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Und da kommt der Stockfisch ins Spiel, mit dem man Profit machen konnte, der aber immer noch bezahlbar war.
Musik: Curious question 0‘25
ERZÄHLERIN
Der Grund, warum er so reißenden Absatz fand, war wohl aber nicht unbedingt der Preis. Je weiter der Fisch transportiert wurde, desto teurer wurde er.
Von einem „Arme-Leute-Essen“ kann daher wohl nur in den mitteleuropäischen Küstenregionen die Rede sein, nicht unbedingt in Süddeutschland. Was war also der Grund für den hohen Stockfischkonsum?
49 Zsp. Stockfisch O-TON Holterman 856
Dazu gibt es immer die Theorie, dass die katholische Kirche eine Rolle spielt, weil der Verzehr von Fleisch an Fastentagen untersagt ist. Und deswegen ist man an Fastentagen, teilweise war das echt ein großer Teil des Jahres, auf Fisch umgestiegen. Ich hab persönlich ein bisschen ein Problem mit dieser Erklärung, ich weiß, dass sie sehr gängig ist. Aber mich stört immer ein bisschen daran, dass vorausgesetzt wird, als ob Leute nur Fisch essen, wenn sie dazu gezwungen werden. Wenn es die katholische Kirche nicht gegeben hätte, denke ich nicht, dass die Leute keinen Stockfisch gegessen hätten. Es ist eher die lange Haltbarkeit von tierischen Proteinen, die entscheidend ist.
ERZÄHLERIN
Erzählt Bart Holterman aus Lübeck.
50 Zsp. Stockfisch O-TON Holterman 869
Die Entwicklung von Städten, da hat man immer das Problem, dass die Leute, die da wohnen, nicht ihr eigenes Essen produzieren, weil zu viele Leute auf einer kleinen Fläche sind. Und je größer die Stadt wird, desto mehr Leute dort wohnen, desto schwieriger das Problem.
ERZÄHLERIN
Schwankungen bei der Ernte, Hungersnöte, Kriege und Seuchen erschwerten die Ernährungslage zusätzlich.
Musik: Highwaymen B 0‘30
ERZÄHLERIN
Ein Fisch, der die Welt veränderte, lautet der überspitzte Titel eines Buchs zum Kabeljau von Mark Kurlansky. Mit der Entdeckung der Neuen Welt und der Entwicklung transatlantischer Handelsrouten im 15. und 16. Jahrhundert wurde der Stockfischhandel zu einem globalen Phänomen.
52 Zsp. Stockfisch O-TON Holterman 861
Neufundland, das hat man Ende des 15. Jahrhunderts entdeckt und herausgefunden, dass es da große Fischbestände gibt, Kabeljau war sehr reich vorhanden, und da sind die Europäer selbst hingefahren und haben vor Ort gefischt. Die haben nicht nur den vorhandenen Stockfisch aufgekauft, sondern selbst produziert. Und die haben die Fische dort eingesalzen und dann auf den Stränden trocknen lassen und dann zurückgenommen.
ERZÄHLERIN
Stockfisch und mit der besseren Verfügbarkeit des Salzes auch die gesalzene Variante, der Klippfisch, wurden so auch quer über den Atlantik ein bedeutendes Handelsgut.
Der sogenannte atlantische Dreieckshandel zwischen Europa, Afrika und den amerikanischen Kolonien war ein zentraler Bestandteil der europäischen Expansion: getrockneter Kabeljau, Sklaven, Zucker. Stockfisch und Klippfisch waren eine preiswerte Möglichkeit, die Plantagenarbeiter und Sklaven zu ernähren. Kriege wurden um die besten Fischgründe geführt, Fischereirechte und Kabeljau spielten bei der Amerikanischen Revolution eine wichtige Rolle. Und immer noch streiten die Staaten um Fischgründe und Quoten zwischen Profit und dem Versuch, die schwindende Kabeljaupolulation zu erhalten. Der Stockfisch spielt heute dabei nur noch eine kleine Rolle. Und dennoch gehört er immer noch dazu – auch in der traditionellen Küche Frankens.
Musik Optimistic prospects (reduced 2) 0‘52
53 Zsp. Stockfisch O-TON Holterman 879
Es gibt ganz viel Essen, was entstanden ist, weil man irgendwelche Wege versucht hat, es haltbar zu machen, aber die zur Delikatesse geworden sind. So ist es mit dem Stockfisch auch: Delikatesse oder Tradition.
ERZÄHLERIN
Und auch wenn der Aufwand höher ist als bei anderen Fischgerichten: der Stockfisch ist es wert, meint Klaus Adelt aus Selbitz:
54 Zsp. Stockfisch O-TON Adelt 725
Schlemmerfilet à la Bordelaise ist viel einfacher. Raus aus der Schachtel, rein mit der Aluschale und fertig ist es. Aber der Geschmack! Und der typische Karfreitag-Geruch, wenn der Hauch von Stockfisch durchs Haus zieht. Weihnachten riecht es nach Stollen und Plätzchen und am Karfreitag nach Stockfisch!